Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung IV |
Dossiernummer: | D-4375/2019 |
Datum: | 14.10.2019 |
Leitsatz/Stichwort: | Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) |
Schlagwörter : | Italien; Kinder; Familie; Schweiz; Beschwerde; Mitgliedstaat; Dublin-III-VO; Überstellung; Beschwerdeführer; Beziehung; Verfügung; Familien; Bundesverwaltungsgericht; Partner; Behörde; Ermessen; Person; Verfahren; Partnerin; Behörden; Asylgesuch; Kindern; Vorinstanz |
Rechtsnorm: | Art. 255 ZGB ;Art. 48 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | 132 V 393 |
Kommentar: | - |
Abteilung IV D-4375/2019
law/bah
Besetzung Richter Walter Lang (Vorsitz), Richterin Jeannine Scherrer-Bänziger, Richter Gérard Scherrer, Gerichtsschreiber Christoph Basler.
Parteien A. , geboren am ( ), Beschwerdeführer 1,
, geboren am ( ), Beschwerdeführer 2,
, geboren am ( ), Beschwerdeführer 3; Kosovo,
alle vertreten durch Karin Fischli, Rechtsschutz für Asylsuchende, Bundesasylzentrum Region Zürich, ( ),
Beschwerdeführer,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren);
Verfügung des SEM vom 19. August 2019 / N ( ).
Der Beschwerdeführer 1, ein Roma mit letztem Aufenthalt in D. , stellte am 15. Dezember 2009 ein erstes Asylgesuch in der Schweiz. Das damalige Bundesamt für Migration (BFM: heute SEM) lehnte das Asylgesuch mit Verfügung vom 12. März 2010 ab. Der Beschwerdeführer 1 wurde am 12. Dezember 2010 in den Kosovo zurückgeführt.
Am 22. Juli 2011 suchte der Beschwerdeführer 1 zusammen mit seiner Ehefrau und drei Kindern (unter ihnen A. und B. ) in der Schweiz zum zweiten Mal um Asyl nach. Mit Verfügung vom 25. November 2011 trat das BFM gestützt auf aArt. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG (SR 142.31) auf diese Gesuche nicht ein und verfügte die Wegweisung der Beschwerdeführenden nach Italien. Das Bundesverwaltungsgericht trat auf eine gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde vom 6. Januar 2012 mit Urteil D-173/2012 vom 12. Januar 2012 nicht ein. Der Beschwerdeführer 1 gab an, sie seien im März 2012 nach Italien zurückgekehrt.
Das BFM erhielt am 12. März 2013 die Mitteilung, dass sich der Beschwerdeführer 1 erneut in der Schweiz aufhalte. Nach seiner Befragung und der Gewährung des rechtlichen Gehörs verfügte das SEM gestützt auf aArt. 64a Abs. 1 AuG die Wegweisung des Beschwerdeführers 1 nach Italien. Mit Urteil D-2278/2013 vom 29. April 2013 wies das Bundesverwaltungsgericht eine gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde vom
23. April 2013 ab.
Am 8. Februar 2018 reichte Frau E. (N [ ]) ein Gesuch um Familiennachzug und Einbezug des Beschwerdeführers 1 in ihre vorläufige Aufnahme ein. Mit Verfügung vom 16. August 2018 lehnte das SEM dieses Gesuch ab beziehungsweise es trat auf dieses nicht ein.
Die Beschwerdeführer gelangten eigenen Angaben gemäss am
28. Mai 2019 erneut in die Schweiz, wo sie gleichentags um Asyl nachsuchten. Das SEM führte mit ihnen am 4. Juni 2019 die Personalienaufnahme durch.
Der Beschwerdeführer 1 sagte, er habe den Kosovo Ende Dezember 1999 verlassen und sich nach Italien begeben. Der Beschwerdeführer 2 gab an, er sei in F. zur Welt gekommen und noch nie in seinem Heimatland Kosovo gewesen.
Anlässlich des Dublin-Gesprächs vom 6. Juni 2019 wurde den Beschwerdeführern das rechtliche Gehör zu einem allfälligen Nichteintretensentscheid und der Möglichkeit einer Überstellung nach Italien gewährt, welches gemäss Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin-III-VO), grundsätzlich für die Behandlung ihrer Asylgesuche zuständig sei. Die grundsätzliche Zuständigkeit dieses Mitgliedstaates wurde von ihnen nicht bestritten.
Jedoch machte der Beschwerdeführer 1 geltend, er wolle nicht nach Italien zurückkehren, da er zwei in der Schweiz lebende Kinder habe. Seit geraumer Zeit habe er in Italien keinen festen Wohnsitz mehr gehabt und die beiden Söhne, die mit ihm um Asyl nachgesucht hätten, seien seit zwei Jahren nicht mehr zur Schule gegangen. Ihre Dokumente seien seit etwa drei Monaten abgelaufen und in Italien habe man ihm gesagt, er solle sich selbst um sich kümmern. Zu gesundheitlichen Problemen befragt sagte er, er leide unter Schwindelanfällen und Rückenschmerzen.
Der Beschwerdeführer 2 ergänzte, er habe seit zirka fünf Jahren keinen Kontakt mit seiner damals in Deutschland lebenden Mutter gehabt. Er verstehe besser Schweizerdeutsch als Albanisch. In Italien habe er keine Zukunft und es habe ihnen dort niemand geholfen. Er würde gerne eine Ausbildung machen und in der Schweiz eine gute Zukunft haben. Er habe Probleme mit seiner Nase.
Das SEM ersuchte die italienischen Behörden gestützt auf Art. 34 Dublin-III-VO am 6. Juni 2019 um Informationen über den Status der Beschwerdeführer in Italien.
