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Bundesverwaltungsgericht Urteil D-3100/2019

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung IV
Dossiernummer:D-3100/2019
Datum:03.11.2021
Leitsatz/Stichwort:Asyl (ohne Wegweisungsvollzug)
Schlagwörter : Beschwerde; Beschwerdeführer; Syrische; Recht; Syrien; Verfügung; Syrischen; Akten; Vorinstanz; Behörde; Flüchtling; Bundesverwaltungsgericht; Verfahren; Gehör; Sachverhalt; Behörden; Angefochtene; Urteil; Beschwerdeführers; Militär; Person; Quellen; Verletzung; Entscheid; Politisch; Schweiz; Dokument; Flüchtlingseigenschaft; Abklärung; Militärdienst
Rechtsnorm: Art. 49 VwVG ; Art. 52 VwVG ; Art. 58 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 64 VwVG ; Art. 83 AIG ; Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:130 II 473; 132 V 387; 133 I 149; 135 II 286; 138 I 49; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung IV D-3100/2019

U r t e i l v o m 3. N o v e m b e r 2 0 2 1

Besetzung Richterin Chiara Piras (Vorsitz), Richter Daniele Cattaneo, Richterin Nina Spälti Giannakitsas, Gerichtsschreiberin Kathrin Rohrer.

Parteien A. , geboren am (…), Syrien,

vertreten durch lic. iur. Michael Steiner, Rechtsanwalt, Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Asyl (ohne Wegweisungsvollzug);

Verfügung des SEM vom 17. Mai 2019 / N (…).

Sachverhalt:

A.

    1. A.

      (nachfolgend: der Beschwerdeführer) gelangte am

      30. September 2015 illegal in die Schweiz, wo er am darauffolgenden Tag im Empfangsund Verfahrenszentrum (EVZ) B. um Asyl nachsuchte.

    2. Am 5. Oktober 2015 wurde er vom Staatssekretariat für Migration (SEM) zu seiner Person, seinem Reiseweg und summarisch zu seinen Asylgründen befragt (Befragung zur Person; BzP). Am 6. Dezember 2017 fand die eingehende Anhörung statt.

      Anlässlich der Befragungen machte der Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Verhältnissen geltend, er sei syrischer Staatsangehöriger, kurdischer Ethnie und stamme aus C. (kurdisch; arabisch: D. ; Provinz E. ), wo er bis kurz vor seiner Ausreise mit seinen Eltern und seinen Geschwistern gelebt habe. Er habe die Schule mindestens bis zur (…) Klasse besucht und anschliessend als (…) auf dem Markt im Stadtzentrum von C. gearbeitet.

      Zu seinen Asylgründen brachte er vor, er habe in Syrien vom (…) 2004 bis am (…) 2006 den ordentlichen Militärdienst absolviert. Im (…) 2013 sei er in den Reservedienst einberufen worden. Da er bei der Arbeit gewesen sei, habe sein Vater das Aufgebot für ihn entgegengenommen. Gemäss diesem Reservisten-Aufgebot hätte er sich am (…) 2013 auf dem Rekrutierungsbüro in D. melden müssen. Zwei Tage später sei er zunächst zu seinem Grossvater nach F. gefahren und habe sich ungefähr einen Monat lang dort versteckt. Im (…) 2013 sei er in die Türkei geflüchtet, nachdem sein Vater seine illegale Ausreise organisiert habe. Von dort aus sei er am (…) 2019 via Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Ungarn und Österreich mit dem Zug illegal in die Schweiz gereist.

    3. Als Beweismittel für seine Identität und seine Asylvorbringen reichte der Beschwerdeführer im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens seine Identitätskarte (im Original), eine Kopie seines Passes, seinen Führerausweis, sein militärisches Dienstbüchlein sowie ein Aufgebot für den Reservistendienst vom (…) 2013 zu den Akten.

B.

Mit Verfügung vom 17. Mai 2019 – eröffnet am 20. Mai 2019 – stellte das

SEM fest, dass der Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllte (Dispositivziffer 1), lehnte sein Asylgesuch ab (Dispositivziffer 2) und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz an (Dispositivziffer 3), verfügte aber wegen Unzumutbarkeit des Vollzugs der Wegweisung die vorläufige Aufnahme (Dispositivziffern 4–5).

C.

    1. Am 11. Juni 2019 beantragte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter Einsicht in die Akten der Vorinstanz.

    2. Mit Schreiben vom 14. Juni 2019 gewährte das SEM dem Beschwerdeführer Akteneinsicht, verweigerte ihm jedoch die Einsicht in die Aktenstücke A/3, A/4, A/6, A/9, A/22, A/23 und A/25.

D.

Gegen die vorinstanzliche Verfügung erhob der Beschwerdeführer – handelnd durch den rubrizierten Rechtsvertreter – am 19. Juni 2019 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und beantragte, die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur vollständigen und richtigen Abklärung und Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und zur Neubeurteilung (Rechtsbegehren 4), eventualiter die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft sowie die Gewährung von Asyl (Rechtsbegehren 5), subeventualiter die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Rechtsbegehren 6). In formeller Hinsicht ersuchte er um Befreiung von der Kostenvorschusspflicht (Rechtsbegehren 7) und um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 ([VwVG; SR 172.021]; Rechtsbegehren 8), eventualiter sei eine angemessene Frist zur Bezahlung des Gerichtskostenvorschusses anzusetzen (Rechtsbegehren 9). Ferner beantragte er, es sei ihm vollumfänglich Einsicht in die vom SEM genannten "Quellen" zu gewähren (Rechtsbegehren 1), eventualiter sei ihm hierzu das rechtliche Gehör zu gewähren (Rechtsbegehren 2) und anschliessend eine angemessene Frist zur Einreichung einer Beschwerdeergänzung anzusetzen (Rechtsbegehren 3).

Der Beschwerde lagen eine Kopie der angefochtenen Verfügung des SEM, einen Ausdruck von Google Maps sowie eine Fürsorgebestätigung der (…) vom 3. Juni 2019 bei. Zudem wurden als Beweismittel verschiedene Internet-Links zu Videos betreffend die politische Situation in Nordsyrien, Online-Zeitungsartikel und Länderberichte bezeichnet.

E.

Mit Zwischenverfügung vom 27. Juni 2019 hielt die damalige Instruktionsrichterin fest, der Beschwerdeführer dürfe den Ausgang des Verfahrens in der Schweiz abwarten, hiess das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gut und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Demgegenüber wies sie die Gesuche um Akteneinsicht, um Gewährung des rechtlichen Gehörs sowie um Ansetzung einer Frist zur Beschwerdeergänzung ab. Des Weiteren wurde die Vorinstanz zur Vernehmlassung eingeladen.

F.

Mit Eingabe vom 1. Juli 2019 liess der Beschwerdeführer eine Kopie der Aufenthaltsbewilligung seines Bruders, G. , zu den Akten reichen.

G.

Mit Eingabe vom 11. Juli 2019 reichte der Beschwerdeführer eine Kopie eines Haftbefehls vom (…) 2018 inklusive einer deutschen Übersetzung ein. Hierzu hielt er fest, dass sich das Original bei seinem Onkel in Syrien befinde und seine Familie den Haftbefehl über Kontakte in der Militärpolizeiabteilung der Stadt H. erhalten habe. Das Original werde umgehend nach Erhalt nachgereicht.

H.

