Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung V |
Dossiernummer: | E-5364/2006 |
Datum: | 09.09.2008 |
Leitsatz/Stichwort: | Asyl und Wegweisung |
Schlagwörter : | ühren; Beschwerdeführende; Beschwerdeführenden; Bulgarien; Wegweisung; Schweiz; Kinder; Recht; Verfügung; Ausländer; Schule; Vorinstanz; Bundesverwaltungsgericht; Problem; Wegweisungsvollzug; Behandlung; Vollzug; Verfahren; Probleme; Person; Personen; önnten |
Rechtsnorm: | Art. 23 KRK ;Art. 48 VwVG ;Art. 63 VwVG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Abteilung V
E-5364/200 6 /a me
{T 0/2}
Besetzung
Parteien
Gegenstand
Richter Kurt Gysi (Vorsitz),
Richter Hans Schürch, Richter François Badoud,
Gerichtsschreiber Jonas Tschan.
Bulgarien,
vertreten durch Ursula Singenberger,
_______, Beschwerdeführende,
gegen
Vollzug der Wegweisung; Verfügung des BFM vom 21. Februar 2006 / N_______.
Die Beschwerdeführenden, eine Familie bulgarischer Staatsangehörigkeit, Angehörige der Roma und griechisch - orthodoxen Glaubens aus Wetovo, verliessen ihren Heimatstaat gemäss eigenen Angaben am 31. Mai 2004 und gelangten über Jugoslawien, Ungarn, Tschechien und Deutschland am 2. Juni 2004 unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Schweiz, wo sie gleichentags um Asyl nachsuchten. In der Empfangsstelle Basel wurden sie am 14. Juni 2004 zu ihren Asylgründen befragt; die kantonale Anhörung fand am 12. September 2005 statt.
Zur Begründung ihres Asylgesuches machen sie im Wesentlichen Folgendes geltend: Es sei mehrmals vorgekommen, dass die Polizei mitten in der Nacht zu ihnen nach Hause gekommen sei, wobei sie mit Waffen bedroht worden seien. Sie seien oft kontrolliert, um Geld gefragt und bestohlen worden. In Bulgarien hätten sie ständig in Angst gelebt. Die Kinder seien in der Schule belästigt worden und hätten die bulgarische Sprache kaum gelernt. Weil sie ständig geplagt worden seien, seien sie nicht mehr in die Schule gegangen. Die Beschwerdeführenden seien völlig isoliert gewesen, hätten keine Freunde gehabt und seien auch mit den Verwandten kaum in Kontakt gewesen. Letztere seien gegen die Beziehung zwischen (...) (in der Folge Beschwerdeführer genannt) und (...) (in der Folge Beschwerdeführerin genannt) gewesen, da diese beide gehörlos seien und auch noch hörbehinderte Kinder hätten. Niemand habe etwas mit ihnen zu tun haben wollen. Jemand habe bei ihnen zu Hause die Fensterscheiben kaputt gemacht. Als sie gefragt hätten, wer den Schaden bezahlen würde, habe man ihnen gesagt, dass sie diesen selber zu ersetzen hätten. Auch da sei ihnen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Volk der Roma von der Polizei nicht geholfen worden. Die anderen Gehörlosen in Bulgarien würden in Gruppen leben und hätten Kontakt miteinander; es handle sich dabei jedoch um weisse Personen, so dass es für die Beschwerdeführenden nicht möglich sei, Anschluss zu finden. Sie hätten monatlich 79.- Lewa Rente pro Erwachsener erhalten; die Kinder hätten hingegen nichts bekommen.
Mit Verfügung vom 21. Februar 2006 stellte das Bundesamt fest, die Vorbringen der Beschwerdeführenden würden den Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 3 des Asylgesetzes vom
26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) nicht standhalten, lehnte das Asylgesuch ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz und deren Vollzug an.
Mit Beschwerde vom 22. März 2006 an die vormals zuständige Schweizerische Asylrekurskommission (ARK) liessen die Beschwerdeführenden beantragen, es sei die vorläufige Aufnahme anzuordnen; ausserdem seien weitergehende Abklärungen, insbesondere eine zusätzliche Anhörung, vorzunehmen. In prozessualer Hinsicht wurde um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersucht.
Mit Eingabe vom 5. April 2006 reichten die Beschwerdeführenden eine Beschwerdeergänzung zu den Akten.
