Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung V |
Dossiernummer: | E-4243/2020 |
Datum: | 16.10.2020 |
Leitsatz/Stichwort: | Aufhebung der vorläufigen Aufnahme |
Schlagwörter : | Beschwerde; Beschwerdeführer; Schweiz; Vollzug; Beschwerdeführers; Wegweisung; Aufhebung; Verfügung; Freiheit; Vollzug; Urteil; Recht; Freiheitsstrafe; Vorinstanz; Ausländer; Körperverletzung; Somalia; Frist; Sinne; Bundesverwaltungsgericht; Wegweisungsvollzug; Aufgr; Suchte; Gefahr; Folter; Schwere; Rechtliche; Interesse; Person |
Rechtsnorm: | Art. 11 AIG ; Art. 112 AIG ; Art. 25 BV ; Art. 52 VwVG ; Art. 62 AIG ; Art. 63 VwVG ; Art. 65 VwVG ; Art. 83 AIG ; Art. 83 BGG ; Art. 84 AIG ; Art. 96 AIG ; |
Referenz BGE: | 135 II 377; 137 II 297; ; |
Kommentar zugewiesen: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
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Abteilung V E-4243/2020
Besetzung Richter David R. Wenger (Vorsitz), Richter Simon Thurnheer, Richterin Barbara Balmelli, Gerichtsschreiber Michal Koebel.
Parteien A. , geboren am (…), Somalia,
vertreten durch Julie Frésard und Lea Keller, AsyLex, (…),
Beschwerdeführer,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Aufhebung der vorläufigen Aufnahme (Asyl); Verfügung des SEM vom 31. Juli 2020 / N (…).
Der Beschwerdeführer suchte am 10. Juli 2008 in der Schweiz um Asyl nach. Mit Verfügung vom 28. September 2010 stellte das SEM fest, er erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte sein Asylgesuch ab, verfügte die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete aufgrund der Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs die vorläufige Aufnahme an. Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons B.
vom
16. August 2011 wurde der Beschwerdeführer wegen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je Fr. 30.–, bedingt auf zwei Jahre, und einer Busse von Fr. 300.– bestraft.
Mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft C. vom 28. Februar 2015 wurde der Beschwerdeführer wegen Drohungen und versuchter einfacher Körperverletzung mit einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je Fr. 30.– bestraft.
Mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft C.
vom 19. April 2015
wurde der Beschwerdeführer wegen Vergehens gegen das Waffengesetz und mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes mit einer Freiheitsstrafe von 90 Tagen und einer Busse von Fr. 200.– bestraft.
Mit Urteil des Bezirksgerichts D. vom 31. August 2016 wurde der Beschwerdeführer wegen qualifizierter Brandstiftung, schwerer Körperverletzung, versuchter Erpressung sowie qualifizierter einfacher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt.
Am 29. Oktober 2018 ersuchte das Migrationsamt des Kantons D. aufgrund der Straffälligkeit des Beschwerdeführers und im Hinblick auf dessen Haftentlassung um Prüfung der Aufhebung der vorläufigen Aufnahme des Beschwerdeführers.
Mit Schreiben vom 9. Juni 2020 gewährte das SEM dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör zur beabsichtigten Aufhebung der vorläufigen Aufnahme. Hierzu nahm der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25. Juni 2020 (Eingang SEM 30. Juni 2020) und 16. Juli 2020 (Eingang SEM
20. Juli 2020) wie folgt Stellung:
Im Schreiben vom 25. Juni 2020 machte er geltend, er könne nicht nach Somalia zurück, weil dort die politische Lage sehr prekär sei; es würden ihm Folter und Ermordung drohen. Die Situation in der Schweiz habe ihn enorm überfordert, weshalb er die ihm vorgeworfenen Delikte unüberlegt begangen habe. Zudem habe er keine Identitätspapiere, weshalb er nach Entzug der vorläufigen Aufnahme illegal in der Schweiz bleiben müsse. Sein in der Schweiz lebender Cousin würde ihm im Übrigen dabei helfen, legal einen gewissen Lebensstandard zu erreichen.