In seiner Vernehmlassung vom 16. Juli 2019 hielt das SEM im Wesentlichen fest, dass die Beschwerdeschrift keine neuen erheblichen Tatsachen oder Beweismittel enthalte, welche eine Änderung des Standpunktes rechtfertigen könnten. Im Übrigen verwies es auf die Erwägungen der angefochtenen Verfügung, an welchen es vollumfänglich festhielt.

Der Eingabe lag als Beilage das Dokument (…) bei.

I.

Der Beschwerdeführer replizierte fristgemäss mit Eingabe vom

  1. Juli 2019, wobei er an den gestellten Rechtsbegehren und der Begründung festhielt.

    J.

    Mit Eingabe vom 5. November 2019 machte der Beschwerdeführer Ausführungen über die neusten Entwicklungen in Syrien. Dabei beantragte er die Gewährung einer Frist zur Aktualisierung des Dossiers, sobald sich die Lage in Syrien stabilisiert habe.

    Als Beweismittel wurde ein Ausdruck der Karte der Agence France Presse (AFP) "accord russo-turc sur le nord-est de la Syrie" ins Recht gelegt.

    K.

    In seinem Schreiben vom 11. Februar 2021 nahm der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers Bezug auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) C-238/2019 vom 19. November 2020, welches sich mit der Frage der Flüchtlingseigenschaft von Militärdienstverweigerern aus Syrien befasse, und hielt fest, es sei offensichtlich, dass diese Rechtsprechung auch unmittelbaren Einfluss auf die Praxis des SEM haben müsse, weshalb es sich aufdränge, diese Eingabe der Vorinstanz zur erneuten Vernehmlassung zukommen zu lassen.

    L.

      1. Am 19. Juli 2021 wurde dem Beschwerdeführer von den zuständigen Behörden des Kantons I. wegen Vorliegens eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalles im Sinne von Art. 84 Abs. 5 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration vom 16. Dezember 2005 (AIG; SR 142.20) die Aufenthaltsbewilligung B erteilt.

      2. In der Folge wurde der Beschwerdeführer mit Zwischenverfügung vom

  2. Juli 2021 gefragt, ob er bei dieser Sachlage an seiner Beschwerde festhalte oder diese zurückziehen möchte.

    1. Mit Eingabe vom 10. August 2021 liess der Beschwerdeführer mitteilen, er halte an seiner Beschwerde fest, soweit diese nicht gegenstandslos geworden sei.

M.

Das vorliegende Verfahren wurde aus organisatorischen Gründen auf die gemäss Rubrum vorsitzende Richterin umgeteilt.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 des Bundesgesetzes über das Bundesverwaltungsgericht vom 17. Juni 2005 (VGG; SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine

      Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 des Asylgesetzes vom

      26. Juni 1998 [AsylG; SR 142.31] und Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 [BGG; SR 173.110]). Eine solche Ausnahme im Sinne von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG liegt nicht vor, weshalb das Bundesverwaltungsgericht endgültig entscheidet.

    2. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

    3. Am 1. März 2019 ist die Teilrevision des AsylG vom 26. Juni 1998 in Kraft getreten (AS 2016 3101). In Anwendung der Übergangsbestimmungen gilt für das vorliegende Verfahren das bisherige Recht (vgl. Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des AsylG vom 25. September 2015).

    4. Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht worden. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und aArt. 108 Abs. 1 AsylG, Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.

2.

Nachdem die Behörden des Kantons I. dem Beschwerdeführer am 19. Juli 2021 die Aufenthaltsbewilligung B erteilt haben und dieser am

10. August 2021 dem Gericht mitgeteilt hat, an der Beschwerde festzuhalten, soweit diese nicht gegenstandslos geworden ist, bilden nur noch die Fragen nach der Flüchtlingseigenschaft sowie der Asylgewährung Gegenstand des vorliegenden Verfahrens (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2001 Nr. 21 E. 11.c; Urteil des BVGer E-3698/2013 vom 13. April 2016 E. 3).

3.

Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG.

4.

4.1 Auf Beschwerdeebene wurden verschiedene formelle Rügen erhoben, welche vorab zu prüfen sind, da sie unter Umständen geeignet sein könnten, eine Kassation der erstinstanzlichen Verfügung zu bewirken (vgl. BVGE 2013/34 E. 4.2). Der Beschwerdeführer rügte zur Hauptsache eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie des Untersuchungsgrundsatzes.

4.2

      1. Gemäss Art. 29 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR 101) und Art. 29 VwVG haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Dieses umfasst insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines solchen Entscheides zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst als Mitwirkungsrecht somit alle Befugnisse, die einer Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen kann (vgl. BGE 135 II 286 E. 5.1 und 144 I 11 E. 5.3; BVGE 2009/35 E. 6.4.1 m.H.).

      2. Die Begründungspflicht, als Teilgehalt des rechtlichen Gehörs, gebietet, dass die betroffene Person den Entscheid gestützt auf die Begründung sachgerecht anfechten kann und sich sowohl die betroffene Person als auch die Rechtsmittelinstanz über die Tragweite des Entscheides ein Bild machen können (vgl. BVGE 2007/30 E. 5.6; LORENZ KNEUBÜHLER/RAMONA

        PEDRETTI, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das VwVG, 2. Aufl. 2019, N 5 ff. zu Art. 35 VwVG). Dabei kann sich die verfügende Behörde auf die wesentlichen Gesichtspunkte beschränken, sie hat aber zumindest die Überlegungen kurz anzuführen, von denen sie sich leiten liess und auf welche sie ihren Entscheid stützt (BVGE 2008/47 E. 3.2).

      3. Aus dem Akteneinsichtsrecht, welches ebenfalls auf dem Anspruch auf rechtliches Gehör fusst, folgt, dass grundsätzlich sämtliche beweiserheblichen Akten den Beteiligten offenzulegen sind, sofern in der sie unmittelbar betreffenden Verfügung darauf abgestellt wird (BGE 132 V 387

        E. 3.1 f.). Die Wahrnehmung des Akteneinsichtsund Beweisführungs-

        rechts durch die von einer Verfügung betroffene Person setzt die Einhaltung der Aktenführungspflicht der Verwaltung voraus, gemäss welcher die Behörden alles in den Akten festzuhalten haben, was zur Sache gehört und für den Entscheid wesentlich sein kann (BGE 130 II 473 E. 4.1 m.w.H.).

        Der Anspruch auf Akteneinsicht setzt sodann eine geordnete, übersichtliche und vollständige Aktenführung (Ablage, Paginierung und Registrierung der vollständigen Akten im Aktenverzeichnis) voraus (vgl. BVGE 2012/24 E. 3.2 und 2011/37 E. 5.4.1, je m.H.).

      4. Des Weiteren gilt im Asylverfahren – wie in anderen Verwaltungsverfahren auch – der Untersuchungsgrundsatz (Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 12 VwVG). Danach muss die entscheidende Behörde den Sachverhalt von sich aus abklären. Sie ist verantwortlich für die Beschaffung der für den Entscheid notwendigen Unterlagen und das Abklären sämtlicher rechtsrelevanter Tatsachen (vgl. ALFRED KÖLZ/ISABELLE HÄNER/MARTIN BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, N 142; PATRICK KRAUSKOPF/KATRIN EMMENEGGER/FABIO BABEY, in:

Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2016, N 20 ff. zu Art. 12 VwVG). Die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts in Verletzung der behördlichen Untersuchungspflicht bildet einen Beschwerdegrund (Art. 106 Abs. 1 Bst. b AsylG, Art. 49 Bst. b VwVG). Unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung dann, wenn der Verfügung ein falscher und aktenwidriger oder nicht weiter belegbarer Sachverhalt zugrunde gelegt wurde. Unvollständig ist sie, wenn die Behörde trotz Untersuchungsmaxime den Sachverhalt nicht von Amtes wegen abgeklärt oder nicht alle für die Entscheidung wesentlichen Sachumstände berücksichtigt hat (vgl. dazu CHRISTOPH AUER/ANJA MARTINA BINDER, in: Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], 2. Aufl. 2019, N 16 zu Art. 12 VwVG).