Mit Zwischenverfügung vom 10. April 2006 teilte der zuständige Instruktionsrichter der ARK den Beschwerdeführenden mit, sie könnten den Ausgang des Beschwerdeverfahrens in der Schweiz abwarten. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens einzig die Frage der Durchführbarkeit des Wegweisungsvollzuges bildet und die Ziffern 1 bis 3 des Dispositivs der vorinstanzlichen Verfügung unangefochten geblieben sind. Ausserdem wurde das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gutgeheissen und die Vorinstanz zur Einreichung einer Vernehmlassung eingeladen.
Mit Schreiben vom 30. April 2006 teilte Frau Ursula Singenberger von (...) der ARK mit, dass sie die Interessen der Beschwerdeführenden vertreten würde. Des Weiteren machte sie zusätzliche Beschwerdeergänzungen und reichte unter anderen ein Arztzeugnis von (...) zu den Akten.
Das BFM hielt in seiner Vernehmlassung vom 15. Mai 2006 vollumfänglich an seiner Verfügung fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
Mit Schreiben vom 30. Mai 2006 hielten die Beschwerdeführenden sinngemäss an den gestellten Rechtsbegehren fest.
Der Instruktionsrichter wies die Beschwerdeführenden mit Schreiben vom 23. April 2007 darauf hin, dass das bei der ARK anhängig gemachte Verfahren per 1. Januar 2007 vom Bundesverwaltungsgericht übernommen worden ist.
Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das BFM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet in diesem Bereich endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
Das Bundesverwaltungsgericht hat am 1. Januar 2007 die Beurteilung der bei der ARK hängigen Rechtsmittel übernommen. Das neue Verfahrensrecht ist anwendbar (vgl. Art. 53 Abs. 2 VGG).
Die Beschwerdeführenden sind durch die angefochtene Verfügung berührt, haben ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung und sind daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die im Übrigen formund fristgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 108 Abs. 2 AsylG und Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 52 VwVG).
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
Die Vorinstanz führte zur Begründung ihres ablehnenden Entscheides im Wesentlichen aus, dass zur Situation der ethnischen Minderheiten in Bulgarien folgendes festzuhalten sei: Sowohl die Verfassung als auch die aktuelle Gesetzgebung würden keine Bestimmungen enthalten, die eine Diskriminierung auf ethnischer Grundlage darstellen würden. Vielmehr stünden ethnisch begründete Übergriffe unter Strafe. Bulgarien habe unter anderem die Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) unterzeichnet und ratifiziert. Zur Durchsetzung der Rechte der Minderheiten hätten sich verschiedene politische und private Organisationen etabliert. So könnten sich Personen, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Ziel von Übergriffen geworden seien beispielsweise an das Bulgarian Helsinki Committee oder an das Human Rights Project wenden. Hingegen sei es bekannt, dass gegenüber Angehörigen der Volksgruppe der Roma und Personen, die dazugezählt würden, in der Bevölkerung gewisse Ressentiments bestünden. Solche Personen könnten Anfeindungen, Diskriminierungen und Übergriffen von privaten Dritten oder lokalen Behördenvertretern ausgesetzt sein. Die Grundlage der dargelegten Probleme würden vorliegend unsensibles und nicht korrektes Verhalten durch Dritte, die im Wesentlichen als Diebstahl, Körperverletzung und Nötigung zu bezeichnen seien, bilden. Diese Handlungen seien in Bulgarien strafrechtlich ebenso relevant wie in der Schweiz. Trotzdem sei nicht auszuschliessen, dass lokale Behördenvertreter wegen schlechter Organisation, Überlastung, Korruption oder aus ähnlichen Gründen gegenüber den Beschwerdeführenden passiv geblieben seien. Dies sei aber ein lokales Problem und nicht Folge gezielter systematischer Verfolgung. Sollten die Beschwerdeführenden in ihrem Herkunftsort (...) nicht die nötige fachliche Unterstützung erhalten, so sei ihnen zuzumuten, sich in einer anderen Region Bulgariens, beispielsweise in der Hauptstadt niederzulassen. In Sofia bestünden sowohl für Gehörlose als auch für Minderheiten diverse Hilfsstrukturen.
