Bundesgerichtsentscheid

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Bundesgerichtsentscheid 146 IV 267 vom 17.08.2020

Dossiernummer:146 IV 267 - neu: 6B_40/2020
Datum:17.08.2020
Schlagwörter (i):Vollzug; Vollzugs; Kinder; Beschwerde; Recht; Vollzug; Beschwerdeführerin; Freiheit; Freiheitsstrafe; Urteil; Kindes; Urteil; Person; Kindern; Mutter; Besuch; Vollzugsform; Kanton; Luzern; Rechte; Kindeswohl; Betreuung; Vorinstanz; Vollzugs; Grosshof; Rechtlich; Trennung; Kantons; Gesetzmässige

Rechtsnormen:

BGE: 142 III 481, 144 III 481, 145 IV 252, 106 IV 321, 141 III 328, 132 III 359, 126 II 377, 144 III 442, 144 III 10, 143 I 21, 145 IV 161, 140 I 99, 141 IV 249

Artikel: Art. 3 KRK , Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 StGB , Art. 80 StGB , Art. 5 EMRK , Art. 1 BV , Art. 372 StGB , Art. 439 StPO , Art. 8 StGB , Art. 75 StGB , Art. 80 StGB , Art. 79 EMRK , Art. 13 BV , Art. 10 UNO-Pakt II, Art. 8 EMRK , Art. 2 BV , Art. 8 BV , Art. 372 StGB , Art. 439 StPO , Art. 75 StGB , Art. 77 StGB , Art. 42 StGB , Art. 79 StGB , Art. 77b Abs. 1 BGE 146 IV 267 S. 274, Art. 77 StGB , Art. 80 Abs. 1 lit. a oder lit. b StGB, Art. 4 KRK, Art. 11 BV , Art. 307 ZGB , Art. 9 KRK , Art. 3 KRK, Art. 81 BGG , Art. 9 BV

Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Urteilskopf

146 IV 267


28. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern und Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern (Beschwerde in Strafsachen)
6B_40/2020 vom 17. August 2020

Regeste

Art. 5 Ziff. 1 EMRK; Art. 11 BV; Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 KRK ; Art. 372 Abs. 1 und 3 StGB ; Art. 439 Abs. 2 StPO; Strafvollzug, Vollzugsbefehl, Kindeswohl.
Der Strafvollzug ist die zwingende gesetzliche Rechtsfolge der Straftat (E. 3.2.1).
Die Trennung der Mutter von ihrem Kind ist eine zwangsläufige, unmittelbar gesetzmässige Folge des Vollzugs der Freiheitsstrafe und der damit verbundenen Nebenfolgen (E. 3.2.2).
Das StGB und das kantonale Konkordatsrecht kennen zahlreiche Vollzugsformen für Freiheitsstrafen (E. 3.2.4).
Weder die Bestimmungen der BV noch jene der KRK und der anderen menschenrechtlichen Übereinkommen hindern den Vollzug der gesetzmässigen Freiheitsstrafe. Der verurteilte Elternteil ist nicht berechtigt, gegen die Vollzugsverfügung Rechte der Kinder in eigenem Namen geltend zu machen (E. 3.3.3).
Soweit die verurteilte Person nicht selber eine Betreuung ihrer Kinder organisiert, wird dies Aufgabe der Kindesschutzbehörde (KESB) sein. Das ist keine Frage des Vollzugsrechts (E. 3.4.3).

Sachverhalt ab Seite 268

BGE 146 IV 267 S. 268

A. A. wurde mit dem auf das bundesgerichtliche Rückweisungsurteil 6B_687/2016 vom 12. Juli 2017 hin ergangenen Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 21. November 2017 wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (BetmG) und mehrfacher Geldwäscherei, jeweils begangen als schwerer Fall, zu
BGE 146 IV 267 S. 269
einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten (unter Anrechnung von 138 Tagen Untersuchungshaft) und zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 30.- (bedingt vollziehbar bei 3 Jahren Probezeit) verurteilt. Das Strafurteil erwuchs in Rechtskraft.

B. Die Dienststelle Militär, Zivilschutz und Justizvollzug, Abteilung Vollzugs- und Bewährungsdienst (nachfolgend: VBD), lud A. mit Vollzugsbefehl vom 26. Februar 2019 zum Strafantritt per 25. März 2019 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Hindelbank vor. Sie führte gegen die Vollzugsverfügung am 19. März 2019 beim Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern Verwaltungsbeschwerde. Das Departement wies diese Beschwerde am 15. Mai 2019 ab.