4.3

      1. Zunächst machte der Beschwerdeführer geltend, die Vorinstanz habe bei der Behandlung der Asylverfahren von syrischen Wehrdienstverweigerern und Deserteuren offenbar eine Praxisänderung vorgenommen, welche von der grundsätzlich geltenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweiche. Das SEM habe es dabei jedoch unterlassen, den Grundsatzentscheid BVGE 2015/3 im Hinblick auf die konkrete Situation in Syrien zu würdigen, und behaupte eine Praxisänderung gestützt auf drei

        Urteile neueren Datums. Mit dieser Vorgehensweise habe es die Abklärungspflicht verletzt und sei der Begründungspflicht nicht nachgekommen, womit der Anspruch auf rechtliches Gehör schwerwiegend verletzt worden sei.

      2. Vorliegend ist festzustellen, dass in der angefochtenen Verfügung die wesentlichen Vorbringen des Beschwerdeführers in Bezug auf seine Asylgründe aufgeführt und bei der Begründung des Entscheides berücksichtigt worden sind. Das SEM legte dabei in der Begründung seiner Verfügung nachvollziehbar dar, weshalb es die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Nicht-Befolgung eines Reservedienst-Aufgebots – selbst bei vorausgesetzter Glaubhaftigkeit – als nicht asylrelevant einstufte, wobei eine konkrete Würdigung des Einzelfalls vorgenommen wurde. Wie sich aus den untenstehenden Erwägungen ergibt (vgl. nachfolgend E. 7.3.2), steht die Ablehnung des Asylgesuchs dabei im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Es stellt offensichtlich keine Verletzung der Begründungspflicht dar, wenn eine Behörde in ihrem Entscheid darauf verzichtet, ihre Praxis in anderen, im zu beurteilenden Fall als nicht gegeben erachteten Fallkonstellationen zu diskutieren. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer die Lage in Syrien sowie die Tragweite einer Wehrdienstverweigerung respektive einer Desertion von der staatlichen syrischen Armee im Hinblick auf die Asylrelevanz anders einschätzt als die Vorinstanz, stellt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Vielmehr betrifft dies die rechtliche Würdigung des Sachverhalts, auf die im Rahmen der materiellen Prüfung einzugehen ist. Soweit die Vorinstanz nicht jedes Detail der Asylvorbringen aufgeführt und bei der Begründung des Entscheides berücksichtigt hat, ist dies ebenso wenig als Verletzung des rechtlichen Gehörs zu werten. Schliesslich war es dem Beschwerdeführer denn auch ohne weiteres möglich, die vorinstanzliche Verfügung sachgerecht anzufechten.

4.4

      1. Des Weiteren monierte der Beschwerdeführer, das SEM habe den Anspruch auf rechtliches Gehör und die Abklärungspflicht schwerwiegend verletzt, indem es auf eine Quellenanalyse verweise, die ergebe, dass die syrischen Behörden nicht allen Wehrdienstverweigerern und Deserteuren eine regierungsfeindliche Haltung unterstellen würden. Vielmehr sei die Behauptung, die syrischen Behörden würden zum heutigen Zeitpunkt nicht allen Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren eine regierungsfeindliche Haltung unterstellen, aktenwidrig. Es sei offensichtlich, dass faktisch jeder militärdienstfähige Mann in Syrien das entsprechende Profil erfülle, um

        vom syrischen Regime als Dienstverweigerer oder Deserteur gezielt asylrelevant verfolgt zu werden. Die angefochtene Verfügung müssen deshalb zwingend aufgehoben und die Sache zur vollständigen und richtigen Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts sowie zur Neubeurteilung an das SEM überwiesen werden.

      2. Es trifft zwar zu, dass in der angefochtenen Verfügung von einer Quellenanalyse die Rede ist, wobei lediglich zwei Quellen zitiert wurden. Dies ändert jedoch nichts am Umstand, dass es keine Verletzung der Abklärungspflicht darstellt, wenn das SEM die Lage in Syrien sowie die Tragweite einer Wehrdienstverweigerung im Hinblick auf die Asylrelevanz anders einschätzt als vom Beschwerdeführer erwartet. Vielmehr wird in der Beschwerde die sich aus dem Untersuchungsgrundsatz ergebende Frage der Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts mit der Frage der rechtlichen Würdigung der Sache vermengt, welche die materielle Entscheidung über die vorgebrachten Asylgründe betrifft. Alsdann ist erneut darauf hinzuweisen, dass die Ablehnung des Asylgesuchs des Beschwerdeführers mit der geltenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts übereinstimmt (vgl. nachfolgend E. 7.3). Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist deshalb auch in diesem Punkt unbegründet.

4.5

      1. Der Beschwerdeführer brachte weiter vor, dass sich das SEM auf eine "Quellenanalyse" berufe, ohne die entsprechenden Quellen zu nennen. Es sei nicht denkbar, dass sich das SEM lediglich auf die zwei in der angefochtenen Verfügung erwähnten Quellen gestützt habe. Den Akten sei jedoch kein einziger Hinweis zu entnehmen, wie das SEM wann, welche Quellen herbeigezogen und gewürdigt habe.

      2. In der angefochtenen Verfügung verwies das SEM unter Angabe zweier Internetadressen sowie der Fundstellen in den entsprechenden Dokumenten auf zwei öffentliche Berichte, welche beide im Internet abrufbar sind (vgl. hinsichtlich der monierten Link-Fehlermeldung auch die Ausführungen in der Zwischenverfügung vom 27. Juni 2019). Was die Gesuche des Beschwerdeführers um vollumfängliche Einsicht in die vom SEM genannten "Quellen" und die diesbezügliche Gewährung des rechtlichen Gehörs sowie das damit verbundene Gesuch um Beschwerdeergänzung respektive um Fristansetzung zur Beschwerdeergänzung nach der Gewährung der Akteneinsicht anbelangt, ist festzustellen, dass diese Anträge bereits im Rahmen des Instruktionsverfahrens behandelt wurden und sich

weitere Ausführungen dazu erübrigen. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf die entsprechende Zwischenverfügung vom 27. Juni 2019 verwiesen werden (vgl. Sachverhalt oben, Bst. E). Im Übrigen nahm das SEM in seiner Vernehmlassung zur in der Beschwerdeschrift kritisierten Quellenanalyse Stellung und führte hierzu aus, es stütze sich bei der Beurteilung der Lage in Syrien auf eine breite Quellenlage ab. So seien verschiedene Publikationen von europäischen Migrationsbehörden, dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO), dem United Nations High Commissioner for Refugees (UNCHR) und anderen Organisationen beigezogen und diverse Medienberichte sowie die Gesetzesdatenbank des syrischen Parlaments konsultiert worden. Diesbezüglich verwies die Vorinstanz ergänzend auf mehrere öffentlich zugängliche Quellen. Soweit der Beschwerdeführer daraufhin in der Replik rügte, die Quellenangaben seien nachgeschoben, ist festzuhalten, dass für das SEM keine Pflicht besteht, allgemeine und öffentlich zugängliche Informationsquellen, auf welche es sich bezog, offenzulegen. Hinsichtlich des Vorhalts, wonach die zitierten Berichte und Links allesamt weit vor Erlass der angefochtenen Verfügung datieren würden, womit diese nicht als Grundlage für die vom SEM plötzlich gemachte Praxisänderung dienen könnten, ist erneut festzuhalten, dass das SEM lediglich die durch das Bundesverwaltungsgericht im Grundsatzurteil BVGE 2015/3 festgelegte Praxis angewendet hat (vgl. nachfolgend E. 7.3). Zudem erhielt der Beschwerdeführer im Rahmen der Replik Gelegenheit sich mit den Vorbringen der Vorinstanz auseinanderzusetzen und sich dazu zu äussern, weshalb weder die behördliche Abklärungspflicht noch das rechtliche Gehör – und insbesondere die Begründungspflicht – verletzt wurden.

