Bundesgerichtsentscheid

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Bundesgerichtsentscheid 120 IV 365 vom 19.12.1994

Dossiernummer:120 IV 365
Datum:19.12.1994
Schlagwörter (i):Beschwerde; Beschlagnahme; Einziehung; Beschwerdeführer; Vermögenswerte; Vermögensvorteil; Unrechtmässige; Rechtlich; Firma; Verfahren; Unrechtmässigen; SchKG; Solidarisch; Steuerhinterziehung; Betrag; Vermögenswerten; Steuerverwaltung; Hinterzogenen; Rechtliche; Einzelfirma; Beschlagnahmt; Beschwerdeführers; Steuern; Warenumsatzsteuer; Eidg; Person; Recht; Verwaltungsstrafverfahren

Rechtsnormen:

BGE: 115 III 1, 117 IV 107, 120 IV 164, 119 IA 453

Artikel: Art. 58 SchKG , Art. 12 Abs. 3 VStrR, Art. 46 Abs. 1 lit. b VStrR , Art. 6 VStrR, Art. 6 Abs. 1 VStrR, Art. 58 StGB , Art. 58 StGB , Art. 2 VStrR, Art. 58 StGB , Art. 4 SchKG , Art. 12 Abs. 2 VStrR

Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Urteilskopf
120 IV 365

61. Urteil der Anklagekammer vom 19. Dezember 1994 i.S. K. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung

Regeste
Art. 6, 12 Abs. 3 und Art. 46 Abs. 1 lit. b VStrR; Art. 58 StGB. Beschlagnahme von Vermögenswerten beim solidarisch haftenden Täter.
Verhältnis Beschlagnahme - Einziehung (E. 1).
Unrechtmässiger Vermögensvorteil bei Steuerhinterziehung (E. 1d).
Die verwaltungsstrafrechtliche Beschlagnahme von Vermögenswerten fällt unter den Vorbehalt von Art. 44 SchKG (E. 2).
Einziehung eines unrechtmässigen Vermögensvorteils beim gemäss Art. 12 Abs. 3 VStrR für den hinterzogenen Steuerbetrag solidarisch Haftenden (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 366
BGE 120 IV 365 S. 366
A.- Am 20. August 1993 eröffnete die Eidg. Steuerverwaltung, Hauptabteilung Warenumsatzsteuer, gegen die Firma P. AG, die Einzelfirma K. und die Firma F. AG, alle in Bürogemeinschaft in Z./AG, ein Verwaltungsstrafverfahren wegen bei Steuerkontrollen "festgestellten, strafrechtlich relevanten Steuerdifferenzen". Gemäss Schlussprotokoll vom 11. November 1994 wird K. gestützt auf Art. 6 Abs. 1 VStrR (SR 313.0) u.a. sowohl als Inhaber seiner Einzelfirma als auch als verantwortlichem Geschäftsführer der Firma P. AG vorsätzliche Steuerhinterziehung im Sinne von Art. 36 des Bundesratsbeschlusses über die Warenumsatzsteuer (WUStB; SR 641.20) zur Last gelegt.
Gestützt auf einen Durchsuchungsbefehl des Direktors der Eidg. Steuerverwaltung vom 11. November 1994 wurden bei der Bank in M. mit Beschlagnahmeprotokoll vom 16. November 1994 zwecks Einziehung gemäss Art. 58 Abs. 1 lit. a StGB die Guthaben von fünf verschiedenen auf den Namen von K. lautenden Bankkonten im Gesamtbetrag von Fr. 33'677.35 sowie "allenfalls noch eingehende Beträge auf diesen Konten" beschlagnahmt; dies "zur Deckung der Schulden des Herrn K. und seiner Firmen gegenüber der Eidg. Steuerverwaltung".
B.- Mit Beschwerde vom 21. November 1994 beantragt K. der Anklagekammer des Bundesgerichts, die Beschlagnahmeverfügung vom 16. November 1994 aufzuheben.
Die Eidg. Steuerverwaltung beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Erwägungen:
1. a) Die angefochtene Beschlagnahmeverfügung stützt sich gemäss dem "Beiblatt zu Handen des Beschuldigten" auf Art. 46 Abs. 1 lit. b VStrR. Nach dieser Bestimmung können im Verwaltungsstrafverfahren durch den untersuchenden Beamten u.a. Vermögenswerte beschlagnahmt werden, die voraussichtlich der Einziehung unterliegen.
b) Der Einziehung gemäss Art. 58 Abs. 1 StGB unterliegen ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person u.a. Vermögenswerte, die durch eine strafbare Handlung hervorgebracht oder erlangt worden sind, soweit die Einziehung zur Beseitigung eines unrechtmässigen Vorteils oder Zustandes als geboten erscheint (lit. a).
c) Im Gegensatz zur endgültigen materiellrechtlichen Einziehung stellt die Beschlagnahme lediglich eine von Bundesrechts wegen vorgeschriebene
BGE 120 IV 365 S. 367
