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Bundesverwaltungsgericht Urteil A-2210/2016

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung I
Dossiernummer:A-2210/2016
Datum:11.07.2017
Leitsatz/Stichwort:Radio- und Fernsehempfangsgebühren
Schlagwörter : Beschwerde; Beschwerdeführer; Beschwerdeführerin; Einzahlung; Schuld; Recht; Vorinstanz; Einzahlungsschein; Schuldner; Gebühren; Bundesverwaltungsgericht; Zahlung; Billag; Entscheid; Einzahlungsscheine; Forderung; Verfügung; Urteil; Rechnung; Angefochtene; Referenz; Partei; Betreibung; Gebührenforderung; Rechnungsnummer; Verfahren; Mehrwertsteuer; Teilzahlung; Radio
Rechtsnorm: Art. 29 VwVG ; Art. 35 VwVG ; Art. 48 VwVG ; Art. 49 VwVG ; Art. 52 VwVG ; Art. 61 VwVG ; Art. 62 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 64 VwVG ; Art. 85 OR ; Art. 86 OR ; Art. 87 OR ;
Referenz BGE:133 III 61; 139 III 404; 141 II 182; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung I

A-2210/2016

U r t e i l  v o m  1 1.  J u l i  2 0 1 7

Besetzung Richter Christoph Bandli (Vorsitz),

Richterin Kathrin Dietrich, Richter Jürg Steiger, Gerichtsschreiber Ivo Hartmann.

Parteien A. ,

Beschwerdeführerin,

gegen

Billag AG,

Avenue de Tivoli 3, Postfach, 1700 Freiburg, Erstinstanz,

Bundesamt für Kommunikation BAKOM,

Abteilung Medien,

Sekt. Radiound Fernsehempfangsgebühren, Zukunftstrasse 44, Postfach, 2501 Biel BE, Vorinstanz.

Gegenstand Radiound Fernsehempfangsgebühren.

Sachverhalt:

A.

A.

ist seit dem 1. August 2009 bei der Schweizerischen Erhe-

bungsstelle für Radiound Fernsehempfangsgebühren, Billag AG, für den privaten Radiound Fernsehempfang angemeldet.

B.

Die Billag AG leitete am 28. August 2014 gegen A. (nachfolgend: Schuldnerin) wegen Nichtbezahlens der Radiound Fernsehempfangsgebühren für den Zeitraum zwischen 1. August 2013 und 30. April 2014 beim Betreibungsamt ( ) die Betreibung über den Betrag von Fr. 118.40 (inkl. Mehrwertsteuer) zuzüglich Mahnund Betreibungsgebühren von Fr. 37.60 ein.

C.

Am 11. September 2014 wurde der Schuldnerin der Zahlungsbefehl (Betreibung Nr. [ ]) zugestellt. Dagegen erhob sie am 22. September 2014 Rechtsvorschlag und machte geltend, dass sie die ausstehende Forderung mit Teilzahlungen in der Höhe von Fr. 80.- am 28. Mai 2014 sowie Fr. 40.- am 28. August 2014 bereits getilgt habe.

D.

Mit Schreiben vom 15. Januar 2015 wies die Billag AG die Schuldnerin darauf hin, die von ihr geleisteten Teilzahlungen würden eine andere Gebührenperiode betreffen. Die in Betreibung gesetzten Forderungen seien deshalb nach wie vor offen.

E.

In der Folge gab die Billag AG der Schuldnerin mehrfach Gelegenheit, die ausstehenden Forderungen zu begleichen.

F.

Da die Schuld nicht beglichen wurde, erliess die Billag AG am 18. Mai 2015 eine Verfügung, in welcher sie die Schuldnerin verpflichtete, den Betrag von Fr. 156.- (Fr. 118.40 zuzüglich Fr. 37.60) zu bezahlen. Zugleich beseitigte sie den Rechtsvorschlag vom 22. September 2014 in der Betreibung Nr. ( ) und erteilte die definitive Rechtsöffnung.

G.

Gegen diese Verfügung erhob die Schuldnerin am 15. Juli 2015 Beschwerde beim Bundesamt für Kommunikation (BAKOM).