Hinsichtlich der in diesem Zusammenhang in der Replik geltend gemachten Rüge, es sei offensichtlich, dass das in der Vernehmlassung vom SEM zitierte Dokument (…) nach Erlass der angefochtenen Verfügung ergangen sei und somit nicht per se als Begründung und Grundlage des vorinstanzlichen Entscheides gelten könne, ist festzuhalten, dass das SEM in Bezug auf den vom Beschwerdeführer in der Beschwerde vertretenen Standpunkt, wonach die syrischen Behörden Wehrdienstverweigerung und Desertion grundsätzlich als Stellungnahme für die Opposition einstufen und dementsprechend bestrafen würden, auf seine Ausführungen in der angefochtenen Verfügung sowie auf die erwähnte, öffentlich zugängliche und aktuelle Notiz verwies. Daraus geht jedoch nicht hervor, inwiefern sich der angefochtene Entscheid auf diese Notiz stützen soll. Alleine der Umstand, dass das SEM einer anderen Einschätzung der Situation von Mili-

tärdienstverweigerern und Deserteuren in Syrien folgt, als vom Beschwerdeführer gefordert, spricht weder für eine ungenügende Sachverhaltsfeststellung noch für eine Verletzung der Begründungspflicht oder gar Willkür. Die Frage, inwiefern sich ein Bericht auf verlässliche und überzeugende Quellen abstützt, ist schliesslich ebenfalls keine formelle Frage, sondern gegebenenfalls im Rahmen der materiellen Würdigung der Argumente der Parteien durch das Gericht zu berücksichtigen. Somit ist keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu erkennen. Auf die weitere ausführliche Kritik in der Replik ist daher nicht weiter einzugehen.

4.6

      1. In der Beschwerde wurde weiter gerügt, das SEM habe nicht geprüft, ob dem Beschwerdeführer bei einer Wiedereinreise nach Syrien eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK; SR 0.101) drohen würde, womit es seine Abklärungspflicht und den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe.

      2. Diese Rüge des Beschwerdeführers betrifft die Frage nach der Zulässigkeit des Wegweisungsvollzugs (vgl. Art. 83 Abs. 3 AIG). Da im vorliegenden Fall jedoch bereits die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs verneint und deswegen die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers in der Schweiz verfügt wurde, hat das SEM zu Recht keine Prüfung der Zulässigkeit des Vollzugs vorgenommen; denn die drei in Art. 83 Abs. 1 AIG genannten Bedingungen (Unzulässigkeit, Unzumutbar oder Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs) für einen Verzicht auf den Vollzug der Wegweisung zugunsten einer vorläufigen Aufnahme sind alternativer Natur (vgl. hierzu BVGE 2009/51 E. 5.4). Die auf Beschwerdeebene pauschal erhobene Rüge, dass die Vorinstanz es vorliegend unterlassen habe, den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Sachverhalt unter dem Aspekt von Art. 3 EMRK zu prüfen, geht daher ins Leere. Auch diese Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist unbegründet.

4.7

      1. Der Beschwerdeführer machte ferner eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und eine schwerwiegende Verletzung der Pflicht zur vollständigen Sachverhaltsabklärung dadurch geltend, dass das SEM die Asyldossiers seiner in der Schweiz lebenden Familienmitglieder – insbesondere dasjenige seines Bruders G. , welchem in der Schweiz Asyl gewährt worden sei – nicht beigezogen habe. Dabei wurde auch auf Urteile des Bundesverwaltungsgerichts hingewiesen, in welchen beschwerdeführende

        Personen ausdrücklich und glaubhaft den Verfolgungszusammenhang mit den Fällen engerer Familienangehöriger geltend gemacht hätten, die vom SEM zu Unrecht nicht berücksichtigt oder nicht als glaubhaft oder asylrelevant betrachtet worden seien. Hätte das SEM die Asyldossiers seiner Geschwister im vorliegenden Fall tatsächlich beigezogen, so hätte es dies zwingend im Aktenverzeichnis festhalten müssen.

      2. Wenn eine asylsuchende Person ausdrücklich und glaubhaft einen Zusammenhang zwischen der eigenen und der Verfolgung von als Flüchtlinge anerkannten Familienangehörigen geltend gemacht hat – oder aus anderen objektiven Gründen – kann sich der Beizug der entsprechenden Dossiers tatsächlich aufdrängen (vgl. statt vieler Urteil des BVGer E- 4122/2016 vom 16. August 2016 E. 6.2.4). Diese Konstellation trifft vorliegend jedoch nicht zu. Der Beschwerdeführer hat anlässlich seiner Befragungen nie vorgebracht, seine eigenen Asylgründe stünden in einer Verbindung zu einer allfälligen durch seine Familienmitglieder erlebten Verfolgung. Vor diesem Hintergrund besteht auch kein hinreichender Anlass zur Annahme, dies könnte im Falle seiner (ohnehin hypothetischen) Rückkehr nach Syrien der Fall sein. Angesichts der dem Beschwerdeführer obliegenden Pflicht, anzugeben, weshalb er um Asyl nachsucht (Art. 8 Abs. 1 Bst. c AsylG), hatte die Vorinstanz keinen Anlass weitere Abklärungen zu einem möglichen Verfolgungszusammenhang zwischen dem Beschwerdeführer und seinen in der Schweiz lebenden Verwandten zu tätigen und deren Akten für das vorliegende Verfahren beizuziehen. Auch aus den Vorbringen auf Beschwerdeebene ergeben sich keinerlei entsprechende Anhaltspunkte. Damit geht es in casu – im Unterschied zu den auf Beschwerdeebene zitierten Urteilen (vgl. hierzu Beschwerde Art. 34, S. 12) – nicht um ein konkretes Geltendmachen einer Reflexverfolgung, die einen Aktenbeizug von Amtes wegen erforderlich machen würde. Die entsprechenden Hinweise auf andere Verfahren sind daher unbehelflich. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft in eigener Person darzulegen oder zumindest glaubhaft zu machen. Es ist somit nicht ersichtlich, inwiefern der beantragte Aktenbeizug der Abklärung des fraglichen Sachverhalts dienen soll. Nach dem Ausgeführten liegt bezüglich des Nichtbeizugs von Dossiers von Verwandten des Beschwerdeführers weder eine Gehörsverletzung, noch eine Verletzung der Abklärungsund Begründungspflicht vor.