Die Gesuchsteller seien zwar taubstumm, doch hätten sie mit dieser Behinderung ihr ganzes Leben in Bulgarien verbracht. Es sei ihnen zuzumuten, wie anderen Behinderten auch, weiterhin in ihrem Heimatstaat zu leben. In Bulgarien würden sie mit der Gebärdensprache auch besser zurecht kommen als in der Schweiz. Ausserdem gebe es in Bulgarien einen Behindertenverband, an welchen sie sich wenden
könnten sowie verschiedene Hilfsorganisationen. Die Beschwerdeführenden hätten offensichtlich eine staatliche Rente erhalten und bereits Kontakt mit Interessenvertretungen für gehörlose Personen aufgenommen. Die Beschwerdeführenden würden zudem über weitere Familienangehörige in Bulgarien verfügen. Die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges sei insgesamt zu bejahen. Ausserdem sei er technisch möglich und praktisch durchführbar.
In der Beschwerde wird der Argumentation der Vorinstanz Folgendes entgegengehalten: Es müsse angezweifelt werden, dass der Sachverhalt ausreichend abgeklärt wurde, da die Gebärdensprachen von Land zu Land verschieden seien. Die Beschwerdeführenden hätten aufgrund des Konkubinats Probleme mit ihren Familien. Als die Tochter ungefähr zwei Jahre alt gewesen sei, habe die Mutter der Beschwerdeführerin versucht, das Mädchen umzubringen, da sie festgestellt habe, dass es auch gehörlos sei. Die Beschwerdeführenden hätten zwar Sozialhilfe erhalten, doch habe diese zum Überleben nur gereicht, weil sie noch Gartengemüse angepflanzt hätten. Sie hätten fast keine Ausbildung und könnten kaum schreiben. Es sei ihnen daher praktisch verunmöglicht, eine geregelte Arbeitsstelle zu finden. Es entspreche den Tatsachen, dass es in Sofia Spezialschulen für Gehörlose gebe, jedoch wäre den Kindern als Roma der Zugang zu diesen Schulen aufgrund ihrer Ethnie erschwert. Zudem hätten die Beschwerdeführenden kein Geld, um diese Schulen zu bezahlen. Des Weiteren erscheine ein Umzug nach Sofia unmöglich, da sie nicht wüssten, wie sie eine Wohnung finden und zu Sozialgeld kommen sollten. Im Juli / August 2000 seien sie für zwei Monate in Schweden gewesen, wo sie um Asyl ersucht hätten, ihr Gesuch jedoch abgewiesen worden sei. In Dänemark seien sie nur auf der Durchreise gewesen und hätten eine Nacht auf einem Bahnhof verbracht. Im September / Oktober 2003 hätten sie massive Probleme mit der Mafia gehabt, als diese von ihnen Geld verlangt habe. Sie hätten es der Polizei gemeldet, doch diese habe gesagt, dass sie da nichts machen könne. Die Kinder seien in Bulgarien immer krank gewesen, wobei man nicht gewusst habe, was genau es gewesen sei. Hier in der Schweiz gehe es den Kindern besser, insbesondere aufgrund des Umstandes, dass sie nun die Schule besuchen könnten. Die Beschwerdeführerin leide unter grossem Stress und Gewichtsverlust. In Bulgarien seien die Beschwerdeführenden als Roma und Gehörlose völlig isoliert gewesen. Es sei ihnen unmöglich gewesen, einen Freundeskreis aufzubauen. Es wäre unverantwortlich, die Kinder
wieder aus der Schweiz wegzuweisen. Sie hätten hier die Möglichkeit, in die Schule zu gehen und etwas zu lernen. Diese Chance hätten sie in Bulgarien nie. Die bisherige Integrationsarbeit der Kinder würde bei einer Wegweisung sinnlos erscheinen. Zudem würde es den Mädchen noch mehr als früher aufzeigen, was man ihnen alles in ihrem Heimatland verweigere. Schliesslich sei das Recht auf Schulbildung ein Menschenrecht; eine Wegweisung würde gegen die Kinderrechtskonvention (KRK) und gegen die EMRK verstossen.
