Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Strafkammer |
Fallnummer: | SK.2006.15A |
Datum: | 03.01.2007 |
Leitsatz/Stichwort: | Unterstützung einer kriminellen Vereinigung etc. (Ausstand von Bundesstrafrichter G.) |
Schlagwörter : | Recht; Verhandlung; Vorsitz; Vorsitzende; Bundesstrafrichter; Rechtsanwalt; Verfahren; Klagt; Anklage; Verschiebung; Hauptverhandlung; Verteidiger; Ausstand; Kammer; Ablehnung; Angeklagte; Gericht; Angeklagten; Bundesanwalt; Verfahrens; Luginbühl; Bundesanwaltschaft; Partei; Fürsprecher; Akten; Handlung; Richter; Verfügung; Rügt; Handlungen |
Rechtskraft: | Kein Weiterzug, rechtskräftig |
Rechtsnorm: | Art. 100 BGG ; Art. 132 BGG ; Art. 30 BV ; Art. 6 EMRK ; Art. 9 BGG ; Art. 97 BGG ; |
Referenz BGE: | 124 I 121; 126 III 249; ; |
Kommentar zugewiesen: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: SK.2006.15 |
Entscheid vom 3. Januar 2007 | ||||||||||||||
Besetzung | Bundesstrafrichter Peter Popp, Vorsitz , | |||||||||||||
Parteien |
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gegen | ||||||||||||||
Schweizerische Bundesanwaltschaft , vertreten durch den stellvertretenden Bundesanwalt Claude Nicati, Postfach, 3003 Bern, | ||||||||||||||
Gegenstand | Unterstützung einer kriminellen Vereinigung etc. (Ausstand von Bundesstrafrichter G.) |
Sachverhalt
Die Strafkammer erwägt:
Mit den Gesuchen wird geltend gemacht, Bundesstrafrichter G. habe durch seine prozessleitenden Handlungen als Vorsitzender der Strafkammer die Rechte der Verteidigung übermässig und unnötigerweise beschnitten und dadurch den Anschein erweckt, gegenüber den Angeklagten befangen zu sein.
Die Gesuchsteller berufen sich auf den Ablehnungsgrund des Anscheins von Befangenheit und begründen ihn mit den prozessleitenden Handlungen von Bundesstrafrichter G., die in den Akten des Hauptverfahrens dokumentiert sind. Sie sind daher ausreichend substanziiert.
Die Begehren wurden eine Woche nach Zugang der alle Parteien betreffenden Verfügung vom 11. Dezember 2006 sowie des Briefes vom 12. Dezember 2006 an Rechtsanwalt Frei abgefasst. Weil die Zeitbestimmung von Art. 25 Abs. 2 OG im Lichte von Abs. 3 als Ordnungsvorschrift erscheint und ein Verzicht auf die Garantie des unparteiischen Richters (Art. 6 Abs. 1 EMRK , Art. 30 Abs. 1 BV) möglich, aber nicht leichthin anzunehmen ist (in diesem Sinne BGE 126 III 249 , 254), erweisen sie sich als rechtzeitige Reaktion auf die genannten richterlichen Handlungen, welche zu der von den Gesuchstellern gerügten Verhandlungsführung gehören.
Auf die Ausstandsbegehren ist folglich einzutreten.
Für das Hauptverfahren wurde durch Verfügung vom 9. November 2006 Französisch als Verhandlungssprache bestimmt, weil keiner der Angeklagten eine Landes- zur Muttersprache hat, die Mehrzahl jedoch Kenntnisse des Französischen haben und die Akten jedoch überwiegend in dieser Sprache abgefasst sind. Da mit einer Ausnahme die Ablehnungsbegehren in Deutsch redigiert sind, ist der Entscheid darüber in Deutsch zu verfassen (Art. 97 Abs. 1 BStP ).
