Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung IV |
Dossiernummer: | D-1221/2021 |
Datum: | 23.08.2021 |
Leitsatz/Stichwort: | Asylverfahren (Übriges) |
Schlagwörter : | Verzicht; Richt; Verzichts; Verzichtserklärung; Recht; Flüchtling; Urteil; Vorinstanz; Urteils; Flüchtlingseigenschaft; Schweiz; Kinder; Verfügung; Bundesverwaltungsgericht; Wille; Handlung; Willen; Person; Verfahren; Entscheid; Verzichtserklärungen; Akten; Zeitpunkt; Gesuch; BVGer; Urteilsfähig; Rechtsvertreter |
Rechtsnorm: | Art. 23 OR ;Art. 24 OR ;Art. 29 OR ;Art. 319 OR ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 65 VwVG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | 113 II 25; 124 III 5; 136 III 528; 144 III 264 |
Kommentar: | - |
Abteilung IV D-1221/2021
Besetzung Richterin Chiara Piras (Vorsitz), Richterin Nina Spälti Giannakitsas, Richter Simon Thurnheer, Gerichtsschreiberin Kathrin Rohrer.
Parteien A. , geboren am (…), und ihre Kinder
alle vertreten durch lic. iur. Ismet Bardakci, Fürsprecher, (…),
Beschwerdeführende,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Verzicht auf Asyl und Flüchtlingseigenschaft; Verfügung des SEM vom 11. Februar 2021 / N (…).
Mit Verfügung vom 25. November 2005 anerkannte das damalige Bundesamt für Migration (BFM; heute: Staatssekretariat für Migration [SEM]) die Flüchtlingseigenschaft von E. und gewährte ihm Asyl.
Am 27. September 2009 reiste A.
(nachfolgend: die Be-
schwerdeführerin) mit einem gültigen Einreisevisum zwecks Ehevorbereitung in die Schweiz ein. Am (…) 2009 heiratete sie E. und ersuchte tags darauf um Einbezug in das Asyl ihres Ehemannes. Mit Verfügung vom 11. Dezember 2009 stellte das SEM fest, dass die Beschwerdeführerin die Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 3 Abs. 1 und 2 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31) nicht erfüllt. Gestützt auf Art. 51 Abs. 1 AsylG wurde sie jedoch in die Flüchtlingseigenschaft ihres Ehemannes einbezogen und erhielt in der Schweiz Asyl.
Die drei gemeinsamen in der Schweiz geborenen Kinder, B. , C. , D. , wurden mit Verfügungen des SEM vom 20. August 2013, 4. November 2014 und 7. Dezember 2016 gestützt auf Art. 51 Abs. 3 AsylG ebenfalls als Flüchtlinge anerkannt und ihnen wurde auch Asyl gewährt.
Mit zwei separaten Schreiben vom 26. Juni 2017 (Posteingang SEM:
28. Juni 2017; kein Zustellcouvert bei den Akten) teilte die Beschwerdeführerin dem SEM einerseits mit, dass sie auf ihre Flüchtlingseigenschaft und das ihr in der Schweiz gewährte Asyl verzichte und erklärte andererseits (zusammen mit ihrem Ehemann) für ihre drei Kinder den Verzicht auf die Flüchtlingseigenschaft und das Asyl. Dabei nehme sie zur Kenntnis, dass sie durch die freiwillige Verzichtserklärung nicht mehr dem Asylgesetz, sondern den für ausländische Personen in der Schweiz geltenden Bestimmungen unterstehe.
Das SEM informierte die Beschwerdeführerin am 3. Juli 2017 darüber, dass es von der Verzichtserklärung Kenntnis genommen habe und stellte fest, dass das ihr und ihren Kindern in der Schweiz gewährte Asyl und die Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 64 Abs. 1 Bst. c AsylG erloschen seien und sie nicht mehr als Flüchtlinge im Sinne des internationalen Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK; SR 0.142.30) gelten würden.
Mit Schreiben vom 12. Juli 2017, welches sowohl von der Beschwerdeführerin als auch von ihrem Ehemann unterschrieben wurde, machte die Beschwerdeführerin geltend, ihr sei es im Zeitpunkt der Verzichtserklärung gesundheitlich nicht gut gegangen und sie wolle ihren Verzicht nun, da es ihr wieder gut gehe, widerrufen. Ausserdem wurde um Rückerhalt der Flüchtlingsausweise ersucht.
Am 17. Juli 2017 übermittelte die Vorinstanz das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 12. Juli 2017 zur Prüfung als Beschwerde gegen die Feststellungsverfügung vom 3. Juli 2017 ans Bundesverwaltungsgericht.
