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Bundesverwaltungsgericht Urteil D-2486/2018

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung IV
Dossiernummer:D-2486/2018
Datum:18.12.2018
Leitsatz/Stichwort:Nichteintreten auf Asylgesuch (kein Asylgesuch gemäss AsylG) und Wegweisung
Schlagwörter : Beschwerde; Beschwerdeführer; Fähig; Urteil; Beschwerdeführers; Recht; Asylgesuch; Akten; Urteilsfähig; Anhörung; Urteilsfähigkeit; Verfahren; Person; Bundesverwaltungsgericht; Verfügung; Sachverhalt; Eltern; Stellung; Asylverfahren; Beistand; Verfahren; Vorinstanz; Wegweisung; Bericht; Aussagen; Können; Prüfen; Urteilsunfähigkeit; Asylverfahrens; Stellungnahme
Rechtsnorm: Art. 12 ZGB ; Art. 13 ZGB ; Art. 39 ZGB ; Art. 48 VwVG ; Art. 52 VwVG ; Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung IV D-2486/2018

U r t e i l  v o m  1 8.  D e z e m b e r  2 0 1 8

Besetzung Richter Hans Schürch (Vorsitz),

Richter David R. Wenger, Richter Yanick Felley, Gerichtsschreiber Christoph Basler.

Parteien A. , geboren am ( ), Iran,

vertreten durch MLaw Ruedy Bollack, Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende Aargau, Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verfügung des SEM vom 19. April 2018 / N ( ).

Sachverhalt:

A.

    1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger mit letztem Wohnsitz in B. , verliess den Iran eigenen Angaben gemäss am

      27. November 2015 und gelangte am 5. Februar 2016 in die Schweiz, wo er am gleichen Tag um Asyl nachsuchte.

    2. Bei der Befragung zur Person (BzP) vom 11. Februar 2016 sagte er aus, er sei im Iran zum Christentum konvertiert - er sei noch nicht getauft worden - und habe mit den Behörden Probleme gehabt. Er habe „Klassen“ besucht, in denen die christliche Religion gelehrt worden sei. An seinem Arbeitsplatz habe er Kollegen eingeladen, die Klassen zu besuchen. Bei einer Dame, die der Einladung nachgekommen sei, habe man bei einer Kontrolle eine Bibel gefunden, weshalb sie festgenommen worden sei. Eine Freundin dieser Dame habe ihn dahingehend informiert und sein

      „Lehrer“ habe ihm geraten, den Iran umgehend zu verlassen. Als er zuhause angerufen habe, habe man ihm gesagt, Leute vom Ettelaat (Nachrichtendienst) seien dort gewesen und hätten nach ihm gesucht.

    3. Den Akten ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer bei einer Messerstecherei am 20. August 2016 schwer verletzt wurde und im Wachkoma lag. Seine Eltern seien mit Besuchervisa eingereist, die vom Kanton C. mehrfach verlängert worden seien.

    4. Das Bezirksgericht D.

      stellte mit Entscheid vom 6. Januar

      2017 fest, der Beschwerdeführer sei dauernd urteilsunfähig, und ordnete für ihn die Errichtung einer umfassenden Beistandschaft gemäss Art. 398 ZGB an.

    5. Mit Schreiben vom 27. Juli 2017 an den Beistand des Beschwerdeführers forderte das SEM diesen auf, einen ärztlichen Bericht einzureichen.

    6. Einer Bestätigung der ( ) vom 11. Oktober 2017 ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer an den Folgen einer schweren offenen Schädel- und Hirnverletzung sowie eines penetrierenden Thoraxtraumas leide. Er sei nicht selbständig und seine Mobilität sei teilweise eingeschränkt, er benötige eine Betreuung, die auch im häuslichen Umfeld stattfinden könne.