C. A. erhob am 5. Juni 2019 Verwaltungsgerichtsbeschwerde, welche das Kantonsgericht Luzern am 14. November 2019 abwies. Das Kantonsgericht setzte den Strafantritt neu auf den 28. Januar 2020 fest und entschied, dass sie die Strafe in der Justizvollzugsanstalt Grosshof in Kriens anzutreten habe, wobei die übrigen Anordnungen des VBD weiterhin gelten würden. Es hiess das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gut, auferlegte die Verfahrenskosten einstweilen dem Staat (Ziff. 4.1), erhob für das Verfahren der unentgeltlichen Rechtspflege keine Kosten (Ziff. 4.2) und setzte die Anwaltsentschädigung vorbehältlich der Nachzahlungspflicht (§ 204 Abs. 4 VRG/LU) fest (Ziff. 4.3).

D. A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das vorinstanzliche Urteil in den Ziff. 1 (Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde) und 4 (Kosten- und Entschädigungsfolgen) aufzuheben und den Vollzug der Freiheitsstrafe aufzuschieben, bis mit dem Kindeswohl vereinbare Haftbedingungen geschaffen seien; eventualiter ihr den offenen Vollzug mittels Fussfessel zwecks Wahrung des Kindeswohls zu gewähren bzw. sie in eine Haftanstalt in der Nähe der Kinder einzuweisen, so dass tatsächlich ein regelmässiger Kontakt und regelmässige Besuche möglich seien; ihr die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Die Beschwerdeführerin bringt gegen den Vollzugsbefehl vor, sie sei alleinerziehende Mutter und Hauptbezugsperson eines 6-jährigen
BGE 146 IV 267 S. 270
Sohnes (geb. 2013), der an Schlafstörungen leide, und einer 13-jährigen Tochter (geb. 2007), die an einer Muskelerkrankung mit progredienter Skoliose leide. Sie beantragt sinngemäss, ein über den üblichen Rahmen im Strafvollzug hinaus erweitertes - vorzugsweise tägliches - Kontaktrecht zu ihren beiden Kindern zuzulassen und sie hierzu in einer geeigneten Strafanstalt unterzubringen bzw. eine für diese Bedürfnisse angepasste andere Vollzugsform anzuordnen. Sie wirft der Vorinstanz die Verletzung zahlreicher Bestimmungen der BV und des Völkerrechts vor, namentlich des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (UNO-Kinderrechtskonvention, KRK; SR 0.107).
Sie fordert unter Hinweis auf die Art. 3 Abs. 1, 4, 9 und 37 KRK, es sei zu prüfen, ob sie als alleinerziehende Mutter Anspruch auf eine abweichende Vollzugsform im Sinne von Art. 80 StGB oder auf Haftvollzug in der Nähe der Kinder habe. Das schweizerische Gesetz sei lückenhaft. Eine Trennung von den Kindern mit mehr als 100 km Distanz (in concreto Luzern-Bern) bei nachgewiesenen Kinderkrankheiten komme einer Folter im Sinne von Art. 37 KRK und einer unmenschlichen Behandlung gleich, zumal andere mildere Mittel zur Verfügung stünden wie Halbgefangenschaft und Fussfessel. Sie beruft sich ferner auf Art. 7, 10, 13, 14 BV, Art. 10 Ziff. 1 (Recht auf Familie) UNO-Pakt I (SR 0.103.1), Art. 7 (Folter und unmenschliche Behandlung) und Art. 10 (Menschenwürde inhaftierter Personen) UNO-Pakt II (SR 0.103.2), Art. 3 EMRK, § 10 KV/LU (SR 131.213) und § 10 des Gesetzes des Kantons Luzern vom 14. September 2015 über den Justizvollzug (JVG; SRL 305) und macht Rechtsverweigerung geltend.
Der Vollzug in Hindelbank und die Trennung von den Kindern sei unverhältnismässig. Er führe zu einer Fremdplatzierung. Als Alleinerziehende sei sie unersetzbar. Die Tat liege zudem fast 10 Jahre zurück. Es sei eine alternative Vollzugsform zuzulassen. Sie beruft sich auf Art. 75 und 80 StGB , Art. 13 Abs. 1 BV, Art. 8 EMRK, Art. 3 Abs. 1, 4, 9, 37 KRK und Art. 10 UNO-Pakt II. Die Vorinstanz nehme keine echte Interessenabwägung gemäss Art. 8 Ziff. 2 EMRK vor. Für vom Normalvollzug abweichende Vollzugsformen bei Elternteilen mit minderjährigen Kindern bestehe im innerstaatlichen Recht eine Gesetzeslücke, die vom Gesetzgeber auszufüllen sein werde.
Zudem verletze die Vorinstanz ihre Abklärungs- und Begründungspflicht und mithin das rechtliche Gehör (Art. 29 BV). Während der
BGE 146 IV 267 S. 271
Weg zur JVA Grosshof ca. 15 Minuten betrage und ein Kurzbesuch in ca. eineinhalb Stunden durchgeführt werden könne, benötige man nach Bern mehr als eine Stunde Fahrt, so dass ein Besuch einen Aufwand von rund 4 Stunden bedinge. Ein Kurzbesuch im Grosshof sei täglich möglich, ein Besuch in Hindelbank müsse auf lange Sicht organisiert werden. "Das Kindeswohl schreit nach tatsächlicher Umsetzung und nicht nach theoretischem Anspruch auf Durchführung der Besuche". Sie rügt weiter die Verletzung der Mitwirkungspflicht (Ergänzung des Sachverhalts, rechtliches Gehör und Willkür).