4.8

      1. Alsdann wurde auf Beschwerdeebene eingewendet, das SEM habe seine Abklärungspflicht dadurch verletzt, dass die Anhörung erst zwei Jahre nach Einreichung des Asylgesuchs stattgefunden habe und danach nochmals eineinhalb Jahre bis zum Asylentscheid vergangen seien. Dabei handle es sich um eine schwerwiegende Verschleppung des Verfahrens, welche auch gegen die Grundsätze von Treu und Glauben und eines fairen Verfahrens verstosse.

      2. Es wäre in der Tat durchaus wünschenswert, wenn die Anhörung möglichst bald nach der Einreichung des Asylgesuchs stattfinden und auch der Asylentscheid zeitnah erfolgen würde. Inwiefern sich der zeitliche Abstand zwischen der Einreichung des Asylgesuchs und der Anhörung zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausgewirkt haben könnte, wird in der Beschwerde jedoch nicht weiter ausgeführt. Im Übrigen wäre es dem Beschwerdeführer unbenommen gewesen, im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens, die Vorinstanz um beförderliche Behandlung seines Asylgesuchs zu ersuchen, was er jedoch unterlassen hat. Der Vorwurf, das SEM habe mit seinem Vorgehen die Abklärungspflicht verletzt, ist somit unbegründet. Sodann ist in der Argumentation des SEM, wonach die Ausführungen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft und nicht konkret begründet seien, kein Verstoss gegen die Grundsätze von Treu und Glauben sowie eines fairen Verfahrens zu erblicken. Ob diese Argumentation zutrifft, wird ohnehin Gegenstand der nachfolgenden materiellen Prüfung der geltend gemachten Asylgründe sein.

4.9

      1. Des Weiteren wurde sinngemäss geltend gemacht, das SEM habe es unterlassen, den Sachverhalt betreffend den Reservedienst vollständig abzuklären. Vielmehr habe sich das SEM anlässlich der Anhörung stundenlang darauf konzentriert bis zur Frage 102 den Sachverhalt betreffend den Militärdienst zu erfragen.

      2. Dem Beschwerdeführer ist zwar zuzustimmen, dass er anlässlich der Anhörung ausführlich zum Militärdienst befragt wurde, im Rahmen der Mitwirkungspflicht (Art. 8 AsylG) obliegt es jedoch der beschwerdeführenden Person darzulegen, aus welchen Gründen sie um Asyl nachsucht. Dabei können ihr entsprechende Fragestellungen durch den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin der Vorinstanz helfen, die Asylgründe hinreichend darzulegen, wobei es nicht Sache des Befragers beziehungsweise der Befragerin ist, jede Einzelheit zu erfragen. Vorliegend wurde der Beschwerdeführer

konkret zu seinen Ausreisegründen befragt (vgl. SEM-Akte A/16, F58– F125) und er wurde am Ende der Anhörung zweimal gefragt, ob er alles hätte sagen können, was für sein Asylgesuch wesentlich sei. Dies bejahte er ausdrücklich (vgl. SEM-Akte A/16, F126 und F134). Dabei ist er zu behaften, weshalb der Vorinstanz diesbezüglich kein Vorwurf gemacht werden kann.

4.10

      1. Sodann machte der Beschwerdeführer geltend, die Vorinstanz habe darauf verzichtet, die eingereichten Beweismittel einer Dokumentenanalyse zu unterziehen, wodurch sie ihrer Abklärungspflicht nicht ausreichend nachgekommen sei und das rechtliche Gehör verletzt habe.

      2. Das SEM vertrat in der angefochtenen Verfügung die Ansicht, dass die eingereichten Beweismittel nicht geeignet seien, den vorgebrachten Sachverhalt zu belegen. Dies wurde damit begründet, dass syrische Dokumente – namentlich Reispässe, Militärbüchlein und militärische Aufgebote – leicht käuflich erhältlich seien. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat schon verschiedentlich festgestellt, dass in Syrien praktisch jegliche Art von Dokumenten käuflich erworben werden kann, was den Beweiswert von syrischen Dokumenten generell als gering erscheinen lässt (vgl. etwa Urteil des BVGer D-149/2014 vom 28. Dezember 2015 E. 6.3.1). Das SEM hat sich mit den vorgelegten Beweismitteln auseinandergesetzt und diese im Kontext der Aussagen des Beschwerdeführers gewürdigt. Dieses Vorgehen bezüglich syrischer Dokumente ist nicht zu beanstanden und die Durchführung einer Dokumentenanalyse war somit nicht erforderlich. In diesem Zusammenhang ist deshalb sowohl eine Verletzung der Abklärungspflicht als auch des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu verneinen.

4.11 Nach dem Gesagten erweisen sich sämtliche Rügen der Verletzung des formellen Rechts als unbegründet. Das Begehren, es sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache zur Abklärung und Feststellung des vollständigen und richtigen rechtserheblichen Sachverhalts sowie zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Rechtsbegehren 4), ist demzufolge abzuweisen. Ebenso besteht keine Veranlassung, dem SEM

  • wie in der Beschwerdeschrift beantragt – die Beschwerde mit dem Verweis auf die Möglichkeit einer vernehmlassungsweisen Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne von Art. 58 Abs. 1 VwVG zukommen zu lassen.

    5.

    Der Beschwerdeführer rügte ferner eine Verletzung des Grundsatzes von

    Treu und Glauben und des Willkürverbots. Beim Grundsatz von Treu und Glauben geht es einerseits um die Frage, wie weit sich Private auf eine im Widerspruch zum geltenden Recht stehende behördliche Auskunft verlassen können. Andererseits verbietet es dieser Grundsatz, dass die Behörden einen einmal in einer Sache eingenommenen Standpunkt ohne sachlichen Grund wechseln (vgl. BGE 138 I 49 E. 8.3.1; PIERRE TSCHANNEN/ULRICH ZIMMERLI/MARKUS MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2014, § 22 N 1 ff. und 21 f.). Das vorliegend gerügte Verhalten des SEM liegt offensichtlich nicht im Anwendungsbereich dieses Grundsatzes. Sodann liegt Willkür nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung in Betracht zu ziehen oder sogar vorzuziehen wäre, sondern nur, wenn ein Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz klar verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (vgl. BGE 133 I 149 E. 3.1 m.w.H.; vgl. ferner JÖRG PAUL MÜLLER/MARKUS SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008). Vorliegend führte der Beschwerdeführer weder näher aus noch ist ersichtlich, dass und inwiefern die Erwägungen des SEM darunter zu subsumieren wären. Die Rügen, wonach die Vorinstanz das Gebot von Treu und Glauben sowie das Willkürverbot verletzt habe, sind daher als unbegründet zu qualifizieren (vgl. hierzu D-5806/2019 E. 3.3.5 oder D-2357/2018 E. 5.6).

    6.

      1. Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken (Art. 3 Abs. 2 AsylG).

      2. Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden, wobei die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) vorbehalten bleibt (Art. 3 Abs. 2 AsylG).

      3. Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die

        Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG). Das Bundesverwaltungsgericht hat die Anforderungen an das Glaubhaftmachen der Vorbringen in verschiedenen Entscheiden dargelegt und folgt dabei ständiger Praxis. Darauf kann hier verwiesen werden (vgl. beispielsweise BVGE 2015/3 E. 6.5.1; 2013/11 E. 5.1; 2012/5 E. 2.2; 2010/57 E. 2.2 und 2.3, jeweils m.w.H.).