Bundesstrafrichter G. setzt dem entgegen, dass die Verteidiger während der langen, kontradiktorisch geführten Voruntersuchung ausreichend Gelegenheit gehabt hätten, sich mit den gegen ihre Klienten gerichteten Vorwürfen vertraut zu machen und dass ihnen im Juni 2005 die Akten eröffnet worden seien mit der Möglichkeit, zusätzliche Beweise zu beantragen. Dafür sei ihnen auch im gerichtlichen Verfahren eine längere Frist zugestanden worden.
Bei der Festlegung des Termins der Hauptverhandlung muss auf die gerichtsorganisatorischen Rahmenbedingungen Rücksicht genommen und den Parteirechten sowie dem Öffentlichkeitsprinzip Rechnung getragen werden. Zu den Ersteren gehörte im konkreten Fall, dass der der Strafkammer ordentlicherweise zur Verfügung stehende Saal im Pretorio zu Bellinzona zu klein ist, um Verhandlungen mit so vielen Parteien und dem in einem solchen Fall zu erwartenden Publikumsinteresse zu entsprechen. Das machte notwendig, in den Saal des kantonalen Strafgerichtes in Lugano auszuweichen. Der Gesamtgerichtspräsident richtete am 18. Oktober 2006 eine entsprechende Anfrage an die Präsidentin des kantonalen Gerichts für einen Verhandlungstermin zu Anfang 2007 und erhielt am 26. Oktober 2006 eine Zusage für den Januar 2007. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, wenn der Vorsitzende am 9. November 2006 den Verhandlungsbeginn auf den 22. Januar 2007 festlegte, ohne mit der Bundesanwaltschaft und den Verteidigern Rücksprache zu nehmen, und wenn er daran festhielt, obwohl ihm die Verteidiger zwei Verhandlungswochen im März 2007 vorschlugen. Zwar ist einzuräumen, dass die Verteidiger nicht verpflichtet sind, beim Aktenstudium und bei ihren Beweisanträgen am Ende der Voruntersuchung sich auf alle möglichen Anklagen einzurichten, zumal sie erst der Schlussbericht darüber informiert, wie der Sachverhalt richterlich gewürdigt werden könnte. Auch besteht keine Verpflichtung, den Verfahrensstoff intensiv zu bearbeiten, bevor sich die Anklagebehörde festgelegt hat, die den Sachverhalt anders als der Untersuchungsrichter werten kann und es im vorliegenden Fall auch tat. Liegt die Anklage vor, so steht das Thema der Verteidigung aber fest, und nachdem der Vorsitzende den Verhandlungstermin bestimmt hat, waren und sind die Parteien gehalten, alles daran zu setzen, um sich auf diesen Zeitraum vorzubereiten. Das schliesst Verschiebungsgesuche nicht aus, die jedoch nicht allein damit begründet werden können, dass andernorts Verhandlungstermine auf einen längeren Zeithorizont hinaus bestimmt werden oder dass die Bundesanwaltschaft allenfalls mehr Zeit für die Ausarbeitung der Anklage genommen hat, als in Berücksichtigung des Beschleunigungsgebotes (Art. 6 Abs. 1 EMRK ) angemessen gewesen wäre. Die Ablehnung der Verschiebungsgesuche ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden.