Mit Schreiben vom 24. Juli 2017 retournierte die zuständige Instruktionsrichterin den Fall an die Vorinstanz, mit der Anweisung, zunächst über das Gesuch der Beschwerdeführerin um Wiedereinsetzung in den früheren Rechtszustand in Form einer anfechtbaren Verfügung zu befinden.
Am 28. Juli 2017 rief eine anonyme Person beim SEM an und teilte mit, die Beschwerdeführerin habe ihre Flüchtlingseigenschaft und ihr Asyl widerrufen, weil sie in ihrem Heimatland nicht gefährdet sei und in die Türkei reisen wolle. Nachdem sie darauf hingewiesen worden sei, dass sie nun im Sozialversicherungsbereich schlechter gestellt sei als eine als Flüchtling anerkannte Person, habe sie ihren Widerruf zurückgezogen und dabei frei erfundene psychische Probleme ins Feld geführt.
Mit Schreiben vom 4. August 2017 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert zu schildern und gegebenenfalls mittels eines Arztberichts zu belegen, inwiefern sie sich zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Verzichtserklärung unter einem Willensmangel befunden haben soll.
Mit Eingabe vom 10. August 2017 reichte die Beschwerdeführerin innert Frist ein Arztzeugnis von Dr. med. F. vom 9. August 2017 zu den Akten.
Mit Eingabe vom 14. März 2018 hielt die Beschwerdeführerin fest, sie sei im Zeitpunkt, als sie mit Schreiben vom 28. Juni 2017 (recte: 26. Juni 2017) auf das ihr in der Schweiz gewährte Asyl und ihre Flüchtlingseigenschaft
verzichtet habe, weder psychisch noch physisch in der Lage gewesen, gesunde Entscheidungen zu treffen. Dies habe sie mit dem eingereichten Arztzeugnis auch belegt. Sie wolle deshalb ihre Verzichtserklärung weiterhin widerrufen und den Reiseausweis für Flüchtlinge zurückerhalten. Da sie seit Monaten keine Rückmeldung erhalten habe, ersuche sie um umgehende Antwort.
Mit Schreiben vom 27. März 2018 bzw. vom 6. April 2018 forderte das SEM die Beschwerdeführerin auf, innert Frist einen ergänzenden, ausführlichen ärztlichen Bericht einzureichen.
Am 26. April 2018 ging beim SEM ein Arztbericht von Dr. med.
F.
vom 25. April 2018 sowie das von ihm ausgefüllte Formular
"ärztlicher Bericht" ein.
Mit Schreiben vom 2. Mai 2018 wurde der Beschwerdeführerin das rechtliche Gehör zu dem am 28. Juli 2017 beim SEM eingegangenen anonymen Telefonanruf gewährt.
Mit Eingabe vom 6. Mai 2018 nahm die Beschwerdeführerin Stellung und reichte gleichzeitig einen histopathologischen Befund der (…) vom
27. Juni 2017 zu den Akten.
Mit Schreiben vom 23. September 2019 brachte der rubrizierte Rechtsvertreter seine am 19. September 2019 erfolgte Mandatierung durch die Beschwerdeführerin der Vorinstanz zur Kenntnis und ersuchte um Auskunft über den aktuellen Verfahrensstand. Des Weiteren stellte er ein Gesuch um Einsicht in die Verfahrensakten.
Mit Schreiben vom 27. September 2019 gewährte die Vorinstanz dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin Einsicht in die Akten.
Am 22. Oktober 2020 ersuchte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin um die baldige Entscheidfällung.
Mit Verfügung vom 11. Februar 2021 – eröffnet am 15. Februar 2021 –
lehnte das SEM das Gesuch um Wiedereinsetzung in das Asyl und die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder ab.
Mit Eingabe vom 17. März 2021 (Posteingang BVGer: 19. März 2021) erhob die Beschwerdeführerin – handelnd durch den rubrizierten Rechtsvertreter für sich und ihre Kinder – gegen die Verfügung des SEM beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung sowie die Wiedereinsetzung in das Asyl und die Flüchtlingseigenschaft. In prozessualer Hinsicht ersuchte sie um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung sowie um Beiordnung ihres mandatierten Rechtsvertreters als amtlichen Rechtsbeistand.
Der Beschwerde lagen eine Kopie der angefochtenen Verfügung des SEM, eine Bestätigung der Sozialberatung (…) vom 8. März 2021, ein Sozialhilfebudget vom März 2021 sowie Lohnabrechnungen von Dezember 2020, Januar 2021 und Februar 2021 bei.
Mit Schreiben vom 19. März 2021 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht den Eingang der Beschwerde.
Mit Zwischenverfügung vom 15. April 2021 hiess die damals zuständige Instruktionsrichterin das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gut, verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses und setzte den Rechtsvertreter, Fürsprechen lic. iur. Ismet Bardakci, antragsgemäss als amtlichen Rechtsbeistand ein. Gleichzeitig wurde die Vorinstanz zur Einreichung einer Vernehmlassung eingeladen.