    7. Gemäss einer Aktennotiz des SEM vom 17. Oktober 2017 wurde der Beschwerdeführer am 12. Oktober 2017 im Pflegeheim ( ) besucht. Sein

      Beistand und seine Eltern sowie Pflegeverantwortliche seien zugegen gewesen. Gegenwärtig erbringe sein Vater den grössten Teil der Pflege, die Eltern hätten eine Wohnung bezogen und könnten den Beschwerdeführer teilweise mehrere Tage dorthin mitnehmen. Der Beschwerdeführer sei in die höchste Pflegestufe eingeteilt worden. Die Kommunikation sei stark eingeschränkt. Die Eltern möchten mit ihm in den Iran zurückkehren, da ihr Visum ablaufe.

    8. Das SEM teilte dem Beistand des Beschwerdeführers am 20. November 2017 mit, aufgrund der ärztlichen Berichte könne keine Anhörung zu den Asylgründen durchgeführt werden. Die Erhebung des Sachverhalts stütze sich auf die Aussagen bei der BzP vom 11. Februar 2016. Das SEM beabsichtige, das Asylgesuch abzulehnen und gehe davon aus, dass keine medizinischen Gründe gegen eine Wegweisung in den Heimatstaat sprächen. Dem Beistand wurde Gelegenheit zur Einreichung einer schriftlichen Stellungnahme gegeben.

    9. Am 31. Januar 2018 wandte sich der Rechtsvertreter an das SEM und ersuchte um nochmalige Erstreckung der Frist zur Einreichung einer Stellungnahme, nachdem dem Beistand bereits mehrere Fristerstreckungen gewährt worden waren. Das SEM entsprach dem Gesuch am 2. Februar 2018.

    10. Mit Eingabe vom 14. März 2018 teilte der Rechtsvertreter mit, einem Bericht von Dr. med. E. ; FMH Neurologie, vom 5. März 2018 sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer aus medizinischer Sicht fähig wäre, eine mehrstündige Anhörung zu bestreiten. Da keine Gründe gemäss Art. 36 AsylG vorlägen, die einen Verzicht auf eine Anhörung rechtfertigen würden und der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe gerne erläutern würde, werde um die Prüfung der Durchführung einer Anhörung gebeten. Der Beschwerdeführer sei auch bereit, schriftlich zu seinen Asylgründen Auskunft zu geben.

    11. Das SEM teilte dem Rechtsvertreter am 26. März 2018 mit, mit den Angaben im eingereichten Arztbericht werde die Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers verneint. Dieser Mangel sei auch nicht durch Schriftlichkeit zu beheben. Bei Fehlen von Sachurteilsvoraussetzungen werde auf das Gesuch nicht eingetreten und die Wegweisung verfügt. Dem Rechtsvertreter wurde Gelegenheit zur Einreichung einer Stellungnahme gegeben.

    12. Am 11. April 2018 bezog der Rechtsvertreter Stellung zu den Ausführungen des SEM. Er ging davon aus, dass sich aus dem ärztlichen Bericht keine explizite Urteilsunfähigkeit des Beschwerdeführers ergebe, weshalb kein Grund bestehe, auf das Asylgesuch nicht einzutreten. Sollte das SEM Zweifel an der Urteilsfähigkeit haben, sei eine entsprechende Begutachtung durchzuführen.

B.

Mit Verfügung vom 19. April 2018 - eröffnet am 24. April 2018 - trat das SEM auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein. Zugleich verfügte es seine Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug der Wegweisung an.

C.

Mit Eingabe seines Rechtsvertreters vom 27. April 2018 liess der Beschwerdeführer gegen diesen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erheben und beantragen, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und das SEM sei anzuweisen, auf sein Asylgesuch einzutreten. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und die unentgeltliche Verbeiständung mit dem Unterzeichneten zu bewilligen sowie auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten.

D.

Am 2. Mai 2018 ging beim Bundesverwaltungsgericht eine Bestätigung der Fürsorgeabhängigkeit des Beschwerdeführers vom 30. April 2018 ein.