Im Schreiben vom 16. Juli 2020 machte der Beschwerdeführer weiter geltend, die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme sei unverhältnismässig. Es sei trotz der zweifelsohne schweren Tathandlungen zu berücksichtigen, dass er im Rahmen der schweren Körperverletzung nicht direkt auf den Verletzten eingewirkt habe. Vielmehr sei die Brandstiftung als kausale Ursache für das Herausspringen aus dem Fenster des Verletzten und somit der schweren Körperverletzung zu betrachten. Zudem habe sich die versuchte Erpressung lediglich auf einen Geldbetrag von rund Fr. 20.– beschränkt. Zum Tatzeitpunkt sei ihm im Übrigen aufgrund des nachgewiesenen Alkoholund Drogenkonsums eine leichtgradig verminderte Schuldfähigkeit attestiert worden. Sodann werde im Vollzugsbericht vom 25. Oktober 2019 der Justizvollzugsanstalt E. festgehalten, dass sein Vollzugsverhalten als ausgesprochen gut zu werten sei. Ausserdem sei er im Rahmen seines Vollzugs bei der Arbeit in der Industriemontage engagiert. Er besuche zudem einen Schreibund Lesekurs, einen Kurs zur Bildung im Strafvollzug, nehme an einem Resozialisierungsprogramm teil und nehme das therapeutische Angebot des Forensischen Instituts Zentralschweiz freiwillig in Anspruch. Es liege ein Therapieverlaufsbericht vor, dem entnommen werden könne, dass die Therapie erfolgreich verlaufen und es ihm gelungen sei, die Beweggründe seines Drogenkonsums sowie seines Handelns zu reflektieren und zu verarbeiten. Heute bestünde jedoch die Gefahr einer Depression. Seit der Tat seien mittlerweile über fünf Jahre vergangen und er befinde sich seit zwölf Jahren in der Schweiz. Es bestehe namentlich die Möglichkeit, bei seinem in der Schweiz wohnhaften
Cousin, zu arbeiten. Vor seinem Strafvollzug habe er zeitweise als Mitarbeiter in zwei verschiedenen (…) Lokalen gearbeitet. Er habe auch eineinhalb Jahre einen Deutschkurs besucht, habe in einem sozialen Einsatzprogramm gearbeitet und sei zur Schule gegangen. Er habe in Somalia bereits in jungen Jahren Schicksalsschläge erlitten und seit dem sechsten Lebensjahr arbeiten müssen. Schliesslich werde die Rückkehr nach Somalia für einen grossen Teil des Landes als unzumutbar erachtet; aufgrund der ClanSituation sei die Sicherheit im ganzen Land gering. Er habe zudem bei einer Rückkehr kein Domizil und auch keine Möglichkeit, Wohneigentum zu erwerben oder eine Unterkunft zu mieten.
Mit Verfügung vom 31. Juli 2020 hob das SEM die am 28. September 2010 verfügte vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers auf, setzte ihm eine Ausreisefrist an (Folgetag nach Entlassung aus dem Strafvollzug) und beauftragte den zuständigen Kanton mit dem Vollzug der Wegweisung.
Mit Eingabe vom 26. August 2020 reichte der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde ein und beantragte, es sei die Verfügung des SEM vom 31. Juli 2020 vollumfänglich aufzuheben. In prozessualer Hinsicht sei der Vollzug der Wegweisung bis zum Entscheid über die vorliegende Beschwerde auszusetzen und die kantonalen Behörden seien entsprechend anzuweisen. Es sei die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren sowie auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten.
Mit Instruktionsverfügung vom 10. September 2020 bestätigte der Instruktionsrichter den Eingang der Beschwerde und stellte fest, der Beschwerdeführer könne den Ausgang des Verfahrens in der Schweiz abwarten.
