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Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Strafkammer
Fallnummer:SN.2020.4
Datum:10.02.2020
Leitsatz/Stichwort:Wechsel der amtlichen Verteidigung (Art. 134 Abs. 2 StPO)
Schlagwörter : Gesuch; Verteidigung; Amtliche; Gesuchsteller; Verteidiger; Amtlichen; Bundes; Vertrauensverhältnis; Erheblich; Vertreten; Vorwurf; Bundesstrafgericht; Anwalt; Verfahrens; Sicht; Über; Gericht; Rechtsanwalt; Besprechung; Person; Kammer; Vorsitz; Gesuchstellers; Stellung; Zeuge; Verfahren; Gestört; Verfügung; Anwalts; Beschuldigten
Rechtskraft:Kein Weiterzug, rechtskräftig
Rechtsnorm: Art. 134 StPO ; Art. 146 StGB ; Art. 393 StPO ; Art. 396 StPO ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: SN.2020.4
(Hauptgeschäftsnummer: SK.2019.45 )

Verfügung vom 10. Februar 2020

Strafkammer

Besetzung

Bundesstrafrichter in Sylvia Frei, Vorsitz

Gerichtsschreiber Tornike Keshelava

Parteien

A. , erbeten vertreten durch Rechtsanwalt Hans-Jörg Metz,

Gesuchsteller

gegen

1. B. , Rechtsanwalt,

2. BUNDESANWALTSCHAFT , vertreten durch
Staatsanwalt des Bundes Cédric Remund,

Gesuchsgegner

Gegenstand

Wechsel der amtlichen Verteidigung


Die Vorsitzende erwägt:

1. Die Bundesanwaltschaft (BA) führt seit November 2015 ein Strafverfahren u.a. gegen A. wegen Betrugs (Art. 146 Abs. 1 StGB ).

Mit Verfügung vom 9. März 2017 bestellte die BA Rechtsanwalt B. mit sofortiger Wirkung als amtlichen Verteidiger von A.

Am 5. August 2019 erhob die BA Anklage gegen A. und mitbeschuldigte Personen bei der Strafkammer des Bundesstrafgerichts.

Der Beginn der Hauptverhandlung wurde auf den 9. März 2020 angesetzt.

Mit Schreiben seines deutschen Anwalts Hans-Jörg Metz vom 9. Januar 2020 ersuchte A. die Verfahrensleiterin um einen Wechsel der amtlichen Verteidigung (TPF 139.522.16 ff.).

Die BA und RA B. nahmen je mit Eingabe vom 23. Januar 2020 Stellung zum Gesuch (TPF 139.510.218 ff., 139.522.42 ff.).

Mit Eingabe von RA Metz vom 29. Januar 2020 hielt der Gesuchsteller an seinem Begehren fest (TPF 139.522.46 ff.).

2.

2.1 Der Gesuchsteller bringt vor, das Vertrauensverhältnis zu seinem amtlichen
Verteidiger sei aufgrund von dessen pflichtwidrigen Verhalten erheblich und
irreparabel gestört. Der amtliche Verteidiger sei aufgrund einer völligen Überlastung in seiner Anwaltskanzlei den Herausforderungen des Verfahrens ab
Sommer 2019 nicht mehr gewachsen. Im Vordergrund steht der Vorwurf, der amtliche Verteidiger habe es anlässlich der Zeugeneinvernahme von C. unterlassen, die vom Gesuchsteller vorbereiteten Ergänzungsfragen an den Zeugen zu stellen. Nebst diesem zentralen Vorwurf macht der Gesuchsteller weitere
Vertrauensverletzungen des amtlichen Verteidigers geltend. Namentlich seien die vom Gesuchsteller vorbereiteten Schriftsätze und erarbeiteten Beweisanträge nicht abgeschickt, ihm wichtige Eingänge nicht oder nur verzögert
zugeleitet, Besprechungen mit den Verteidigern der Mitbeschuldigten teils gegen seinen Willen durchgeführt und nicht ausreichend protokolliert worden (TPF 139.522.16 ff.).