E.

Der Instruktionsrichter hiess das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege mit Zwischenverfügung vom 2. Mai 2018 gut und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Er gab dem Beschwerdeführer MLaw Ruedy Bollack als unentgeltlichen Rechtsbeistand bei. Die Akten überwies er zur Vernehmlassung an das SEM.

F.

In seiner Vernehmlassung vom 11. Mai 2018 beantragte das SEM die Abweisung der Beschwerde.

G.

Der Beschwerdeführer hielt in der Stellungnahme vom 14. Juni 2018 an seinen Anträgen fest.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - und so auch vorliegend - endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

    2. Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht (Art. 108 Abs. 2 AsylG; Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 52 Abs. 1 VwVG). Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

    1. Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

    2. Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen (Art. 31a Abs. 1-3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 3.1; 2012/4 E. 2.2, je m.w.H.).

3.

    1. Das SEM begründet seinen Entscheid damit, dass Sachurteilsvoraussetzungen Vorbedingungen seien, die es den Behörden erlaubten, auf ein Asylgesuch überhaupt einzutreten und es inhaltlich prüfen zu können. Fehlten die Sachurteilsoder Prozessvoraussetzungen, sei eine materielle Prüfung des Gesuchs nicht möglich. Die Behörden träfen in diesem Fall einen Nichteintretensentscheid. Als prozessfähig gelte, wer im Verfahren handlungsfähig sei. Wer gemäss Art. 12 ff. ZGB handlungsfähig sei, sei auch prozessfähig. Eine Person, die ein Asylgesuch stelle, müsse aufgrund

      ihre Alters und ihrer geistigen Fähigkeiten in der Lage sein, ihre Anliegen vorbringen zu können. Um Fluchtgründe glaubhaft darlegen zu können, sehe das Gesetz eine persönliche und aktive Teilnahme an einer Anhörung zu den Asylründen gemäss Art. 29 AsylG vor. Dem medizinischen Bericht vom 5. März 2018 sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer fähig sei, eine mehrstündige Anhörung zu bestreiten. Es bleibe aber unklar, ob er alles verstehe und er werde nur vereinzelte Worte von sich geben, so dass die Informationsbeschaffung auf diese Art schwierig sein werde. Auch in Zukunft werde sich dieser Zustand nicht grundlegend verbessern. Für das SEM sei somit eine materielle Prüfung der Asylvorbringen im Sinne des Gesetzes nicht möglich. Mit der eingereichten Stellungnahme könne die Einschätzung des SEM nicht umgestossen werden. Der Mangel, die Anliegen nicht aktiv und adäquat vorbringen zu können, könne durch Schriftlichkeit nicht behoben werden. Insbesondere könne ein gesetzlicher Vertreter zu den Asylgründen weder Stellung nehmen noch allfällige Verfolgungsmassnahmen bestätigen oder geltend machen. Demzufolge sei auf das Asylgesuch nicht einzutreten.

    2. In der Beschwerde wird geltend gemacht, die Urteilsfähigkeit in Bezug auf die Durchführung eines Asylverfahrens setze voraus, dass eine Person in der Lage sei, Bedeutung und Tragweite des Asylverfahrens und der dazu notwendigen Mitwirkungshandlungen zu erfassen, bezüglich der Mitwirkung vernunftgemäss zu handeln und die Verfolgungssituation nachvollziehbar zu schildern. Weder aus dem Bericht von Dr. med. E. vom

      5. März 2018 noch aus den anderen Akten ergebe sich eine explizite Urteilsunfähigkeit des Beschwerdeführers, Der Umstand, dass sich eine Anhörung aufgrund der Einschränkungen des Beschwerdeführers aufwendiger gestalten werden, sei nicht von Bedeutung. Er sei im Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft F. befragt worden und habe selbständig Aussagen machen können. Es sei davon auszugehen, dass er in der Lage sei, eine Anhörung gemäss Art. 29 AsylG durchzuführen. Im jetzigen Zeitpunkt könne nicht von seiner Urteilsunfähigkeit ausgegangen werden und die Sachurteilsvoraussetzungen lägen vor. Es bestehe kein Grund für einen Nichteintretensentscheid. Sollte das SEM Zweifel an der Urteilsfähigkeit des Beschwerdeführers haben oder der Ansicht sein, die vorliegenden Informationen reichten nicht aus, um dies beurteilen zu können, sei eine Begutachtung zu veranlassen.