Am 1. Januar 2019 wurde das Ausländergesetz vom 16. Dezember 2005 (AuG, SR 142.20) teilrevidiert (AS 2018 3171) und in Ausländerund Integrationsgesetz (AIG) umbenannt. Die vorliegend anzuwendenden Gesetzesartikel (Art. 83 Abs. 1–7 und Art. 84) sind unverändert vom AuG ins AIG übernommen worden.
Gemäss Art. 31 VGG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig und entscheidet im Bereich der Aufhebung der vorläufigen Aufnahme endgültig (Art. 84 Abs. 2 AIG, Art. 83 Bst. c Ziff. 3 BGG). Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert. Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist unter Vorbehalt von E. 3 einzutreten (Art. 112 Abs. 1 AIG i.V.m. Art. 37 VGG; Art. 48, Art. 50 und
Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Das Verfahren richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen der Bundesrechtspflege (Art. 37 VGG und Art. 112 AIG).
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 112 Abs. 1 AIG in Verbindung mit Art. 49 VwVG.
Gestützt auf Art. 57 VwVG (e contrario) wurde auf einen Schriftenwechsel verzichtet, da sich die Beschwerde, wie sich nachfolgend zeigt, im Wesentlichen als aussichtslos und damit als im vornherein unbegründet im Sinne der erwähnten Bestimmung erweist.
Auf den Antrag, der Vollzug der Wegweisung sei bis zum Entscheid über die vorliegende Beschwerde auszusetzen und die kantonalen Behörden seien entsprechend anzuweisen, ist nicht einzutreten, da die aufschiebende Wirkung der Beschwerde nicht entzogen wurde (Art. 55 VwVG).
Nach Art. 84 Abs. 3 AIG i.V.m. Art. 83 Abs. 7 AIG kann das SEM auf Antrag der kantonalen Behörden die vorläufige Aufnahme wegen Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit des Vollzugs aufheben, wenn die weggewiesene Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe im Inoder Ausland verurteilt wurde (Bst. a erster Teilsatz), wenn gegen sie eine strafrechtliche Massnahme im Sinne der Art. 59 bis 61 oder Art. 64 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB, SR 311.0) angeordnet wurde (Bst. a zweiter Teilsatz) oder wenn sie erheblich oder wiederholt gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese gefährdet oder die innere oder äussere Sicherheit gefährdet (Bst. b). Die für die Anordnung einer ausländerrechtlichen Massnahme zuständigen
Behörden berücksichtigen bei der Ermessensausübung die öffentlichen Interessen und die persönlichen Verhältnisse sowie den Grad der Integration der Ausländerinnen und Ausländer (Art. 96 AIG).
Der Ausschlussgrund (Ausschluss von der vorläufigen Aufnahme) von Art. 83 Abs. 7 Bst. a AIG setzt voraus, dass eine Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe im Inoder Ausland verurteilt wurde. Das Bundesgericht hat den Begriff der «längerfristigen Freiheitsstrafe» im Sinne von Art. 62 Bst. b AIG (und damit auch den gleichlautenden Begriff von Art. 83 Abs. 7 Bst. a AIG) dahingehend konkretisiert, dass darunter im Sinne eines festen Grenzwertes eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu verstehen ist (BGE 135 II 377 E. 4.2). Dieser Praxis folgt das Bundesverwaltungsgericht im Bereich seiner endgültigen Entscheidkompetenz (vgl. unter anderem Urteil BVGer E-750/2013 vom 11. März 2014 E. 5.1 m.w.H.). Unter einer längerfristigen Freiheitsstrafe nach Art. 62 Bst. b AIG (und damit nach Art. 83 Abs. 7 Bst. a AIG) dürfen zudem kürzere Freiheitsstrafen nicht zusammengerechnet werden, sondern das Kriterium ist nur erfüllt, wenn eine sich aus einem einzigen Urteil ergebende Strafe die Dauer von einem Jahr überschreitet (vgl. BGE 137 II 297 E. 2.3).
