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Bundesverwaltungsgericht Urteil D-4672/2021

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung IV
Dossiernummer:D-4672/2021
Datum:10.02.2022
Leitsatz/Stichwort:Unentgeltliche Rechtspflege
Schlagwörter : Recht; Beschwerde; Beschwerdeführer; Verfahren; Unentgeltliche; Rechtsvertreterin; Asylverfahren; Person; Bundesverwaltungsgericht; Schweiz; Rechtspflege; Mutter; Verfahrens; Frankreich; Verbeiständung; Gesuch; Amtliche; Vorinstanz; Erstinstanzliche; Beschwerdeführers; Verfügt; Verfügung; Anspruch; Beistand; Partei; Wegweisung; Urteil; Vorinstanzliche; Asylgesuch; Zentralstelle
Rechtsnorm: Art. 29 BV ; Art. 46 VwVG ; Art. 48 VwVG ; Art. 52 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 64 AIG ; Art. 65 VwVG ; Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:123 I 145; 125 V 32; 128 I 225; 130 I 180; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung IV D-4672/2021

U r t e i l v o m 1 0 . F e b r u a r 2 0 2 2

Besetzung Richterin Contessina Theis (Vorsitz),

Richterin Gabriela Freihofer, Richter Gérard Scherrer, Gerichtsschreiberin Aglaja Schinzel.

Parteien A. , geboren am (…), Algerien,

vertreten durch Laura Aeberli, (…),

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Unentgeltliche Rechtspflege im Verwaltungsverfahren; Verfügung des SEM vom 22. September 2021 / N (…).

Sachverhalt:

A.

Der Beschwerdeführer reichte gemeinsam mit seiner Mutter am 26. September 2017 im Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) B. ein Asylgesuch ein. Mit Entscheid vom 27. November 2017 trat das SEM auf das Asylgesuch nicht ein und verfügte die Wegweisung nach Frankreich. Eine dagegen eingereichte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil D-6836/2017 vom 11. Dezember 2017 ab. In der Folge verliess der Beschwerdeführer mit seiner Mutter die Asylunterkunft und galt seit dem 17. Dezember 2017 als verschwunden.

B.

Die Mutter des Beschwerdeführers wurde am 5. Juli 2018 nach Frankreich ausgeschafft. Anlässlich einer Befragung durch die Polizei vom

14. Juni 2018 hatte sie angegeben, ihr Sohn halte sich in Frankreich beziehungsweise Finnland bei französischen Freunden von ihr auf. Später wurde sie zwei weitere Male (am 20. September 2019 und am 17. Dezember 2020) nach Frankreich ausgeschafft, wobei in den jeweiligen Ausreisegesprächen der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers nicht mehr thematisiert wurde.

C.

Mit Schreiben vom 30. Mai 2021 gelangte die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers an die Vorinstanz mit der Bitte, dessen Asylverfahren wiederaufzunehmen. Zur Begründung führte sie an, der Beschwerdeführer sei im Alter von (…) Jahren mit seiner Mutter in die Schweiz eingereist und halte sich seither hier auf. Sie hätten ein Asylgesuch gestellt, wobei dieses Verfahren durch einen Nichteintretensentscheid und eine Wegweisung nach Frankreich beendet worden sei. Sie hätten nach dem Entscheid die Asylunterkunft verlassen und sich illegal in der Schweiz aufgehalten. Im Oktober 2020 sei seine Mutter verhaftet und im Dezember 2020 nach Frankreich ausgeschafft worden. Er sei alleine in der Schweiz zurückgeblieben. Soweit er wisse, verfüge seine Mutter in Frankreich über keinen rechtmässigen Aufenthaltstitel. Nach ihrer Ausschaffung habe er sich bei der Sans Papiers Anlaufstelle Zürich (SPAZ) gemeldet, welche den Fall an die mandatierte Rechtsvertreterin weitergegeben habe. Diese habe sich zuerst an das Migrationsamt Züprich gewandt, dort habe man sich aber auf den Standpunkt gestellt, Art. 14 Abs. 1 AsylG würde einer Bewilligung nach AIG entgegenstehen. Der Wegweisungsentscheid nach Frankreich sei betreffend den Beschwerdeführer infolge Ablaufs der Überstellungsfrist von