In ihrer Vernehmlassung vom 29. April 2021 – den Beschwerdeführenden am 4. Mai 2021 zur Kenntnis gebracht – hielt die Vorinstanz vollumfänglich an ihren Ausführungen in der angefochtenen Verfügung fest.
Mit Eingabe vom 8. Mai 2021 liess die Beschwerdeführerin eine Kostennote ins Recht legen.
Das vorliegende Verfahren wurde aus organisatorischen Gründen auf die gemäss Rubrum vorsitzende Richterin umgeteilt.
Gemäss Art. 31 des Bundesgesetzes über das Bundesverwaltungsgericht vom 17. Juni 2005 (VGG; SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 (VwVG; SR 172.021). Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG und Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom
17. Juni 2005 [BGG; SR 173.110]). Eine solche Ausnahme im Sinne von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG liegt nicht vor, weshalb das Bundesverwaltungsgericht endgültig entscheidet.
Beim angefochtenen Entscheid der Vorinstanz vom 11. Februar 2021, worin das Gesuch der Beschwerdeführerin vom 12. Juli 2017 um Wiedereinsetzung in den vorigen Rechtszustand abgelehnt wurde, handelt es sich um eine Verfügung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Bst. c VwVG, welche beim Bundesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz angefochten werden kann (zum tauglichen Anfechtungsobjekt betreffend Gesuche um Widereinsetzung in den früheren Rechtszustand nach zuvor erfolgtem Verzicht auf das Asyl vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der vormaligen Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2000 Nr. 25 E. 2c–d; ferner beispielsweise das Urteil des BVGer D-6909/2006 vom 19. August 2008 E. 3.1.1–1.3.3).
Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
Am 1. März 2019 ist die Teilrevision des AsylG vom 26. Juni 1998 in Kraft getreten (AS 2016 3101). In Anwendung der Übergangsbestimmungen gilt für das vorliegende Verfahren das bisherige Recht (vgl. Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des AsylG vom 25. September 2015).
Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht worden. Die Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen,
ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Sie ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und aArt. 108 Abs. 1 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Nach dem Gesagten ist auf die vorliegende Beschwerde einzutreten.
Mit Beschwerde in Asylsachen kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
Gemäss Art. 64 Abs. 1 Bst. c AsylG erlischt das Asyl in der Schweiz, wenn die Flüchtlinge darauf verzichten. Der Verzicht kann sich auch auf die Flüchtlingseigenschaft beziehen. Die Ausübung einer freiwilligen Verzichtserklärung setzt wie jede Handlung, die rechtliche Wirkungen herbeiführen soll, die Urteilsfähigkeit des Erklärenden voraus (vgl. hierzu BVGer E-7456/2015 vom 2. Februar 2016 E. 3.1). Die Verzichtserklärung selbst ist grundsätzlich unwiderruflich und bedingungsfeindlich. Der Beweggrund des Verzichts ist dabei irrelevant (vgl. BVGer E-7456/2015 vom 2. Februar 2016 E. 3.3 m.w.H.).
Die Beschwerdeführerin hat mit schriftlichen Erklärungen vom
26. Juni 2017 auf das ihr und ihren Kindern in der Schweiz gewährte Asyl und die Flüchtlingseigenschaft verzichtet (vgl. SEM-Akte D1).
Soweit in der Beschwerde vorgebracht wurde, aufgrund des fehlenden Eingangsstempels der Vorinstanz auf dem Schreiben, in welchem auf die Kinder Bezug genommen wurde, sei dessen Eingangsdatum unbekannt, ist zwar festzustellen, dass sich auf dem Dokument in der Tat kein Eingangsstempel des SEM befindet und sich auch das Zustellcouvert nicht in den Akten befindet. Weshalb sich kein Eingangsstempel auf dem entsprechenden Aktenstück befindet und wie dieses Eingang in das vorinstanzliche Dossier gefunden hat, ist jedoch nicht durch das Bundesverwaltungsgericht zu ergründen. Angesichts fehlender gegenteiliger Anhaltspunkte ist jedenfalls davon auszugehen, dass die beiden Schreiben vom 26. Juni 2017 gleichzeitig und im selben Couvert am 28. Juni 2017 beim SEM eingingen. Dadurch, dass die Verzichtserklärung die Kinder betreffend separat ver-
fasst und sowohl von der Beschwerdeführerin als auch von ihrem Ehemann als gesetzliche Vertreter der noch minderjährigen Kinder unterschrieben wurde, durfte die Vorinstanz zu Recht davon ausgehen, dass die Verzichtserklärung auch für die Kinder gilt.