provisorische "konservatorische" prozessuale Massnahme zur vorläufigen Sicherstellung der allenfalls der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte dar (TRECHSEL, StGB-Kurzkommentar, Art. 58 N. 1; SCHULTZ, Die Einziehung, der Verfall von Geschenken und anderen Zuwendungen sowie die Verwendung zugunsten des Geschädigten gemäss StrGB Rev. Art. 58 f., in ZStrR 114 [1978] 305 ff.; vgl. BGE 76 I 28 E. 2). Sie greift dem Entscheid über die endgültige Einziehung nicht vor, zumal die Rechte anspruchsberechtigter Dritter gemäss dem im Verwaltungsstrafrecht ebenfalls (Art. 2 VStrR) anwendbaren Art. 58bis StGB ausdrücklich vorbehalten sind (vgl. BGE 120 IV 164 E. 1c); die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse an den Vermögenswerten bleiben durch die strafprozessuale Beschlagnahme unberührt (BGE 119 Ia 453 E. 3d).
d) Vermögenswerte, welche gemäss Art. 58 StGB allenfalls der Einziehung unterliegen, sind alle wirtschaftlichen Vorteile, die sich rechnerisch ermitteln lassen (STRATENWERTH, Allg. Teil II, S. 493 N. 49) und die direkt oder indirekt durch die strafbare Handlung erlangt worden sind; bei der Steuerhinterziehung besteht der sich aus dem Delikt ergebende Vermögensvorteil im Gegenwert der hinterzogenen Steuern (vgl. STRATENWERTH, a.a.O., S. 495 f. N. 54).
2. a) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Beschlagnahme als solche sei unzulässig; der Steuerverwaltung stehe kraft zwingender gesetzlicher Bestimmung für das Inkasso ihrer Guthaben einzig der Weg der Pfändung mit anschliessender Pfandverwertung offen.
b) Die Rüge ist unbegründet. Es trifft zwar zu, dass die Zwangsvollstreckung u.a. für Steuern und Bussen auf dem Weg der Pfändung oder Pfandverwertung erfolgen muss (Art. 43 SchKG). Art. 44 SchKG sieht indessen eine Einschränkung dieses Grundsatzes vor: Nach ständiger Rechtsprechung wird durch Art. 44 SchKG nicht lediglich die Verwertung sondern auch die eigentliche Beschlagnahme (Voraussetzungen, Vollzug und Wirkungen) erfasst, für die in den aufgezählten Fällen das SchKG nicht massgebend sein soll (BGE 115 III 1 E. 3 mit Hinweisen); denn die strafprozessuale Beschlagnahme zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs (wie Beweissicherung, Beschlagnahme im Sinne von Art. 58 ff. StGB) hat gegenüber den Beschlagsrechten der Zwangsvollstreckung den Vorrang (BGE 115 III 1 E. 4; vgl. auch FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs, Zürich 1984, § 10 Rz. 34). Auch die Vollstreckungsbehörde hat daher eine strafrechtliche Einziehung zu respektieren (TRECHSEL, a.a.O., Art. 58 N. 9).
BGE 120 IV 365 S. 368
Zu den in Art. 44 SchKG vorbehaltenen strafrechtlichen Gesetzen ist seit dessen Inkrafttreten auch das Verwaltungsstrafrecht zu zählen, welches die Beschlagnahme von Vermögenswerten in Art. 46 Abs. 1 lit. b VStrR ausdrücklich vorsieht. Die Beschlagnahme von Vermögenswerten gestützt auf Art. 46 Abs. 1 lit. b VStrR fällt somit auch unter den Vorbehalt von Art. 44 SchKG, soweit aus den beschlagnahmten Vermögenswerten der dem Staat durch die Steuerhinterziehung verursachte Ausfall ersetzt werden soll (vgl. in bezug auf den Steuerbetrug: BGE 76 I 28 E. 3).
Soweit diese Regelung tatsächlich eine mögliche Benachteiligung von allfälligen Drittgläubigern des Beschwerdeführers zur Folge haben sollte, wie dieser geltend macht, wäre daher auch darin keine Verletzung von Bundesrecht zu erblicken.
3. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, sämtliche Ausstände gegenüber der Beschwerdegegnerin seien getilgt, soweit sie im Zusammenhang mit dem gegen ihn eröffneten Verwaltungsstrafverfahren stünden. Er scheint mit diesem Einwand geltend machen zu wollen, dass es im vorliegenden Fall schon an einem unrechtmässigen Vermögensvorteil fehle.
a) Entfällt der unrechtmässige Vermögensvorteil, so wird die Einziehung überflüssig (BGE 117 IV 107 E. 2a). Eine im Hinblick auf die Einziehung erfolgte Beschlagnahme ist in diesem Fall ohne weiteres aufzuheben.
aa) Gemäss Schlussprotokoll hat der Beschwerdeführer die durch seine Einzelfirma geschuldete Steuernachforderung von Fr. 152'174.-- im Betreibungsverfahren bezahlt. Im Verfahren gegen die Einzelfirma des Beschwerdeführers seien Fr. 84'142.-- "strafrechtlich relevant". Die Beschwerdegegnerin scheint indessen die Steuerdifferenzen der Einzelfirma des Beschwerdeführers nicht mehr ins Strafverfahren einzubeziehen. Es ist daher auf diese nicht weiter einzugehen.