Die italienischen Behörden teilten am 4. Juli 2019 mit, die Beschwerdeführer hätten in Italien aufgrund ihrer Staatenlosigkeit Aufenthaltsbewilligungen erhalten, die am 30. März 2019 abgelaufen seien.
Am 10. Juli 2019 ersuchte das SEM die italienischen Behörden um Rückübernahme der Beschwerdeführer gemäss Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO.
Diesem Gesuch wurde von den italienischen Behörden am 16. August 2019 entsprochen. Sie teilten mit, dass die Familie gemäss dem Zirkularschreiben vom 8. Januar 2019 untergebracht werde.
In einem Kurzbericht des ( ) vom 31. Juli 2019 wird festgehalten, dass dem Beschwerdeführer 1 an diesem Tag am rechten Oberarm ein Atherom eröffnet und ausgeschält worden sei. Die Wundkontrolle werde in einem anderen Spital durchgeführt.
Mit Verfügung vom 19. August 2019 (eröffnet am 23. August 2019) trat das SEM in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG auf die Asylgesuche der Beschwerdeführer nicht ein und verfügte ihre Überstellung nach Italien, welches gemäss Dublin-III-VO für die Behandlung ihrer Asylgesuche zuständig ist. Gleichzeitig verfügte das SEM den Vollzug der Wegweisung nach Italien und stellte fest, einer allfälligen Beschwerde gegen den Entscheid komme keine aufschiebende Wirkung zu.
Mit Eingabe ihrer Rechtsvertreterin vom 30. August 2019 liessen die Beschwerdeführer gegen diesen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erheben und beantragen, die Verfügung sei aufzuheben und die Vorinstanz sei anzuweisen auf ihre Asylgesuche einzutreten. Eventualiter sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache zur vollständigen Sachverhaltsabklärung an diese zurückzuweisen. Subeventualiter sei die Vorinstanz anzuweisen, individuelle Zusicherungen bezüglich des Zugangs zum Asylverfahren, adäquater medizinischer Versorgung sowie familiengerechter Unterbringung von den italienischen Behörden einzuholen. In prozessualer Hinsicht wurde ferner beantragt, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu gewähren, die Vorinstanz und die Vollzugsbehörden seien im Rahmen von vorsorglichen Massnahmen unverzüglich anzuweisen, bis zum Entscheid über das vorliegende Rechtsmittel von jeglichen Vollzugshandlungen abzusehen, den Beschwerdeführern sei die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren und es sei insbesondere von der Erhebung eines Kostenvorschusses abzusehen.
Der Instruktionsrichter verfügte am 3. September 2019 gestützt auf Art. 56 VwVG einen vorsorglichen Vollzugsstopp.
Mit Zwischenverfügung vom 4. September 2019 erteilte der Instruktionsrichter der Beschwerde die aufschiebende Wirkung und stellte fest, die Beschwerdeführer könnten den Ausgang des Verfahrens in der Schweiz abwarten. Ferner wurde ihnen die unentgeltliche Prozessführung gewährt und der Vorinstanz Frist zur Einreichung einer Vernehmlassung gesetzt.
Mit Vernehmlassung vom 10. September 2019 hielt das SEM an seiner Verfügung vollumfänglich fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
In ihrer Stellungnahme vom 23. September 2019 hielten die Beschwerdeführer an ihren Anträgen fest.
Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - und so auch vorliegend - endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).
Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht worden (Art. 108 Abs. 3 AsylG; Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 52 Abs. 1 VwVG). Die Beschwerdeführer haben am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, sind durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und haben ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Sie sind daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen (Art. 31a Abs. 1-3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 3.1; 2012/4 E. 2.2, je m.w.H.).
Das SEM begründet seine Verfügung damit, dass die italienischen Behörden innerhalb der festgelegten Frist keine Stellung zum Übernahmebegehren genommen hätten, womit die Zuständigkeit am 11. August 2019 auf Italien übergegangen sei. Nachträglich hätten sie das Begehren explizit gutgeheissen. Der von den Beschwerdeführern geäusserte Wunsch nach einem Verbleib in der Schweiz habe keinen Einfluss auf die Zuständigkeit für das Verfahren. Gestützt auf die Dublin-III-VO sei Italien für die Prüfung des Asylund Wegweisungsverfahrens zuständig. Die italienischen Behörden hätten über eine allfällige Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung zu entscheiden. Es lägen keine Hinweise dafür vor, dass Italien seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkäme und das Verfahren nicht korrekt durchführen werde.
Das Bundesverwaltungsgericht habe nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Nr. 29217/12 vom 4. November 2014 i.S. Tarakhel vs. Schweiz im Grundsatzurteil E-6629/2014 vom
12. März 2015 (BVGE 2015/4) entschieden, dass die Zusicherung der italienischen Behörden bezüglich altersgerechter Unterbringung der Kinder sowie Wahrung der Familieneinheit eine materielle Voraussetzung für die Zulässigkeit des Wegweisungsvollzugs nach Italien darstelle. In einem Kreisschreiben vom 2. Februar 2015 habe Italien zugesichert, dass jede im Rahmen von Dublin-Verfahren überstellte Familie mit Kindern in eine Struktur aufgenommen werde, die den Bedürfnissen der Kinder Rechnung trage und die Familieneinheit wahre. Mit Schreiben vom 15. April 2015 habe Italien der Europäischen Kommission eine Liste mit entsprechenden Aufnahmeprojekten übermittelt. Mit Rundschreiben vom 8. Juni 2015 habe das italienische Dublin-Office den Mitgliedstaaten eine Liste zugestellt und auf
den auf integrative Aufnahme gerichteten Charakter des SPRAR-Systems hingewiesen. Im Koordinationsurteil D-6358/2015 vom 7. April 2016 (BVGE 2016/2) habe das Bundesverwaltungsgericht festgehalten, dass die abgegebenen Zusicherungen die vom EGMR genannten Anforderungen erfüllten.