Nachfolgend ist deshalb zu prüfen, ob das SEM das Gesuch der Beschwerdeführerin um Wiedereinsetzung in den früheren Rechtszustand für sich und für ihre Kinder vom 12. Juli 2017 zu Recht abgelehnt hat.
Zur Begründung ihres Widerrufs machte die Beschwerdeführerin zunächst geltend, sie sei im Moment des Verfassens der Verzichtserklärung aufgrund psychischer wie auch physischer Probleme nicht in der Lage gewesen gesunde Entscheidungen zu treffen; sie sei zu diesem Zeitpunkt mithin urteilsunfähig gewesen.
Urteilsfähig ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln (Art. 16 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs vom 10. Dezember 1907 [ZGB; SR 210]). Wer nicht urteilsfähig ist, vermag unter Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen durch seine Handlungen keine rechtliche Wirkung herbeizuführen (Art. 18 ZGB). Der Begriff der Urteilsfähigkeit enthält einerseits ein intellektuelles Element, nämlich die Fähigkeit, Sinn, Zweckmässigkeit und Wirkungen einer bestimmten Handlung zu erkennen, und andererseits ein Willensbzw. Charakterelement, nämlich die Fähigkeit, gemäss dieser vernünftigen Erkenntnis nach seinem freien Willen zu handeln. Urteilsfähigkeit ist relativ: Sie ist nicht abstrakt zu beurteilen, sondern konkret bezogen auf eine bestimmte Handlung im Zeitpunkt ihrer Vornahme unter Berücksichtigung ihrer Rechtsnatur und Wichtigkeit (vgl. BGE 144 III 264
E. 6.1.1; 134 II 235 E. 4.3.2). Die Fähigkeit Volljähriger, vernunftgemäss zu handeln, ist der Normalfall, von dem der Gesetzgeber zum Schutz von Vertrauen und Verkehrssicherheit ohne jeden weiteren Beweis ausgeht. Wer sich für die Unwirksamkeit einer Handlung auf die Urteilsunfähigkeit beruft, hat demnach einen der in Art. 16 ZGB umschriebenen Schwächezustände und die daraus folgende Beeinträchtigung der Fähigkeit vernunftgemässen Handelns zu beweisen (vgl. BGE 144 III 264 E. 6.1.2; Urteile des BGer 5A_272/2017 vom 7. November 2017 E. 5.3 und 5A_951/2016 vom
14. September 2017 E. 3.1.2). Befand sich aber eine Person ihrer allgemeinen Verfassung nach zum Zeitpunkt der streitigen Handlung nachweislich in einem dauernden Schwächezustand gemäss Art. 16 ZGB, der nach
allgemeiner Lebenserfahrung im Normalfall vernunftgemässes Handeln ausschliesst, dann wird vermutet, dass sie mit Bezug auf die streitige Handlung unfähig war, vernunftgemäss zu handeln. Diese tatsächliche Vermutung betrifft namentlich Personen, die sich zur Zeit der Handlung in einem dauernden Zustand altersund krankheitsbedingten geistigen Abbaus befinden. Die Partei, die aus der Urteilsfähigkeit der handelnden Person Ansprüche ableitet, kann die aus dem allgemeinen Zustand geistigen Abbaus folgende tatsächliche Vermutung der Unfähigkeit, auch im konkreten Fall vernunftgemäss zu handeln, entkräften, indem sie ein "lucidum intervallum" für die streitige Handlung darlegt. Sodann kann sie aufzeigen, dass die Person trotz ihres Allgemeinzustandes mit Bezug auf die streitige Handlung in der Lage war, vernunftgemäss zu handeln (vgl. BGE 144 III 264 E. 6.1.3 sowie Urteile des BGer 5A_272/2017 vom
7. November 2017 E. 5.3 und 5A_951/2016 vom 14. September 2017
E. 3.1.3.1 f.).
Im Laufe des vorinstanzlichen Verfahrens reichte die Beschwerdeführerin als Beweis für ihre Urteilsunfähigkeit im Zeitpunkt des Verfassens und Einreichens der Verzichtserklärungen vom 26. Juni 2017 ein Arztzeugnis vom 9. August 2017 sowie einen ärztlichen Bericht vom 25. April 2018 ihres Hausarztes, Dr. med. F. , Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und Rheumatologie, zu den Akten.