Art. 29 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung) (ABl. L 180/31 vom 29.6.2013; nachfolgend: Dublin-III-VO) hinfällig geworden. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens sei folglich auf die Schweiz übergegangen. Mit der Ausschaffung der Mutter sei der Beschwerdeführer ausserdem zum unbegleiteten Minderjährigen geworden. In prozessualer Hinsicht beantragte die Rechtsvertreterin den sofortigen Vollzugsstopp und die Einsetzung ihrer Person als unentgeltliche Rechtsbeiständin. Der Beschwerdeführer sei (…) Jahre alt und damit minderjährig sowie unbegleitet. Er sei für das Asylverfahren auf rechtlichen Beistand und Unterstützung angewiesen. Er besuche die Schule und sei mittellos. Voraussichtlich werde die Zentralstelle MNA (Mineurs non accompagnés) die Beistandschaft für den Beschwerdeführer übernehmen. Die Rechtsvertretung von unbegleiteten Minderjährigen Asylsuchenden würde laut Auskunft der Zentralstelle MNA normalerweise durch die Zürcher Beratungsstelle für Asylsuchende (ZBA) erfolgen. Da sie jedoch bereits mit dem Fall betraut sei und ein Vertrauensverhältnis bestehe, erscheine es angezeigt, das Mandatsverhältnis fortzuführen.

D.

Mit Schreiben vom 3. Juni 2021 stellte das SEM fest, es würden sich weitere Abklärungen aufdrängen, und bat den Beschwerdeführer, mehrere Fragen zu beantworten. Gleichzeitig wurde der Rechtsvertreterin Einsicht in die Akten gewährt. Diese Fragen wurden durch die Rechtsvertreterin mit Eingabe vom 8. Juni 2021 beantwortet unter Beilage zahlreicher Unterlagen wie Zeugnisse, Referenzschreiben und Berichten von Lehrern und Sozialpädagogen. Mit Schreiben vom 15. Juni 2021 stellte das SEM dem Beschwerdeführer weitere Fragen, welche von dessen Rechtsvertreterin am

21. Juni 2021 beantwortet wurden.

E.

Am 23. Juni 2021 hob das SEM die Verfügung vom 27. November 2017 auf und verfügte die Wiederaufnahme des nationalen Asylverfahrens des Beschwerdeführers.

F.

Mit Zwischenverfügung vom 13. Juli 2021 lehnte die Vorinstanz das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab und stellte fest, die Zwischenverfügung könne nur mit dem Endentscheid angefochten werden.

G.

Der Antwort von C. , Zentralstelle MNA, vom 27. Juli 2021 auf die Anfrage des SEM, ob diesem der Anhörungstermin passe, ist zu entnehmen, dass diesem eine Teilnahme zum angegebenen Zeitpunkt nicht möglich sei, die Anhörung jedoch trotzdem durchgeführt werden könne, da die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers, welche die Funktion der Rechtsvertretung im Asylverfahren übernommen habe, teilnehmen werde. Die Anhörung des Beschwerdeführers fand am 24. August 2021 im Beisein der Rechtsvertreterin statt.

H.

Mit Verfügung vom 22. September 2021 – eröffnet am 23. September 2021

– stellte die Vorinstanz fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte sein Asylgesuch ab und verfügte die Wegweisung aus der Schweiz. Da der Vollzug der Wegweisung jedoch zurzeit nicht zumutbar sei, wurde die vorläufige Aufnahme angeordnet.

I.

Mit Rechtsmitteleingabe vom 25. Oktober 2021 erhob der Beschwerdeführer, handelnd durch seine Rechtsvertreterin, Beschwerde betreffend das Gesuch um amtliche Beiordnung eines Rechtsbeistandes. Dabei wurde beantragt, die Zwischenverfügung vom 13. Juli 2021 sei aufzuheben, es sei dem Beschwerdeführer für das erstinstanzliche Asylverfahren rückwirkend eine unentgeltliche Rechtsbeiständin in der Person der unterzeichnenden Rechtsvertreterin zu bestellen, dem Beschwerdeführer sei für das Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen und ihm sei in der Person der unterzeichnenden Rechtsanwältin eine unentgeltliche Rechtsbeiständin zu bestellen, wobei dieser für ihre Leistungen ein angemessenes Honorar zuzusprechen sei.

J.