Am 5. Oktober 2018 sei das Dekret Nr. 113 vom 4. Oktober 2018 in Kraft getreten, das am 4. Dezember 2018 zum Gesetz geworden sei. Das mit SIPROIMI neu benannte System SPRAR sei für die Begünstigten Internationalen Schutzes, für unbegleitete Minderjährige und Personen mit einer neuen humanitären Aufenthaltsregelung reserviert. Mit Rundschreiben vom 8. Januar 2019 habe das italienische Dublin-Office mitgeteilt, dass im Rahmen des Dublin-Verfahrens überstellte Personen nach dem gesetzesvertretenden Dekret Nr. 142/2015 untergebracht würden. Die in diesem Dekret vorgesehenen Strukturen erfüllten die Anforderungen für eine adäquate Aufnahme sämtlicher Rückkehrer im Dublin-Verfahren und garantierten die Wahrung der Grundrechte, namentlich der Familieneinheit und den Schutz der Minderjährigen. Die Erstaufnahmestrukturen offerierten eine Reihe von Leistungen und Unterstützungsmassnahmen, die vom italienischen Innenministerium als «assistenza essenziale» bezeichnet würden. Der Zugang zum Gesundheitssystem, zum Aufnahmeund Sozialhilfesystem und die Einschulung von Minderjährigen sei gewährleistet. Das neue Pflichtenheft vom 20. November 2018 umfasse zudem Übersetzungsdienste, Informationsund Sozialdienste, einen Mahlzeitendienst sowie Wäsche und Transporte. Anlässlich der Ankunft in der Erstaufnahmestruktur erfolge eine medizinische Eintrittsuntersuchung und es bestehe Zugang zu zusätzlichen Pflegeleistungen sowie zum nationalen Gesundheitsdienst. Alle Betreiber einer Unterkunft seien verpflichtet, die Reinigung und hygienische Verhältnisse sicherzustellen und Abfälle zu entsorgen.
Das SEM stelle fest, dass der Migrationsdruck auf Italien stark nachgelassen habe, was Auswirkungen auf die Unterbringungskapazitäten habe. Italien verfüge zurzeit über ausreichende Aufnahmekapazitäten. Die Situation, die dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 zugrunde gelegen habe, habe sich erheblich verbessert. Das Risiko, keine Unterbringungsmöglichkeit zu finden, bestehe für Dublin-Rückkehrer nicht, das Risiko, in einer überbelegten Struktur untergebracht zu werden, sei minimiert. Es ergebe sich, dass mit einer individuellen Zustimmung für die Kernfamilien sowie gestützt auf die im Rundschreiben vom 8. Januar 2019 mitgeteilten Zusicherungen die Überstellung von Familien nach Italien unter Einhaltung
der Familieneinheit sowie mit Aufnahme in eine dem Alter der Kinder gerechte Struktur erfolge. Die italienischen Behörden hätten die Beschwerdeführer gemäss Mitteilung mit Namen und Geburtsdatum als Kernfamilie bestätigt. Sie würden als Mitglieder derselben Familie mit minderjährigen Kindern bestätigt und daher nach der Überstellung in einer dem Alter der Kinder gerecht werdenden Aufnahmestruktur aufgenommen. Angesichts der konkreten, überprüfbaren und somit justiziablen Informationen hinsichtlich der Unterbringung in Italien lägen dem SEM keine konkreten Hinweise vor, dass Italien nicht in der Lage sein werde, die Beschwerdeführer in einer dem Alter der Kinder gerecht werdenden Struktur aufzunehmen.
Vom Umstand, dass sich Verwandte der Beschwerdeführer in der Schweiz aufhielten, könnten sie nichts zu ihren Gunsten ableiten, da volljährige Kinder und Geschwister nicht als Familienangehörige im Sinne von Art. 2 Bst. g Dublin-III-VO gälten. Es bestünden keine Hinweise auf ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Beschwerdeführern und ihren Verwandten in der Schweiz. Somit bleibe die Zuständigkeit Italiens bestehen.
Im Rahmen des rechtlichen Gehörs habe der Beschwerdeführer 1 gesagt, Frau E. (N [ ]) sei seine Freundin. Er habe sie und seine beiden weiteren minderjährigen, in der Schweiz lebenden Kinder im Jahr 2018 besucht. Ansonsten habe er in Italien gelebt. Gemäss Art. 2 Bst. g Dublin-IIIVO fielen unter den Begriff «Familienangehörige» unter anderem Ehegatten und nicht verheiratete Partner, die eine dauerhafte Beziehung führten. Im Zusammenhang damit sei Art. 8 EMRK zu beachten. Zur Bestimmung einer tatsächlich gelebten Beziehung seien beispielsweise das gemeinsame Wohnen, die finanzielle Verflochtenheit, die Bindung der Partner aneinander und die Stabilität und Dauer der Beziehung zu beachten. Das von Frau E. eingereichte Gesuch um Familiennachzug und Einbezug des Beschwerdeführers 1 in die vorläufige Aufnahme sei vom SEM am
16. August 2018 abgelehnt worden, respektive es sei nicht darauf eingetreten worden. Frau E. gelte in der Schweiz als verheiratet und der Beschwerdeführer 1 sei nur bei einem ihrer Kinder als Vater eingetragen. Die geltend gemachte Beziehung zur Freundin sei nicht als dauerhafte Beziehung im Sinne von Art. 8 EMRK zu werten und auch von der Anwesenheit seines Sohnes G. könne er nichts zu seinen Gunsten ableiten. Folglich bestehe keine Pflicht, die Souveränitätsklausel gemäss Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO anzuwenden.