Vorab ist festzustellen, dass sowohl das Arztzeugnis vom 9. August 2017 als auch der ärztliche Bericht vom 25. April 2018 mehrere Wochen bzw. Monate nach der attestierten Urteilsunfähigkeit ausgestellt wurden. Retroaktive Arztzeugnisse sind zwar nicht per se unzulässig, ihnen kommt aber vor allem dann, wenn sie sich nicht auf objektive Befunde stützten können, sondern nur auf Patientenschilderungen beruhen, ein sehr geringer Beweiswert zu (vgl. hierzu Urteile des BVGer A-536/2019 vom 9. Dezember 2019 E. 3.5 mit Verweis auf A-4973/2012 vom 5. Juni 2013 E. 4.2 und A-6509/2010 vom 22. März 2011 E. 10.2; vgl. zudem DENIS G. HUMBERT/ANDRÉ LERCH, Kündigungsschutz, in: PORTMANN/VON KAENEL [Hrsg.], Fachhandbuch Arbeitsrecht, 2018, N 11.184 f.; MARIA WENGER, Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit und Lohnfortzahlung, 2018, N 44; ULLIN STREIFF/ADRIAN VON KAENEL/ROGER RUDOLPH, Ar-
beitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319–362 OR, 7. Auflage, 2012, Art. 336c N 8 i.V.m. Art. 324a/b N 12; ROLAND MÜLLER, Arztzeugnisse in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten, in: Aktuelle Juristische Praxis [AJP] 2/2010 S. 172).
Im Arztzeugnis vom 9. August 2017 wurde festgehalten, die Beschwerdeführerin sei Ende Juni wegen einer schweren psychischen Erkrankung entscheidungsund urteilsunfähig gewesen. Das Zeugnis enthält jedoch weder eine Begründung, noch bezieht es sich auf die fragliche Handlung (vgl. SEM-Akte D10), sodass daraus nicht ersichtlich ist, weshalb die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen sein soll, die Tragweite ihrer Verzichtserklärungen zu erkennen.
Gemäss dem auf Aufforderung des SEM nachgereichten ärztlichen Berichts vom 25. April 2018 litt die Beschwerdeführerin im Zeitraum Juni/Juli 2017 an einer schweren depressiven Störung mit schweren Schuldgefühlen, Müdigkeit, Wertlosigkeit und Antriebslosigkeit (F32.3). Neben einer vorbestehenden Überforderung als Hausfrau und Mutter sei die Nachricht einer schweren Erkrankung der Mutter hinzugekommen. Im Rahmen dieser ausgeprägten emotionalen Krise habe die Beschwerdeführerin, welche nur schlecht Deutsch spreche, möglicherweise das Ausmass ihrer Entscheidung nicht einschätzen können. Da es sich um eine akute Krise gehandelt habe, sei auch eine psychiatrische Behandlung nicht nötig gewesen. Die depressive Störung hätte mit einer entsprechenden Gesprächstherapie behoben werden können. Aktuell sei die Beschwerdeführerin voll entscheidund urteilsfähig (vgl. SEM-Akte D15). Soweit die Vorinstanz ausführte, dass der attestierende Arzt im Bericht vom 25. April 2018 in allgemeiner Weise und ohne ausführliche Begründung von einer umfassenden Entscheidund Urteilsunfähigkeit im Zeitraum von Juni bis Juli 2017 ausgeht, ist ihr zuzustimmen. Bei psychischen Störungen gilt, dass ein solcher Zustand allein noch nicht die Urteilsfähigkeit ausschliesst (vgl. ROLAND FANKHAUSER, in: GEISER/FOUNTOULAKIS [Hrsg.], Basler Kom-
mentar zum Zivilgesetzbuch I, Art.1–456 ZGB, 6. Auflage, 2018, N 29 zu Art. 16 ZGB). Die Relativität der Urteilsfähigkeit kann es selbst Personen, die in ihrer verstandesgemässen Einsicht stark eingeschränkt sind, erlauben, gewisse rechtserhebliche Handlungen zu verstehen und somit rechtsgültig zu handeln (vgl. ROLAND FANKHAUSER, a.a.O., N 5 zu Art. 16 ZGB; vgl. auch BGE 124 III 5 E. 1a). Folglich kann – selbst beim Vorliegen einer vorübergehenden psychischen Störung – nicht direkt auf die Urteilsunfähigkeit der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Verzichtserklärung geschlossen werden. Darüber hinaus wurde im Attest zwar festgehalten, dass eine Gesprächstherapie stattgefunden habe, jedoch wurden hierzu keine näheren Angaben gemacht. So bleibt insbesondere unklar, welcher Therapeut respektive welche Therapeutin die Sitzungen leitete und in welchem Zeitraum die Therapiegespräche stattgefunden haben. Des Weiteren ist
eine Überforderung als Hausfrau und Mutter zweier Kleinkinder sowie aufgrund einer schweren Erkrankung der Mutter der Beschwerdeführerin durchaus nachvollziehbar, indes lässt diese allein noch nicht eine daraus resultierende Urteilsunfähigkeit in Bezug auf die fragliche Handlung rechtfertigen.