3.2

3.2.1 Für den Strafvollzug massgebend ist zunächst das Landesrecht. Der Strafvollzug ist die zwingende gesetzliche Rechtsfolge der Straftat. Der Vollzug von Freiheitsstrafen ist in qualitativer und quantitativer Hinsicht sicherzustellen; dies gilt für alle zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten, ungeachtet ihrer persönlichen Merkmale, Eigenschaften und Umstände und nötigenfalls auch gegen ihren Widerstand (ANDREA BAECHTOLD UND ANDERE, Strafvollzug, 3. Aufl. 2016, S. 26). Das verfassungsrechtliche Gleichheitsprinzip von Art. 8 Abs. 1 BV ("Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich") gilt auch im Strafvollzug (ETIENNE GRISEL, Egalité, Les garanties de la Constitution fédérale du 18 avril 1999, 2000, S. 139). Der Vollzugsauftrag schliesst neben dem Sicherheitsauftrag die Gewährleistung der Rechtmässigkeit des Vollzugs ein. Dieser Rahmen wird durch die Gesamtheit der Rechtsordnung bestimmt (BAECHTOLD UND ANDERE, a.a.O., S. 29). Gemäss Art. 92 StGB darf der Vollzug nur aus wichtigen Gründen unterbrochen werden, d.h. er erfolgt grundsätzlich am Stück. Das Vollzugsrecht (Art. 75 ff. StGB; kantonales Konkordatsrecht) geht dabei von einem progressiven System auf dem Weg in die Freiheit aus (STEFAN HEIMGARTNER, in: StGB, JStG Kommentar, 20. Aufl. 2018, N. 1 zu Art. 92 StGB).
Die Kantone vollziehen die von ihren Strafgerichten auf Grund des StGB ausgefällten Urteile; sie gewährleisten einen einheitlichen Vollzug strafrechtlicher Sanktionen ( Art. 372 Abs. 1 und 3 StGB ). Der Vollzug von Strafen und somit auch der hier fragliche Strafantritt richten sich grundsätzlich nach kantonalem Recht (Art. 372 Abs. 1 StGB; Art. 439 Abs. 1 StPO). Die Vollzugsbehörde veranlasst mit dem Vollzugsbefehl (Art. 439 Abs. 2 StPO) den effektiven Eintritt des Verurteilten in eine Vollzugsanstalt (Urteil 6B_1018/2018 vom 10. Januar 2019 E. 3).
BGE 146 IV 267 S. 272
Das öffentliche Interesse am Vollzug rechtskräftig verhängter Strafen und der Gleichheitssatz schränken den Ermessensspielraum der Vollzugsbehörde hinsichtlich einer Verschiebung des Strafvollzugs erheblich ein. Der Strafvollzug bedeutet für die betroffene Person immer ein Übel, das von den einen besser, von den anderen weniger gut ertragen wird. Selbst die Möglichkeit, dass Leben oder Gesundheit der verurteilten Person gefährdet sein könnten, genügt nicht für einen Strafaufschub auf unbestimmte Zeit. Verlangt wird, dass mit beträchtlicher Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist, der Strafvollzug gefährde Leben oder Gesundheit der betroffenen Person. Selbst in diesem Fall ist eine Abwägung von öffentlichen und privaten Interessen vorzunehmen, wobei neben den medizinischen Gesichtspunkten auch die Art und Schwere der begangenen Tat und die Dauer der Strafe zu berücksichtigen sind (Urteil 6B_1018/2018 vom 10. Januar 2019 E. 3).