In ihrer Vernehmlassung äusserte sich die Vorinstanz zum Vorbringen des nicht umfassend abgeklärten Sachverhalt dahingehend, dass dieses Argument aufgrund des Umstandes, dass die Beschwerdeführenden auch in ihrer Rechtsmitteleingabe keine wesentlichen neuen Sachverhaltselemente darlegen würden, nicht zu überzeugen vermöge. Die eingereichten Zeitungsund Internetberichte würden sich auf die allgemeine Situation in Bulgarien beziehen und seien bei der Entscheidfindung bereits mit berücksichtigt worden. Der vom
26. April 2006 datierte Arztbericht weise auf ein depressives Zustandsbild der Beschwerdeführerin hin. Es sei dem BFM durchaus bewusst, dass für viele Asylsuchende eine Rückkehr nach erfolglosem Asylverfahren vielfältige Probleme mit sich bringen könne. Eine schwere depressive Episode bedingt durch die bevorstehende Wegweisung nach Bulgarien allein vermöge jedoch nach landesund völkerrechtlichen Massstäben den bevorstehenden Wegweisungsvollzug nicht zu verhindern. Die gegenteilige Auffassung würde bedeuten, dass vom bevorstehenden Wegweisungsvollzug betroffene Ausländer die faktische Möglichkeit hätten, durch Berufung auf ihre psychischen Probleme ein zeitlich unbegrenztes Aufenthaltsrecht in der Schweiz zu erlangen, wodurch die asylund ausländerrechtliche Gesetzgebung offensichtlich unterlaufen würde. Weiter sei zu betonen, dass therapeutische Behandlungsmöglichkeiten für psychische Probleme in Bulgarien vorhanden seien und die medikamentösen Behandlungen durchaus dem Niveau einer Behandlung in der Schweiz entsprechen würden.
In der Replik wurde entgegnet, dass der Sachverhalt des BFM nicht genau und komplett erfasst worden sei. Hingewiesen werde nochmals auf die Tatsache, dass die Gebärdensprachen je nach Land unterschiedlich seien. Beispielsweise sei in der Verfügung des BFM vom Beschwerdeführer und seiner Ehefrau gesprochen worden; in Tat und Wahrheit würden sie jedoch im Konkubinat leben. Weiter sei im
Entscheid geschrieben, dass sich die Beschwerdeführenden im Jahre 2001 in Schweden und in Dänemark aufgehalten hätten; in Dänemark hätten sie jedoch nur eine Nacht auf dem Bahnhof verbracht. Überhaupt nicht erwähnt worden sei, dass es auch massive familiäre Probleme gegeben habe und die Mutter der Beschwerdeführerin die älteste Tochter gar habe umbringen wollen. Des weiteren sei die mangelnde Ausbildung sowie der Umstand, dass sie in ihrem Heimatland kaum je eine geregelt Arbeit finden würden, nicht berücksichtigt worden.
Lehnt das Bundesamt das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie (Art. 44 Abs. 1 AsylG).
Die Beschwerdeführenden verfügen weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (Art. 44 Abs. 1 AsylG; Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2001 Nr. 21).
Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, so regelt das Bundesamt das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme von Ausländern (Art. 44 Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG, SR 142.20]).
Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunftsoder in einen Drittstaat entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AuG).
So darf keine Person in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land gezwungen werden, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie Gefahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden (Art. 5 Abs. 1 AsylG; vgl. ebenso Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom
28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR 0.142.30]).
Gemäss Art. 25 Abs. 3 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101), Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und der Praxis zu Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Die Vorinstanz wies in ihrer angefochtenen Verfügung zutreffend darauf hin, dass der Grundsatz der Nichtrückschiebung nur Personen schützt, die die Flüchtlingseigenschaft erfüllen (vgl. MARIO GATTIKER, Das Asylund Wegweisungsverfahren, 3. Aufl., Bern 1999, S. 89). Da es den Beschwerdeführenden nicht gelungen ist, eine asylrechtlich erhebliche Gefährdung nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, kann das in Art. 5 AsylG verankerte Prinzip des flüchtlingsrechtlichen NonRefoulements im vorliegenden Verfahren keine Anwendung finden. Eine Rückkehr der Beschwerdeführenden nach Bulgarien ist demnach unter dem Aspekt von Art. 5 AsylG rechtmässig.
Sodann ergeben sich weder aus den Aussagen der Beschwerdeführenden noch aus den Akten Anhaltspunkte dafür, dass sie für den Fall einer Ausschaffung nach Bulgarien dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen Strafe oder Behandlung ausgesetzt wären. Gemäss Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie jener des UN-Anti-Folterausschusses müssten die Beschwerdeführer eine konkrete Gefahr ("real risk") nachweisen oder glaubhaft machen, dass ihnen im Fall einer Rückschiebung Folter oder unmenschliche Behandlung drohen würde (vgl. EMARK 2001 Nr. 16 S. 122, mit weiteren Hinweisen; EGMR, Bensaid gegen Grossbritannien, Urteil vom 6. Februar 2001, Recueil des arrêts et décisions 2001-I, S. 327 ff.). Die von den Beschwerdeführenden vorgebrachten Behelligungen reichen in ihrer Intensität nicht aus, um unter Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK subsumiert zu werden.
