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Bundesverwaltungsgericht Urteil E-4256/2018

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung V
Dossiernummer:E-4256/2018
Datum:06.08.2020
Leitsatz/Stichwort:Asyl und Wegweisung
Schlagwörter : Beschwerde; Beschwerdeführer; Recht; Verfügung; Wegweisung; Bundesverwaltungsgericht; Staat; Vorinstanz; Libyen; Wegweisungsvollzug; Tripolis; Beschwerdeführers; Begründung; Verfahren; Bundesverwaltungsgerichts; Vernehmlassung; Zumutbar; Libysche; Ägypten; Rechtsbeistand; Vorbringen; Amtlich; Referenzurteil; Entscheid; Angefochtene; ägyptische; Schweiz; Beziehungsweise; Akten
Rechtsnorm: Art. 112 BV ; Art. 44 BV ; Art. 52 VwVG ; Art. 57 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 83 AIG ; Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:129 I 232; 144 I 11; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung V E-4256/2018

U r t e i l  v o m  6.  A u g u s t  2 0 2 0

Besetzung Richterin Constance Leisinger (Vorsitz),

Richterin Muriel Beck Kadima, Richter Markus König, Gerichtsschreiberin Natassia Gili.

Parteien A. , geboren am ( ), Libyen,

vertreten durch lic. iur. Michael Steiner, Rechtsanwalt, ( ), Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Asyl und Wegweisung;

Verfügung des SEM vom 20. Juni 2018 / N ( ).

Sachverhalt:

A.

Der Beschwerdeführer suchte am 18. November 2015 in der Schweiz um Asyl nach. Am 10. Dezember 2015 wurde er summarisch zu seiner Person, dem Reiseweg und den Asylgründen (Befragung zur Person, BzP) befragt. Am 1. September 2017 hörte ihn das SEM einlässlich zu seinen Asylgründen an.

Zur Begründung seines Asylgesuchs machte er im Wesentlichen geltend, er sei libyscher Staatsangehöriger aus B. und sei im Alter von zehn beziehungsweise zwölf Jahren nach der Scheidung seiner Eltern mit

seiner Mutter nach Ägypten gezogen. Dort habe er in C.

und

D. gelebt und in D. im Fischereigeschäft seiner Onkel gearbeitet und gewohnt. Die Schule habe er nie besucht. Nach dem Tod seiner Mutter sei er im Jahre 2011 - beziehungsweise nach einem sieben-, achtoder zwölfjährigen Aufenthalt in Ägypten - zurück nach Libyen zu seinem Vater. Dort habe er zunächst in B. in einem Fischladen gearbeitet. Nach Ende der Revolution sei er mit seinem Vater nach Tripolis gezogen und sei dort als Gepäckträger und Transporteur tätig gewesen. Nachdem sein Vater durch eine Schiesserei auf der Strasse ums Leben gekommen sei, habe er sich zur Ausreise entschlossen. Er sei mit der Gesamtsituation in Libyen nicht zufrieden gewesen, insbesondere da er wegen der fehlenden Schulbildung kein Arabisch gesprochen hätte. Er habe während knapp eines Jahres weitergearbeitet, um mit dem zusammengesparten Geld im Juni 2015 über Italien in die Schweiz zu flüchten.

B.

Mit Verfügung vom 20. Juni 2018 - eröffnet am 25. Juni 2018 - stellte die Vorinstanz fest, dass der Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, lehnte sein Asylgesuch ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz sowie den Vollzug der Wegweisung an.