3.2.2 Unbestreitbar stellt der Straf- oder Massnahmenvollzug für die betroffene Person, das Kind sowie die Partnerschaft eine Belastung dar und ist er für jeden in ein familiäres Umfeld eingebetteten Täter mit einer gewissen Härte verbunden; die Trennung von seinem Kind ist eine zwangsläufige, unmittelbar gesetzmässige Folge des Vollzugs der Freiheitsstrafe und der damit verbundenen Nebenfolgen (Urteil 6B_243/2016 vom 8. September 2016 E. 3.4.2). Bei medizinischen Gründen wurden solche Umstände namentlich bejaht bei Gehirnverletzten, Schwerkranken, unter Haftpsychose Leidenden oder Taubstummen (Urteil 6B_1079/2016 vom 21. März 2017 E. 1.4.5 mit Hinweisen). Im Urteil 6B_540/2010 vom 21. Oktober 2010 E. 1.4.2 hielt das Bundesgericht fest:
"Es ist nicht zu bestreiten, dass ein Strafvollzug für die Beschwerdeführerin sowie ihren Sohn, welchen sie derzeit alleine betreut, eine Belastung darstellt. Denn das Kind wird während des Strafvollzugs der Beschwerdeführerin auf eine Fremdbetreuung angewiesen sein und von seiner Mutter als Bezugsperson vorübergehend getrennt leben. Dies stellt jedoch eine unvermeidbare Konsequenz der freiheitsentziehenden Sanktion dar, welche sich die Beschwerdeführerin bereits im Zeitpunkt der Tathandlungen, als sie schwanger war, vor Augen führen musste. Dass sich eine Fremdbetreuung nicht in angemessener Weise gewährleisten liesse, bringt die Beschwerdeführerin zu Recht nicht vor. Nichts herleiten kann sie aus dem Umstand, dass ihr Kontakt zur Tochter durch den Strafvollzug massvoll limitiert wird."

3.2.3 Aus der Rechtsprechung zur Rechtsfolgenorientierung (Urteil 6B_627/2018 vom 22. März 2018 E. 1.7) ergeben sich keine weiter
BGE 146 IV 267 S. 273
zu prüfende Gesichtspunkte. Dem zitierten Urteil 6B_540/2010 lässt sich entnehmen, was ohnehin gilt, dass auch alleinerziehende Eltern die Rechtsfolge ihrer Straftat, den Strafvollzug, zu dulden haben.
Das Bundesgericht hatte bei einer vergleichbaren Vollzugsfrage (3 Jahre und 6 Monate Freiheitsstrafe wegen schwerer BetmG-Delinquenz; Anrechnung von 485 Hafttagen) eine Vollzugsentscheidung vom 17. Juli 2008 gestützt, in welcher angenommen worden war, die bloss vorübergehende Trennung der Mutter von den Kindern wegen des Vollzugs der Freiheitsstrafe rechtfertige keine Ausnahme im Sinne von Art. 80 Abs. 1 StGB. Diese Bestimmung binde Abweichungen von den gesetzlichen Vollzugsregeln an präzise und einschränkende Voraussetzungen. Abweichungen hätten Ausnahmecharakter. Der Betreuung von Jugendlichen und Kindern der Jahrgänge 1990, 1999 und 2003 komme der gesetzliche Ausnahmecharakter nicht zu. Das Prinzip des "nil nocere" ändere an dieser Rechtslage nichts. Nach den Vollzugsgrundsätzen von Art. 75 Abs. 1 StGB habe der Strafvollzug "schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken". Beschränkungen der persönlichen Freiheit im Strafvollzug seien so auszugestalten, dass Haftschädigungen möglichst vermieden würden. Dieses Prinzip erlaube aber nicht, entgegen der gesetzlichen Normierung vom Strafvollzug abzusehen oder ihn in Form der Halbgefangenschaft (Art. 80 Abs. 1 bzw. Art. 77b und 79 StGB ) zu vollziehen (Urteil 6B_728/2008 vom 16. Januar 2009).