2.2 RA B. äusserte sich mit E-Mail-Schreiben vom 6. Januar 2020 an RA Metz sowie in seiner Eingabe an das Gericht vom 23. Januar 2020 zu den Beanstandungen des Gesuchstellers. Aus seiner Sicht habe er den Gesuchsteller bis dato gut
vertreten. Er widersetze sich jedoch dem Gesuch nicht, zumal auch aus seiner Sicht das Vertrauensverhältnis zu seinem Mandanten erheblich beschädigt
worden sei, nachdem dieser dem Gericht die interne Korrespondenz mit seinem Verteidiger als Beilage zum Gesuch zugeleitet habe (TPF 139.522.24 f./42 ff.).

2.3 Aus Sicht der BA liegen keine Umstände vor, die einen Wechsel der amtlichen Verteidigung erfordern würden (TPF 139.510.219 ff.).

3. Gemäss Art. 134 Abs. 2 überträgt die Verfahrensleitung die amtliche Verteidigung einer anderen Person, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen der
beschuldigten Person und ihrer amtlichen Verteidigung erheblich gestört oder eine wirksame Verteidigung aus andern Gründen nicht mehr gewährleistet ist. Die gesetzliche Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass eine engagierte und effiziente Verteidigung nicht nur bei objektiver Pflichtverletzung der Verteidigung, sondern bereits bei erheblich gestörtem Vertrauensverhältnis beeinträchtigt sein kann. Wird die subjektive Sichtweise des Beschuldigten in den Vordergrund gestellt, bedeutet dies aber nicht, dass allein dessen Empfinden für einen Wechsel der Verteidigung ausreicht. Vielmehr muss die Störung mit konkreten Hinweisen, die in nachvollziehbarer Weise für ein fehlendes Vertrauensverhältnis sprechen, belegt und objektiviert werden. In den Grenzen einer sorgfältigen und effizienten Ausübung des Offizialmandates ist die Wahl der Verteidigungsstrategie grundsätzlich Aufgabe des amtlichen Verteidigers. Zwar hat er die objektiven Interessen des Beschuldigten möglichst im gegenseitigen Einvernehmen und in Absprache mit diesem zu wahren; der Offizialverteidiger agiert jedoch im
Strafprozess nicht als blosses unkritisches Sprachrohr seines Klienten. Insbesondere liegt es im pflichtgemässen Ermessen des amtlichen Verteidigers zu entscheiden, welche Prozessvorkehren und juristischen Standpunkte er (im Zweifelsfall) als sachgerecht und geboten erachtet. Für einen Verteidigerwechsel genügt deshalb nicht, wenn die Verteidigung eine problematische, aber von der beschuldigten Person gewünschte und verlangte Verteidigungsstrategie nicht übernimmt. Bei umfangreichen oder komplexen Straffällen und nach längerer Ausübung des Mandats, ist der Wechsel der amtlichen Verteidigung nur mit
Zurückhaltung zu bewilligen. Zu vermeiden ist eine dadurch bewirkte Verletzung des Beschleunigungsgebotes, etwa durch Verschiebung der bereits terminierten Hauptverhandlung (Urteil des Bundesgerichts 1B_397/2018 vom 16. Oktober 2018 E. 2.2 m.w.H.).

4.

4.1 Die Vorbringen des Gesuchstellers betreffen im Wesentlichen die Verteidigungsstrategie. Der Umstand, dass der Gesuchsteller und sein amtlicher Verteidiger diesbezüglich teilweise unterschiedliche Auffassungen vertreten, bildet keinen Grund für einen Anwaltswechsel, zumal RA B. nachvollziehbar darlegen konnte, weshalb er von bestimmten vom Gesuchsteller gewünschten Prozessvorkehren abgesehen hatte. So führte RA B. speziell zur Beanstandung seiner Verteidigungsleistung im Zusammenhang mit der Einvernahme von C. aus, der Zeuge habe kaum bzw. überhaupt nicht zu den relevanten Vorgängen Stellung nehmen können, weshalb er davon abgesehen habe, Fragen an den Zeugen zu stellen (TPF 139.522.24). Ein Pflichtversäumnis ist insoweit nicht auszumachen.