Auch die allgemeine Menschenrechtssituation in Bulgarien lässt den Wegweisungsvollzug zum heutigen Zeitpunkt nicht als unzulässig erscheinen. Nach dem Gesagten ist der Vollzug der Wegweisung sowohl
im Sinne der asylals auch der völkerrechtlichen Bestimmungen zulässig.
Gemäss Art. 83 Abs. 4 AuG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimatoder Herkunftsstaat auf Grund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Neben den im Gesetz beispielhaft aufgezählten Faktoren können namentlich auch die fehlenden oder mangelhaften medizinischen Behandlungsmöglichkeiten, die Beeinträchtigung des Kindeswohls bei minderjährigen Gesuchstellern oder eine Kombination von Faktoren wie Alter, Beeinträchtigung der Gesundheit, fehlendes Beziehungsnetz, düstere Aussichten für das wirtschaftliche Fortkommen von Bedeutung sein - immer vorausgesetzt, dass sie zu einer konkreten Gefährdung führen. Wird eine solche festgestellt, ist - unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AuG - die vorläufige Aufnahme zu gewähren (vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 8. März 2002, BBl 2002 3818).
Vorderhand ist festzuhalten, dass in Bulgarien zur Zeit weder Krieg, Bürgerkrieg noch eine Situation allgemeiner Gewalt vorherrscht. Bulgarien ist seit dem 1. Januar 2007 Mitglied der Europäischen Union (EU) und wurde vom Bundesrat in die Liste der sogenannten “safe countries“ aufgenommen. In den vorliegenden Länderberichten zur Lage in Bulgarien wird übereinstimmend erwähnt, dass ethnische Minderheiten wie die Roma in Bulgarien teilweise diskriminiert werden, ihre Schulbildung und ihr allgemeiner Lebenstandard schlechter ist als bei der bulgarischen Mehrheit, und dass Berichte von gewaltsamen Übergriffen seitens der Polizei und von rechtsnationalen Kreisen bekannt sind. Vorab seit dem Beitritt Bulgariens zur EU im Jahre 2007 ist Bulgarien - auch auf Druck der EU - jedoch bestrebt, die Situation der Roma im eigenen Land zu verbessern. So wurde etwa ein nationaler Plan zur Bekämpfung von Diskriminierungen verabschiedet, und durch finanzielle Unterstützung seitens der EU konnten die Lebensbedingungen in verschiedenen Roma-Quartieren verbessert werden (vgl. Amnesty International Report 2008 zu Bulgarien; Balkan Investigative Reporting Network, Bericht vom 17. Juli 2007; U.S Department of State, Country Reports on Human Rights Practices - 2007 zu Bulgarien). Als Mitglied der EU darf Bulgarien zudem als funktionierender Rechtsstaat angesehen werden, der willens und fähig ist, zielgerichtete Übergriffe auf Minderheiten zu verfolgen und zu ahnden.
Die blosse Zugehörigkeit zum Volk der Roma lässt daher den Wegweisungsvollzug nach Bulgarien nicht per se als unzumutbar erscheinen.