Zur Begründung des ablehnenden Asylentscheids führte die Vorinstanz im Wesentlichen aus, dass die Vorbringen des Beschwerdeführers den Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft nach Art. 3 AsylG (SR 142.31) nicht standhalten würden. So habe dieser wiederholt vorgebracht, lediglich aus wirtschaftlichen und privaten Gründen aus Libyen ausgereist zu sein. Nach dem Tod seines Vaters habe er in Libyen keine Bezugsperson mehr gehabt und wegen seiner fehlenden Schulbildung und der damit einhergehenden mangelnden Perspektive sei er mit der Situation vor Ort unzufrieden gewesen. Diese Vorbringen stünden allesamt im Zusammenhang mit

den sozialen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen in Libyen, welche grosse Teile der Bevölkerung gleichermassen betreffen und keine Asylrelevanz im Sinne von Art. 3 AsylG entfalten würden. Auch aus dem Umstand, dass sein Vater gestorben sei und er daher keine Bezugsperson vor Ort mehr habe, könne kein asylrelevanter Nachteil abgeleitet werden. Ausserdem sei seinen Aussagen zufolge während der zwölf Monate zwischen dem Tod seines Vaters bis zur Ausreise nichts Erwähnenswertes passiert. Im Rahmen der BzP habe sich der Beschwerdeführer gar dazu bereit erklärt, mit der libyschen Botschaft Kontakt aufzunehmen. Schliesslich stünde ihm auch frei, aufgrund seiner Abstammung von einer ägyptischen Mutter die ägyptische Staatangehörigkeit zu beantragen und nach Ägypten zurückzukehren.

In Bezug auf den Wegweisungsvollzug führte das SEM weiter aus, dass weder die in Tripolis herrschende Situation noch persönliche Gründe gegen die Zumutbarkeit der Rückführung nach Tripolis sprechen würden. Der Beschwerdeführer habe in Tripolis ein gutes Einkommen erzielen und selbständig für seine Lebenshaltungskosten aufkommen können. Es könne davon ausgegangen werden, dass er sich als gesunder, alleinstehender, junger Mann mit Berufserfahrung in Tripolis wieder eine Existenz aufbauen könne, zumal er bereits einmal aus dem Ausland nach Libyen zurückgekehrt sei und sich dort erfolgreich wieder eingegliedert habe. Gemäss eigenen Angaben stünde er auch heute noch mit seinen in B. , Tripolis und Benghazi lebenden Verwandten in Kontakt, die ihn bei einer Rückkehr unterstützen könnten. Auch unter Berücksichtigung des Referenzurteils des Bundesverwaltungsgerichts D-6946/2013 vom 23. März 2018 sei ein Wegweisungsvollzug zumutbar. Einerseits würden im Falle des Beschwerdeführers durchaus begünstigende persönliche Faktoren im Sinne des Urteils vorliegen. Andererseits würden mit B. und Benghazi, wo die Lage gemäss Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts günstiger sei als in Tripolis, zwei zumutbare innerstaatliche Aufenthaltsalternativen bestehen.

C.

Mit Eingabe vom 23. Juli 2018 erhob der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde und beantragte, es sei seine Flüchtlingseigenschaft festzustellen und ihm sei Asyl zu gewähren, eventualiter sei er aus humanitären Gründen vorläufig in der Schweiz aufzunehmen. In prozessualer Hinsicht sei ihm die unentgeltliche Prozessführung zu bewilligen, es sei auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten und ihm sei ein amtlicher Rechtsbeistand zu bestellen.

Der Beschwerdeführer macht geltend, in Libyen keine Familie zu haben und dort über keine Wohnung zu verfügen. Aufgrund der libyschen Staatsangehörigkeit stünde es ihm nicht offen, den ägyptischen Pass zu beantragen. Zudem sei in Libyen die politische Lage sehr unruhig, und es bestehe die Gefahr, dass er dort sterbe.

D.

Mit Zwischenverfügung vom 7. August 2018 hiess die Instruktionsrichterin das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gut und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Zudem wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, innert Frist und unter Einreichung einer entsprechenden Vollmacht eine Rechtsvertretung zu bezeichnen, welche die Voraussetzungen der amtlichen Rechtsbeistandschaft erfülle und als amtlicher Rechtsbeistand beigeordnet werden soll. Gleichzeitig wurde das SEM aufgefordert, zu den Vorbringen in der Beschwerde unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts D-6946/2013 vom

23. März 2018 (als Referenzurteil publiziert) Stellung zu nehmen.

E.