Auf dieses Vorbringen kann deshalb nicht eingetreten werden, weil die Rechtsanwälte Vogelsang und Lattion den von Art. 25 Abs. 2 OG verlangten Dokumentenbeweis für die Vorladungen anderer Instanzen nicht erbracht haben. Abgesehen davon lag auf der Hand, dass ein Termin für die Verhandlung gegen sieben Angeklagte nicht leicht gefunden werden kann, und der Vorsitzende hat ihnen dies bei der Ablehnung des ersten Verschiebungsantrages in Erinnerung gerufen. Eine Verfahrensauftrennung war angesichts des inneren Zusammenhangs der den einzelnen Angeklagten vorgeworfenen Handlungen nicht angezeigt, zumal ja auch in solchen Fällen das Recht, Fragen an Mitangeklagte zu richten, gewahrt werden muss. Es ist den Gesuchstellern zwar zuzugestehen, dass durch eine Substitution teilweise doppelter anwaltlicher Aufwand anfällt und dass die Zeit für die Einarbeitung eines anderen Anwalts zu voller Interessenwahrung knapp oder ungenügend sein kann. In einer solchen Situation hätte aber Anlass bestanden, bei den kantonalen Gerichten um Terminverschiebung nachzusuchen und auf die Situation des Prozesses vor Bundesstrafgericht hinzuweisen. Solange solche Versuche nicht unternommen und ihr Scheitern nicht dokumentiert wurde, ist das Festhalten am Verhandlungstermin nicht zu beanstanden.
Ferner rügt er, dass kein Verfahrensprogramm oder verbindlicher Endtermin festgesetzt worden sei. Das erste ist keine präsidiale Pflicht im Stadium der Prozessvorbereitung, wird der Ablauf der Hauptverhandlung, namentlich des Beweisverfahrens, erst nach deren Eröffnung und nach einem gerichtlichen Entscheid über Beweisergänzungen festgelegt (vgl. Art. 146 Abs. 1 und Art. 158 Abs. 1 BStP). Das Verhandlungsende wurde zwar in der Verfügung vom 9. November 2006 noch offen gelassen, jedoch im Schreiben vom 16. November 2006 an Rechtsanwalt Lattion, wovon Fürsprecher Luginbühl Kenntnis erhielt, auf den 26. Januar 2007 festgelegt. Diese Rügen sind folglich unbegründet.
Fürsprecher Luginbühl bringt schliesslich vor, der Hauptverhandlungstermin sei möglicherweise einseitig mit der Bundesanwaltschaft abgesprochen worden. Dies wird von Bundesstrafrichter G. verneint und dafür finden sich auch keine Anhaltspunkte in den Akten.
5.4 Es erweist sich damit, dass in keiner der bisherigen Handlungen von Bundesstrafrichter G. eine Pflichtverletzung zu erblicken ist. Auch die Form, in der sie vollzogen wurden, insbesondere die schriftlichen Gründe sind korrekt. Die richterlichen Handlungen erwecken somit weder je für sich genommen noch in ihrer Gesamtwirkung den Anschein einer Befangenheit zum Nachteil eines oder mehrerer Angeklagten respektive ihrer Verteidiger. Die Ablehnungsbegehren sind daher abzuweisen.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Verfahrenskosten den unterliegenden Angeklagten aufzuerlegen, anteilsmässig unter Solidarhaft, und besteht kein Anspruch auf Entschädigung (Art. 156 Abs. 1 und 7 sowie Art. 159 OG i.V.m. Art. 132 Abs. 1 BGG und Art. 245 Abs. 1 BStP ). Die Gerichtsgebühr ist gemäss Art. 245 Abs. 2 BStP auf Fr. 1'000.- festzulegen und von den unterliegenden Angeklagten zu je einem Sechstel zu tragen.
Die Strafkammer erkennt:
1. Auf die Verschiebungsgesuche der Gesuchsteller 1, 2 und 6 wird nicht eingetreten.
2. Die Ablehnungsbegehren werden abgewiesen.
3. Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.- bezahlen die Gesuchsteller zu je einem Sechstel unter solidarischer Haftbarkeit für den ganzen Betrag.
Im Namen der Strafkammer
des Bundesstrafgerichts
Der Vorsitzende Die Gerichtsschreiberin
Gegen Entscheide der Strafkammer des Bundesstrafgerichts über Ausstandsbegehren kann beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, innert 30 Tagen nach der Zustellung der vollständigen Urteilsausfertigung Beschwerde eingelegt werden (Art. 78 , Art. 80 Abs. 1 , Art. 92 und Art. 100 Abs. 1 BGG ). Mit der Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 BGG ). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). |
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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