      4. Wer sich darauf beruft, dass durch seine Ausreise aus dem Heimatoder Herkunftsstaat oder wegen seines Verhaltens nach der Ausreise eine Gefährdungssituation erst geschaffen worden ist, macht sogenannte subjektive Nachfluchtgründe im Sinne von Art. 54 AsylG geltend. Subjektive Nachfluchtgründe begründen zwar die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 3 AsylG, führen jedoch nach Art. 54 AsylG zum Ausschluss von Asyl, unabhängig davon, ob sie missbräuchlich oder nicht missbräuchlich gesetzt wurden (vgl. BVGE 2009/28 E. 7.1). Stattdessen werden Personen, die subjektive Nachfluchtgründe nachweisen oder glaubhaft machen können, als Flüchtlinge vorläufig aufgenommen.

    7.

      1. Die Vorinstanz gelangte in der angefochtenen Verfügung zum Schluss, die Vorbringen des Beschwerdeführers würden weder den Anforderungen an das Glaubhaftmachen gemäss Art. 7 AsylG, noch denjenigen an die Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 3 AsylG standhalten.

        Zur Begründung führte das SEM aus, dass zwar nicht bezweifelt werde, dass der Beschwerdeführer den regulären Militärdienst absolviert habe, hingegen würden seine Ausführungen, wonach er 2013 in den Reservedienst aufgeboten worden sei, nicht zu überzeugen vermögen, da er nie direkten Behördenkontakt gehabt habe und kaum weiterführende Angaben habe machen können. An dieser Feststellung vermöge auch das eingereichte militärische Aufgebot nichts zu ändern. Schliesslich würden Rekrutierungsmassnahmen für die syrische Armee im Wirkungsgebiet der kurdischen Truppen als eher unwahrscheinlich erscheinen. Das syrische Regime habe sich gemäss übereinstimmender Quellen im Juli 2012 aus den kurdischen Gebieten Nordsyriens – mit Ausnahme der Städte al-Hassaka

        und al-Qamishli – zurückgezogen. Insgesamt sei es dem Beschwerdeführer somit nicht gelungen, die geltend gemachte Einberufung in den Reservedienst gemäss Art. 7 AsylG glaubhaft zu machen.

        Die Vorinstanz führte ferner aus, eine Wehrdienstverweigerung oder Desertion vermöge per se die Flüchtlingseigenschaft nicht zu begründen, sondern nur dann, wenn damit eine Verfolgung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 AsylG verbunden sei. Eine Quellenanalyse ergebe, dass im syrischen Kontext zum heutigen Zeitpunkt nicht allen desertierten Militärdienstangehörigen eine regierungsfeindliche Haltung unterstellt werde. Beim Vorliegen spezifischer politischer Faktoren sei jedoch davon auszugehen, dass die syrischen Behörden eine Wehrdienstverweigerung oder Desertion als Stellungnahme für die Opposition einstufen und entsprechend bestrafen würden. Daraus folge, dass im syrischen Kontext eine Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion nur dann aus Gründen im Sinne von Art. 3 AsylG erfolge, wenn zusätzliche einzelfallspezifische Risikofaktoren vorliegen würden. Da im Fall des Beschwerdeführers keine einzelfallspezifischen Risikofaktoren vorlägen, die ein politisches Profil begründen könnten, würden allfällige Strafmassnahmen infolge seiner Desertion keine Verfolgung im Sinne von Art. 3 AsylG darstellen. Demzufolge erfülle er die Flüchtlingseigenschaft nicht und sein Asylgesuch sei abzulehnen.

      2. In der Beschwerdeschrift wurde in materieller Hinsicht eine Verletzung von Art. 3 und Art. 7 AsylG gerügt. Für den Fall, dass die angefochtene Verfügung nicht aufgehoben werden sollte, stehe fest, dass der Beschwerdeführer glaubhaft vorgebracht und auch belegt habe, dass ihm im (…) 2013 die Rekrutierung in den Reservedienst gedroht habe, wobei er sich diesem Aufgebot entzogen habe und illegal aus Syrien ausgereist sei. Er würde aufgrund der blossen Tatsache, in der gegebenen Bürgerkriegssituation als Staatsfeind und als potenzieller gegnerischer Kombattant aufgefasst zu werden, gezielt asylrelevant verfolgt. Es sei offensichtlich, dass seine Weigerung, in den Reservedienst einzurücken, als regimefeindliches und oppositionelles Verhalten betrachtet werde, welches vom syrischen Regime gezielt asylrelevant verfolgt werde, weshalb er als Flüchtling anzuerkennen und ihm Asyl zu gewähren sei. Dies entspreche denn auch der weiterhin geltenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gemäss BVGE 2015/3. Das syrische Regime gehe nach wie vor mit extremer Härte gegen Militärdienstverweigerer und Deserteure vor und beschuldige sie, Staatsfeinde und Terroristen zu sein. Dies werde sich auch nicht än-

    dern, da die Armee angesichts des anhaltenden Konflikts auf jeden einzelnen wehrfähigen Mann angewiesen sei. Das SEM gehe denn auch selber davon aus, dass nach Syrien zurückkehrende Militärdienstverweigerer und Deserteure verhaftet und misshandelt werden würden, was zahlreiche N- Dossiers illustrieren würden. Die Behauptung, eine Misshandlung des Beschwerdeführers als Militärdienstverweigerer in Syrien erfolge nicht aus asylrelevanten Gründen, sei nicht nur absurd, sondern ignoriere auch das willkürliche Vorgehen des syrischen Regimes und widerspreche allgemeinerhältlichen Informationen.

    Weiter würden beim Beschwerdeführer – zusätzlich zu seinem asylrelevanten Profil als Reservedienstverweigerer – weitere Gefährdungselemente hinzukommen, welche die Asylrelevanz seiner Verfolgung noch verschärfen würden. Er sei Kurde und werde deshalb von den syrischen Behörden beschuldigt, aus politisch-ethnischen Gründen nicht Militärdienst leisten zu wollen. Im Falle seiner Rückkehr würde ihm vorgeworfen werden, er wolle nicht in den Dienst einrücken, um bei der zu befürchtenden Schlussoffensive der syrischen Armee gegen die kurdischen Gebiete (J. ) nicht gegen das eigene Volk kämpfen zu müssen. Auch darin sei offensichtlich ein asylrelevantes Verfolgungsmotiv zu sehen. Weiter stamme er aus einer politisch aktiven Familie. So sei sein Bruder G. von syrischen Behörden gezielt asylrelevant verfolgt und in der Schweiz als Flüchtling anerkannt worden. Schliesslich habe er sich im Jahr 2013 dem Reservedienst entzogen und damit zu einer für das syrische Regime sehr kritischen Zeit, weshalb er als Staatsfeind und Terrorist gelte.

    Sollte dem Beschwerdeführer kein Asyl gewährt werden, sei festzuhalten, dass er aufgrund seiner illegalen Ausreise aus Syrien und angesichts seines spezifischen Profils gegen behördliche Ausreisebestimmungen verstossen habe, weshalb es überwiegend wahrscheinlich erscheine, dass ihm eine regierungsfeindliche Haltung unterstellt werde. Es sei ihm deshalb

  • gemäss Praxis des SEM – die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

8.

8.1 Vorab ist festzuhalten, dass weder von der Vorinstanz noch vom Bundesverwaltungsgericht bestritten wird, dass der Beschwerdeführer von 2004 bis 2006 seinen obligatorischen Militärdienst geleistet hat. Seine Ausführungen fielen diesbezüglich durchwegs konsistent und überzeugend aus (vgl. SEM-Akte A/16, F59–F100) und zum Nachweis seiner Vorbringen

reichte er sein militärisches Dienstbüchlein im Original zu den Akten (vgl. SEM-Akte A/4).