H.

Mit Entscheid vom 9. März 2016 hiess das BAKOM die Beschwerde teilweise gut. Es stellte fest, dass Mahngebühren in der Höhe von Fr. 12.60 nicht geschuldet seien und der Rechtsvorschlag in diesem Umfange aufrechtzuerhalten sei. Im Übrigen wies es die Beschwerde jedoch ab und beseitigte den Rechtsvorschlag für die restliche in Betreibung gesetzte Forderung in der Höhe von Fr. 143.40 (Fr. 118.40 [Gebührenforderung] zuzüglich Fr. 25.- [Mahnund Betreibungsgebühren]).

I.

Dagegen erhebt die Schuldnerin (nachfolgend: Beschwerdeführerin) am

10. April 2016 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Sinngemäss verlangt sie die Aufhebung der Verfügung des BAKOM vom 9. März 2016, da sie sämtliche Forderungen der strittigen Gebührenperiode beglichen habe. In prozessualer Hinsicht ersucht sie um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.

J.

Mit Zwischenverfügung vom 11. Mai 2016 heisst das Bundesverwaltungsgericht das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege teilweise gut und befreit die Beschwerdeführerin von der Bezahlung von Verfahrenskosten (inkl. Kostenvorschuss). Im Übrigen weist es das Gesuch ab.

K.

Mit Vernehmlassung vom 10. Juni 2016 schliesst das BAKOM (nachfolgend: Vorinstanz) auf Abweisung der Beschwerde.

L.

Die Parteien äussern sich in der Folge nicht mehr zur Streitsache.

M.

Auf die weiteren Vorbringen und die sich in den Akten befindlichen Schriftstücke wird, soweit für den Entscheid relevant, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom

      20. Dezember 1968 (VwVG, SR 172.021). Der angefochtene Beschwerdeentscheid gemäss Art. 61 VwVG stellt ein zulässiges Anfechtungsobjekt dar (Art. 5 Abs. 2 VwVG). Da er von einer Vorinstanz im Sinn von Art. 33 Bst. d VGG erlassen wurde und keine Ausnahme gemäss Art. 32 VGG vorliegt, ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung der Beschwerde zuständig.

      Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach dem VwVG, sofern das VGG nichts anderes vorsieht (Art. 37 VGG).

    2. Zur Beschwerde ist nach Art. 48 Abs. 1 VwVG berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (Bst. a), durch die angefochtene Verfügung besonders berührt ist (Bst. b) und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (Bst. c).

      Die Beschwerdeführerin hat sich am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt und ist als Adressatin des angefochtenen Entscheides, mit welchem ihr Begehren teilweise abgewiesen wurde, sowohl formell als auch materiell beschwert. Sie ist damit zur Beschwerde legitimiert.

    3. Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist demnach einzutreten (Art. 50 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 VwVG).

2.

Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet grundsätzlich mit uneingeschränkter Kognition. Es überprüft die angefochtene Verfügung auf Rechtsverletzungen - einschliesslich unrichtiger oder unvollständiger Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und Rechtsfehler bei der Ermessensausübung - sowie auf Angemessenheit hin (Art. 49 VwVG). Die Rechtsanwendung erfolgt von Amtes wegen, ohne Bindung an die Parteibegehren (Art. 62 Abs. 4 VwVG).

3.

3.1

Im vorliegenden Fall wird von keiner Seite behauptet, dass die Beschwerdeführerin im relevanten Zeitraum zwischen dem 1. August 2013 und dem

30. April 2014 nicht der Gebührenpflicht für den privaten Radiound Fernsehempfang unterstanden habe. Strittig ist dagegen, ob und in welchem Umfang die Beschwerdeführerin die für diesen Zeitraum geschuldeten Gebühren bezahlt hat.