Am 26. Oktober 2021 wurde dem Beschwerdeführer der Eingang der Beschwerde bestätigt.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Das Bundesverwaltungsgericht ist unter anderem zuständig für die Behandlung von Beschwerden gegen Verfügungen des SEM. Dabei entscheidet das Gericht auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser – was hier nicht zutrifft – bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (vgl. Art. 105 AsylG

      i.V.m. Art. 31-33 VGG und Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

    2. Prozessgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung im vorinstanzlichen Verfahren, nach Wiederaufnahme durch das SEM, mithin in einem Verfahren, das sich auf das AsylG (vgl. Art. 111b AsylG) stützte.

    3. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

    4. Am 1. März 2019 ist die Teilrevision (AS 2016 3101) des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 in Kraft getreten. Für das vorliegende Verfahren gilt das bisherige Recht (vgl. Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des AsylG vom 25. September 2015).

    5. Die Zwischenverfügung vom 13. Juli 2021, mit welcher das SEM das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ablehnte, ist nicht selbständig anfechtbar und kann deshalb mit der Beschwerde gegen die Endverfügung angefochten werden (vgl. Art. 107 Abs. 1 AsylG, Art. 46 Abs. 2 VwVG). Bei der angefochtenen Verfügung vom 22. September 2021 handelt es sich um die entsprechende Endverfügung bezüglich des Asylgesuches vom

26. September 2017 (Art. 5 VwVG). Die dagegen gerichtete Beschwerde erfolgte fristund formgerecht (Art. 108 Abs. 1 AsylG, Art. 52 Abs. 1 VwVG). Der Beschwerdeführer ist legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

    1. Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung wird in erster Linie durch das anwendbare Verfahrensrecht geregelt. Unabhängig davon besteht ein solcher Anspruch unmittelbar gestützt auf Art. 29 Abs. 3 BV (vgl. BGE 128 I 225 E. 2.3). Danach hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. Soweit es zur Wah-

      rung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wird die unentgeltliche Rechtspflege in aArt. 110a AsylG (vgl. für das neue Recht: Art. 102m AsylG) und Art. 65 VwVG konkretisiert.

    2. Für das erstinstanzliche Asylverfahren als nichtstreitiges Verwaltungsverfahren fehlt eine entsprechende ausdrückliche gesetzliche Regelung. Gemäss der Praxis der vormaligen Schweizerischen Asylrekurskommission, welche vom Bundesverwaltungsgericht fortgesetzt wird, lässt sich ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung aber aus verfassungsrechtlicher Sicht begründen (vgl. EMARK 2001 Nr. 11 E. 4, insb. E. 4b/bb; BVGE 2017 VI/8 E. 3; Urteil des BVGer E-1943/2019 vom

24. Mai 2019 E. 3 m.w.H.). Entgegen seiner ursprünglichen Einordnung im Abschnitt über das Beschwerdeverfahren ist ferner anerkannt, dass Art. 65 VwVG heute auch für alle nichtstreitigen Verwaltungsverfahren gilt (KAYSER/ALTMANN, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar zum VwVG, 2019, Rz. 4 zu Art. 65 VwVG). Ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung besteht demnach auch im erstinstanzlichen Asylverfahren. Für die Gutheissung eines entsprechenden Antrags müssen die Voraussetzungen des Art. 65 Abs. 2 VwVG erfüllt sein.

3.

    1. Das SEM begründete die Abweisung des Antrags auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung damit, es würden vorliegend keine Sachoder Rechtsfragen, die eine anwaltliche Vertretung notwendig erscheinen lasse, vorliegen. Es könne davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer, welcher über ein breites soziales Netz in der Schweiz verfüge, in der Lage gewesen wäre – gegebenenfalls unter Mitwirkung eines im Asylbereich tätigen Hilfswerkes – die für die Wiederaufnahme des Asylverfahrens notwendigen Schritte zu unternehmen. Die durch das SEM schriftlich gestellten Fragen hätten ohne anwaltliche Unterstützung beantwortet werden können, zumal es sich dabei um Fragen betreffend die persönliche Situation des Beschwerdeführers gehandelt habe. Auch für das weitere Asylverfahren sei keine Beiordnung der Rechtsbeiständin erforderlich. Zum einen sei nicht ersichtlich, dass sich erhebliche Schwierigkeiten in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht ergeben könnten, zum anderen würden die zuständigen kantonalen Behörden eine Vertrauensperson bestimmen, welche die Interessen des Beschwerdeführers für die Dauer des Verfahrens wahrnehme. Aus dem Schreiben vom 30. Mai 2021 ergebe sich diesbezüglich, dass die zuständige Zentralstelle MNA regelmässig die ZBA