Hinsichtlich der gesundheitlichen Probleme der Beschwerdeführer sei festzuhalten, dass Italien über eine ausreichende medizinische Infrastruktur verfüge und verpflichtet sei, ihnen die erforderliche medizinische Versorgung zu gewähren. Mit Inkrafttreten des Gesetzes-Dekrets Nr. 113/2018 am 5. Oktober 2018 sei der Zugang zur Gesundheitsversorgung für Asylsuchende in Italien nach wie vor im gleichen Mass gegeben wie für Personen mit einem Aufenthaltsstatus. Das Dekret erwähne, dass der Zugang zu den bisherigen Leistungen, inklusive Einschreibung ins nationalen Gesundheitssystem am Wohnort gewährleistet sei. Es lägen keine Hinweise dafür vor, dass Italien den Beschwerdeführern eine medizinische Behandlung verweigert hätte oder künftig verweigern werde.
In der Beschwerde wird geltend gemacht, bezüglich der Situation in Italien sei auf eine Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 8. Mai 2019 zu verweisen. Gemäss dem in Kraft getretenen «SalviniDekret» stünden die vergleichsweise guten Unterkünfte in den SPRARZentren Dublin-Rückkehrern nicht mehr offen. Auch Familien oder verletzliche Personen seien nur noch zur Aufnahme in den grösseren Kollektivzentren und in den Notaufnahmezentren berechtigt. In diesen fehle es an adäquater medizinischer und psychologischer Versorgung. Die Aufnahmebedingungen entsprächen oft nicht den Mindestanforderungen. DublinRückkehrern werde der Zugang zu Unterbringung und Versorgung oft nur mit Verzögerung oder gar nicht gewährt. Es sei ein enormer Abbau der erforderlichen Mindestleistungen zu beobachten. Insbesondere die psychologische und psychiatrische Unterstützung sei stark abgebaut worden. Der Zugang zur ausserhalb der Aufnahmezentren vorhandenen Gesundheitsversorgung sei für Asylsuchende mit hohen administrativen Hürden verbunden und teilweise nicht kostenlos. Spezielle Unterstützungsleistungen für besonders verletzliche Personengruppen fehlten in den Notaufnahmezentren gänzlich. Im italienischen Flüchtlingswesen bestünden insbesondere für besonders verletzliche Personen gravierende Missstände.
Das Bundesverwaltungsgericht habe sich in mehreren Urteilen mit der neuen Situation in Italien seit dem Inkrafttreten des «Salvini-Dekrets» beschäftigt und verschiedene Verfahren an das SEM zurückgewiesen. In zwei Urteilen sei das Vorbringen gestützt worden, es liege stets ein imminentes Risiko vor, dass Familien mit minderjährigen Kindern in Italien nicht in angemessene, kindgerechte Unterkünfte mit Zugang zu adäquater medizinischer Behandlung untergebracht würden. Der Auskunft der SFH sei zu entnehmen, dass mehrere ausländische Gerichte sich gegen Dublin-Überstellungen nach Italien ausgesprochen hätten. Das Verwaltungsgericht von
Pau in Frankreich gehe gar von systemischen Mängeln aus. Es sei auf ein Urteil des UNO-Ausschusses gegen Folter (CAT) vom 3. August 2018 zu verweisen, in dem festgestellt worden sei, dass die Überstellung eines besonders verletzlichen Asylsuchenden nicht durchgeführt werden dürfe, da in Italien eine angemessene medizinische und psychologische Betreuung und Unterbringung nicht sichergestellt sei. Es könne davon ausgegangen werden, dass erhebliche Mängel bei den Aufnahmebedingungen von überstellten Asylsuchenden und insbesondere bei der Unterbringung von Familie mit minderjährigen Kindern bestünden.
Mit der Einschränkung der Personengruppen, die Anspruch auf Zugang zu den SPRARbeziehungsweise SIPROIMI-Unterkünften hätten, komme Italien den Forderungen, die der EGMR gemäss Tarakhel-Rechtsprechung an die Mitgliedstaaten stelle, nicht mehr nach. Es sei zwar korrekt, dass die Asylzahlen in Italien rückläufig seien, es seien aber auch die Ausgaben für das Asylsystem deutlich gekürzt worden. Als Folge davon seien diverse Unterkünfte geschlossen und wichtige Stellen gestrichen worden. Es könne nicht annähernd von einer Verbesserung gesprochen werden. Angesichts der veränderten Lage drohe bei einer Überstellung der Beschwerdeführer nach Italien eine Verletzung von Art. 3 EMRK, weshalb ein Selbsteintritt verfügt werden müsse.
