Zusammenfassung des Urteils VB.2016.00074: Verwaltungsgericht
A, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in die Schweiz und stellte ein Asylgesuch, das später anerkannt wurde. Nach mehreren Jahren beantragte er eine Niederlassungsbewilligung, die jedoch aufgrund seiner Sozialhilfeabhängigkeit abgelehnt wurde. Das Verwaltungsgericht prüfte, ob ihm aufgrund eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden sollte. Aufgrund fehlender Integration, finanzieller Abhängigkeit und einer strafrechtlichen Verurteilung wurde die Beschwerde abgewiesen. Die Gerichtskosten in Höhe von CHF 2'000.-- wurden A auferlegt, ohne dass er eine Parteientschädigung erhielt. Die unterlegene Partei ist männlich.
| Kanton: | ZH |
| Fallnummer: | VB.2016.00074 |
| Instanz: | Verwaltungsgericht |
| Abteilung: | 2. Abteilung/2. Kammer |
| Datum: | 16.11.2016 |
| Rechtskraft: | Dieser Entscheid ist rechtskräftig. |
| Leitsatz/Stichwort: | Härtefall; Sozialhilfeabhängigkeit. |
| Schlagwörter: | Aufenthalt; Härtefall; Gesuch; Aufenthalts; Schweiz; Integration; Person; Aufenthaltsbewilligung; Fürsorge; Härtefallbewilligung; Ermessen; Herkunftsstaat; Härtefalls; Verhältnisse; Wille; Wirtschaftsleben; Erwerb; Entscheid; Hinsicht; Verwaltungsgericht; Kammer; Erteilung; Gesuchs; üfen |
| Rechtsnorm: | - |
| Referenz BGE: | 124 II 110; 130 II 39; |
| Kommentar: | - |
| Verwaltungsgericht des Kantons Zürich 2. Abteilung |
VB.2016.00074
Urteil
der 2. Kammer
vom 16.November2016
Mitwirkend: Abteilungspräsident Andreas Frei (Vorsitz), Verwaltungsrichterin Leana Isler, Verwaltungsrichterin Elisabeth Trachsel, Gerichtsschreiber Martin Businger.
In Sachen
betreffend Aufenthaltsbewilligung,
hat sich ergeben:
I.
A. A, geboren 1981 und Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am 16.Mai 2006 illegal in die Schweiz und ersuchte um Asyl. Nachdem sein Gesuch erstinstanzlich abgewiesen worden war, schrieb das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde am 28.Oktober 2008 wegen seines unbekannten Aufenthalts als gegenstandslos ab. Am 10.Dezember 2008 ersuchte A um Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens; das Bundesverwaltungsgericht gab dem Gesuch statt, hiess die Beschwerde am 3.November 2010 gut und ordnete seine vorläufige Aufnahme an.
B. Am 16.Juni 2014 ersuchte A um Erteilung einer Niederlassungsbewilligung ("C Ausweis"). Das Migrationsamt wies ihn mit Schreiben vom 21.Juli 2014 darauf hin, dass er aufgrund seiner andauernden Sozialhilfeabhängigkeit die Voraussetzungen nicht erfülle. Am 17.Dezember 2014 verlangte A die "materielle Prüfung des Gesuchs um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung". Das Migrationsamt wies das Bewilligungsgesuch am 10.März 2015 ab.
II.
III.
Die Kammer erwägt:
1.
Mit der Beschwerde können Rechtsverletzungen und die unrichtige ungenügende Feststellung des Sachverhalts gerügt werden, nicht aber die Unangemessenheit des ange-fochtenen Entscheids (§20 Abs.1 in Verbindung mit §50 Abs.1 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24.Mai 1959 [VRG]). Nachdem der Beschwerdeführer um eine Härtefallbewilligung nach Art.30 Abs.1 lit.b des Ausländergesetzes vom 16.Dezember 2005 (AuG) und damit um eine Ermessensbewilligung ersucht, kann das Verwaltungsgericht lediglich prüfen, ob die Vorinstanzen ihr Ermessen bei der Bewilligungsverweigerung rechtsverletzend ausgeübt haben.
2.