      hinzuziehe. Die Beiordnung eines zusätzlichen Rechtsbeistandes durch das SEM sei damit nicht erforderlich. Daran ändere auch das bestehende Vertrauensverhältnis zum Beschwerdeführer nichts, zumal diesem bei einem mittlerweile 17-jährigen Gesuchsteller kein besonderes Gewicht beigemessen werden könne. Somit seien die Voraussetzungen zur amtlichen Beiordnung eines Rechtsbeistandes nicht erfüllt. Nach dem Gesagten könne die Frage der Bedürftigkeit offengelassen werden.

    2. In der Beschwerde wurde dem entgegnet, der Beschwerdeführer sei minderjährig und gehe in die Schule. Er verfüge über kein Einkommen oder Vermögen und sei folglich als mittellos einzustufen. Sein Asylgesuch könne sodann nicht als aussichtlos bezeichnet werden, da das SEM die vorläufige Aufnahme angeordnet habe. Umstritten sei einzig, ob er im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens zur Wahrung seiner Rechte auf einen Rechtsbeistand angewiesen gewesen sei. Unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden sei gemäss Art. 17 Abs. 3 AsylG für die Dauer des Asylverfahrens eine Vertrauensperson zu bestellen. Nach Zuweisung in den Kanton werde eine Beistandoder Vormundschaft eingesetzt. Gemäss Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts müssten zum Schutz von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden angemessene Massnahmen angeordnet werden, da diese regelmässig nicht über die erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügten, um ihre Rechte im Asylund Wegweisungsverfahren selbständig wahrnehmen zu können. Dem Beschwerdeführer sei keine Vertrauensperson zugeordnet worden. Die KESB Winterthur und Andelfingen habe erst mit Entscheid vom 17. August 2021 eine Vertretungsbeistandschaft angeordnet, mit den Aufgaben, den Beschwerdeführer umfassend und insbesondere auch im Asylverfahren und bei migrationsrechtlichen Angelegenheiten zu vertreten. Davor habe der Beschwerdeführer über keine behördliche Unterstützung für die Wahrnehmung seiner Rechte im Asylverfahren verfügt. Erst durch wiederholtes Nachfragen der Rechtsvertreterin sei die Zentralstelle MNA informiert worden. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass sich der Beschwerdeführer illegal in der Schweiz aufgehalten habe. Damit habe ihm jederzeit die Inhaftierung und Ausschaffung nach Frankreich gedroht. Seine Interessen seien folglich in schwerwiegender Weise betroffen gewesen und er habe sich in einer äusserst verletzlichen Lage befunden. Auch wenn er über ein breites soziales Umfeld verfüge, habe es niemanden gegeben, der ihn im Rahmen des Asylverfahrens kompetent hätte beraten und begleiten können. Er habe die SPAZ von früher, als er noch mit seiner Mutter gewohnt habe, gekannt und sich deshalb an diese gewandt, jedoch sei dort entschieden worden, dass die SPAZ nicht über die nötige Erfahrung verfüge, um das Mandat zu übernehmen,

weshalb der Beschwerdeführer an die unterzeichnende Rechtsvertreterin verwiesen worden sei. Vor diesem Hintergrund wäre es angezeigt gewesen, dem Beschwerdeführer für das Asylverfahren einen unentgeltlichen Rechtsbeistand zu bestellen. Er habe weder über eine Vertrauensperson noch über elterlichen Beistand verfügt. Nach der Errichtung der Beistandschaft sei ein Wechsel der Rechtsvertretung nach Absprache zwischen dem Beistand und der Rechtsvertreterin als nicht opportun angesehen worden. Die Voraussetzungen für die amtliche Beiordnung der Rechtsvertreterin seien folglich erfüllt gewesen und die unentgeltliche Verbeiständung sei rückwirkend anzuordnen.

4.

    1. Mit Verfügung vom 22. September 2021 wurde der Beschwerdeführer vorläufig in der Schweiz aufgenommen. Es liegt somit auf der Hand, dass die durch den Beschwerdeführer gestellten Rechtsbegehren zum Zeitpunkt der Gesuchstellung nicht aussichtlos waren. Auch die Voraussetzung der finanziellen Bedürftigkeit kann beim Beschwerdeführer als unbegleiteter Minderjähriger, der weder über ein Einkommen noch über ein Vermögen verfügt, als erfüllt betrachtet werden. Zu prüfen bleibt die Frage, ob das SEM im Rahmen seiner Zwischenverfügung vom 13. Juli 2021 die Notwendigkeit der anwaltlichen Verbeiständung im vorinstanzlichen Verfahren zu Recht verneint hat.