Mit Vernehmlassung vom 21. August 2018 hielt das SEM an seinen Erwägungen fest und bekräftigte, dass ein Wegweisungsvollzug nach Tripolis zumutbar sei, zwei innerstaatliche Aufenthaltsalternativen bestünden und der Beschwerdeführer die ägyptische Staatangehörigkeit beantragen könnte.

F.

Ebenfalls mit Eingabe vom 21. August 2018 zeigte der rubrizierte Rechtsanwalt seine Mandatierung an, ersuchte um die Beiordnung als amtlicher Rechtsbeistand sowie um die vollumfängliche Akteneinsicht.

G.

Mit Zwischenverfügung vom 28. August 2018 wurde das Gesuch um Einsetzung des rubrizierten Rechtsvertreters als amtlicher Rechtsbeistand gutgeheissen und der Rechtsvertreter entsprechend eingesetzt. Gleichzeitig wurde die Vorinstanz aufgefordert, das Akteneinsichtsgesuch zu behandeln. Ausserdem wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Einreichung einer Replik nach Erhalt der vorinstanzlichen Akten eingeräumt.

H.

Mit Eingabe vom 19. September 2018 reichte der Beschwerdeführer eine

Replik zu den Akten, in welcher er ausführte, dass die angefochtene Verfügung wegen Verletzung der Begründungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie wegen der Verletzung der Abklärungspflicht aufzuheben und die Sache zur vollständigen und richtigen Neubeurteilung an die Vorinstanz überwiesen werden müsse. Die Vorinstanz habe das Referenzurteil des Bundesverwaltungsgerichts D-6946/2013 vom 23. März 2018 ignoriert und lediglich pauschale Behauptungen angestellt, welche die neue Praxis gemäss Referenzurteil nicht berücksichtige. Das SEM habe eine dem genannten Referenzurteil widersprechende Ausweitung der Möglichkeiten des Wegweisungsvollzugs vorgenommen, indem es einen Wegweisungsvollzug nach B. und Benghazi für zumutbar erachtet habe. Die vorinstanzliche Behauptung, dass die Lage in B. und Benghazi günstiger sei als in Tripolis, sei schlicht willkürlich. Auffallend sei, dass das SEM in der angefochtenen Verfügung die Möglichkeit des Wegweisungsvollzugs nach Tripolis geprüft und bejaht habe, obschon die von der Rechtsprechung als erforderlich definierten begünstigenden Umstände bei ihm nicht gegeben seien. Die Vorinstanz habe sodann zwei neue innerstaatliche Aufenthaltsalternativen, B. und Benghazi, genannt, wohin ein Wegweisungsvollzug - entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - ebenfalls zumutbar sein soll. In weiten Teilen Libyens herrsche eine Situation allgemeiner Gewalt, gemäss Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E-6403/2016 vom 16. Mai 2018 betreffe dies insbesondere auch Benghazi. Des Weiteren sei sein familiäres Umfeld im Heimatstaat kaum abgeklärt worden. Schliesslich sei es zu Verständnisschwierigkeiten an der Anhörung vom 1. September 2017 gekommen, bei welcher der Dolmetscher und der Beschwerdeführer sich teilweise nicht verstanden hätten, wobei die unklare Frageweise des Sachbearbeiters des SEM zu weiteren Unklarheiten beigetragen habe.

I.

Mit Strafbefehlen der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern vom 6. September 2017, 9. November 2017, 19. Juni 2018, 14. August 2018, 11. April

2019, 24. Juni 2019 und 9. September 2019 wurde der Beschwerdeführer wegen Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz beziehungsweise das Ausländerund Integrationsgesetz durch Missachtung einer Einund Ausgrenzung für schuldig erklärt, wobei das Strafmass jeweils eine Geldstrafe beziehungsweise eine Freiheitsstrafe von bis zu 60 Tagen betrug. Zudem wurde er mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons E. vom 9. September 2019 wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig gesprochen und mit einer Freiheitsstrafe von 180 Tagen bestraft.