2.1 Vorläufig aufgenommene Personen können jederzeit ein Gesuch um eine Aufenthaltsbewilligung stellen. Halten sie sich seit mehr als fünf Jahren in der Schweiz auf, haben die zuständigen Behörden dieses Gesuch unter Berücksichtigung der Integration, der familiären Verhältnisse und der Zumutbarkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat vertieft zu prüfen (Art.84 Abs.5 AuG). Damit wird kein eigenständiger ausländerrechtlicher Zulassungsgrund für vorläufig aufgenommene Personen geschaffen. Vielmehr werden die Migrationsbehörden aufgefordert, der besonderen Situation dieser Personenkategorie im Rahmen des Entscheids über das Vorliegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls nach Art.30 Abs.1 lit.b AuG Rechnung zu tragen (vgl. VGr, 24.Februar 2016, VB.2015.00803, E.2.1).
2.2 Bei der Beurteilung, ob eine Aufenthaltsbewilligung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls im Sinn von Art.30 Abs.1 lit.b AuG zu erteilen ist, sind nach Art.31 Abs.1 der Verordnung vom 24.Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) namentlich die Integration der gesuchstellenden Person, die Respektierung der Rechtsordnung durch diese, die Familienverhältnisse, die finanziellen Verhältnisse sowie der Wille zur Teilhabe am Wirtschaftsleben und zum Erwerb von Bildung, die Dauer der Anwesenheit in der Schweiz, der Gesundheitszustand und die Möglichkeiten für eine Wiedereingliederung im Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Bei Art.30 Abs.1 lit.b AuG handelt es sich um eine Ausnahmebestimmung. Die ausländische Person muss sich in einer persönlichen Notlage befinden; ihre Lebens- und Daseinsbedingungen müssen gemessen am durchschnittlichen Schicksal von Ausländerinnen und Ausländern in gesteigertem Mass infrage gestellt sein bzw. die Verweigerung einer Aufenthaltsbewilligung einen schweren Nachteil zur Folge haben. Die Anerkennung eines persönlichen Härtefalls setzt jedoch nicht voraus, dass die Anwesenheit in der Schweiz der einzige mögliche Ausweg aus der Notlage darstellt. Umgekehrt begründet allein die Tatsache, dass die ausländische Person sich seit längerer Zeit in der Schweiz aufhält, hier sozial und beruflich gut integriert ist und ihr Verhalten zu keinen Klagen Anlass gegeben hat, für sich allein keinen schwerwiegenden persönlichen Härtefall. Die Beziehung der Gesuchstellenden zur Schweiz muss darüber hinaus vielmehr so eng sein, dass man von ihnen nicht verlangen kann, in einem anderen Land insbesondere im Heimatland zu leben (vgl. BGE 130 II 39 E.3). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung führt ein Aufenthalt von zehn mehr Jahren in der Regel zur Bejahung eines persönlichen Härtefalls, vorausgesetzt, dass sich die ausländische Person tadellos verhalten hat, finanziell unabhängig sowie sozial und beruflich gut integriert ist (vgl. BGE 124 II 110 E.3).
2.3 Zu prüfen ist, ob die Vorinstanzen ihr Ermessen rechtsverletzend ausgeübt haben, indem sie dem Beschwerdeführer wegen seiner Fürsorgeabhängigkeit eine Härtefallbewilligung verweigert haben.
2.3.1 Die finanziellen Verhältnisse des Gesuchstellers und sein Wille zur Teilhabe am Wirtschaftsleben und zum Erwerb von Bildung sind zwei eigenständige Kriterien, die nach Art.31 Abs.1 lit.d VZAE bei der Erteilung einer Härtefallbewilligung zu berücksichtigen sind. Insofern ist die Aussage im Entscheid VB.2014.00668 vom 9.Juli 2015, wonach Art.31 Abs.1 lit.d VZAE keine Fürsorgeunabhängigkeit verlange, sondern nur den Willen zur Teilhabe am Wirtschaftsleben, sodass die Sozialhilfeabhängigkeit lediglich nicht selbstverschuldet sein dürfe (vgl. E.4.3), zu präzisieren. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung zum Widerrufsgrund der Fürsorgeabhängigkeit (Art.62 lit.e bzw. Art.63 Abs.1 lit.c AuG) ist die Frage, ob der Betroffene ein Verschulden am Sozialhilfebezug trifft, erst im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung zu berücksichtigen (vgl. etwa BGr, 11.September 2014, 2C_1058/2013, E.2.4). Damit ist der Widerrufsgrund auch bei unverschuldetem Sozialhilfebezug erfüllt und kann ein Bewilligungswiderruf und eine Wegweisung trotz fehlendem Verschulden an der Fürsorgeabhängigkeit erfolgen, wenn sie im konkreten Fall verhältnismässig sind. Folglich darf der unverschuldete Sozialhilfebezug zu Lasten des Ausländers berücksichtigt werden.