3.2.4 Die Beschwerde ist weitgehend rein appellativen Charakters. Es lässt sich nicht ad hoc eine Interpretation der Vollzugsgesetzgebung contra legem zugunsten der Beschwerdeführerin vornehmen. Das schweizerische Recht ist in den von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Fragen alternativer Strafvollzugsformen nicht lückenhaft. Das StGB und das kantonale Konkordatsrecht kennen zahlreiche Vollzugsformen für die Freiheitsstrafe (BAECHTOLD UND ANDERE, a.a.O., S. 128 ff.). Freiheitsstrafen von höchstens zwei Jahren werden in der Regel aufgeschoben (Art. 42 StGB) und Freiheitsstrafen von mindestens einem und höchstens drei Jahren können teilbedingt ausgesprochen werden (Art. 43 StGB). Die von der Beschwerdeführerin geforderten Vollzugsformen sind im Strafgesetzbuch ebenfalls klar geregelt. Der Gesetzgeber ist u.a. mit der Inkraftsetzung von Art. 79b StGB tätig geworden. Die elektronische Überwachung ist zulässig für Freiheitsstrafen bis zu 12 Monaten (Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB). Die Halbgefangenschaft kann für Freiheitsstrafen von nicht mehr als 12 Monaten unter den Bedingungen von Art. 77b Abs. 1
BGE 146 IV 267 S. 274
lit. a und b StGB
vollzogen werden. Von den für den Vollzug geltenden Regeln darf gemäss Art. 80 Abs. 1 lit. c StGB zur gemeinsamen Unterbringung von Mutter und Kleinkind abgewichen werden. Diese abweichende Vorschrift wirkt zugunsten von Frauen in der Zeit ihrer Schwangerschaft, der Geburt und der Zeit unmittelbar danach. Als "Kleinkinder" gelten Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr (CORNELIA KOLLER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2019, N. 13 zu Art. 80 StGB).

3.2.5 Die Beschwerdeführerin wurde mit rechtskräftigem Strafurteil vom 21. November 2017 zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Bei diesem hohen Strafmass scheiden die beantragten alternativen Vollzugsformen wie die Halbgefangenschaft (Art. 77b StGB) oder die elekronische Überwachung (Art. 79b StGB) aus. Angesichts der klaren Gesetzgebung lässt sich der Vollzug in Halbgefangenschaft oder mittels Fussfessel entgegen der Beschwerdeführerin nicht auf Art. 75 StGB (Grundsätze des Vollzugs) stützen. Eine Gesetzeslücke, welche durch die Rechtsprechung auszufüllen wäre, ist nicht ersichtlich. Eine Lücke im Gesetz besteht, wenn sich eine Regelung als unvollständig erweist, weil sie jede Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage schuldig bleibt. Eine Gesetzeslücke, die vom Gericht zu füllen ist, liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nur vor, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen, und dem Gesetz diesbezüglich weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann ( BGE 145 IV 252 E. 1.6.1 S. 256). Das ist offenkundig nicht der Fall. Schliesslich liegt auch keine Ausnahme im Sinne von Art. 80 Abs. 1 StGB vor. Die Beschwerdeführerin ist nicht Mutter von Kleinkindern, weshalb Art. 80 Abs. 1 lit. c StGB keine vom Normalvollzug abweichende Vollzugsform zulässt. Auch besteht weder eine Krankheit noch eine Schwangerschaft, die den Vollzug in einer "anderen geeigneten Einrichtung" nach Art. 80 Abs. 1 lit. a oder lit. b StGB erfordern würde (vgl. BGE 106 IV 321 E. 7). Das Landesrecht verleiht der Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf einen ihren Forderungen entsprechenden Strafvollzug.