    2. Die Notwendigkeit der amtlichen Verbeiständung ist nicht bereits aufgrund des Umstands zu verneinen, dass das vorinstanzliche Verfahren vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht ist (vgl. BVGE 2017 VI/8 E. 3.3.2 mit Verweis auf EMARK 2000 Nr. 6 E. 10, ebenso BGE 125 V 32 E. 4b). Die bedürftige Partei hat Anspruch auf amtliche Rechtsverbeiständung, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug einer Rechtsvertretung erforderlich machen. Droht das in Frage stehende Verfahren besonders stark in die Rechtsposition der betroffenen Person einzugreifen, ist die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters grundsätzlich geboten, sonst nur dann, wenn zur relativen Schwere des Falles besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Gesuchsteller auf sich alleine gestellt nicht gewachsen wäre (BGE 130 I 180 E. 2.2 mit Verweis auf BGE 128 I 225 E. 2.5.2 und 125 V 32 E. 4b, siehe auch die Beispiele bei KAYSER/ALTMANN, a.a.O., Rz 60). Ob die amtliche Verbeiständung notwendig ist, beurteilt sich nach den konkreten objektiven und subjektiven Umständen. Es ist im Einzelfall zu fragen, ob eine nicht bedürftige Partei unter sonst gleichen Umständen

      vernünftigerweise eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt beiziehen würde, weil sie selber zu wenig rechtskundig ist und das Interesse am Prozessausgang den Aufwand rechtfertigt (vgl. Urteil des BGer 9C_606/2013 vom 6. März 2014 E. 2.2.1). In diesem Zusammenhang berücksichtigt das Bundesgericht insbesondere das Alter, die soziale Situation, die Sprachkenntnisse oder die gesundheitliche und geistig-psychische Verfassung der betroffenen Person sowie die Schwere und Komplexität des Falles (BGE 123 I 145 E. 2b/cc; vgl. zum Ganzen BVGE 2017 VI/8 E. 3.3.2).

    3. Für das Verfahren betreffend Gewährung von Asyl hielt die Asylrekurskommission in EMARK 2001 Nr. 11 fest, das Kriterium der erheblichen Tragweite des Verfahrens für die gesuchstellende Partei sei im erstinstanzlichen Asylverfahren in aller Regel erfüllt. Im Gegensatz dazu werde das weitere Erfordernis komplexer Sachoder Rechtsfragen nur äusserst selten erfüllt sein (vgl. dort E. 6c; ebenso EMARK 2004 Nr. 9 E. 3a und b). Die Praxis, wonach die unentgeltliche Verbeiständung im erstinstanzlichen Asylverfahren nicht ausgeschlossen, allerdings die Notwendigkeit der Vertretung nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen zu bejahen ist, wird vom Bundesverwaltungsgericht fortgeführt (vgl. die Darstellung der Praxis in BVGE 2017 VI/8 E. 3.3).

    4. Vorab ist daran zu erinnern, dass das SEM in Verfahren von minderjährigen Asylsuchenden an gewisse Anforderungen gebunden ist. Wird von der Minderjährigkeit ausgegangen und handelt es sich um eine unbegleitete minderjährige Person, muss das SEM geeignete Massnahmen ergreifen, um den Schutz derer Rechte zu gewährleisten (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-5411/2019 E. 5 [zur Publikation vorgesehen]). Das SEM ist verpflichtet, die zuständigen kantonalen Behörden über die Minderjährigkeit der Antragstellenden zu informieren, damit diese die entsprechenden vormundschaftlichen Massnahmen ergreifen und eine Vertrauensperson bestellen können, insbesondere, wenn entscheidende Verfahrensschritte, wie beispielsweise eine Anhörung zu den Asylgründen, geplant sind (vgl. Art. 17 Abs. 3 AsylG und Art. 7 Abs. 2 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 [AsylV 1, SR 142.311]; siehe auch Art. 64 Abs. 4 AIG).