bb) Die Steuerausstände der Firma P. AG gegenüber der Gesuchsgegnerin betragen zur Zeit Fr. 1'012'947.35, zuzüglich Verzugszins von Fr. 100'041.--. Im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Firma P. AG ist gemäss Schlussprotokoll nach Weglassung der strafrechtlich verjährten Steuerquartale noch ein Betrag von Fr. 102'137.-- strafrechtlich relevant, für den der Beschwerdeführer als Geschäftsführer gemäss Art. 12 Abs. 3 VStrR solidarisch haftet. Der ursprüngliche Betrag der nicht rechtzeitig deklarierten und abgelieferten Warenumsatzsteuer betrug Fr. 122'147.--. Die Beschwerdegegnerin räumt ein, dass sich nach inzwischen
BGE 120 IV 365 S. 369
erfolgter Betreibung der ursprüngliche strafrechtlich relevante Warenumsatzsteuerausstand von Fr. 122'147.-- auf Fr. 75'085.70 reduziert habe.
Dass der Firma P. AG im vorliegenden Fall ein unrechtmässiger Vermögensvorteil im Betrag der hinterzogenen Steuern und damit "strafrechtlich relevant" von Fr. 102'137.-- zugekommen ist, wird durch den Beschwerdeführer nicht bestritten.
b) Was der Beschwerdeführer in der Beschwerde vorbringt, ist nicht geeignet, ohne weiteres Beweisverfahren darzulegen, dass der durch die in Frage stehende Steuerhinterziehung erzielte unrechtmässige Vermögensvorteil inzwischen auf einen Betrag reduziert worden wäre, der geringer als der beschlagnahmte Betrag von Fr. 33'675.35 ist. Es ist aufgrund der Akten vielmehr davon auszugehen, dass der unrechtmässige Vermögensvorteil bei der abgabenpflichtigen Firma immer noch im Umfang von Fr. 75'085.70 besteht.
4. Der Beschwerdeführer wendet schliesslich ein, in bezug auf die Guthaben auf den Mietzinskonti fehle es an der Kausalität; diese Vermögenswerte seien nicht durch die strafbare Handlung hervorgebracht oder erlangt worden.
a) Es trifft zu, dass durch die Steuerhinterziehung des Beschwerdeführers als Geschäftsführer in erster Linie die Firma P. AG - als Steuerpflichtige - einen unrechtmässigen Vorteil erlangt hat.
Art. 12 Abs. 3 VStrR sieht indessen neben der Leistungs- bzw. Rückleistungspflicht des in den Genuss des unrechtmässigen Vorteils gelangten Abgabepflichtigen (Art. 12 Abs. 2 VStrR) ausdrücklich eine (unbeschränkte) solidarische Haftung des vorsätzlich handelnden Täters für den nachzuentrichtenden bzw. zurückzuerstattenden Betrag vor.
b) Die solidarische Mithaftung des Beschwerdeführers für die vorsätzlich hinterzogenen Steuern in diesen Beträgen wird in der Beschwerdeschrift nicht grundsätzlich in Frage gestellt, worauf die Beschwerdegegnerin zu Recht verweist. Der Beschwerdeführer erachtet lediglich die Beschlagnahme als unzulässiges Mittel, um diese durchzusetzen.
c) Die strafbare Handlung, die dem Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren zur Last gelegt wird, führt zu seiner solidarischen Haftbarkeit für den hinterzogenen Steuerbetrag, weil Art. 12 Abs. 3 VStrR als Korrelat zu Art. 6 VStrR (vgl. Sten.Bull. SR 1971, 842 f.) davon ausgeht, die natürlichen Personen, die beim Besorgen der Angelegenheiten einer juristischen Person usw. Abgaben nicht entrichten oder Leistungen erschleichen, dadurch in der Regel selber und persönlich
BGE 120 IV 365 S. 370
erhebliche Vermögensvorteile erlangen. Es steht daher im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Einziehung eines unrechtmässigen Vermögensvorteils nach Art. 58 StGB, auch beim gemäss Art. 12 Abs. 3 VStrR für den hinterzogenen Steuerbetrag solidarisch haftenden Täter (Art. 6 VStrR) vorhandene Vermögenswerte zur Deckung des "Schadens" einzuziehen, soweit ein solcher und die Haftung noch bestehen. Denn auch für die gemäss Art. 6 VStrR strafbaren natürlichen Personen soll sich strafbares Verhalten nicht lohnen (BGE 117 IV 107 E. 2a), was - letztlich wohl allein - auf dem Wege der Beschlagnahme und Einziehung auch ihrer gesetzlich vermuteten unrechtmässigen Vermögensvorteile erreicht werden kann.
Danach ist eine Einziehung der beim Beschwerdeführer beschlagnahmten Vermögenswerte gemäss Art. 58 StGB wahrscheinlich und die angefochtene Beschlagnahme somit zu Recht erfolgt.

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