    1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass sie sämtliche Gebühren im besagten Zeitraum beglichen habe. Sie habe die Einzahlungen jeweils jeden Monat oder alle zwei Monate mit einem eigenhändig ausgefüllten Einzahlungsschein getätigt. Darauf habe sie den einbezahlten Betrag sowie die Adresse angegeben und die Ratenzahlung für die Empfangsgebühren der jeweiligen Periode vermerkt. Das Einzige, was sie nicht richtig habe ausfüllen können, sei die Rechnungsnummer gewesen. Hierfür habe sie jeweils kurzerhand jene der aktuellsten Rechnung verwendet. Sie könne sich die vermeintlichen Ausstände einzig damit erklären, dass die Billag AG (nachfolgend auch: Erstinstanz) aufgrund der eigenhändig erstellten Einzahlungsscheine ein Durcheinander in der Buchhaltung bekommen habe.

    2. Die Beschwerdeführerin hat dem Bundesverwaltungsgericht sodann zahlreiche Quittungen von Einzahlungsscheinen (sog. Empfangsscheine) eingereicht, welche verschiedenen Teilzahlungen im relevanten Zeitraum belegen. Damit stellt sich die Frage, wie im konkreten Fall die erfolgten Zahlungen an die Gebührenforderungen anzurechnen sind.

4.

    1. Weder in den rundfunkrechtlichen Bestimmungen noch im VwVG ist die Anrechnung von Teilzahlungen an bestehende Schulden geregelt. Weist das öffentliche Recht eine Lücke auf, sind zuerst die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen, die ähnliche Fälle regeln, analog anzuwenden. Sind keine vorhanden, so kommen privatrechtliche Bestimmungen zur Anwendung (Ulrich HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2016, Rz. 252 ff.).

    2. Im Zusammenhang mit Beitragszahlungen für die Altersund Hinterlassenenversicherung (AHV) gilt nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts - in Anlehnung an Art. 87 des Obligationenrechts vom

      30. März 1911 (OR, SR 220) - der Grundsatz, dass nachträgliche Zahlungen vorab zur Tilgung der ältesten Beitragsschulden zu verwenden sind.

      Dennoch wird dem Beitragsschuldner das Recht zugestanden, eine anderweitige Anrechnung erklären zu können (sog. Erklärungsrecht im Sinn von Art. 86 OR), sofern keine berechtigten Interessen der Verwaltung, wie die Verhinderung einer drohenden Beitragsverjährung, entgegenstehen (Urteil des BGer H 118/05 vom 30. Januar 2006 E. 4.2 mit zahlreichen Hinweisen; vgl. auch Urteil des BGer 2C_239/2014 E. 3.1 für eine analoge Anwendung der Bestimmungen des OR im Zusammenhang mit der Erfüllung und dem Untergang von Steuerforderungen).

    3. Die hier zu prüfende Streitfrage betreffend Radiound Fernsehgebühren ist mit der vom Bundesgericht entschiedenen Sachlage ohne Weiteres vergleichbar. Die Anwendung der massgebenden privatrechtlichen Bestimmungen erscheint somit angezeigt (vgl. Urteil des BVGer A-2848/2011 vom 27. Oktober 2011 E. 6.2).

    4. Nach den allgemeinen Regeln des OR kann der Schuldner eine Teilzahlung nur insoweit auf das Kapital anrechnen, als er nicht mit Zinsen oder Kosten im Rückstand ist (Art. 85 Abs. 1 OR). Hat der Schuldner mehrere Schulden an denselben Gläubiger zu bezahlen, so ist er berechtigt, bei der Zahlung zu erklären, welche Schuld er tilgen will (Art. 86 Abs. 1 OR). Mangelt es an einer solchen Erklärung, so wird die Zahlung auf diejenige Schuld angerechnet, die der Gläubiger in seiner Quittung bezeichnet, sofern der Schuldner nicht sofort Widerspruch erhebt (Art. 86 Abs. 2 OR).

      Liegt weder eine gültige Erklärung über die Tilgung noch eine Bezeichnung in der Quittung vor, so ist die Zahlung auf die fällige Schuld anzurechnen, unter mehreren fälligen auf diejenige Schuld, für die der Schuldner zuerst betrieben worden ist, und hat keine Betreibung stattgefunden, auf die früher verfallene (Art. 87 Abs. 1 OR).