Der Begriff der «Familie» werde im Asylgesetz einheitlich verwendet und entspreche dem Schutzbereich von Art. 8 EMRK. Gemäss Art. 1a Bst. e der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 (AsylV 1, SR 142.311) fielen in erster Linie Ehegatten und ihre minderjährigen Kinder unter den Begriff der Familie. Der EGMR halte fest, dass auch die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern darunterfalle. In allen Fällen anerkenne der EGMR nur eine effektiv gelebte Verbindung als Familienleben. Der Beschwerdeführer 1 führe eine Beziehung mit seiner in H. wohnenden Partnerin, mit der er zwei Kinder habe. Im Fall von I. sei indessen der Noch-Ehemann der Partnerin als Vater eingetragen. Der Beschwerdeführer 1 sei aber der biologische Vater von I. . Da er bis vor kurzem in Italien gelebt habe, sei nachvollziehbar, dass es eine Hürde gewesen sei, sich selbst und nicht den aktuellen Ehemann der Partnerin als Vater eintragen zu lassen. Zusätzlich habe die Gewaltbereitschaft des Noch-Ehemannes der Partnerin ein Hindernis dargestellt. Der Beschwerdeführer 1 sei bemüht, seine Vaterschaft anhand eines DNA-Tests zu beweisen. Er habe umgehend nach seiner Einreise in die Schweiz Kontakt mit den beiden Kindern aufgenommen. Die Beziehung mit ihnen falle unter den Begriff der Familie. Es liege ihm viel daran, Anteil am Leben seiner zwei jungen Söhne zu haben. Er
besuche sie so oft wie möglich in H. . Seit er in der Schweiz sei, habe er in der Asylunterkunft viele Male darum ersucht, einige Tage bei seiner Familie zu sein, was ihm an vielen Wochenenden gestattet worden sei. Auch wenn seine Partnerin wichtige Termine habe, sei er da und passe auf seine Söhne auf. Die persönliche Beziehung zwischen ihnen gehe weit über eine rein biologische Verwandtschaft hinaus. Die Beziehung sei so effektiv und dauerhaft gelebt worden, wie dies in der kurzen Zeit möglich sei. Es sei zu erwähnen, dass das Kindeswohl gemäss Art. 3 Kinderrechtskonvention (KRK) vorrangig zu berücksichtigen sei. Es könne nicht von der Hand gewiesen werden, dass eine Trennung eine ernsthafte Kindeswohlgefährdung zur Folge hätte, da die Kindsmutter vulnerabel sei und ihre Ressourcen aufgrund der erlittenen Gewalt und psychischen Strapazen im Rahmen der Scheidungsverhandlungen erheblich eingeschränkt seien. Es könne davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer 1 und die beiden Söhne Schwierigkeiten hätten, die enge persönliche Beziehung aufrechtzuerhalten. Die Partnerin habe sich hier ein Leben aufgebaut und es könne ihr nicht zugemutet werden, dem Beschwerdeführer 1 mit den beiden Söhnen nach Italien zu folgen. Die Beziehung zwischen G. und I. zu ihrem Vater falle unter den Schutz von Art. 8 EMRK. Der Beschwerdeführer 1 und seine Partnerin wollten so schnell wie möglich heiraten. Zuvor müsse allerdings das Scheidungsverfahren der Partnerin abgeschlossen sein. Er sei eine wichtige Stütze für sie, da ihr Ehemann gewalttätig sei. Erst kürzlich habe der Ehemann sie brutal verletzt - sie habe hospitalisiert werden müssen. Der Ehemann sei für einen Monat inhaftiert worden und der Beschwerdeführer 1 habe zu den beiden Kindern geschaut. Der Ehemann gehöre zu einem international aktiven Familienclan, vor dem sich die Partnerin des Beschwerdeführers 1 fürchte. Sie sei auf ihn angewiesen, da er ihr in dieser Situation Halt, Geborgenheit und Schutz gebe. Es bestehe nun ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihnen. Es sei davon auszugehen, dass es sich beim Beschwerdeführer 1 und seiner Partnerin um aufeinander angewiesene (noch) nicht verheiratete Lebenspartner handle, die sich aufgrund der gemeinsamen Kinder und der bevorstehenden Ehe auf den Schutz von Art. 8 EMRK berufen könnten. Die Schweiz würde mit einer Wegweisung übergeordnetes Recht verletzen, weswegen ein Selbsteintritt angezeigt sei.
Es sei nicht ersichtlich, wie das SEM zum Schluss gelangt sei, es würden keine humanitären Gründe im Sinne von Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 vorliegen, da ein Familienverhältnis geltend gemacht worden sei. Dies gelte insbesondere, weil gemäss Art. 6 Dublin-III-VO und Art. 3 KRK das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen sei. Die Auswirkungen der Wegweisung des
Beschwerdeführers 1 und die damit einhergehende Trennung von seinen zwei jüngsten Söhnen und der Lebenspartnerin seien im Entscheid nicht erwähnt worden. Aus Sicht des Kindesinteresses sei das Asylverfahren in der Schweiz durchzuführen, da der Beschwerdeführer 1 für G. und I. eine wichtige Vaterfigur sei. Je grösser der Ermessensspielraum einer Behörde sei, desto höher seien die Anforderungen an die Begründungsdichte. Vorliegend liege eine rechtsfehlerhafte Ermessensunterschreitung vor, da das SEM weder die Trennung des Beschwerdeführers 1 von seiner besonders verletzlichen und von ihm abhängigen Partnerin in der Schweiz noch die Trennung der Söhne von ihrem Vater berücksichtigt habe. Eventualiter sei die Sache zur erneuten Prüfung an das SEM zurückzuweisen.