J.

Mit Zwischenverfügung vom 8. Mai 2020 wurde die Vorinstanz erneut ersucht, vor dem Hintergrund der neuesten Entwicklungen in Libyen zu den Vorbringen des Beschwerdeführers Stellung zu nehmen.

K.

Mit Vernehmlassung vom 8. Juni 2020 nahm das SEM Stellung und führte in diesem Zusammenhang aus, dass der Beschwerdeführer die libysche Staatsangehörigkeit entgegen seiner Aussagen vortäusche beziehungsweise eine andere Staatsangehörigkeit verheimliche. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die ägyptische Staatsangehörigkeit entweder besitze und verschweige oder diese beantragen könne. So seien seine Ausführungen zu seiner Herkunft und seiner Biografie mehrfach und deutlich unterschiedlich und mithin unglaubhaft ausgefallen, insbesondere hinsichtlich der zeitlichen Einordnung seines Umzugs von Libyen nach Ägypten und vice versa. Die als Begründung für die widersprüchlichen Zeitangaben angeführte fehlende Schulbildung des Beschwerdeführers vermöge nicht zu überzeugen, zumal er weder die Telefon-Landesvorwahl Libyens noch das Datum des Beginns der libyschen Revolution habe nennen können, was von einem libyschen Staatsangehörigen durchaus zu erwarten gewesen wäre. Auch seine Aussagen zu General Haftar seien nicht nachvollziehbar ausgefallen. Ausserdem habe er bislang keinerlei libysche Identitätspapiere einreichen können. Der Beschwerdeführer, dessen Mutter seinen Angaben zufolge ägyptische Staatsangehörige sei, habe während sieben beziehungsweise acht beziehungsweise zwölf Jahren bis zu seiner Volljährigkeit in Ägypten gelebt, habe dort gearbeitet und verfüge über ein Beziehungsnetz (Cousins und Onkel sowie Freunde) in Ägypten. Auch spreche er Arabisch, so dass es ihm insgesamt in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht zuzumuten sei, nach Ägypten auszureisen. Der Vollzug der Wegweisung nach Ägypten sei nicht nur zulässig und zumutbar, sondern auch als möglich zu beurteilen.

L.

Die Vernehmlassung wurde dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom

15. Juni 2020 zur Stellungnahme zugestellt.

M.

Mit Stellungnahme vom 30. Juni 2020 wies der Beschwerdeführer die von der Vorinstanz in der zweiten Vernehmlassung angestellten Vermutungen zur Staatsangehörigkeit von sich und führte aus, es sei willkürlich, dass sie die Begründung der Verfügung plötzlich ändere und das SEM sich nicht

konkret zur Frage des Wegweisungsvollzugs nach Libyen unter Berücksichtigung der aktuell herrschenden Situation äussere. Die Verfügung sei daher zwingend aufzuheben.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Am 1. März 2019 ist eine Teilrevision des AsylG in Kraft getreten (AS 2016 3101); für das vorliegende Verfahren gilt das bisherige Recht (vgl. Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des AsylG vom

      25. September 2015).

    2. Am 1. Januar 2019 wurde das Ausländergesetz vom 16. Dezember

2005 (AuG, SR 142.20) teilrevidiert (AS 2018 3171) und in Ausländerund Integrationsgesetz (AIG) umbenannt. Der vorliegend anzuwendende Gesetzesartikel (Art. 83 Abs. 1-4) ist unverändert vom AuG ins AIG übernommen worden, weshalb das Gericht nachfolgend die neue Gesetzesbezeichnung verwenden wird.

2.

    1. Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG). Eine solche Ausnahme im Sinne von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG liegt nicht vor, weshalb das Bundesverwaltungsgericht endgültig entscheidet.

    2. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

    3. Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und aArt. 108

Abs. 1 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

3.