Der Ausschluss von der vorläufigen Aufnahme respektive deren Aufhebung muss verhältnismässig sein (Art. 5 Abs. 2 BV, Art. 96 Abs. 1 AIG). Dabei haben die für die Anordnung einer ausländerrechtlichen Massnahme zuständigen Behörden bei ihrer Ermessensausübung insbesondere das Interesse der Schweiz, die Ausländerin oder den Ausländer zur Verhinderung von zukünftigen kriminellen Handlungen aus der Schweiz fernzuhalten, deren privaten Interessen an einem Verbleib in der Schweiz gegenüber zu stellen. Zu berücksichtigen sind dabei namentlich die Schwere des Delikts und des Verschuldens, die seit der Tat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Periode, der Grad seiner Integration, die Dauer seiner Anwesenheit in der Schweiz sowie die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile. Es ist nicht von einer schematischen Betrachtungsweise auszugehen, sondern auf die gesamten Umstände des Einzelfalls abzustellen (vgl. BGE 135 II 377 E. 4.3, 134 II 1 E. 2.2 m.w.H.; Urteil BVGer
E-750/2013 vom 11. März 2014 E. 5.2, D-1972/2009 vom 11. August 2011
E. 5).
Die vorläufige Aufnahme kann nur aufgehoben werden, wenn der Wegweisungsvollzug zulässig ist. Dies ergibt sich daraus, dass die Ausnahme von der Anordnung der vorläufigen Aufnahme nach Art. 83 Abs. 7 AIG nur die vorläufige Aufnahme wegen Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit betrifft
und die Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzugs völkerrechtliche Pflichten der Schweiz betrifft, die in jedem Fall zu beachten sind. Will das SEM eine zu einem früheren Zeitpunkt verfügte vorläufige Aufnahme wegen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit aufheben, setzt dies also voraus, dass sich der Wegweisungsvollzug als zulässig erweist. Erweist sich dieser als unzulässig, ist die vorläufige Aufnahme (neu aufgrund Unzulässigkeit) zu belassen (vgl. Urteil BVGer D-5939/2010 vom 16. November 2012 E. 4.3 und E. 6.4.3).
Der Vollzug ist unzulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunftsoder in einen Drittstaat entgegenstehen. So darf grundsätzlich keine Person in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land gezwungen werden, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie Gefahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden (vgl. Art. 25 Abs. 2 BV; Art. 5 Abs. 1 AsylG, Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR 0.142.30]). Dieses flüchtlingsrechtliche Rückschiebungsverbot schützt nur Personen, welche die Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 3 AsylG respektive Art. 1A FK erfüllen.
Weiter darf niemand gemäss Art. 25 Abs. 3 BV, Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK SR 0.105) und der Praxis zu Art. 3 EMRK der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Die Vorinstanz begründet die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme in der angefochtenen Verfügung insbesondere damit, dass das öffentliche Interesse an einer Aufhebung der vorläufigen Aufnahme das private Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in der Schweiz klar überwiege. Der Beschwerdeführer habe eine schwere Straftat begangen. Er habe hierbei in Kauf genommen, dass sich Menschen verletzen oder an längerfristigen psychischen Folgen leiden könnten. Zudem habe er bei der Erpressung sowie bei der einfachen Körperverletzung hochrangige Rechtsgüter von Leib und Leben respektive der physischen und psychischen Unversehrtheit seiner Mitmenschen verletzt. Mithin bestünde insgesamt ein hohes öffentliches Interesse an einer Aufhebung der vorläufigen Aufnahme und an einem Wegweisungsvollzug, zumal der Beschwerdeführer bereits vor der fraglichen Tat mehrmals straffällig geworden sei und sich
von den jeweiligen Verurteilungen nicht habe beindrucken lassen. Zudem habe sich der Beschwerdeführer in sozialer wie auch wirtschaftlicher Hinsicht bis anhin nur sehr beschränkt in der Schweiz integriert. Die relativ lange Anwesenheitsdauer des Beschwerdeführers in der Schweiz werde relativiert, da er sich beinahe die Hälfte dieser Zeitspanne im Strafvollzug befunden habe und weit länger als seine gesamte Aufenthaltsdauer in der Schweiz – bis zu seinem (…). Lebensjahr – in seinem Heimatland Somalia respektive ausserhalb der Schweiz gelebt habe. In der Schweiz habe er keine Kernfamilie. Es gebe zwar Anhaltspunkte dafür, dass er in der Schweiz einen Cousin habe, zu dem er Kontakt pflege; diesen könne er jedoch auch aus seinem Heimatland weiter pflegen.