    3. Das SEM führt in seiner Vernehmlassung aus, es habe den Beschwerdeführer am 12. Oktober 2017 in der Pflegeeinrichtung in G. aufgesucht, um sich ein Bild zur Prozessfähigkeit für weitere Verfahrensschritte zu machen und um die Zumutbarkeit einer Wegweisung beurteilen zu können. Zunächst habe ein Gespräch mit den für die medizinische Betreuung verantwortlichen Fachpersonen, den Eltern und dem Beistand stattgefunden. Danach sei eine Begegnung mit dem Beschwerdeführer am Krankenbett erfolgt. Trotz eines anwesenden Dolmetschers sei es nicht möglich gewesen, mit ihm ein Gespräch zu führen, das den Anforderungen einer Anhörung entsprechen könne. Der ärztliche Bericht habe diesen Eindruck bestätigt.

    4. In der Stellungnahme wird entgegnet, weder aus der angefochtenen Verfügung noch aus den Akten sei ersichtlich, welche Informationen die Vorinstanz beim Besuch des Beschwerdeführers erhalten habe. Es sei über den Besuch eine Aktennotiz angefertigt worden, die als internes Aktenstück qualifiziert worden sei und dem Beschwerdeführer nicht vorliege. Die bei der Vorinstanz verantwortliche Person sei keine medizinische Fachperson und es sei fraglich, inwiefern ihre Einschätzung geeignet sei, die Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers zu beurteilen oder einzuschätzen, wie sich der gesundheitliche Zustand des Beschwerdeführers entwickeln werde. Es ergebe sich weiterhin keine schlüssige Begründung, wieso die Prozessvoraussetzungen nicht gegeben sein sollten. Falls das SEM weiterhin Zweifel an der Urteilsfähigkeit des Beschwerdeführers habe, wäre es dringend angezeigt, eine umfassende Begutachtung zu veranlassen.

4.

    1. Das SEM hatte in der angefochtenen Verfügung die Frage der Urteilsfähigkeit des Beschwerdeführers im Sinne von Art. 16 ZGB und damit der zivilrechtlichen Handlungsfähigkeit (Art. 13 und 17 ZGB) sowie der verfahrensrechtlichen Prozessfähigkeit als Sachurteilsvoraussetzung von Amtes wegen zu prüfen; es verneinte diese.

    2. Urteilsfähig im zivilrechtlichen Sinn ist eine Person, der nicht infolge ihres Kindesalters oder infolge von Geisteskrankheit, Geistesschwäche, oder anderer Ursachen die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln (Art.16 ZGB). Die Urteilsfähigkeit ist bezogen auf die konkret in Frage stehenden Handlungen zu prüfen. Vorliegend steht die Urteilsfähigkeit in Bezug auf die Durchführung eines Asylverfahrens in Frage. Diese setzt voraus, dass eine Person als Asylbewerber in der Lage ist, bezüglich der in einem Asylverfahren erforderlichen Mitwirkung vernunftgemäss zu handeln und namentlich ihre Verfolgungssituation nachvollziehbar zu schildern (vgl.