Mit Beschwerde in Asylsachen kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Im Bereich des Ausländerrechts richtet sich die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts nach Art. 49 VwVG (vgl. Art. 112 AIG; BVGE 2014/26 E. 5).

4.

    1. Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken (Art. 3 Abs. 2 AsylG).

    2. Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Anforderungen an das Glaubhaftmachen der Vorbringen in verschiedenen Entscheiden dargelegt und folgt dabei ständiger Praxis. Darauf kann hier verwiesen werden (vgl. BVGE 2015/3 E. 6.5.1 m.w.H.).

5.

    1. Das Bundesverwaltungsgericht kommt nach Durchsicht der Akten zum Schluss, dass die Vorinstanz das Asylgesuch des Beschwerdeführers zu Recht abgewiesen hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann vollumfänglich auf die korrekten Ausführungen in der angefochtenen Verfügung

      verwiesen werden (Verfügung S. 3). Den Vorbringen des Beschwerdeführers fehlt es offensichtlich an der Asylrelevanz. Seine Ausreisegründe sind eigenen Angaben zufolge rein wirtschaftlicher und finanzieller Natur gewesen (act. A18/8 F7.01 und 7.02; act. A14/16 F116 ff.) und haben seine persönliche Lage betroffen; insbesondere habe er sich nach dem Tod seiner Eltern alleine gefühlt (act. A14/16 F127). Nachteile, welche auf die allgemeinen politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Lebensbedingungen in einem Staat zurückzuführen sind, vermögen den Anforderungen von Art. 3 AsylG jedoch nicht zu genügen. Auch die Beschwerdeschrift enthält keine Gründe, wonach der Beschwerdeführer in der Schweiz Schutz vor asylrelevanter Verfügung suchen würde.

    2. Das SEM hat folglich die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu Recht verneint und sein Asylgesuch abgelehnt.

6.

    1. Lehnt das SEM das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie (Art. 44 AsylG).

    2. Der Beschwerdeführer verfügt weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (Art. 44 AsylG; vgl. BVGE 2013/37 E. 4.4; 2009/50 E. 9, je m.w.H.).

7.

Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, so regelt das Staatssekretariat das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 44 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AuG [SR 142.20]).

Beim Geltendmachen von Wegweisungsvollzugshindernissen gilt gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts der gleiche Beweisstandard wie bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft; das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte Beweis möglich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl. BVGE 2011/24 E. 10.2 m.w.H.).

8.

Der Beschwerdeführer beantragt hinsichtlich der Frage des Vollzugs der Wegweisung eine Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Gerügt wird

in diesem Zusammenhang die Verletzung der Pflicht zur richtigen und vollständigen Sachverhaltsermittlung und der Begründungspflicht, da sich die Vorinstanz nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht im koordinationsurteil D-6946/2013 vom 23. März 2018 (publiziert als Referenzurteil) auseinandergesetzt habe und insbesondere keine Prüfung vorgenommen habe, ob im Falle des Beschwerdeführers besondere Umstände vorliegen würden, gemäss welcher eine Wegweisung nach Tripolis als zumutbar zu erachten wäre. Die Änderung der Begründung, namentlich die Annahme in der zweiten Vernehmlassung, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht um einen libyschen Staatsangehörigen handle, sondern nunmehr von der ägyptischen Staatsangehörigkeit ausgegangen werde, wird als willkürlich gerügt, weshalb sich ebenfalls eine Aufhebung der Verfügung rechtfertige.