Insoweit die Beschwerde denselben Wortlaut aufweist, wie die Stellungnahme vom 16. Juli 2020 im Rahmen des rechtlichen Gehörs zur beabsichtigten Aufhebung der vorläufigen Aufnahme, ist auf jene zu verweisen (Sachverhalt, Buchstabe G). Ergänzend führt der Beschwerdeführer aus, er leide derzeit an Depressionen und stehe stark unter Stress. Ausserdem habe er seit ungefähr vier Jahren Diabetes. Hinzu komme, dass er im Heimatland keine Familienangehörige mehr habe. Seine Mutter, sein Bruder und einer seiner Söhne würden in F. leben, der andere Sohn lebe mit seiner Schwester in einem Flüchtlingscamp in G. . Indem die Vorinstanz ausschliesslich auf seine Straffälligkeit abstelle, den verschiedenen Teilzeitjobs vor der Inhaftierung sowie den während der Inhaftierung erzielten Fortschritten im Verhalten und den Integrationswillen wenig bis gar nicht berücksichtigt habe, habe sie den Sachverhalt unrichtig festgestellt. Im Übrigen verletze eine Rückweisung nach Somalia Art. 3 EMRK und Art. 3 FoK. Im Falle einer Rückweisung nach Somalia drohe ihm Folter durch seinen Schwiegervater und Schwager. Diese Vorbringen habe er bereits im Rahmen seines Asylverfahrens vorgetragen. Die Vorinstanz habe sich mit diesem Vorbringen jedoch weder im Asylverfahren – bei dem sie die Foltervorwürfe in einem Satz mit «stereotyp und undetailliert» taxiert habe – noch im vorliegenden Verfahren auseinandergesetzt, womit sie den Sachverhalt auch desbezüglich ungenügend festgestellt habe.
Vorab ist festzustellen, dass die angefochtene Verfügung in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden ist. Der Sachverhalt ist ausreichend abgeklärt. Die Vorinstanz kam in der unangefochten gebliebenen Erstverfügung vom 28. September 2010 unter anderem zum Schluss, die Asylvorbringen
des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit seinen familiären Problemen seien unglaubhaft. Vor diesem Hintergrund hat die Vorinstanz die Asylvorbringen in der angefochtenen Verfügung zu Recht nicht erneut geprüft. Die formellen Rügen erweisen sich als unbegründet.
Wie bereits dargelegt, wurde der Beschwerdeführer unter anderem vom Bezirksgericht D. zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass dies als längerfristige Freiheitsstrafe im Sinne von Art. 83 Abs. 7 Bst. a AIG zu qualifizieren ist. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der vorläufigen Aufnahme ohne Prüfung der Zumutbarkeit sind damit grundsätzlich erfüllt, weshalb auf die Beschwerdeausführungen zur Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs nicht weiter einzugehen ist. Zu prüfen bleibt lediglich die Verhältnismässigkeit der Massnahme.