Insgesamt sind die eingereichten ärztlichen Unterlagen deshalb nicht geeignet, die Urteilsunfähigkeit der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Verzichtserklärungen zu beweisen oder zumindest glaubhaft zu machen.
Sodann liegen keine anderen Beweise vor, welche die Urteilsunfähigkeit der Beschwerdeführerin bezüglich der Verzichtserklärungen belegen würden. So erweckt die klare Formulierung der Verzichtserklärungen vom
26. Juni 2017 nicht den Eindruck, als ob sie sich ihres Handelns nicht bewusst gewesen war. In den Erklärungen wurde überdies festgehalten, dass zur Kenntnis genommen werde, dass die Beschwerdeführenden durch die freiwillige Verzichtserklärung nicht mehr dem Asylgesetz, sondern den allgemein für ausländische Personen in der Schweiz geltenden Bestimmungen unterstehen würden (vgl. SEM-Akte D1), weshalb – in Übereinstimmung mit der Vorinstanz – davon auszugehen ist, dass sich die Beschwerdeführerin vorgängig informiert und Gedanken über ihren Status in der Schweiz nach dem Verzicht gemacht und somit auch die Tragweite ihres Verzichts verstanden hatte. Des Weiteren wurde die Erklärung die Kinder betreffend von beiden Elternteilen unterschrieben. Wäre die Beschwerdeführerin im fraglichen Zeitraum aufgrund ihrer psychischen Verfassung in ihrer Urteilsfähigkeit beeinträchtigt gewesen und hätte sie deshalb bezüglich der Verzichtserklärung nicht vernunftgemäss handeln können, hätte der Kindsvater wohl kaum seine ausdrückliche Zustimmung für den Verzicht auf das Asyl und die Flüchtlingseigenschaft seiner Kinder erteilt.
Vor diesem Hintergrund lässt sich eine fehlende Urteilsfähigkeit der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Verzichtserklärungen nicht annehmen. Unter den gegebenen Umständen erübrigt es sich sodann von Amtes wegen weitere ärztliche Beurteilungen einzuholen. Die Vorinstanz nahm folgerichtig an, dass die Beschwerdeführerin sich ihre unbedingte Verzichtserklärung entgegenhalten lassen muss.
Mit der Beschwerde machte die Beschwerdeführerin des Weiteren geltend, sie habe sich bei der Abgabe der Verzichtserklärungen in einem wesentlichen Irrtum befunden. Sie sei wegen der Nachricht über die schwere
Erkrankung ihrer Mutter in Angst und Panik versetzt worden und habe gedacht, dass sie mit ihrem Schreiben die Vorinstanz um Erlaubnis für eine Einreise in die Türkei ersuche.
Zunächst ist festzuhalten, dass vorliegend keine Willensmängel im Sinne von Art. 28 OR (absichtliche Täuschung) und Art. 29 f. OR (Furchterregung) ersichtlich sind, wobei solche von der Beschwerdeführerin auch nicht geltend gemacht wurden. Damit stellt sich in materieller Hinsicht die Frage, ob sich die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt des Verfassens und Einreichens der Verzichtserklärungen vom 26. Juni 2017 in einem wesentlichen Irrtum gemäss Art. 24 Abs. 1 OR befunden hat.
Gemäss der immer noch Gültigkeit beanspruchenden Praxis der Schweizerischen Asylrekurskommission (ARK) sowie des Bundesverwaltungsgerichts sind bei der Prüfung der materiellen Begründetheit des Gesuchs um Wiedereinsetzung in den früheren Rechtszustand wegen Willensmängel die einschlägigen vertragsrechtlichen Grundsätze des Bundesgesetzes betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911 (OR; SR 220) sinngemäss anzuwenden (vgl. EMARK 1993 Nr. 5 E. 4a und 1996 Nr. 33
E. 5 sowie Urteils des BVGer D-2923/2014 vom 26. September 2014 m.w.H.). Die in Art. 23 ff. OR aufgezählten Willensmängeltatbestände – Irrtum (Art. 23 ff. OR), absichtliche Täuschung (Art. 28 OR) und Furchterregung (Art. 29 f. OR) –, welche vor allem Verträge betreffen, sind auch auf einseitige Rechtsgeschäfte anwendbar. Auch wenn die Ausübung eines Gestaltungsrechts – im zu beurteilenden Fall eine Verzichtserklärung – nicht beliebig widerrufen werden kann, so darf doch die Ungültigkeitserklärung eines solchen Rechtsakts aufgrund eines Willensmangels nicht zum Vornherein ausgeschlossen werden. Vorausgesetzt wird, dass einerseits für die sich auf Willensmängel berufende Partei schwerwiegende Nachteile auf dem Spiel stehen und andererseits die Rechtssicherheit nicht in unannehmbarer Weise beeinträchtigt wird (vgl. BVGer D-6909/2006 vom 19. August 2008 E. 2.1 m.w.H.).
