Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung VI |
Dossiernummer: | F-1116/2018 |
Datum: | 28.05.2018 |
Leitsatz/Stichwort: | Ausweisung Fedpol |
Schlagwörter : | Bundesverwaltungsgericht; Recht; Zuständigkeit; Bundesverwaltungsgerichts; Urteil; Ausnahme; Verfügung; Behandlung; Sicherheit; Richter; Vorinstanz; Sinne; Landes; Völkerrecht; Abteilung; Stephanie; Barrister; Polizei; Ausweisung; Schweiz; Rechtsmittel; Verfügungen; Massnahme; Beurteilung; Europäischen |
Rechtsnorm: | Art. 47 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 65 VwVG ;Art. 72 VwVG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | 125 II 417; 129 II 193; 138 I 6 |
Kommentar: | - |
Abteilung VI F-1116/2018
Besetzung Richter Andreas Trommer (Vorsitz), Richterin Jenny de Coulon Scuntaro, Richter Fulvio Haefeli, Gerichtsschreiber Julius Longauer.
Parteien A. ,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Stephanie Motz, Barrister,
gegen
Bundesamt für Polizei (fedpol), Nussbaumstrasse 29, 3003 Bern, Vorinstanz.
Gegenstand Ausweisung fedpol.
dass der Beschwerdeführer (geb. 1978), seine Ehefrau und zwei minderjährige Kinder, alles irakische Staatsangehörige, bis zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und zum Widerruf des Asyls im Oktober 2015 als anerkannte Flüchtlinge mit Asyl in der Schweiz lebten,
dass der Beschwerdeführer seit August 2016 eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verbüsst, zu der er wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation vom Bundesstrafgericht verurteilt worden war,
dass die Vorinstanz am 22. Januar 2018 gestützt auf Art. 68 AuG (SR 142.20) wegen Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz die Ausweisung des Beschwerdeführers verfügte und die Ausweisung mit einem Einreiseverbot auf unbestimmte Zeit verband,
dass die auf der angefochtenen Verfügung angebrachte Rechtsmittelbelehrung das Eidgenössische Justizund Polizeidepartement (EJPD) als Beschwerdeinstanz bezeichnete,
dass der Beschwerdeführer am 22. Februar 2018 gleichwohl Rechtsmittel beim Bundesverwaltungsgericht einlegte, dessen Zuständigkeit behauptete und zur Klärung der Zuständigkeitsfrage die Durchführung eines Meinungsaustausches mit dem EJPD beantragte,
dass das Bundesverwaltungsgericht am 20. März 2018 gestützt auf Art. 8 Abs. 2 VwVG an das EJPD gelangte und begründet ausführte, dass und aus welchen Gründen es die Zuständigkeit des EJPD zur Behandlung der Beschwerde als gegeben betrachtet,
dass sich das EJPD in einem Schreiben vom 9. April 2018 der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich der Zuständigkeit anschloss,
dass der Beschwerdeführer mit Stellungnahme vom 3. Mai 2018 an der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts festhält,
dass das Bundesverwaltungsgericht gemäss Art. 31 VGG Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG beurteilt, die von einer Vorinstanz nach Art. 33 VGG erlassen wurden, soweit kein Ausnahmetatbestand nach Art. 32 VGG gegeben ist,
dass die Rechtsprechungszuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts gestützt auf Art. 31 und 33 VGG grundsätzlich gegeben wäre, da die angefochtene Massnahme eine Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG darstellt und das fedpol zu den in Art. 33 Bst. d VGG genannten Vorinstanzen des Bundesverwaltungsgerichts gehört,
dass jedoch Art. 32 Abs. 1 Bst. a VGG Beschwerden gegen Verfügungen auf dem Gebiet der inneren und äusseren Sicherheit des Landes für unzulässig erklärt (Ausnahme), soweit das Völkerrecht nicht einen Anspruch auf gerichtliche Beurteilung einräumt (Gegenausnahme),
dass die angefochtene Verfügung unbestrittenermassen das Gebiet der inneren und äusseren Sicherheit des Landes beschlägt, weshalb die Rechtsprechungszuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts davon abhängt, ob die Voraussetzungen der Gegenausnahme gegeben sind,
dass für den Fall, dass die Gegenausnahme nicht gegeben und das Bundesverwaltungsgericht daher nicht zuständig ist, die Zuständigkeit zur Behandlung der Beschwerde gestützt auf Art. 47 Abs. 1 Bst. d VwVG beim EJPD liegt, dessen Entscheid gemäss Art. 72 ff. VwVG an den Bundesrat weitergezogen werden kann,
dass die Intention des Gesetzgebers bei der Schaffung der Gegenausnahme darauf gerichtet war, einen Konflikt zwischen Landesrecht und einer Rechtweggarantie des Völkerrechts im Sinne des letzteren aufzulösen, wie der Botschaft zur Totalrevision der Bunderechtspflege vom 28.02.2001 entnommen werden kann, die ausschliesslich auf Art. 6 EMRK Bezug nimmt, und ihn als seltenen Anwendungsfall der Gegenausnahme bezeichnet (BBl 2001 4202 4387 f.),
dass dieses Auslegungsergebnis durch Wortlaut („Anspruch auf gerichtliche Beurteilung“) und Systematik (Ausnahme zur grundsätzlichen Unzuständigkeit des Gerichts, über Fragen der inneren und äusseren Sicherheit zu befinden) gestützt wird,
dass eine solche Rechtsweggarantie etwa in Art. 6 EMRK (vgl. weiter oben) oder Art. 11 des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA, SR 0.142.112.681) verankert ist (zum letzteren vgl. etwa Urteil BVGer C-5331/2009 vom 03.08.2012 E. 1.2),