Im Rahmen der vorzunehmenden Verhältnismässigkeitsprüfung kann vorab auf die ausführlichen und sorgfältigen Erwägungen in der angefochtenen Verfügung verwiesen werden. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Bezirksgerichts D. vom 31. August 2016 wegen qualifizierter Brandstiftung, schwerer Körperverletzung, versuchter Erpressung sowie qualifizierter einfacher Körperverletzung verurteilt. Diese Straftaten sind von besonderer Schwere. Die Erklärungsversuche des Beschwerdeführers, er habe im Rahmen der schweren Körperverletzung nicht direkt auf den Verletzten eingewirkt, die versuchte Erpressung habe sich lediglich auf einen kleinen Geldbetrag beschränkt und zum Tatzeitpunkt sei ihm aufgrund des nachgewiesenen Alkoholund Drogenkonsums eine leichtgradig verminderte Schuldfähigkeit attestiert worden, ändern hieran nichts. Es ist vielmehr darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer bereits vor dieser im Fokus stehenden Tat über Jahre hinweg ein delinquentes Verhalten vorwies (Verurteilungen seit 16. August 2011, vgl. vorstehend Bst. B–D). Die diesbezüglichen Verurteilungen haben ihn nicht von der Begehung weiterer ähnlicher oder sogar schwerwiegenderer Delikte abzuhalten vermocht, womit auch aufgrund des an den Tag gelegten Verhaltens des Beschwerdeführers eine Rückfallgefahr nicht ausgeschlossen werden kann. Bei dieser Sachlage fällt die Prognose bezüglich der Gefahr, dass er erneut straffällig wird, trotz gegenteiliger Beteuerungen in der Beschwerdeschrift, ungünstig aus.
Zugunsten des Beschwerdeführers spricht sein Aufenthalt in der Schweiz von über zwölf Jahren, wobei zu unterstreichen ist, dass er sich beinahe die Hälfte dieser Zeit im Strafvollzug befand. Zudem macht er geltend, er
habe in der Schweiz einen Cousin, mit dem er in Kontakt stehe und der ihm auch beruflich helfen könne. Der Beschwerdeführer ist aber in der Schweiz nicht besonders gut integriert. Was seine wirtschaftliche Integration betrifft, waren seine Arbeitsbemühungen stets von Unterbrüchen geprägt. Zudem kann aufgrund seiner dargelegten Bemühungen nicht von einem erhöhten Integrationswillen gesprochen werden. Schliesslich scheint der Strafvollzug nach zunächst erheblichen Schwierigkeiten und einem negativen Vollzugsverlauf in der Justizvollzugsanstalt H. nach einer Verlegung in die Justizvollzugsanstalt E. zwar nunmehr besser zu verlaufen (z. B. SEM-Akten B5 S. 2 ff. oder B9 S. 2). Korrektes Verhalten im Strafvollzug und die Inanspruchnahme dortiger Angebote sind jedoch eine zu erwartende Selbstverständlichkeit. Diese Elemente sind folglich gesamthaft als zu gering zu erachten, als dass sie diejenigen zulasten des Beschwerdeführers aufzuwiegen vermöchten. Gleiches gilt für die allfälligen Schwierigkeiten einer Reintegration in der Heimat.
Vorliegend ist somit klar von einem überwiegenden öffentlichen Interesse an der Wegweisung des Beschwerdeführers auszugehen, weshalb die Anwendung der Ausschlussklausel gemäss Art. 83 Abs. 7 AIG als verhältnismässig zu erachten ist und vom Bundesverwaltungsgericht im Sinne eines Zwischenfazits bestätigt werden kann.
Schliesslich bleibt zu prüfen, ob eine Wegweisung unter den Gesichtspunkten der Zulässigkeit vollzogen werden kann.
Die Vorinstanz hat in der unangefochten gebliebenen Erstverfügung vom 28. September 2010 die Zulässigkeit des Wegweisungsvollzugs im konkreten Fall des Beschwerdeführers bejaht. In der vorliegend angefochtenen Verfügung wird diese Schlussfolgerung wiederholt und zutreffend ausgeführt, der Wegweisungsvollzug nach Somalia sei auch gemäss der aktuellen Praxis als zulässig zu qualifizieren. Die Vorinstanz wies zutreffend darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine asylrechtlich erhebliche Gefährdung nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, weshalb der in Art. 5 AsylG verankerte Grundsatz der Nichtrückschiebung im vorliegenden Verfahren keine Anwendung finde. Es seien auch keine Anhaltspunkte aktenkundig, die auf eine Verfolgung nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK schliessen lassen würden. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in den Heimatstaat ist demnach unter dem Aspekt von Art. 5 AsylG rechtmässig.