Ein wesentlicher Irrtum liegt u.a. dann vor, wenn er einen bestimmten Sachverhalt betrifft, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrags betrachtet wurde (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR, sog. Grundlagenirrtum respektive qualifizierter Motivirrtum). Vorausgesetzt wird damit nebst einem Irrtum als solchem, dass dieser einen Sachverhalt beschlägt, der für den Irrenden subjektiv eine unerlässliche Voraussetzung dafür war, den Vertrag überhaupt
oder jedenfalls mit dem betreffenden Inhalt abzuschliessen. Der fragliche Sachverhalt muss ausserdem auch objektiv, vom Standpunkt oder nach den Anforderungen des loyalen Geschäftsverkehrs als notwendige Grundlage des Vertrags erscheinen (vgl. beispielsweise BGE 136 III 528 E. 3.4.1 m.w.H.). Zudem wird für die Annahme eines wesentlichen Grundlagenirrtums in der privatrechtlichen Lehre und Praxis verlangt, dass dieser für die Gegenpartei mindestens erkennbar war. Da dieses Kriterium jedoch auf die Anwendbarkeit bei zweiseitigen Verträgen zugeschnitten ist, erscheint dessen Anwendung im Verwaltungsverfahren nicht sinnvoll (vgl. hierzu BGE 113 II 25 E. 1 sowie das Urteil des BVGer E-5429/2009 vom 2. April 2012 E. 3.5 m.w.H.; vgl. ferner zum Grundlagenirrtum INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, in: WIDMER LÜCHINGER/OSER
[Hrsg.], Basler Kommentar zum Obligationenrecht I, Art.1–259 OR, 7. Auflage, 2020, N 20 ff. zu Art. 24 OR; BRUNO SCHMIDLIN, in: HAUSHEER/WAL-
TER [Hrsg.], Berner Kommentar, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht, Allgemeine Bestimmungen, Mängel des Vertragsabschlusses, Art. 23–31 OR, 2. Auflage, 2013, N 90 ff. zu Art. 23/24 OR).
Die Beschwerdeführerin gelangte von sich aus an das SEM und erklärte schriftlich den Verzicht auf ihren Asylund Flüchtlingsstatus sowie der ihrer Kinder. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beschwerdeführerin einen Sachverhalt vorgestellt hätte, welcher nicht der Realität entsprach, und sie sich damit bei der Willensbildung – dem Entschluss zum Verzicht auf das Asyl und die Flüchtlingseigenschaft – von einer falschen Vorstellung leiten liess (vgl. BGE 113 II 25 ff.). Ihr auf Beschwerdeebene vorgebrachter Einwand, wonach sie angenommen habe, dass sie mit ihrem Schreiben an die Vorinstanz um Erlaubnis für eine Einreise in die Türkei ersuche, findet in den Akten keine Stütze. Die Beschwerdeführerin machte in den Verzichtserklärungen vom 26. Juni 2017 auch keine Angaben zu ihren Beweggründen. Der Grund des Verzichts auf das Asyl und die Flüchtlingseigenschaft ist dabei aber ohnehin irrelevant und ein eventueller Irrtum darüber nicht als Grundlagenirrtum zu erachten (vgl. hierzu E-7456/2015 vom 2. Februar 2016 E. 3.3 m.w.H.). Sodann begründete sie ihren Widerruf vom 12. Juli 2017 damit, dass es ihr im Zeitpunkt als sie den Entscheid getroffen habe, auf das ihr in der Schweiz gewährte Asyl und die Flüchtlingseigenschaft zu verzichten, gesundheitlich nicht gutgegangen sei und sie aufgrund dessen nicht in der Lage gewesen sei, gesunde Entscheidungen zu treffen. Diese Erklärung wiederholte sie in ihren Schreiben vom 10. August 2018 (vgl. SEM-Akte D10),
19. März 2018 (vgl. SEM-Akte D11) sowie 6. Mai 2018 (vgl. SEM-
Akte D17). Damit bestätigte sie, dass ihr Handeln ihrem damaligen Willen entsprochen hat.