Das SEM führt in seiner Vernehmlassung aus, die Unterbringung von Asylsuchenden erfolge ausschliesslich in den Erstaufnahmezentren von CAS und CARA, was die Prämisse, dass Italien seine Verpflichtungen einhalte, nicht in Frage stelle. Mit dem Gesetzes-Dekret Nr. 142/2015 würden die Bestimmungen der Aufnahmerichtlinie umgesetzt. Im Rundschreiben vom 8. Januar 2019 werde unterstrichen, dass die Erstaufnahmestrukturen eine adäquate Aufnahme für alle Personenkategorien böten und die Wahrung der Grundrechte garantierten. Das SEM habe bei den italienischen Behörden die sogenannten Tarakhel-Garantien eingeholt, was im Entscheid vom 19. August 2019 dargelegt worden sei. Mit der expliziten Zustimmung hätten die italienischen Behörden den Beschwerdeführer 1 und seine Kinder als Mitglieder der Kernfamilie bestätigt. Sie hätten eine altersgerechte Unterbringung für die minderjährigen Kinder und die Wahrung der Familieneinheit garantiert. Das Bundesverwaltungsgericht habe im Urteil E-3660/2019 vom 29. August 2019 festgehalten, dass bislang weder es selbst, noch der EGMR noch der EuGH (Europäischer Gerichtshof) systemische Schwachstellen im italienischen Asylsystem erkannt hätten. Gemäss den bisherigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts sei auch nach Erlass des «Salvini-Dekrets» davon auszugehen, dass Italien die Verfahrensund die Aufnahmerichtlinie einhalte. Es bestehe kein Anlass, von einem systematischen Mangel betreffend die staatliche Unterstützung und Einrichtungen für Asylsuchende auszugehen. Zusammengefasst sei an der konstanten Rechtsprechung zur Situation in Italien auch in Berücksichtigung des «Salvini-Dekrets» festzuhalten. Frau E. gelte in der Schweiz als verheiratet. Zwischen ihr, den beiden Kindern G. und I. und dem Beschwerdeführer 1 liege keine gelebte und enge Beziehung vor. Der Beschwerdeführer 1 habe mit ihr eine Fernbeziehung geführt und habe sie und die Kinder nur einmal in der
Schweiz besucht, bis er im Mai 2019 hier um Asyl nachgesucht habe. Zudem sei er nur als Vater von G. eingetragen. Die geltend gemachten Besuche bei Frau E. , die Unterstützungsleistungen sowie die Betreuung der Kinder könnten daran nichts ändern. Es sei davon auszugehen, dass primär zwischen den beiden Kindern und deren Mutter eine enge Beziehung bestehe. Das Kindeswohl sei deshalb bei einer Überstellung des Beschwerdeführers 1 nach Italien nicht gefährdet. Zudem sei es ihm zumutbar, den Kontakt zu seiner Partnerin sowie den beiden Kindern von Italien aus aufrechtzuerhalten. Ein allfälliges Ehevorbereitungsverfahren könne in Italien abgewartet werden.
In der Stellungnahme wird daran festgehalten, dass eine angemessene, kindgerechte Unterbringung und adäquate medizinische Versorgung im italienischen Asylverfahren nicht mehr gewährleistet sei. Es drohe bei einer Überstellung eine Verletzung von Art. 3 EMRK, weshalb ein Selbsteintritt verfügt werden müsse. Das SEM ignoriere die tatsächlichen Lebensumstände und die durchaus gelebte Beziehung des Beschwerdeführers 1. Bezüglich der Vaterschaft von I. sei erneut auf die gesetzliche Vermutung von Art. 255 Abs. 1 ZGB zu verweisen. Zwischen dem Beschwerdeführer 1, seiner Lebenspartnerin und den Kindern bestehe ein Abhängigkeitsverhältnis. Der Noch-Ehemann der Partnerin sei gewalttätig, weshalb der Beschwerdeführer 1 eine unerlässliche Stütze sei. Er lebe eine enge Beziehung zu seinen Söhnen und sei in ihrem Alltag sehr präsent. Das Alter der Söhne spiele bei der Beurteilung des Kindeswohls vorliegend keine Rolle. Sie versuchten schon seit längerem, ihre Beziehung zusammen zu leben. Bereits Anfang 2018 habe die Lebenspartnerin ein Gesuch um Familiennachzug gestellt. Trotz negativem Entscheid hätten sie engen Kontakt gehalten und ihre Beziehung den Umständen entsprechend gestalten müssen. Da die Beziehung auf Distanz längerfristig nicht funktioniert habe, sei er zusammen mit seinen im Asylgesuch eingeschlossenen Söhnen wieder in die Schweiz gekommen. Er sei bemüht, das Familienleben mit seiner Partnerin und den beiden gemeinsamen Söhnen zu ermöglichen. Der Beschwerdeführer 1 könne sich auf den Schutz des Familienlebens gemäss Art. 8 Ziff. 1 EMRK berufen. Mit einer Rücküberstellung würde die Schweiz übergeordnetes Recht verletzen, weshalb ein Selbsteintritt angezeigt sei.
Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asylund Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a
Abs. 1 Bst. b AsylG). Zur Bestimmung des staatsvertraglich zuständigen Staates prüft das SEM die Zuständigkeitskriterien gemäss Dublin-III-VO. Führt diese Prüfung zur Feststellung, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist, tritt das SEM, nachdem der betreffende Mitgliedstaat einer Überstellung oder Rücküberstellung zugestimmt hat, auf das Asylgesuch nicht ein (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 6.2).
Gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO wird jeder Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Asylantrag gestellt wird (Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO).
Im Fall eines sogenannten Aufnahmeverfahrens (engl.: take charge) sind die in Kapitel III (Art. 8-15 Dublin-III-VO) genannten Kriterien in der dort aufgeführten Rangfolge (Prinzip der Hierarchie der Zuständigkeitskriterien; vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO) anzuwenden, und es ist von der Situation im Zeitpunkt, in dem der Antragsteller erstmals einen Antrag in einem Mitgliedstaat gestellt hat, auszugehen (Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO). Im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens (engl.: take back) findet demgegenüber grundsätzlich keine (erneute) Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III statt (vgl. zum Ganzen BVGE 2017 VI/5 E. 6.2 und 8.2.1 m.w.H.).