6.5.2.1 Gemäss BVGE 2013/27 ist der Vollzug der Wegweisung nach I. nicht generell unzulässig, da dort nicht von einer Situation extremer allgemeiner und verbreiteter Gewalt zu sprechen ist, die als so intensiv einzustufen ist, dass für jede in der Stadt wohnhafte Person eine ernsthafte Gefahr unmenschlicher Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK als gegeben zu erachten ist (vgl. a.a.O. E. 8.5.6).
6.5.2.2 Gemäss Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sowie jener des UN-Anti-Folterausschusses müsste der Beschwerdeführer eine konkrete Gefahr («real risk») nachweisen oder zumindest glaubhaft machen, dass ihm im Fall einer Rückschiebung Folter oder unmenschliche Behandlung drohen würde (vgl. EGMR [Grosse Kammer], Saadi gegen Italien, Urteil vom 28. Februar 2008, Beschwerde Nr. 37201/06, §§ 124-127, m.w.H.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Weder aus den Aussagen des Beschwerdeführers noch aus den Akten ergeben sich Anhaltspunkte für eine entsprechende Gefährdung. Die angeblich familieninternen Probleme haben sich als unglaubhaft herausgestellt, weshalb auf diese vorliegend nicht weiter einzugehen ist und der Beschwerdeführer hieraus auch keine konkrete Gefahr ableiten kann (z. B. SEM-Akten A15 S. 3). Es besteht somit kein konkreter Anlass zur Annahme, dem Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr nach I. eine menschenrechtswidrige Behandlung nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK drohen.
Der Beschwerdeführer macht auf Beschwerdeebene geltend, er leide unter Stress, Depression und an Diabetes. Bezüglich allfälliger medizinischer Bedürfnisse des Beschwerdeführers ist darauf hinzuweisen, dass eine zwangsweise Rückweisung von Personen mit gesundheitlichen Problemen nur ganz ausnahmsweise einen Verstoss gegen Art. 3 EMRK darstellen kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die betroffene Person sich in einem fortgeschrittenen oder terminalen Krankheitsstadium und bereits in Todesnähe befindet, nach einer Überstellung mit dem sicheren Tod rechnen müsste und dabei keinerlei soziale Unterstützung erwarten könnte (vgl. BVGE 2011/9 E. 7 mit Hinweisen auf die damalige Praxis des EGMR). Eine weitere vom EGMR definierte Konstellation betrifft Schwerkranke, die durch die Abschiebung – mangels angemessener medizinischer Behandlung im Zielstaat – mit einem realen Risiko konfrontiert würden, einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen würde (vgl. EGMR [Grosse Kammer], Paposhvili gegen Belgien, Urteil vom 13. Dezember 2016, Beschwerde Nr. 41738/10, §§ 180–193 m.w.H.). Von
einer solchen Ausnahmesituation ist vorliegend nicht auszugehen. Insgesamt muss auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen eine konkrete Gefahr droht. Schliesslich ist es ihm unbenommen, medizinische Rückkehrhilfe zu beantragen.
Aufgrund des Gesagten erweist sich der Vollzug der Wegweisung des Beschwerdeführers nach Somalia im Sinne der völkerrechtlichen Bestimmungen als zulässig.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanz die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 84 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 83 Abs. 7 Bst. a AIG zu Recht verfügt hat. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Der Beschwerdeführer beantragt die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass seine Begehren als aussichtslos zu gelten haben. Damit ist eine der kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen nicht gegeben, weshalb dem Gesuch nicht stattzugeben ist.
Aus demselben Grund kann auch dem Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung nicht stattgegeben werden.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten von Fr. 750.– (Art. 1–3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE], SR 173.320.2) somit dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG).
Mit dem vorliegenden Urteil ist der Antrag auf Verzicht eines Kostenvorschusses gegenstandslos geworden.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung werden abgewiesen.
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
David R. Wenger Michal Koebel
Versand:
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