    1. Gemäss Art. 29 VwVG haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör, welcher als Mitwirkungsrecht alle Befugnisse umfasst, die einer Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen kann (vgl. BGE 144 I 11 E. 5.3; BVGE 2009/35 E. 6.4.1). Mit dem Gehörsanspruch korreliert die Pflicht der Behörden, die Vorbringen tatsächlich zu hören, ernsthaft zu prüfen und in ihrer Entscheidfindung angemessen zu berücksichtigen. Die Begründung soll mithin die ernsthafte Prüfung der Vorbringen widerspiegeln und es dem Betroffenen ermöglichen, den Entscheid gegebenenfalls sachgerecht anzufechten, was dann möglich ist, wenn sich sowohl der Betroffene als auch die Rechtsmittelinstanz über die Tragweite des Entscheids ein Bild machen können (vgl. BVGE 2008/47 E. 3.2 mit Hinweis auf BGE 129 I 232 E. 3.2). Die Anforderungen an die Begründungsdichte richtet sich nach den Verfahrensumständen. Je stärker ein Entscheid in die individuellen Rechte des Betroffenen eingreift, desto höhere Anforderungen sind an die Begründung der Verfügung zu stellen.

    2. Sodann bildet die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts in Verletzung der behördlichen Untersuchungspflicht ebenfalls einen Beschwerdegrund (Art. 106 Abs. 1 Bst. b AsylG). Unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn der Verfügung ein falscher und aktenwidriger Sachverhalt zugrunde gelegt wird oder Beweise falsch gewürdigt worden sind; unvollständig ist sie, wenn nicht alle für den Entscheid rechtswesentlichen Sachumstände berücksichtigt werden (vgl. KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, Rz. 1043).

9.

9.1 Eine Prüfung der Akten ergibt, dass die Beschwerdevorbringen zutreffend sind. Das SEM hat es im angefochtenen Entscheid gänzlich unterlassen, sich im Rahmen des Wegweisungsvollzuges mit der zum damaligen Zeitpunkt bereits ergangenen koordinierten und als solchen ausgewiesenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts D-6946/2013 vom

23. März 2018 (publiziert als Referenzurteil) auseinanderzusetzen. Es finden sich keine Ausführungen dazu, warum das SEM im Falle des Beschwerdeführers von der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges ausgeht, obwohl sich nach der Rechtsprechung eine solche Annahme nur bei Vorliegen begünstigender Umstände rechtfertigt. Im Rahmen der Vernehmlassung vom 21. August 2018 führte die Vorinstanz zwar aus, dass sie das Referenzurteil zur Kenntnis nehme und im konkreten Fall durchaus begünstigende Umstände festzustellen seien, begründete dies aber nicht weiter. Auch der Verweis in der Vernehmlassung auf zwei innerstaatliche Aufenthaltsalternativen stützt sich nicht auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung und der in Libyen herrschenden Situation. Insgesamt ist das SEM seiner Begründungspflicht vorliegend offensichtlich nicht nachgekommen, weshalb sich die Rückweisung der Sache bereits aus diesem Grund rechtfertigt (Art. 61 VwVG).

9.2

      1. Im Rahmen der zweiten Vernehmlassung vom 8. Juni 2020 geht das SEM neu davon aus, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht um einen libyschen Staatsangehörigen handle, sondern der Beschwerdeführer seine ägyptische Staatsangehörigkeit verschweige oder eine solche erwerben könne, weshalb sich der Vollzug der Wegweisung nach Ägypten als zulässig, zumutbar und möglich erweise.

      2. Die Vorgehensweise des SEM ist als nicht sachgerecht zu erachten. Es handelt sich bei den Erwägungen des SEM um eine massgebliche inhaltliche Änderung, insbesondere in Bezug auf die Identität des Beschwerdeführers und auf die Frage, ob im Hinblick auf einen Heimatstaat Wegweisungsvollzugshindernisse zu erkennen sind.

      3. Die Vorinstanz kann bis zu seiner Vernehmlassung die angefochtene Verfügung in Wiedererwägung ziehen (vgl. Art. 58 VwVG), dies im Sinne einer Aufhebung der Verfügung und dem Erlass einer inhaltlich anderen Verfügung. Es soll ihr möglich sein, aufgrund neuer Tatsachen oder aufgrund anderweitiger Erkenntnisse auf die Verfügung zurückzukommen.