3.3 Die Beschwerdeführerin beruft sich auf das Völkervertragsrecht.

3.3.1 Die UNO-Kinderrechtskonvention wurde wie alle internationalen Abkommen Bestandteil der schweizerischen Rechtsordnung, als sie am 26. März 1997 für die Schweiz in Kraft trat (Botschaft vom 29. Juni 1994 betreffend den Beitritt der Schweiz zum
BGE 146 IV 267 S. 275
Übereinkommen von 1989 über die Rechte des Kindes, BBl 1994 V 20). Gemäss dem "basic principle" von Art. 3 Abs. 1 KRK "ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist". Das "Wohl" des Kindes ("intérêts supérieurs", "best interests") ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der im Anwendungsfall der Konkretisierung durch die rechtsanwendenden Behörden bedarf (Botschaft, S. 26). Die Vertragsstaaten haben die Rechte zu gewährleisten und alle geeigneten Massnahmen zur Verwirklichung dieser Rechte zu ergreifen (Art. 4 KRK).
Das Kindeswohl geniesst gemäss Art. 11 BV Verfassungsrang und gilt als oberste Maxime des Kindesrechts in einem umfassenden Sinne ( BGE 141 III 328 E. 5.4 S. 340; BGE 132 III 359 E. 4.4.2 S. 373). Die Zielsetzungen von Art. 11 Abs. 1 BV und der KRK sind identisch ( BGE 126 II 377 E. 5d S. 391). Bei Gefährdung des Kindeswohls trifft die Kindesschutzbehörde die geeigneten Massnahmen (Art. 307 Abs. 1 ZGB; BGE 144 III 442 E. 4.1 S. 449). Für die Beurteilung sind immer die konkreten Umstände des Einzelfalls massgeblich ( BGE 142 III 481 E. 2.7 S. 494), insbesondere für die Regelung des persönlichen Verkehrs ( BGE 144 III 10 E. 7.2 S. 18, BGE 144 III 481 E. 4.5 S. 489 f.). Zur Betreuung geht die neueste Rechtsprechung von einer Gleichwertigkeit der Eigen- und Fremdbetreuung aus ( BGE 144 III 481 E. 4.6.3 und 4.7 S. 493 f.). Dabei wird angenommen, dass die stabile Bindung an eine Betreuungsperson zur Ausprägung des "Urvertrauens" im ersten Lebensjahr wichtig ist, jedoch für die weitere Entwicklung des Kindes primär die Qualität der in verschiedenen Formen möglichen Betreuung entscheidend ist ( BGE 144 III 481 E. 4.7.4 S. 495 f.).
Hinsichtlich der konkreten Regelung der Kinderbetreuung und Ausgestaltung des persönlichen Verkehrs wird oft kein Idealzustand zu erreichen sein. In dieser Situation sind die Gerichte gehalten, eine der neuen Situation angepasste Betreuungs- und Kontaktregelung zu treffen, welche Art. 9 Abs. 3 KRK genügt ( BGE 142 III 481 E. 2.8 S. 496; BGE 143 I 21 E. 5.5.1 S. 29). Dass der persönliche Verkehr weniger häufig wird stattfinden können und für alle Beteiligten mit erhöhtem Aufwand verbunden ist, hindert die gesetzmässige Entscheidung nicht. Mit einem monatlichen Besuchsrecht kann eine tragfähige Beziehung aufrechterhalten werden ( BGE 142 III 481 E. 2.8 f. S. 496 f.).
Zahlreiche Normen der KRK sind ähnlich oder inhaltsgleich auch in anderen universellen Menschenrechtsverträgen kodifiziert,
BGE 146 IV 267 S. 276
insbesondere im UNO-Pakt II und in der EMRK. Die Rechte der KRK gehen anderen Menschenrechten nicht vor ("are not superior to other rights"); die KRK statuiert kein absolut höheres Recht ("an absolutely superior rule"; VUCKOVIC SAHOVIC/DOEK/ZERMATTEN, The Rights of the Child in International Law, 2012, S. 98 ff.; STEFANIE SCHMAHL, Kinderrechtskonvention, 2. Aufl. 2017, N. 7 zu Art. 3 KRK).