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in jenem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2012/C 326/02, nachfolgend: EU-Grundrechtecharta) mit sich bringen, ist zu prüfen, ob aufgrund dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann kein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden, wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO).
Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet, einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Massgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wiederaufzunehmen (Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO).
Diese Verpflichtung erlischt, wenn der Gesuchsteller oder eine andere Person gemäss Art. 18 Abs. 1 Bst. c oder d das Herrschaftsgebiet der Mitgliedstaaten während einer Dauer von mindestens drei Monaten verlassen hat, ausser die Person verfüge über einen durch den zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitel (vgl. Art. 19 Abs. 2 Dublin-III-VO).
Jeder Mitgliedstaat kann abweichend von Art. 3 Abs. 1 beschliessen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO; sog. Selbsteintrittsrecht).
Die Dublin-III-VO räumt den Schutzsuchenden kein Recht ein, den ihren Antrag prüfenden Staat selber auszuwählen (vgl. auch BVGE 2010/45
E. 8.3). Die italienischen Behörden liessen das Übernahmeersuchen des SEM vom 10. Juli 2019 innert der in Art. 25 Abs. 1 Dublin-III-VO vorgesehenen Frist unbeantwortet, womit sie die Zuständigkeit Italiens implizit anerkannten (vgl. Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO). Die grundsätzliche Zuständigkeit Italiens ist somit gegeben und wird im Übrigen von den Beschwerdeführern auch nicht bestritten. Ausserdem stimmten die italienischen Behörden dem Gesuch um Übernahme am 16. August 2019 nachträglich ausdrücklich zu.
Die Beschwerdeführer machen geltend, dass eine Überstellung nach Italien aufgrund der Umstrukturierungen bei der Unterbringung von Personen im Asylbereich gegen Art. 3 EMRK verstosse. Zudem verstosse eine Überstellung nach Italien aufgrund der Verbindung des Beschwerdeführers 1 und seiner Lebenspartnerin sowie den beiden gemeinsamen Kindern gegen Art. 8 EMRK. Schliesslich spreche auch das vorrangig zu berücksichtigende Kindeswohl gegen eine Überstellung. Angesichts des Verfahrensausgangs kann dies vorliegend offengelassen werden. Vielmehr stellt sich die Frage, ob das SEM sein Ermessen im Rahmen der Prüfung der Souveränitätsklausel aus humanitären Gründen gemäss Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO gesetzeskonform ausgeübt hat.
Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO wird im schweizerischen Recht durch Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 umgesetzt und konkretisiert. Wie das Bundesverwaltungsgericht im BVGE 2015/9 festhielt, verfügt das SEM bezüglich der Anwendung der Souveränitätsklausel aus humanitären Gründen gestützt
auf Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 über einen Ermessenspielraum, der es ihm erlaubt, zu ermitteln, ob humanitäre Gründe vorliegen, welche einen Selbsteintritt der Schweiz rechtfertigen. Aufgrund der Kognitionsbeschränkung des Bundesverwaltungsgerichts infolge der Aufhebung von Art. 106 Abs. 1 Bst. c AsylG muss dieses den genannten Ermessenspielraum der Vorinstanz respektieren. Indes kann das Gericht nach wie vor überprüfen, ob das SEM sein Ermessen gesetzeskonform ausgeübt hat. Dies ist nur dann der Fall, wenn das SEM - bei von der gesuchstellenden Person geltend gemachten Umständen, die eine Überstellung aufgrund ihrer individuellen Situation oder der Verhältnisse im zuständigen Staat problematisch erscheinen lassen - in nachvollziehbarer Weise prüft, ob es angezeigt ist, die Souveränitätsklausel aus humanitären Gründen auszuüben. Dazu muss die Vorinstanz in ihrer Verfügung wiedergeben, aus welchen Gründen sie auf einen Selbsteintritt aus humanitären Gründen verzichtet. Tut sie dies nicht, liegt eine Ermessensunterschreitung vor (vgl. BVGE 2015/9 E. 7 und 8).
Gemäss der Praxis des Bundesverwaltungsgerichts ist der unbestimmte Begriff «humanitäre Gründe» restriktiv auszulegen (vgl. BVGE 2010/45 E. 8.2.2; 2011/9 E. 8.1 f. und Urteil des BVGer E-3260/2014 vom
26. September 2017 E. 7.3.1). Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass die Überstellung in ein in das Dublin-System eingebundenes europäisches Land zu prüfen ist. Bei der Prüfung der humanitären Gründe ist eine Gesamtschau der Gründe, die einer Überstellung unter diesem Aspekt entgegenstehen könnten, vorzunehmen. Eine Würdigung aller konkreten Umstände, die eine Überstellung unter humanitären Gesichtspunkten als problematisch erscheinen lassen, muss zum Schluss führen, dass ein Selbsteintritt angezeigt erscheint.
Zur Annahme einer Überstellung entgegenstehender humanitärer Gründe können medizinische Probleme, die spezifische Situation im Land, in das die Überstellung erfolgen soll, die besondere Verletzlichkeit der zu überstellenden Person, das überwiegende Kindesinteresse, traumatisierende Erlebnisse im Heimatland oder im Staat, in den überstellt werden soll, Überlegungen unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Familie und die Dauer des Zuständigkeitsverfahrens beziehungsweise des Aufenthalts in der Schweiz führen (vgl. Urteil des BVGer E-3260/2014 vom 26. September E. 7.3.1).