    5. Für die Beantwortung der Frage, welche Schulden mit den Zahlungen der Beschwerdeführerin getilgt worden sind, ist somit zunächst zu prüfen, ob sie diesbezüglich eine gültige Erklärung abgegeben hat. Erst wenn keine oder keine gültige Erklärung vorläge, würde sich die Tilgung nach der Regel von Art. 87 OR richten.

      1. Bei der Anrechnungserklärung des Schuldners handelt es sich um ein einseitiges, empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft. Die Erklärung kann sich ausdrücklich oder konkludent - aufgrund des schuldnerischen Verhaltens - ergeben. Sie muss aber für den Gläubiger in jedem Fall erkennbar

        sein. So wird beispielsweise auf eine stillschweigende Erklärung erkannt, wenn der Zahlungsbetrag mit einem von mehreren (voneinander abweichenden) Forderungsbeträgen übereinstimmt (vgl. URS LEU, in: Honsell/Vogt/Wiegand [Hrsg.], Basler Kommentar Obligationenrecht I, Art. 1-529 OR, 6. Aufl. 2015, Art. 86 Rz. 3). Sodann hielt das Bundesgericht fest, dass eine Akontozahlung unter Verwendung eines Einzahlungsscheins mit der Referenznummer einer Steuerperiode als Willenserklärung des Steuerpflichtigen verstanden werden könne, für diese Steuerperiode eine Anzahlung zu leisten (vgl. Urteil des BGer 2C_239/2014 vom 9. Februar 2015 E. 3.4). Stimmt die Willenserklärung des Schuldners nicht mit seinem wirklichen Willen überein, so ist ihr Erklärungswert nach dem Vertrauensprinzip zu bestimmen. Massgebend ist in diesem Fall, wie der Empfänger die Erklärung unter den gegebenen Umständen in guten Treuen verstehen durfte und musste (vgl. BGE 139 III 404 E. 7.1 und BGE 133 III 61 E. 2.2.1; Urteil des BGer 4A_512/2015 vom 14. April 2016 E. 4.2.1).

      2. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin die Einzahlungsscheine jeweils eigenhändig ausgefüllt und den einbezahlten Betrag frei gewählt. Sämtliche ins Recht gelegten Einzahlungsscheine sowie Empfangsscheine (beim Schuldner verbleibende Quittungen der Einzahlungsscheine) sind von der Beschwerdeführerin zudem mit einer Referenzund Rechnungsnummer versehen worden. Ob die Beschwerdeführerin einer derart veranlassten Einzahlung nun aber den Sinn beigemessen hat, dass damit - wie die Vorinstanz in der angefochtenen Verfügung ausführt - einzig die mit der Referenznummer bezeichnete Forderung beglichen werden sollte, erscheint fraglich, zumal der Zweck dieser Nummer für den Durchschnittsbürger nicht offenkundig ist. Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin, gemäss ihren eigenen Darlegungen, jeweils kurzerhand die letzte verfügbare Rechnungsnummer verwendet, da sie die korrekte Nummer nicht kannte. Dies musste im Übrigen auch der Billag AG bewusst gewesen sein, hat sich doch die Beschwerdeführerin bei ihr bereits um den Jahreswechsel 2011/2012 erkundigt, welche Rechnungsnummer sie jeweils im Falle einer eigenhändigen Einzahlung verwenden müsse (vi-act. 6). Dass die Billag AG jemals darauf geantwortet hätte, ist hingegen nicht aktenkundig, weshalb sie der verwendeten Rechnungsnummer nicht ohne Weiteres einen besonderen Gehalt hätte zurechnen dürfen. Wie es sich letztlich mit dem Erklärungswert der verwendeten Referenzund Rechnungsnummern verhält, kann aber aufgrund der folgenden Ausführungen offenbleiben.