dass ausnahmsweise auch Art. 13 EMRK die Behandlung durch das Bundesverwaltungsgericht erzwingen kann, wenn der Rechtssuchende in haltbarer Weise eine Verletzung der Konventionsrechte behauptet und aufgrund der besonderen Konstellation nur das Bundesverwaltungsgericht sein Recht auf eine wirksame Beschwerde gewährleisten kann,
dass die angefochtene Massnahme weder zivilrechtliche Ansprüche noch eine strafrechtliche Anklage im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK zum Gegenstand hat (vgl. etwa Urteil des EGMR Maaouia gegen Frankreich vom 05.10.2000, 39652/98, N. 33-40, und Urteil BGer 2C_562/2017 vom
30.10.2017 E. 3.1 m.H.) und der Beschwerdeführer aus dem Freizügigkeitsabkommen nicht begünstigt wird, weshalb Art. 6 EMRK und Art. 11 FZA eine Gegenausnahme nicht begründen können,
dass sich aus Art. 13 EMRK nichts anderes ergibt, weil die verwaltungsinterne Beschwerde an das EJPD den Anforderungen an eine wirksame Beschwerde genügt, wie die Strassburger Organe wiederholt festgestellt haben (vgl. Unzulässigkeitsentscheid der Europäischen Kommission für Menschenrechte [EKMR] Nr. 12573/86 vom 06.03.1987, publ. in: VPB 51/88, bestätigt in den Unzulässigkeitsentscheiden der EKMR Nr. 15099/89 vom 13.07.1989, Nr. 19088/91 vom 13.12.1991, publ. in: VPB 56/50, und Nr. 20301/92 vom 07.05.1993; vgl. auch BGE 129 II 193 E. 4.2.3 m.H.),
dass die vom Beschwerdeführer zitierten Urteile des Bundesgerichts (BGE 125 II 417 und BGE 129 II 193) nicht einschlägig sind, denn dort ging es um Verfügungen des Bundesrats (betr. Einziehung von Propagandamaterial der Kurdischen Arbeiterpartei PKK bzw. Einreiseverbot), die zwar Konventionsgarantien berührten, gegen die das Landesrecht jedoch keinen Rechtsmittelweg vorsah,
dass eine andere potentiell einschlägige Norm des Völkerrechts, welche unter dem Gesichtspunkt der Gegenausnahme die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Behandlung der vorliegenden Beschwerde begründen könnte, nicht ersichtlich ist,
dass das Bundesgericht zwar in einem neueren Urteil (BGE 138 I 6) zum inhaltlich weitgehend gleich lautenden Art. 83 Bst. a BGG festgehalten hat, für die Gegenausnahme genüge es, dass das Völkerrecht in Form der EMRK eine gerichtliche Beurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorsehe (vgl. zitiertes Urteil E. 1.3.2),
dass dieses Urteil jedoch, wie im Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts an das EJPD im Rahmen des Meinungsaustauschs dargelegt wurde, nicht verallgemeinerungsfähig ist, denn es betrifft einen ausgesprochenen Spezialfall, nämlich die EMRK-Konformität des indirekten Auskunftsrechts in die Staatsschutzakten durch den Eidgenössischen Datenschutzund Öffentlichkeitsbeauftragten und den zuständigen Abteilungspräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts nach dem damaligen Art. 18 des Bundesgesetzes vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS, AS 998 1546, 2006 2319, 2006 2197), die ansonsten innerstaatlich nicht hätte überprüft werden können, zumal sich auch der Abteilungspräsident, wie das Bundesgericht prominent hervorhob, zu diesem Punkt nicht äusserte,
dass somit auf die Beschwerde mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nicht einzutreten und die Sache zuständigkeitshalber zur weiteren Behandlung an das EJPD weiterzuleiten ist,
dass der Beschwerdeführer bei diesem Ausgang des Verfahrens grundsätzlich kostenpflichtig wäre (Art. 63 Abs. 1 VwVG),
dass jedoch seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege samt Bestellung einer unentgeltlichen Rechtsvertreterin in der Person von Frau Barrister Stephanie Motz zu entsprechen ist (Art. 65 Abs. 1 und 2 VwVG),
dass der unentgeltlichen Rechtsvertreterin für ihre Mühewaltung, soweit sich diese auf die Frage der Zuständigkeit bezieht, zulasten der Gerichtskasse ein Honorar auszurichten ist,
dass die Höhe des Honorars auf der Grundlage der Bemessungskriterien der Art. 8 ff. des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) auf Fr. 500.- festzusetzen ist (inkl. Mehrwertsteuerzuschlag im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Bst. c VGKE),
dass dieser Betrag zurückzuerstatten ist, sollte der Beschwerdeführer zu hinreichenden Mitteln gelangen (Art. 65 Abs. 4 VwVG),
dass das vorliegende Urteil endgültig ist (Art. 83 Bst. c Ziff. 4 BGG).
Dispositiv S. 6
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten und die Sache zur weiteren Behandlung dem EJPD überlassen.
2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege samt Rechtsverbeiständung wird gutgeheissen.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Dem Beschwerdeführer wird Frau Barrister Stephanie Motz als unentgeltliche Rechtsvertreterin beigegeben und aus der Gerichtskasse mit Fr. 500.- entschädigt.
3.
Dieses Urteil geht an:
den Beschwerdeführer ( )
den Rechtsund Beschwerdedienst GS-EJPD ( )
das Bundesamt für Polizei ( )
das SEM ( )
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Andreas Trommer Julius Longauer
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