    5. Ferner ist vorliegend zu berücksichtigen, dass es sich beim vorinstanzlichen Verfahren nicht um ein Standardverfahren betreffend die Gewährung von Asyl handelte. Wie von der Rechtsvertreterin dargestellt und aus den Akten ersichtlich ist, hielt sich der Beschwerdeführer seit dem Urteil betreffend Dublin-Verfahren D-6836/2017 vom 11. Dezember 2017 illegal in der

Schweiz auf. Teilweise wurde er wohl noch durch seine Mutter unterstützt, jedoch ist die Aktenlage diesbezüglich unklar, da diese mehrmals ausgeschafft wurde und falsche Angaben betreffend den Beschwerdeführer machte. Nach der letzten Ausschaffung seiner Mutter wandte er sich zuerst an die SPAZ, welche ihn jedoch an seine Rechtsvertreterin verwies. Daraus ergibt sich klar, dass der Beschwerdeführer nach seinen Möglichkeiten von seinem Umfeld Gebrauch gemacht hat, er dabei aber an dessen Grenzen gestossen ist. Dass weder sein soziales Umfeld – wobei den Akten keine Anhaltspunkte zu entnehmen sind, dass diesem besonders rechtskundige Personen angehörten – noch die SPAZ in der Lage waren, ihn kompetent zu beraten, lässt darauf schliessen, dass er eine rechtskundige Vertrauensperson benötigte. Nachdem vom Kanton erst am 17. August 2021 eine solche eingesetzt wurde und diese ferner der Ansicht war, es sei sinnvoll, dass sich die Rechtsvertreterin, zu welcher ein Vertrauensverhältnis bestehe, weiterhin um das Verfahren kümmere, sind die Ausführungen der Vorinstanz zur mangelnden Notwendigkeit nicht nachvollziehbar. Insbesondere erstaunt die Argumentation, die Zentralstelle MNA ziehe üblicherweise die ZBA bei, weshalb keine zusätzliche Rechtsvertretung notwendig sei, zumal vorliegend die ZBA nicht beigezogen wurde, sondern stattdessen eben die Rechtsvertreterin. In einer Gesamtwürdigung aller vorgenannten Umstände und auch unter Berücksichtigung der restriktiven Praxis des Gerichts ist die Notwendigkeit der amtlichen Verbeiständung zu bejahen. Damit ist festzuhalten, dass das SEM zu Unrecht das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen hat.

5.

Nach dem Gesagten ist der angefochtene Zwischenentscheid der Vorinstanz in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, dem Beschwerdeführer für das am 30. Mai 2021 anhängig gemachte vorinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Rechtsverbeiständung in der Person der rubrizierten Rechtsvertreterin im erstinstanzlichen Verfahren zu gewähren. Das amtliche Honorar ist auf der Basis der Kostennote vom 25. Oktober 2021 (Periode 28. Mai 2021 – 23. September

2021) zu entrichten.

6.

Gestützt auf die vorangehenden Erwägungen ist festzuhalten, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht verletzt. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen.

7.

    1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG), womit sich das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege inklusive Verbeiständung als gegenstandslos erweist.

    2. Dem obsiegenden Beschwerdeführer ist für die ihm erwachsenen notwendigen Kosten im Beschwerdeverfahren eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 VGKE). Gemäss Kostennote der Rechtsvertreterin hatte sie einen Aufwand von 2.9 Stunden für die Vorbesprechung und Beschwerdeerhebung, bei einem Stundenansatz von Fr. 220.–. Dazu kommen Spesen, welche mangels genauer Angaben geschätzt werden. Der entstandene Aufwand ist demnach auf Fr. 700.– (2.9 Stunden zu Fr. 220.– inklusive Auslagen und Mehrwertsteuer) zu beziffern und dem Beschwerdeführer von der Vorinstanz zu ersetzen (Art. 14 Abs. 2 VGKE).

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Zwischenverfügung vom

13. Juli 2021 wird aufgehoben.

2.

Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung in der Person von Rechtsanwältin Laura Aeberli im erstinstanzlichen Verfahren wird gutgeheissen.

Das SEM wird angewiesen, das amtliche Honorar der Rechtsvertreterin für deren Aufwand im vorinstanzlichen Verfahren festzusetzen und zu entrichten.

3.

Für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht werden keine Verfahrenskosten erhoben.

4.

Das SEM wird angewiesen, dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 700.– auszurichten.

5.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Contessina Theis Aglaja Schinzel

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