      3. Die Beschwerdeführerin verwendete für sämtliche Einzahlungen nicht die von der Billag AG zusammen mit den Gebührenrechnungen verschickten orangen Einzahlungsscheine (sog. ESR) sondern rote, unbeschriftete Einzahlungsscheine (sog. ES). Während Ersterer ausschliesslich eine sog. Referenznummer enthält, mit welcher der Schuldner identifiziert und die referenzierte Forderung ermittelt werden kann, weist der rote Einzahlungsschein ein Feld mit Angaben zur einzahlenden Person und ein Bemerkungsfeld für den Zahlungszweck auf. Diese beiden Felder befinden sich auf dem Abschnitt des Einzahlungsscheins, der dem Gläubiger bzw. der Postfinance zugestellt wird. Dieses Dokument erlaubt somit dem Gläubiger, den Schuldner und die mit der Einzahlung getilgte Forderung zu bestimmen (vgl. zum Ganzen: Merkblatt: Einzahlungsscheine von PostFinance, gefunden unter: <https://www.post.ch/ > Geschäftskunden > Unsere Produkte > Debitorenlösungen > Roter Einzahlungsschein (ES), abgerufen am 6. Juli 2017; vgl. auch Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau BR.2009.105 vom 26. Februar 2010 E. 2b = Rechenschaftsbericht des Obergerichts des Kantons Thurgau [RBOG], 2010 Nr. 20, gefunden unter: <http://ogbuch.tg.ch />, abgerufen am 10. Juli 2017).

      4. Daraus lassen sich nun für den konkreten Fall zwei Schlüsse ziehen: Erstens kann der von der Beschwerdeführerin angegebenen Referenznummer von vornherein kein Erklärungswert zukommen, da sie einen roten Einzahlungsschein verwendete, bei dem sich die Einzahlung gerade nicht nach einer Referenznummer richtet. Zweitens verfügt der rote Einzahlungsschein über ein besonderes Feld mit Angaben zum Zahlungszweck, in dem der Schuldner erklären kann, welche Schuld er tilgen möchte, und welches dem Gläubiger zugestellt wird. Folglich ist im vorliegenden Fall für die Frage, ob eine Anrechnungserklärung im Sinn von Art. 86 OR besteht und welcher Gehalt ihr beizumessen ist, auf die Angaben im Feld "Zahlungszweck" abzustellen. Ausserhalb davon befindliche Angaben, wie die vorliegend von der Beschwerdeführerin verwendete Rechnungsnummer, sind nebensächlich, zumal die Beschwerdeführerin ihr kein besonderes Gewicht beigemessen hat und dies auch der Billag AG bekannt war bzw. hätte bekannt sein müssen. Demgegenüber lassen sich aus dem Empfangsschein (Quittung) von vornherein keine Schlüssen ziehen, da dieser beim Schuldner verbleibt und folglich keine Erklärung an den Gläubiger darstellen kann.

      5. Die Vorinstanz hat die Anrechnungserklärungen nun aber einzig anhand den auf den Empfangsscheinen angegebenen Referenzund/oder Rechnungsnummern beurteilt. Dies ist nach dem Gesagten nicht zulässig,

da bei Verwendung von roten Einzahlungsscheinen auf die Bemerkungen im Feld "Zahlungszweck" abzustellen ist und weder dem Empfangsscheinen noch der Referenznummer eine Erklärungsfunktion zukommt. Bereits aus diesen Gründen erweist sich der angefochtene Entscheid als rechtswidrig und ist aufzuheben.

4.6

      1. Gemäss Art. 61 Abs. 1 VwVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in der Sache selbst oder weist diese ausnahmsweise mit verbindlichen Weisungen an die Vorinstanz zurück. Bei der Wahl zwischen den beiden Entscheidarten steht dem Gericht ein weiter Ermessensspielraum zu. Auch wenn eine Rückweisung die Ausnahme bleiben soll, ist sie dennoch unumgänglich, wenn sich herausstellt, dass der rechtserhebliche Sachverhalt von der Vorinstanz klar unrichtig oder unvollständig festgestellt und somit Art. 49 Bst. b VwVG schwerwiegend verletzt wurde (vgl. Urteil des BVGer A-3683/2013 vom 6. März 2014 E. 1.4; ANDRÉ MOSER/MICHAEL

        BEUSCH/LORENZ KNEUBÜHLER, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2. Aufl. 2013, Rz. 3.195).