        Praxisgemäss ist eine Wiedererwägung durch die Vorinstanz bis zum Abschluss des Schriftenwechsels möglich, wobei nicht nur die erste Vernehmlassung der Vorinstanz sondern auch jede weitere Stellungnahme im Sinne von Art. 57 Abs. 2 VwVG gemeint ist, zu der diese von der Beschwerdeinstanz eingeladen worden ist (vgl. BVGE 2011/34 E. 5 ff).

        Eine entsprechende Wiedererwägung hat das SEM vorliegend nicht vorgenommen. Damit hat es dem Beschwerdeführer eine sachgerechte Anfechtung dieser Annahme und einen Instanzenzug versagt, weshalb sich auch aus diesem Grund die Aufhebung der Verfügung und Rückweisung der Sache zum neuen Entscheid gebietet.

      4. Lediglich ergänzend ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer in der Schweiz strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und diesem Aspekt allenfalls im Zusammenhang mit Art. 83 Abs. 7 Bst. b AIG Relevanz zukommen könnte.

10.

Die Beschwerde ist soweit die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und das Asyl sowie die Wegweisung betreffend abzuweisen. Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung betreffend die Dispositivziffern 4 und 5 beantragt wird. Die Sache ist zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.

11.

    1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist von einem hälftigen Obsiegen des Beschwerdeführers auszugehen, weshalb er die Verfahrenskosten zur Hälfte zu tragen hätte (vgl. Art. 63 Abs. 1 VwVG). Da dem Beschwerdeführer indes mit Zwischenverfügung vom 7. August 2018 die unentgeltliche Prozessführung gewährt wurde und keine massgebenden Veränderungen der finanziellen Verhältnisse ersichtlich sind, sind keine Verfahrenskosten zu erheben.

    2. Dem vertretenen Beschwerdeführer ist angesichts seines hälftigen Obsiegens in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE; SR 173.320.2) eine reduzierte Entschädigung für die ihm notwendigerweise erwachsenen Parteikosten zuzusprechen. Sodann wurde dem Beschwerdeführer mit Zwischenverfügung vom 28. August 2018 die unentgeltliche Rechtsverbeiständung im

Sinne von aArt. 110a Abs. 1 Bst. a AsylG gewährt und in der Folge Rechtsanwalt Michael Steiner als amtlicher Rechtsbeistand eingesetzt. Im Umfang des hälftigen Unterliegens ist der amtlich eingesetzte Rechtsbeistand vom Bundesverwaltungsgericht zu entschädigen.

Vom Rechtsvertreter wurde keine Kostennote eingereicht. Auf das Nachfordern einer solchen kann indes verzichtet werden, da sich der notwendige Vertretungsaufwand aufgrund der Akten hinreichend zuverlässig abschätzen lässt (vgl. Art. 14 Abs. 2 VGKE).

Gestützt auf die in Betracht zu ziehenden Bemessungsfaktoren (vgl. Art. 9- 13 VGKE) ist die zu entrichtende Parteientschädigung auf Fr. 500. (inklusive anteilsmässigen Auslagen und Mehrwertsteuerzuschlag) festzusetzen und das SEM ist anzuweisen, dem Beschwerdeführer diesen Betrag zu entrichten. Das Honorar für den unentgeltlichen Rechtsbeistand zu Lasten der Gerichtskasse beträgt gerundet ebenfalls Fr. 500.- (inklusive anteilsmässigen Auslagen und Mehrwertsteuerzuschlag).

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird im Wegweisungsvollzugspunkt (Dispositivziffern 4 und 5 der angefochtenen Verfügung) gutgeheissen. Im Übrigen wird sie abgewiesen.

2.

Die Ziffern 4 und 5 der Verfügung des SEM vom 20. Juni 2018 werden aufgehoben und die Sache wird im Sinne der Erwägungen zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

4.

Das SEM wird angewiesen, dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 500. auszurichten.

5.

Das Honorar des amtlichen Rechtsbeistands wird auf Fr. 500. festgesetzt und durch die Gerichtskasse vergütet.

6.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Constance Leisinger Natassia Gili

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