Vorliegend sind jedoch die folgenden individuellen Umstände der Beschwerdeführenden mit zu berücksichtigen: Einerseits scheinen sie in Bulgarien kaum über soziale Kontakte zu verfügen. So seien die Eltern der Beschwerdeführenden damit nicht einverstanden gewesen, dass Letztere als Gehörlose zusammen Kinder hätten. Zwar hätten sie mal beim Vater des Beschwerdeführers gewohnt, jedoch habe es aufgrund von dessen Alkoholproblemen Schlägereien gegeben. Einzig mit ihrem Bruder habe die Beschwerdeführerin Kontakt; dieser soll allerdings im Gefängnis gewesen sein. Zweifelhaft erscheint jedoch die Behauptung, dass die Mutter der Beschwerdeführerin die älteste Tochter aufgrund der Gehörlosigkeit habe umbringen wollen, erwähnten die Beschwerdeführenden diesen Vorfall doch erst anlässlich ihrer Beschwerdeergänzung vom 5. April 2006. Gleichwohl ist vorliegend nicht davon auszugehen, dass sie in Bulgarien über ein tragfähiges soziales Beziehungsnetz verfügen. Weiter ist festzustellen, dass es für die Beschwerdeführenden extrem schwierig wäre, in Bulgarien eine geregelte Arbeit zu finden. So ist die Arbeitslosenquote beim Volk der Roma schon an sich sehr hoch; erschwerend hinzukommen würde bei den Beschwerdeführenden noch der Umstand der Gehörlosigkeit. Zwar scheinen sie eine Invalidenrente erhalten zu haben, doch reichte diese eigenen Angaben zufolge fürs Überleben nicht aus. Sodann ist hinsichtlich der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges die Situation der beiden Kinder von wesentlicher Bedeutung. Gemäss Art. 28 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 (KRK, SR 0.107) erkennen die Vertragsstaaten generell das Recht des Kindes auf Bildung an. Um die Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage der Chancengleichheit fortschreitend zu erreichen, werden sie insbesondere den Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht und unentgeltlich machen (Bst. a). Sodann ist den besonderen Bedürfnissen eines behinderten Kindes, auch hinsichtlich seiner Ausbildung, Rechnung zu tragen (Art. 23 Abs. 3 KRK). Vorliegend handelt es sich um zwei Mädchen im Alter von elf beziehungsweise zehn Jahren, welche gemäss dem Bericht der kantonalen Sprachheilschule (...) (Sonderschule mit Internat für Hörund Sprachbehinderte) vom 21. März 2006 nun seit knapp vier Jahren die Hörbehindertenabteilung der Schule besuchen. Das ältere der Mädchen hat dem genannten Bericht entsprechend eine relevante
Höreinschränkung beidseits, während das jüngere Mädchen rechts eine hochgradige und links eine höchstgradige Perzeptionsschwerhörigkeit hat. Es ist davon auszugehen, dass die Kinder in Bulgarien - wenn überhaupt - nur für kurze Zeit die Schule besuchen konnten. Ob es ihnen bei einer Rückkehr möglich wäre, eine Spezialschule für Gehörlose - beispielsweise in Sofia, wie vom BFM in der Verfügung vom 21. Februar 2006 vorgeschlagen - zu besuchen, ist angesichts der Umstände stark zu bezweifeln. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass die Eltern selber kaum lesen und schreiben können und somit ihre Töchter bei der Ausbildung nur beschränkt unterstützen können. Ausserdem besuchen die Kinder nun schon, wie bereits ausgeführt, seit vier Jahren die Schule in der Schweiz, haben sich anscheinend gut in ihre Klasse integriert und erzielten schnell Fortschritte.
In Würdigung sämtlicher vorgenannter Faktoren, und insbesondere des Kindeswohls von invaliden Kindern, erachtet das Gericht den Wegweisungsvollzug nach Bulgarien für die Beschwerdeführenden als unzumutbar. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und die Verfügung des BFM vom 21. Februar 2006 aufzuheben.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Verfahrenskosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 VwVG).
Obsiegende Parteien haben Anspruch auf eine Parteientschädigung für die ihnen erwachsenen notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten (Art. 7 Abs. 1 und 4 des Reglements vom
21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Die Beschwerdeführenden sind erst seit April 2006 durch Swiss-Exile vertreten und haben vorher selbständig Verfahrenseingaben gemacht. Die Kosten sind zuverlässig abzuschätzen und werden in Anwendung der obgenannten Bestimmungen und unter Berücksichtigung der massgeblichen Bemessungsfaktoren (vgl. Art. 8 ff. VGKE) von Amtes wegen auf insgesamt Fr. 1'000.- festgesetzt.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
Die Vorinstanz wird angewiesen, die Beschwerdeführenden vorläufig aufzunehmen.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
Das BFM hat den Beschwerdeführenden eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 1'000.- zu entrichten.
Dieses Urteil geht an:
die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführenden (Einschreiben)
das BFM, Abteilung Aufenthalt und Rückkehrförderung, mit den Akten Ref.-Nr. N _______ (per Kurier; in Kopie)
den _______ (in Kopie)
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Kurt Gysi Jonas Tschan
Versand:
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