      Urteile des BVGer E-6027/2007 vom 22. Oktober 2008 und D-5028/2007 vom 23. April 2010). Die Stellung eines Asylgesuchs stellt ein relatives höchstpersönliches Recht dar (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 1996 Nr. 5); relativ höchstpersönliche Rechte sind der Vertretung zugänglich und ein Rechtsträger kann bei Urteilsunfähigkeit durch einen Vertreter handeln. Daraus ergibt sich, dass eine urteilsunfähige Person sich im Asylverfahren vertreten lassen kann.

    3. Nach herrschender Lehre und Praxis ist aufgrund der gesamten Umstände zu prüfen, ob die fragliche Person im konkreten Fall, das heisst je nach Natur, Schwierigkeit und Tragweite der fraglichen Rechtshandlung, als urteilsfähig angesehen werden kann oder nicht. Dabei ist grundsätzlich vom Bestehen der Urteilsfähigkeit auszugehen, denn nach allgemeiner Lebenserfahrung stellt sich das Vorliegen der Urteilsunfähigkeit als die Ausnahme dar.

    4. Die Urteilsfähigkeit in Bezug auf die Durchführung des Asylverfahrens setzt voraus, dass eine Person als Asylgesuchsteller in der Lage ist, Bedeutung und Tragweite des Asylverfahrens und der dazu erforderlichen Mitwirkungshandlungen zu erfassen, bezüglich der nötigen Mitwirkung vernunftgemäss zu handeln und namentlich die Verfolgungssituation nachvollziehbar zu schildern (vgl. Urteil des BVGer D-5238/2006 vom 2. September 2008 E. 4.2 mit weiteren Hinweisen). Bei der Erstellung des Sachverhalts im Rahmen des Asylverfahrens geht es in erster Linie darum, eigene Erlebnisse wiederzugeben und diesbezüglich klärende Fragen der befragenden Person zu beantworten.

5.

    1. Vorliegend steht fest, dass der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht D. mit Entscheid vom 6. Januar 2017 als dauernd urteilsunfähig erklärt wurde, weshalb für ihn die Errichtung einer umfassenden Beistandschaft gemäss Art. 398 ZGB angeordnet wurde. Hinsichtlich der Frage, ob der Beschwerdeführer im heutigen Zeitpunkt in der Lage sein wird, einer Anhörung zu den Asylgründen zu folgen und die bei der BzP geltend gemachte Verfolgungssituation nachvollziehbar zu schildern - die Urteilsfähigkeit des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Einreichung des Asylgesuchs und der BzP sind nicht in Frage gestellt -, bestehen somit nicht nur in Anbetracht der Einschätzung von Dr. med. E. vom 5. März 2018 erhebliche Zweifel.

      Den Akten kann entnommen werden, dass ein Vertreter des SEM den Beschwerdeführer am 12. Oktober 2017 im Pflegeheim G. besuchte und zum Schluss gelangte, eine Anhörung zu den Asylgründen sei nicht möglich (vgl. vorstehend unter Bst. Ag). Aus der darüber angefertigten Aktennotiz geht jedoch nicht hervor, dass mit Hilfe eines Dolmetschers versucht wurde, den Beschwerdeführer zu seinen Asylgründen zu befragen und wie er darauf reagierte. Da es sich bei diesem Besuch um eine für die Feststellung des Sachverhalts wesentliche Verfahrenshandlung im Sinne eines Augenscheins handelte, ist nicht nachvollziehbar, dass keine genauere Protokollierung stattfand. Nebst der Tatsache, dass aus der Aktennotiz nicht hervorgeht, dass versucht wurde, den Beschwerdeführer mit Hilfe eines Dolmetschers zu befragen, kann auch nicht nachvollzogen werden, welche Angaben seine Eltern, sein Beistand und die ihn Pflegenden machten. Zudem wurde das Dokument zu Unrecht als interne Akte bezeichnet und dem Akteneinsichtsrecht entzogen, da der Besuch beim Beschwerdeführer und die dabei gewonnenen Erkenntnisse entscheidwesentlich waren (vgl. die Ausführungen in der Vernehmlassung) und nicht nur der internen Meinungsbildung dienen.