      2. Die Beschwerdeführerin reichte im vorinstanzlichen Verfahren und im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zwei vollständige Einzahlungsscheine ein, auf welchen als Zahlungszweck die Nachrichten "Ratenzahlung Empfangsgebühren 01.05.2014 - 30.6.2014 / IV 2009 ANGEMELDET!" und "Ratenzahlung Empfangsgebühren 01.11.2014

        • 30.11.2014" angebracht sind (vi-act. 2 und bf-act. 1). Beide enthalten - wenn auch für eine nicht massgebliche Gebührenperiode - unmissverständliche Erklärungen der Beschwerdeführerin, auf welche Gebührenforderung die Teilzahlungen anzurechnen sind. Weitere an die Billag AG bzw. die PostFinance übermittelte Abschnitte der Einzahlungsscheine der Beschwerdeführerin oder zumindest Kontoauszüge der Billag AG, aus welchen der Zahlungszweck der jeweiligen Einzahlungen ersichtlich ist, liegen dem Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht vor. Damit kann das Bundesverwaltungsgericht nicht beurteilen, ob und welche Anrechnungserklärungen die Beschwerdeführerin betreffend die Gebührenforderungen zwischen dem 1. August 2013 und dem 30. April 2014 abgegeben hat. Diesbezüglich ist der Sachverhalt nicht erstellt und es fehlt damit an den entscheidwesentlichen Grundlagen. Im Übrigen lässt sich vorliegend auch nicht feststellen, ob allenfalls bezüglich weiterer Forderungen eine Beitragsverjährung drohte, welche einer Erklärung der Beschwerdeführerin entgegengestanden wäre.

      3. Demnach ist die Sache an die Vorinstanz zum erneuten Entscheid zurückzuweisen. Sie wird dabei sämtliche erfolgten Einzahlungen - im Lichte der obigen Erwägungen (E. 4.5.4 f.) - dahingehend zu überprüfen haben, ob diese eine Anrechnungserklärung analog zu den von der Beschwerdeführerin ins Recht gelegten Einzahlungsscheinen aufweisen. Ist dies der Fall, ist wie folgt vorzugehen:

Entsprechen die Erklärungen dem wirklichen Willen der Beschwerdeführerin, ist die Einzahlung an die bezeichnete Forderung anzurechnen, sofern nicht bezüglich einer anderweitigen Forderung die Beitragsverjährung drohte. Sollte hingegen die Erklärung vom wirklichen Willen abweichen, ist sie nach dem Vertrauensprinzip auszulegen. Für den Fall, dass keine oder keine gültige Erklärung seitens der Beschwerdeführerin vorliegen sollte, richtet sich die Tilgung der offenen Gebührenforderungen nach Art. 87 OR. Erst nachdem sämtliche Einzahlungen gemäss der dargelegten Tilgungsreihenfolge angerechnet wurden, lässt sich bestimmen, ob einerseits allfällige Gebührenforderungen der strittigen Gebührenperiode noch offen sind sowie diesbezüglich zu Recht Mahngebühren erhoben wurden und ob andererseits der Rechtsvorschlag zu beseitigen ist.

5.

    1. Schliesslich ist unabhängig von der Frage, in welcher Reihenfolge die einzelnen Teilzahlungen anzurechnen sind, auch auf die Höhe der Gebührenforderungen einzugehen. Sämtlichen Rechnungen der Billag AG weisen für den Zeitraum vom 1. August 2013 bis 30. April 2014 eine Position "inkl. 2.5% MWSt." auf. Mithin wurde auf sämtlichen Gebührenforderungen zugleich die Mehrwertsteuer erhoben.

    2. Die Vorinstanz begründet nun aber weder im angefochtenen Entscheid noch in der Vernehmlassung, weshalb die Mehrwertsteuer geschuldet und hierfür die Rechtsöffnung zu erteilen sei.