8.2

      1. Die Vorinstanz erachtete demgegenüber die Einberufung des Beschwerdeführers in den Reservedienst durch die syrische Armee – insbesondere in Anbetracht der damaligen politischen Situation im nördlichen kurdischen Teil Syriens – als nicht glaubhaft. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass das SEM zwar zu Recht darauf hingewiesen hat, dass sich die syrischen Regierungstruppen im Juli 2012 mit wenigen Ausnahmen aus den kurdischen Gebieten Nordsyriens zurückzogen (vgl. dazu BVGE 2015/3 E. 6.7.5.3 sowie das länderspezifische Referenzurteil E-7028/2014 vom 6. Dezember 2016 E. 10.3.5). Nach Erkenntnissen des Gerichts und damit entgegen der vorinstanzlichen Argumentation ist es jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen, dass im Wirkungsgebiet der kurdischen Truppen auch weiterhin Rekrutierungsmassnahmen für die staatliche Armee durchgeführt wurden (vgl. dazu D-4613/2017 vom 19. März 2019 E. 6.1.1 und E- 4213/2018 vom 22. Januar 2021 E. 6.3.3). Nichtsdestotrotz gelingt es dem Beschwerdeführer mit der im Original eingereichten Vorladungsmitteilung vom (…) 2013 nicht, eine Zwangsrekrutierung zum Militärdienst als Reservist darzutun. Dokumente dieser Art können in Syrien in der Tat auch leicht käuflich erworben werden, weshalb ihr Beweiswert als gering einzustufen ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann hierzu auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Verfügung verwiesen werden (vgl. dort E. II, Ziff. 1). Nach Durchsicht der deutschen Übersetzungen ist zudem ergänzend festzustellen, dass es sich beim besagten Schreiben um ein behördeninternes Dokument handelt, in welchem der Leiter des Poli-

        zeipostens in D.

        vom Leiter des Rekrutierungsbüros von

        1. aufgefordert wird, dem Beschwerdeführer mitzuteilen, dass er zwecks Ausbildung als Reservist ins Militär eingezogen werde und sich deshalb beim Aushebungsbüro melden müsse (vgl. SEM-Akten A/4 und A/16, F112). Der Beschwerdeführer hat denn auch keine Angaben dazu gemacht, wie er in den Besitz dieses internen Dokuments gelangt ist.

      2. Die Glaubhaftigkeit der geltend gemachten Einberufung in den militärischen Reservistendienst und die damit verbundene Wehrdienstverweigerung kann in casu letztlich offenbleiben, denn gemäss gefestigter Rechtsprechung stellt eine als glaubhaft eingestufte Wehrdienstverweigerung allein noch keinen flüchtlingsrechtlich relevanten Nachteil dar. Die Pflicht zur Leistung von Militärdienst ist – ebenso wie allfälligen Sanktionierungen für

        den Fall einer Missachtung der Dienstpflicht durch eine Wehrdienstverweigerung oder Desertion – praxisgemäss flüchtlingsrechtlich nicht beachtlich, solange entsprechende Massnahmen nicht darauf abzielen, einem Wehrpflichtigen aus einem der in Art. 3 Abs. 1 und 2 AsylG genannten Gründe ernsthafte Nachteile zuzufügen (vgl. BVGE 2015/3 E. 5; zudem

        u.a. Urteil des BVGer D-4482/2018 vom 12. Oktober 2018 E. 5.3). In Bezug auf die spezifische Situation in Syrien erwog das Gericht weiter, die genannten Voraussetzungen seien im Falle eines syrischen Refraktärs erfüllt, welcher der kurdischen Ethnie angehörte, einer oppositionell aktiven Familie entstammte und bereits in der Vergangenheit die Aufmerksamkeit der staatlichen syrischen Sicherheitskräfte auf sich gezogen hatte, indem er sich politisch exponiert hatte (vgl. BVGE 2015/3 E. 6.7.3; u.a. bestätigt im Urteil des BVGer E-5457/2018 vom 29. April 2020 E. 9.5.2). Aus den in der Folge ergangenen publizierten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts geht hervor, dass bei Wehrdienstverweigerung und Desertion im syrischen Kontext nur dann eine asylrelevante Strafe zu befürchten ist, wenn zusätzliche exponierende Faktoren gegeben sind, welche darauf schliessen lassen, dass eine Person als Regimegegner angesehen wird und damit aus politischen Gründen eine unverhältnismässige Bestrafung zu gewärtigen hätte. Hingegen droht Wehrdienstverweigerern und Deserteuren, die nicht zusätzlich politisch exponiert sind, nicht mit genügender Wahrscheinlichkeit eine Strafe, welche die Schwelle der Asylrelevanz erreichen würde (vgl. u.a. Urteile des BVGer E-822/2019 vom 17. August 2020 E. 6.2; E-2791/2019 vom 22. Juni 2020 E. 6.1; E-2188/2019 vom

        30. Juni 2020 E. 5.1, insbesondere E. 5.1.2 und E. 6.2.4 [mittlerweile publiziert unter BVGE 2020 VI/4]). An dieser Rechtsprechungspraxis vermag auch das auf Beschwerdeebene erwähnte Urteil des EuGH (C-238/2019 vom 19. November 2020) – ungeachtet der Frage seiner Rechtswirkung für die Schweiz – nichts zu ändern, zumal auch der EuGH darin zum Ergebnis gelangt, dass zwischen der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes und zumindest einem der Verfolgungsgründe, die einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen können, eine Verknüpfung bestehen muss (vgl. a.a.O., Ziff. 61).

      3. Im vorliegenden Fall geht das Bundesverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Vorinstanz davon aus, dass keine Konstellation besonderer Exponiertheit besteht, welche mit jener im Urteil BVGE 2015/3 vergleichbar wäre. Der Beschwerdeführer vermochte – abgesehen vom dargelegten Aufgebot zum Reservedienst, das er jedoch nicht mit beweiskräf-

        tigen Dokumenten zu belegen vermochte – keine weiteren einzelfallspezifischen Risikofaktoren aufzuzeigen. Zwar gehört der Beschwerdeführer der kurdischen Ethnie an, er bestätigte im Rahmen der BzP jedoch ausdrücklich, in seinem Heimatland nicht politisch aktiv gewesen zu sein (vgl. SEMAkte A/3, Ziff. 7.01). Weiter brachte er nicht vor, in einem anderen Zusammenhang persönliche Probleme mit den staatlichen syrischen Behörden oder Dritten gehabt zu haben (vgl. SEM-Akte A/3, Ziff. 7.01). Auch in der vertieften Anhörung brachte er nicht vor, in Syrien politisch aktiv gewesen zu sein. Es liegen damit keine Indizien dafür vor, dass die syrischen Sicherheitsbehörden den Beschwerdeführer als Regimegegner identifiziert hätten und er als solcher bei einer Rückkehr nach Syrien eine über die Bestrafung der Wehrdienstverweigerung hinausgehende Behandlung zu erwarten hätte. So legte er nicht dar, und es ist aus den Akten auch nicht ersichtlich, weshalb er derart – oder überhaupt – im Visier der syrischen Behörden gestanden wäre, dass ihn diese infolge der geltend gemachten Wehrdienstverweigerung als politischen Oppositionellen gebrandmarkt hätten.