      Seitens der Rechtsvertretung wurde dem SEM zudem mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer von der Staatsanwaltschaft F. befragt wurde und selbständig habe Aussagen machen können. Das SEM setzte sich mit diesen Angaben nicht auseinander und prüfte diese nicht, weshalb nicht feststeht, ob und inwieweit der Beschwerdeführer in der Lage war, im Rahmen einer Befragung durch die Staatsanwaltschaft Aussagen zu machen.

    2. Vorliegend kann somit nach Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts - auch in Anbetracht des Umstandes, dass die Anforderungen an die Urteilsfähigkeit im Asylverfahren sehr tief anzusetzen sind - nicht mit Sicherheit von der Urteilsunfähigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen werden, weshalb diesbezüglich weitergehende, transparente Abklärungen vonnöten sind. Sollten diese Abklärungen ergeben, dass der Beschwerdeführer keine Aussagen zu seinen Asylvorbringen machen kann, wären in einem weiteren Schritt mit Blick auf die Feststellung der Asylvorbringen und hinsichtlich des Vollzugs der Wegweisung weitergehende geeignete und zur Verfügung stehende Abklärungen vorzunehmen (vgl. Urteil des BVGer D-5028/2007 vom 23. April 2010). Der Beschwerdeführer hat bei der BzP bereits rudimentär angegeben, was im Iran vorgefallen sei, das ihn zur Ausreise veranlasst habe. Da seine Eltern sich in der Schweiz befinden und er angab, Leute des Ettelaat hätten zu Hause nach ihm gesucht, könnten

      seine Eltern zu diesem Vorbringen als Auskunftspersonen beziehungsweise Zeugen befragt werden - möglicherweise können seine Eltern zu weiteren Vorkommnissen, die sich nach der Ausreise des Beschwerdeführers zutrugen, Angaben machen und angeben, ob es Beweismittel gibt, mit denen ihre Aussagen und diejenigen des Beschwerdeführers bestätigt werden können.

    3. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass der rechtserhebliche Sachverhalt nicht genügend erstellt ist. Ist einem ersten Schritt wird das SEM zu prüfen haben, ob der Beschwerdeführer selbst Aussagen zu seinen Asylvorbringen machen kann. Sollte dies nicht möglich sein, wäre der Sachverhalt unter Zuhilfenahme weiterer Abklärungsmöglichkeiten zu vervollständigen. Anschliessend wird das SEM über das Gesuch des Beschwerdeführers erneut zu befinden haben.

    4. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen, die angefochtene Verfügung aufzuheben und das SEM anzuweisen, den Sachverhalt im Sinne der Erwägungen weiter zu erstellen und anschliessend neu zu entscheiden.

6.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Verfahrenskosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwG).

7.

Dem vertretenen Beschwerdeführer ist angesichts seines Obsiegens in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) eine Entschädigung für die ihm notwendigerweise erwachsenen Parteikosten zuzusprechen. Massgeblich sind die in Art. 8 ff. VGKE genannten Bemessungsfaktoren. Da keine Kostennote eingereicht wurde, sind die notwendigen Parteikosten aufgrund der Akten zu bestimmen (Art. 14 Abs. 2 in fine VGKE). Gestützt auf die in Betracht zu ziehenden Bemessungsfaktoren (Art. 9-13 VGKE) ist dem Beschwerdeführer zulasten der Vorinstanz eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 800.- (inkl. Auslagen und Mehrwertsteueranteil) zuzusprechen.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2.

Die Verfügung vom 19. April 2018 wird aufgehoben und das SEM wird angewiesen, den Sachverhalt im Rahmen der Möglichkeiten abzuklären und danach neu zu entscheiden.

3.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

4.

Das SEM wird angewiesen, dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 800.- auszurichten.

5.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Hans Schürch Christoph Basler

Versand:

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