    3. Aus dem in Art. 29 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) verankerten Grundrecht auf rechtliches Gehör und dessen Konkretisierung für das Bundesverwaltungsverfahren in Art. 29 ff. VwVG ergibt sich das Recht bzw. die Pflicht, dass die verfügende Behörde ihre Verfügung begründet (Art. 35 Abs. 1 VwVG). Kommt eine Behörde ihrer Begründungspflicht nicht hinreichend nach, führt dies ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung der fraglichen Verfügung. Die Heilung solcher Mängel im Rechtsmittelverfahren ist zwar möglich, soll aber die

      Ausnahme bleiben (Urteil des BVGer A-6318/2015 vom 11. April 2016

      E. 5.2; MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., Rz. 3.113 f.).

    4. Mit Urteil vom 13. April 2015 hat sich das Bundesgericht eingehend mit der Frage der Mehrwertsteuer auseinandergesetzt und entschieden, dass die Empfangsgebühr nicht der Mehrwertsteuerpflicht untersteht (vgl. BGE 141 II 182 E. 6). Vor diesem Hintergrund hätte die Vorinstanz zumindest kurz ausführen müssen, weshalb die Beschwerdeführerin - im Lichte dieser Rechtsprechung - dennoch eine Mehrwertsteuer auf den Empfangsgebühren zu entrichten habe. Darauf hat das Bundesverwaltungsgericht die Vorinstanz bereits im Zusammenhang mit einem anderen Empfangsgebührenfall mit Urteil vom 11. April 2016 hingewiesen (vgl. A-6318/2015

E. 5.3). Da die Vorinstanz von einer Begründung absah, hat sie ihre Begründungspflicht und damit den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzt. Vorliegend fällt eine Heilung dieses Mangels mit Blick auf die Wahrung des Instanzenzuges und insbesondere angesichts einer allfälligen präjudiziellen Wirkung auf andere offene Gebührenrechnungen mit Mehrwertsteuer ausser Betracht (vgl. A-6318/2015 E. 5.3). Folglich ist auch aus diesem Grund die Sache zur Neubeurteilung bzw. zur rechtsgenüglichen Begründung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

6.

Zusammengefasst ist die angefochtene Verfügung damit aufzuheben. Die Sache ist im Sinne der Erwägungen zur Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und zum erneuten Entscheid bzw. Begründung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beschwerde ist somit vollumfänglich gutzuheissen.

7.

Es bleibt über die Kosten und Entschädigungen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens zu befinden.

    1. Praxisgemäss gilt die Rückweisung der Angelegenheit zur weiteren Abklärung bzw. zum neuen Entscheid (mit noch offenem Ausgang) als volles Obsiegen der Beschwerde führenden Partei (vgl. Urteil des BVGer A-4043/2015 vom 22. März 2016 E. 8.1 mit Hinweis). Entsprechend ist die Beschwerdeführerin als obsiegend zu betrachten, ist doch die angefochtene Verfügung vollumfänglich aufzuheben.

    2. Als obsiegende Partei hat die Beschwerdeführerin keine Verfahrenskosten zu tragen (vgl. Art. 63 Abs. 1 VwVG e contrario). Sodann können weder der Erstinstanz noch der Vorinstanz Verfahrenskosten auferlegt werden (vgl. Art. 63 Abs. 2 VwVG), weshalb von deren Erhebung abzusehen ist.

    3. Die Beschwerdeführerin hat angesichts ihres Obsiegens grundsätzlich Anspruch auf eine Parteientschädigung (vgl. dazu Art. 64 Abs. 1 VwVG und Art. 7 ff. des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Mangels externer Vertretung sind bei ihr jedoch keine ersatzfähigen Kosten angefallen, weshalb ihr keine Parteienschädigung zuzusprechen ist. Schliesslich steht weder der Erstinstanz noch der Vorinstanz eine Parteientschädigung zu (Art. 7 Abs. 3 VGKE).

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2.

Die Verfügung der Vorinstanz wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und zum erneuten Entscheid bzw. zur rechtsgenüglichen Begründung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

4.

Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

5.

Dieses Urteil geht an:

  • die Beschwerdeführerin (Gerichtsurkunde)

  • die Erstinstanz (Einschreiben)

  • die Vorinstanz (Ref-Nr. [ ]; Einschreiben)

  • das GS UVEK (Gerichtsurkunde)

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Christoph Bandli Ivo Hartmann

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 BGG). Die Rechtsschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie der Beschwerdeführer in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).

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