      4. Hinsichtlich des auf Beschwerdeebene eingebrachten Haftbefehls des Rekrutierungsamtes D. vom (…) 2018 ist festzuhalten, dass an der Echtheit dieses Beweismittels erhebliche Zweifel bestehen. Aufgrund der grassierenden Korruption sind in Syrien nicht nur Fälschungen unterschiedlichster Qualität erhältlich, sondern es können gegen Bezahlung auch formell echte amtliche Dokumente beschafft werden (vgl. Urteil des BVGer D-5750/2017 vom 13. Mai 2019 E. 4.3). Daher ist selbst einem formell echten amtlichen Dokument nur dann eine relevante Beweiskraft beizumessen, wenn dieses im Kontext eines hinreichend schlüssigen Sachverhaltsvortrages eingereicht wird. Abgesehen davon, dass das in Kopie eingereichte Beweismittel keine fälschungssicheren Merkmale enthält, hat der Beschwerdeführer in der Rechtsmitteleingabe nicht plausibel dargelegt, wie er in den Besitz des beigebrachten internen (und nicht für den zu Rekrutierenden bestimmten) Dokuments gekommen sein soll, sondern einzig ausgeführt, seine Familie habe den Haftbefehl über Kontakte bei der Militärpolizeiabteilung erhalten. Des Weiteren lieferte der Beschwerdeführer keine Erklärung dafür, weshalb er den Haftbefehl erst mit Eingabe vom

        11. Juli 2019 beim Gericht einreichte und weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in der Beschwerdeschrift erwähnte. Gestützt auf diese Feststellungen kann dem Beschwerdeführer die geltend gemachte behördliche Suche in seinem Heimatstaat nicht geglaubt werden. Im Übrigen geht aus dem eingereichten Haftbefehl – selbst bei Wahrunterstellung – lediglich

        hervor, dass der Beschwerdeführer zwecks Rekrutierung in den Reservistendienst festzunehmen sei, was per se noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Gefährdung zu bewirken vermag. Es ist demnach nicht von einem gezielten Verfolgungsinteresse der syrischen Behörden an seiner Person auszugehen.

      5. Sodann lässt der Hinweis in der Rechtsmittelschrift auf in der Schweiz lebende Verwandte – insbesondere seinen Bruder G. , welchem in der Schweiz Asyl gewährt worden ist (N […]) – nicht auf eine persönliche Vorbelastung des Beschwerdeführers im genannten Sinne und damit eine drohende Reflexverfolgung schliessen. Auch die ebenfalls erstmals auf Beschwerdeebene vorgebrachte Behauptung, er stamme aus einer politisch aktiven Familie, vermag eine Furcht vor Verfolgung im heutigen Zeitpunkt nicht objektiv zu begründen. Er machte weder anlässlich der BzP noch der Anhörung geltend, wegen seinen Familienmitgliedern je Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden gehabt zu haben.

      6. Insgesamt ist daher nicht davon auszugehen, dass er von den syrischen Behörden wegen seiner Verweigerung Reservedienst zu leisten im Falle einer Rückkehr eine politisch motivierte Bestrafung und Behandlung zu gewärtigen hätte, die einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung im Sinne von Art. 3 AsylG gleichkommen würde. Das Bundesverwaltungsgericht gelangt deshalb zum Schluss, dass die vorinstanzliche Verfügung im Ergebnis zu bestätigen ist. Die eingereichten Beweismittel und die Ausführungen auf Beschwerdeebene führen zu keiner anderen Betrachtungsweise.

    1. Soweit in diesem Zusammenhang auf die erheblich veränderte Lage, insbesondere seit dem Einmarsch der türkischen Sicherheitskräfte und der verbündeten islamistischen Milizen in Nordsyrien, verwiesen wird, ist festzustellen, dass nicht davon auszugehen ist, dass sämtliche in Syrien und insbesondere in Nordsyrien verbliebenen Kurdinnen und Kurden derzeit eine objektive Furcht vor einer Verfolgung hätten (vgl. Urteil des BVGer D- 6431/2019 vom 16. März 2020 E. 5.2.3; E-937/2017 vom 16. Januar 2020

      1. 6.3; D-5367/2019 vom 2. Dezember 2019 E. 6.4). Der allgemeinen, bürgerkriegsbedingten Gefährdungslage und der fortbestehenden Volatilität und Dynamik der Entwicklung in Syrien wurde von der Vorinstanz im Rahmen des Wegweisungsvollzugs respektive der in diesem Zusammenhang angeordneten vorläufigen Aufnahme des Beschwerdeführers Rechnung getragen.

    2. Schliesslich führt weder eine illegale Ausreise aus Syrien noch das Stellen eines Asylgesuchs im Ausland zur Annahme, dass einer syrischen Person bei einer Rückkehr in ihr Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht. Zwar ist aufgrund der illegalen Ausreise und der längeren Landesabwesenheit davon auszugehen, dass bei einer hypothetischen Wiedereinreise nach Syrien eine Befragung durch die heimatlichen Behörden stattfindet. Da der Beschwerdeführer – wie vorstehend ausgeführt – aber keine Vorverfolgung erlitten hat und nicht davon auszugehen ist, dass er vor dem Verlassen Syriens als regimefeindliche Person ins Blickfeld der syrischen Behörden geraten ist, kann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass er als staatsgefährdend eingestuft würde. Ferner ist auch nicht aktenkundig, dass er sich seit seiner Ausreise exilpolitisch betätigt hätte. Somit ist nicht davon auszugehen, er könnte nach einer (hypothetischen) Rückkehr als regimefeindliche Person ins Blickfeld der syrischen

      Behörden geraten (vgl. Urteil des BVGer D-3839/2013 vom 28. Okto-

      ber 2015 E. 6.4.3 [als Referenzurteil publiziert]; bestätigt beispielsweise im

      Urteil des BVGer E-2791/2019 vom 22. Juni 2020 E. 6.5).

    3. Angesichts der aufgezeigten Sachlage erübrigt es sich, auf weitere Ausführungen und Berichte in der Beschwerde einzugehen, da diese nicht geeignet sind, zu einer anderen rechtlichen Würdigung der Aktenlage zu führen. Auch die Vorbringen vom 5. November 2019 zur Lage vor Ort inklusive Landkarte sind nicht geeignet, am Beweisergebnis etwas zu ändern. Mithin ist das Gesuch um Ansetzung einer angemessenen Frist zur Aktualisierung des Dossiers, sobald sich die Lage in Syrien stabilisiert habe, abzuweisen. Im Übrigen hätte der Beschwerdeführer hierzu inzwischen genügend Zeit gehabt. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer nichts vorgebracht hat, was geeignet wäre, seine Flüchtlingseigenschaft nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen. Das SEM hat somit zu Recht die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers verneint und das Asylgesuch abgelehnt.

9.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt und auch sonst nicht zu beanstanden ist (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit sie nicht gegenstandslos geworden ist.

10.

    1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Da indes mit Verfügung vom 27. Juni 2019 das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gutgeheissen wurde und weiterhin von seiner Bedürftigkeit auszugehen ist, sind ihm keine Verfahrenskosten aufzuerlegen.

    2. Eine Parteientschädigung ist beim vorliegenden Verfahrensausgang nicht zuzusprechen (Art. 64 Abs. 1 VwVG; Art. 7 Abs. 1 und 3 VGKE).

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit sie nicht gegenstandslos geworden ist.

2.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

3.

Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.

4.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Migrationsbehörde.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Chiara Piras Kathrin Rohrer

Versand:

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