Der Vollständigkeit halber bleibt anzufügen, dass im vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt auch kein Erklärungsirrtum gemäss Art. 24 Abs. 1 Ziff. 1–3 OR auszumachen ist. Ein solcher umfasst den Fall, in welchem der innere Wille des Erklärenden nicht mit seiner Willensäusserung übereinstimmt, sich der Erklärende also in der Ausdrucksbedeutung seiner eigenen Erklärungshandlung täuscht. Gemäss Art. 8 ZGB trägt die Beschwerdeführerin die Beweislast bezüglich der Frage, ob ihr Wille tatsächlich mit der von ihr unterzeichneten Erklärung übereinstimmte. Da es sich bei einem Willensmangel in der Regel um ein Phänomen in der Vorstellung der betroffenen Person handelt, dürfen dabei zwar keine zu strengen Anforderungen an den Nachweis gestellt werden (vgl. dazu Urteil des BVGer E-5429/2009 vom 2. April 2012 E. 3.4; vgl. ferner zum Erklärungsirrtum SCHWENZER/FOUNTOULAKIS, a.a.O., N 2 ff. zu Art. 24 OR; SCHMIDLIN,
a.a.O., N 26 ff. zu Art. 23/24 OR). In casu spricht jedoch bereits der klare und unmissverständliche Wortlaut der Erklärungen vom 26. Juni 2017 gegen das Vorliegen eines Erklärungsirrtums. Damit kann die Beschwerdeführerin nicht den Nachweis erbringen, sie hätte sich bezüglich der Tragweite ihrer Erklärung in einem Erklärungsirrtum befunden. Insbesondere kann nach dem Gesagten auch ein mit dem Vorbringen, sie habe die Verzichtserklärung mangels Deutschkenntnisse unterschrieben, ohne den Wortlaut verstanden zu haben, sinngemäss geltend gemachter Erklärungsirrtum nicht geglaubt werden, zumal sich die Beschwerdeführerin bereits seit (…) 2009 in der Schweiz aufhält und auch davor offenbar in der Lage war, schriftlich mit der Vorinstanz zu kommunizieren, ohne dass es dabei zu Verständigungsschwierigkeiten kam (vgl. SEM-Akte C). Soweit schliesslich erstmals auf Beschwerdeebene vorgebracht wurde, dass die Beschwerdeführerin mit Hilfe einer Kollegin die Verzichtserklärung einer anderen Familie abgeschrieben habe, ohne den darin enthaltenen Inhalt genau erfasst zu haben, ist von einer reinen Schutzbehauptung auszugehen.
Im Übrigen gilt es festzustellen, dass der beim SEM eingegangene Denunziationsanruf vom 28. Juli 2017 betreffend die Beschwerdeführerin (vgl. SEM-Akte D8) nicht als für den Entscheid wesentlich zu erachten ist, zumal dieser von einer unbekannten Drittperson getätigt wurde und die Informationen somit in keiner Weise gesichert sind. Folglich kann darauf verzichtet werden, näher auf dessen Einzelheiten einzugehen.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt und den rechtserheblichen Sachverhalt richtig sowie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Die Beschwerde ist deshalb abzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten den Beschwerdeführenden aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG; Art. 1–3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungsfolgen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE; SR 173.320.2]). Nachdem mit Zwischenverfügung vom 15. April 2021 das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG gutgeheissen worden ist und weiterhin von ihrer Bedürftigkeit auszugehen ist, sind ihnen keine Verfahrenskosten aufzuerlegen.
Nachdem dem rubrizierten Rechtsvertreter der Beschwerdeführenden mit derselben Verfügung als amtlicher Rechtsbeistand beigeordnet worden ist, ist er für seinen Aufwand unbesehen des Ausgangs des Verfahrens zu entschädigen, soweit dieser sachlich notwendig war (vgl. Art. 12 i.V.m. Art. 8 Abs. 2 VGKE). Der Rechtsvertreter reichte mit Eingabe vom
12. Mai 2021 eine aktualisierte Kostennote zu den Akten, die einen Vertretungsaufwand von 8.90 Stunden zu einem Stundenansatz von Fr. 200.– beziehungsweise Fr. 250.– und Auslagen in der Höhe von Fr. 13.30 (zuzüglich Mehrwertsteuerzuschlag) aufweist. Der Stundenansatz von Fr. 200.– ist reglementskonform (Art. 12 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 VGKE). Der zeitliche Aufwand ist um die pro futuro verrechnete 0.50 Stunde zu kürzen, im Übrigen aber nicht zu beanstanden. Auch die Auslagen sind entsprechend um Fr. 1.– zu kürzen. Nach dem Gesagten ist das vom Gericht auszurichtende Honorar gestützt auf Art. 14 Abs. 2 VGKE und in Anwendung der massgebenden Bemessungsfaktoren (vgl. Art. 12 i.V.m. Art. 8 ff. VGKE) auf insgesamt (gerundet) Fr. 1'823.– (inklusive Auslagen und Mehrwertsteuerzuschlag) festzusetzen.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Dem amtlichen Rechtsbeistand, lic. iur. Ismet Bardakci, Fürsprecher, wird vom Bundesverwaltungsgericht ein amtliches Honorar in der Höhe von Fr. 1'823.– zugesprochen.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die zuständige kantonale Migrationsbehörde.
Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:
Chiara Piras Kathrin Rohrer
Versand:
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