3.3.2 Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz insbesondere die Verletzung von Art. 37 KRK vor. Die Norm enthält den elementaren Schutz vor Folter, Todesstrafe und lebenslanger Freiheitsstrafe für Kinder und etabliert Garantien, die Kindern im Freiheitsentzug unbedingt zu gewähren sind (SCHMAHL, a.a.O., N. 1 zu Art. 37 KRK). Eine Inhaftierung als solche begründet hingegen nach keiner der geltenden Menschenrechtskonventionen eine Verletzung von Menschenrechten (SCHMAHL, a.a.O., N. 17 zu Art. 37 KRK). Leiden und Schmerz, die eine erwachsene Person oder ein Kind durch den Freiheitsentzug als solchen erdulden, gelten nicht als Folter, wenn die Person nach den relevanten Standards behandelt wird ("is treated in accordance with all relevant standards"); das Folterkonzept (von Art. 37 KRK) schliesst das mit der Sanktion verbundene oder aus ihr resultierende Leid nicht ein ("not related to sanction"; VUCKOVIC SAHOVIC/DOEK/ZERMATTEN, a.a.O., S. 144).

3.3.3 Aus den angerufenen Normen des schweizerischen wie des internationalen Rechts lassen sich die behaupteten Ansprüche der Beschwerdeführerin nicht ableiten. Weder die Bestimmungen der BV noch jene der KRK und der anderen menschenrechtlichen Übereinkommen hindern den Vollzug der gesetzmässigen Freiheitsstrafe (Art. 5 Ziff. 1 EMRK). Die KRK gewährleistet insoweit Rechte der Kinder im Freiheitsentzug. Die Kinder der Beschwerdeführerin sind in casu nicht inhaftiert.
Die Beschwerdeführerin ist nicht berechtigt, Rechte ihrer Kinder in eigenem Namen geltend zu machen. Es fehlt ihr dazu das rechtlich geschützte Interesse gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG. Nicht anders verhält es sich nach der Rechtsprechung des EGMR: Verletzt im Sinne der Konvention und damit zur Beschwerde legitimiert ist einzig die direkt betroffene Person ("L'individu doit avoir subi directement les effets de la mesure litigieuse"), so dass beispielsweise Ehefrau und Kinder, die die Schweiz nicht verlassen müssen, nicht legitimiert sind, die Ausweisung des Ehemannes anzufechten (Urteil Bartholomew Uchenna DIALA und andere gegen Schweiz vom 10. Dezember 2019, Verfahren 35201/18, § 19 ff.). Soweit sich die
BGE 146 IV 267 S. 277
Beschwerdeführerin im Sinne einer Reflexwirkung auf die KRK und die EMRK bezieht (vgl. BGE 145 IV 161 E. 3.3 S. 164 f., E. 3.4 S. 166 f.; Pra 2019 Nr. 128 S. 1256), ist auf nachfolgende Erwägungen zu verweisen.

3.4

3.4.1 Die Vollzugsverfügung gilt für die Beschwerdeführerin, die bis anhin nicht inhaftiert ist. Ihr wurde ein Aufschub des Strafvollzugs von neun Monaten bis Mitte April 2019 gewährt, damit für die Kinder für die Dauer des Strafvollzugs eine Lösung im Kindeswohl gefunden werden konnte. Das setzte die Kooperation mit der Beiständin voraus. Die Beschwerdeführerin weigerte sich "inhaltlich". So teilte sie mit, sie habe einen Platz, wo sie die Kinder unterbringen könne. Der Termin sei überflüssig. Sie habe mit ihrer Familie eine Lösung gefunden. Die sei nicht im Kanton Luzern. Für die Beiständin sei die Arbeit erledigt. Sie werde sich selber darum kümmern. Die Vorinstanz schliesst, somit komme es auf die formelle Verweigerung von Terminen nicht an und sei die Frage nicht näher zu prüfen. Es seien keine Gründe für einen weiteren Vollzugsaufschub vorgebracht und ersichtlich. Die Trennung der Kinder von der alleinerziehenden Mutter sei die unausweichliche Folge, die mit Massnahmen des Kindesschutzrechts aufgefangen werden müsse. Nach Angaben der Beschwerdeführerin wollten oder könnten die Väter die Kinder nicht bei sich aufnehmen.