Die Behauptung, der amtliche Verteidiger habe dem Gesuchsteller wichtige
Eingänge nicht oder nur verzögert zugeleitet, bezieht sich, soweit substantiiert
vorgebracht, auf die Protokolle der Einvernahmen von C. und D. Aus den Akten geht indes hervor, dass die betreffenden Einvernahmeprotokolle dem Gesuchsteller jeweils wenige Tage nach deren Erhalt durch RA B. zugestellt wurden (vgl. BA pag. 16.3.511/601; TPF 139.522.21). Der Vorwurf ist mithin unbegründet. Ebenso wenig verfängt der Vorwurf, RA B. habe Besprechungen mit den Mitverteidigern teils gegen den Willen des Gesuchstellers durchgeführt und nicht
ausreichend protokolliert. Eine Protokollierung von Besprechungen unter den Verteidigern der mitbeschuldigten Personen entspricht nicht der üblichen Praxis. Aus dem erwähnten E-Mail-Schreiben von RA B. an RA Metz ergibt sich, dass der Gesuchsteller über den Inhalt einer Besprechung unter den Verteidigern
mittels einer Aktennotiz von RA B. orientiert wurde (TPF 139.522.24). Die
Behauptung des Gesuchstellers, RA B. habe zum Teil gegen seinen Willen
Besprechungen mit den Mitverteidigern durchgeführt, ist wiederum zu pauschal gehalten, als dass sie überprüft werden könnte.

Nicht substantiiert ist schliesslich auch der generelle Vorwurf, RA B. sei aufgrund der Überlastung seiner Anwaltskanzlei mit der Mandatsführung überfordert. In seiner Stellungnahme führte RA B. dazu aus, der personelle Wechsel in seiner Kanzlei habe aus seiner Sicht keine Auswirkungen auf die Qualität der Verteidigungsarbeit, zumal Ende November 2019 ein Teilzeitmitarbeiter speziell für
dieses Strafverfahren eingestellt worden sei (TPF 139.522.43). Es bestehen
keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der amtliche Verteidiger den Herausforderungen des Verfahrens nicht gewachsen sein könnte.

4.2 Auch soweit RA B. in seiner Stellungnahme geltend macht, das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem Mandanten sei erheblich gestört worden, führt das zu keiner abweichenden Beurteilung. Der diesbezüglich angeführte
Umstand, dass der Gesuchsteller seinem Gesuch interne Korrespondenz mit
seinem Anwalt beigelegt hat (TPF 139.522.44), stellt keinen nachvollziehbaren Grund für den behaupteten Vertrauensverlust dar. Es ist dem Verteidiger
zuzumuten, den Gesuchsteller im Strafverfahren weiter zu vertreten.

4.3 Zusammenfassend fehlen vorliegend konkrete und objektive Hinweise, die für eine erhebliche Störung des Vertrauensverhältnisses sprechen würden. Dem Gesuch um Wechsel der amtlichen Verteidigung ist folglich nicht stattzugeben.

5. Über die Kosten dieser Verfügung ist im Urteil zu befinden.

Die Vorsitzende verfügt:

1. Das Gesuch um Wechsel der amtlichen Verteidigung wird abgewiesen.

2. Über die Kosten wird im Urteil befunden.

Im Namen der Strafkammer

des Bundesstrafgerichts

Die Vorsitzende Der Gerichtsschreiber

Zustellung an

Rechtsanwalt Hans-Jörg Metz

Rechtsanwalt B.

Bundesanwaltschaft

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Verfügungen und Beschlüsse sowie die Verfahrenshandlungen der Strafkammer des Bundesstrafgerichts als erstinstanzliches Gericht, ausgenommen verfahrensleitende Entscheide, kann innert 10 Tagen schriftlich und begründet Beschwerde bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts geführt werden (Art. 393 Abs. 1 lit. b und Art. 396 Abs. 1 StPO ; Art. 37 Abs. 1 StBOG ).

Mit der Beschwerde können gerügt werden: Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung; die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts sowie Unangemessenheit (Art. 393 Abs. 2 StPO ).

Versand: 10. Februar 2020

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