Bei der Würdigung der im Einzelfall vorliegenden humanitären Gründe, die einer Überstellung entgegenstehen können, ist das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten. Wenn das Gesetz einer Behörde die Wahl zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten offenlässt, ist ihre Ermessensfreiheit insofern eingeschränkt, als sie sich bei ihrem Entscheid am zu verfolgenden öffentlichen Interesse auszurichten hat. Die Schwere der Faktoren, die im zu beurteilenden Fall in ihrer Gesamtheit zur Annahme von humanitären Gründen führen können, ist ausschlaggebend. Je mehr Gründe in einem Einzelfall einer Überstellung unter humanitären Gesichtspunkten entgegenstehen, umso mehr ist die Ermessensfreiheit, die der entscheidenden Behörde eingeräumt wird, durch das zu beachtende Verhältnismässigkeitsprinzip eingeschränkt (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E-3260/2014 vom 26. September E. 7.3.1).
Die Beschwerdeführer machten beim Dublin-Gespräch übereinstimmend geltend, sie hätten in den beiden letzten Jahren ihres Aufenthalts in Italien über keinen festen Wohnsitz verfügt und die beiden Kinder hätten seit zwei Jahren die Schule nicht besuchen können. Seit drei Monaten seien "ihre Dokumente" abgelaufen und man habe ihnen gesagt, sie sollten machen, was sie wollten, man werde sich nicht um sie kümmern. Des Weiteren hat der Beschwerdeführer 1 erwähnt, dass er mit seiner in der Schweiz vorläufig aufgenommenen Lebenspartnerin zwei Kleinkinder habe und in der Beschwerde wird dargelegt, dass er sich aufgrund der schwierigen Lebensumstände, in denen sich seine Partnerin befinde, mit um die beiden Kleinkinder kümmere und seine Lebenspartnerin so weit wie möglich unterstütze.
Vor diesem Hintergrund hätte das SEM prüfen müssen, ob es angezeigt ist, die Souveränitätsklausel aus humanitären Gründen anzuwenden. Zwar stellt das SEM in der angefochtenen Verfügung im Zusammenhang mit der Souveränitätsklausel Erwägungen hinsichtlich der von den Beschwerdeführern geltend gemachten und aktenkundigen gesundheitlichen Probleme an, auf die anderen Umstände, die einer Überstellung aus humanitären Gründen entgegenstehen könnten, wird aber nicht eingegangen. Damit lässt das SEM unberücksichtigt, dass im vorliegenden Fall konkrete Hinweise vorliegen, wonach die Beschwerdeführer in Italien in der Vergangenheit nicht familiengerecht untergebracht und unterstützt wurden. Ebenfalls unberücksichtigt bleibt das Vorbringen, dass der Beschwerdeführer 1 bei der Betreuung der beiden Kleinkinder mithilft und sich seine Lebenspartnerin in einer schwierigen Situation befindet und seiner Unterstützung bedürfen könnte. Schliesslich hat das SEM auch keine einlässliche
Prüfung der Frage vorgenommen, ob es das vorrangig zu berücksichtigende Kindeswohl der vom Entscheid betroffenen Kinder des Beschwerdeführers 1 gebieten würde, den Selbsteintritt aus humanitären Gründen zu verfügen. Es ist bekannt, dass der effektive Zugang zum Asylverfahren in Italien bei verletzlichen Personen nicht vollständig gewährleistet ist: Nach einer Umstrukturierung des italienischen Asylwesens werden Familien und andere verletzliche Personen (ausgenommen unbegleitete Minderjährige), die keinen internationalen Schutz geniessen, nur noch in den Erstaufnahmezentren und Notaufnahmezentren untergebracht (vgl. Asylum Info Database [AIDA], Country Report italy, Update 2018, S. 56, abrufbar unter https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report - download/aida_it_2018update.pdf). Damit ist das SEM seiner Pflicht zur Ermessensausübung nicht nachgekommen und hat mithin sein Ermessen unterschritten. Vielmehr hätte es, wie zuvor ausgeführt, nachvollziehbarer Weise detailliert prüfen und begründen müssen, ob es in Würdigung aller konkreten Umstände tatsächlich angezeigt ist, auf einen Selbsteintritt aus humanitären Gründen zu verzichten.
Sollte das SEM an den Aussagen der Beschwerdeführer über ihre Situation in Italien und den substanziierten Ausführungen in der Beschwerde zur Beziehung des Beschwerdeführers 1 mit seiner Lebenspartnerin und den beiden Kleinkindern haben, bleibt es ihm unbenommen, weitergehende Abklärungen zu treffen.
Nach dem Gesagten ist das SEM seiner Pflicht zur Ermessenausübung nicht nachgekommen und hat mithin sein Ermessen unterschritten. Da das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der Kognitionsbeschränkung infolge der Aufhebung von Art. 106 Abs. 1 Bst. c AsylG keinen Ermessensentscheid anstelle der Vorinstanz treffen kann und es sich bei der Ermessensunterschreitung um eine Rechtsverletzung handelt (vgl. BGE 132 V 393
E. 3.3), ist die Beschwerde gutzuheissen, soweit die Aufhebung der angefochtenen Verfügung beantragt wird.
Die Verfügung vom 19. August 2019 ist demnach aufzuheben und die Sache zur umfassenden Prüfung der Anwendung der Souveränitätsklausel aus humanitären Gründen - in Ausübung des gesetzeskonformen Ermessens - an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG).
Den vertretenen Beschwerdeführern ist keine Parteientschädigung auszurichten, da es sich vorliegend um eine zugewiesene unentgeltliche Rechtsvertretung im Sinne von Art. 102h AsylG handelt, deren Leistungen vom Bund nach Massgabe von Art. 102k AsylG entschädigt werden (vgl. auch Art. 111ater AsylG).
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit die Aufhebung der Verfügung beantragt wird.
Die Verfügung vom 19. August 2019 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an das SEM zurückgewiesen.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Walter Lang Christoph Basler
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