3.4.2 Eine willkürliche Beurteilung ist weder begründet noch ersichtlich. Schon anlässlich des Erstgesprächs bei der Vollzugsbehörde (VBD) am 17. Mai 2018 hatte die Beschwerdeführerin angegeben, dass beide Kinder eine Beiständin hätten. Die Beiständin hatte bereits am 19. Februar 2019 erklärt, dass die Fremdplatzierung der Kinder bisher nicht geklappt habe, weil die Beschwerdeführerin nicht zu den vereinbarten Terminen erschienen sei und behaupte, sie müsse die Strafe nicht antreten, ihr Anwalt werde sie "rausboxen". Sie wendet tatsachenwidrig ein, ihre Opposition sei gerechtfertigt gewesen. Es liegt der Schluss nahe, dass sie mit einer "Instrumentalisierung" der Kinder den Vollzug verhindern will (vgl. Urteil 6B_1314/2019 vom 9. März 2020 E. 2.3.8). Die Vorinstanz nimmt zutreffend an, aus der Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 1 KRK folge nicht, dass die Freiheitsstrafe vorläufig nicht vollziehbar sei. Das ergebe sich auch nicht aus den Empfehlungen des Ministerkomitees, die auch die Haft des hauptbetreuenden Elternteils vorsähen.
BGE 146 IV 267 S. 278

3.4.3 Die Beschwerdeführerin kann die Modalitäten des gesetzmässigen Strafvollzugs nicht selber bestimmen. Soweit sie nicht selber eine Betreuung der Kinder organisiert, wird dies Aufgabe der KESB sein, wie die Vorinstanz darlegt. Das ist keine Frage des Vollzugsrechts. An der Sache vorbei geht ebenfalls die Rüge einer Verletzung von Art. 8 EMRK mangels umfassender fairer Interessenabwägung. Dass der beantragte offene Vollzug nicht gewährt werden kann, ist nicht einer Untätigkeit des Gesetzgebers oder einer Verkennung des Kindeswohls geschuldet, sondern der hohen Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten wegen qualifizierter Geldwäscherei und qualifizierten Drogenhandels mit rund 19 kg Kokaingemisch. Damit nahm sie die Trennung von den Kindern als gesetzliche Folge einer Freiheitsstrafe in Kauf (Rückweisungsurteil 6B_687/2016 vom 12. Juli 2017 E. 1.5.3).

3.4.4 Zum geforderten Vollzug "in der Nähe der Kinder" ist festzuhalten, dass die Vollzugsbehörde den Vollzugsort bestimmt. Sie wies die Beschwerdeführerin in die Frauen-Vollzugsanstalt Hindelbank bei Bern ein, weil die JVA Grosshof in Luzern mit dem Betreuungs- und Arbeitsangebot auf eine Strafdauer bis zu 24 Monaten ausgerichtet ist. Der progressive Vollzug ist nur in der JVA Hindelbank möglich. Die Beschwerdeführerin irrt überdies über die Besuchsregelung in der JVA Grosshof. Dort ist das Besuchsrecht eingeschränkter als in der JVA Hindelbank, wo in der Wohngruppe für Mutter und Kind sechs Plätze für Mütter mit Kindern im Alter von bis zu drei Jahren zur Verfügung stehen (Art. 80 Abs. 1 lit. c StGB). Die Beschwerdeführerin mit Kindern der Jahrgänge 2007 und 2013 fällt nicht in diese Kategorie. Reglementarisch sind 3 Besuche à 2 Stunden pro Monat möglich (in der Integrationsabteilung wöchentliche). In der JVA Grosshof verfügt jede Person über ein Besuchskontingent von 4 Stunden monatlich.

3.4.5 Die Rügen hinsichtlich einer Verletzung ihres Mitwirkungsrechts ( BGE 140 I 99 E. 3.4 S. 102) oder der Urteilsmotivation ( BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253; Urteil 6B_880/2017 vom 4. Juli 2018 E. 2.7 mit Hinweis auf Urteil Mäder gegen Schweiz vom 8. Dezember 2015, Verfahren 6232/09 und 21261/10, § 75, 77) sind offenkundig unbegründet. Die Vorinstanz ist ihrer Amtsermittlungspflicht vollumfänglich nachgekommen (Urteil 6B_1189/2018 vom 12. September 2019 E. 2.1.1).

3.5 Die Vollzugsverfügung erweist sich unter keinem Titel als willkürlich (Art. 9 BV). Die Behörden werden infolge Zeitablaufs den Strafantritt in der JVA Grosshof neu festzusetzen haben.

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