2.3.2 Der Beschwerdeführer ist am 16.Mai 2006 im Alter von 25Jahren in die Schweiz gereist. Er hält sich seit über zehn Jahren im Land auf, wobei allerdings vier Jahre auf das Asylverfahren entfallen, dessen Dauer der Beschwerdeführer selber mit seinem Untertauchen in die Länge gezogen hat. Vorläufig aufgenommen ist er seit rund sechs Jahren. Eine Integration in die hiesigen Verhältnisse ist nicht ersichtlich. Weder ergibt sich aus den
Akten noch bringt der Beschwerdeführer vor, dass er sich in sozialer Hinsicht in der Schweiz integriert hat. Er hat hier auch keine Familienangehörigen. Betreffend sprachliche Integration liegt eine Bestätigung vor, wonach er von Januar 2011 bis Juni 2012 einen Deutschkurs besucht habe von den Niveaustufen Anfänger bis A1. Gemäss einem Einstufungstest vom 27.Februar 2015 besitzt er mündlich das Niveau A2.2 (kann einfache Alltagsgespräche führen) und schriftlich das Niveau A1.2 (versteht einzelne Wörter und einfache Sätze). Dass er in der Folge seine sprachlichen Fertigkeiten weiter verbessert hätte, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht vorgebracht. In beruflicher Hinsicht ist keine Integration ersichtlich, nachdem der Beschwerdeführer seit 1.April 2012 mit über Fr.265'000.- von der öffentlichen Fürsorge hat unterstützt werden müssen, wobei die Unterstützung andauert. Was den Willen zur Teilnahme am Wirtschaftsleben betrifft, ist dem Beschwerdeführer zugute zu halten, dass er seit 12.Oktober 2016 und damit seit rund einem Monat zu 50% erwerbstätig ist und nunmehr zumindest teilweise für seinen Lebensunterhalt aufkommt. Ebenso ist ihm zugute zu halten, dass die mangelhafte berufliche Integration aufgrund der psychischen Probleme des Beschwerdeführers nicht selber verschuldet ist. Schliesslich weist der Beschwerdeführer mit Strafbefehl vom 3.Juni 2016 auch eine strafrechtliche Verurteilung wegen versuchter einfacher Körperverletzung auf.
2.3.3 In Würdigung dieser Umstände muss das persönliche Interesse des Beschwerdeführers an einer Aufenthaltsbewilligung als relativ gering bezeichnet werden. Da er kaum in die hiesigen Verhältnisse integriert ist und erst seit sechs Jahren vorläufig aufgenommen worden ist, kann er im heutigen Zeitpunkt lediglich seinen schlechten Gesundheitszustand zur Begründung seines Härtefallgesuchs anführen. Weil ihm wegen der vorläufigen Aufnahme der Vollzug der Wegweisung solange nicht droht, als ihm die Rückkehr in den Herkunftsstaat gesundheitlich nicht zugemutet werden kann, bedarf es keiner Aufenthaltsbewilligung, um seiner gesundheitlichen Verfassung Rechnung zu tragen. Demgegenüber besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse daran, den Aufenthaltstitel eines Ausländers, der eine erhebliche finanzielle Belastung für das Gemeinwesen darstellt und dadurch auch einen Widerrufsgrund erfüllt (vgl. E.2.3.1), nicht weiter zu festigen. In dieser Hinsicht ist auch zu beachten, dass der Beschwerdeführer wegen psychischen Beschwerden vorläufig aufgenommen worden ist. Im Gegensatz zu irreversiblen physischen Beeinträchtigungen besteht damit die Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer seine posttraumatische Belastungsstörung mindestens in dem Umfang überwindet, dass eine Behandlung im Herkunftsstaat möglich wird. Folglich kann im heutigen Zeitpunkt auch nicht gesagt werden, dass die Wegweisung von vornherein nie wird vollzogen werden können. In Würdigung dieser Umstände kann den Vorinstanzen offensichtlich keine rechtsverletzende Ermessensausübung vorgeworfen werden, indem sie dem Beschwerdeführer im heutigen Zeitpunkt wegen seines erheblichen Fürsorgebezugs eine Härtefallbewilligung verweigert haben.
Die Beschwerde ist folglich abzuweisen.
2.4 Die Rekursabteilung hat in einem obiter dictum erwogen, dass ein neues Gesuch lediglich dann Sinn mache, wenn der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt mit einer Erwerbstätigkeit zu bestreiten vermöge (vgl. E.6 des Rekursentscheids). Hierzu rechtfertigen sich folgende Bemerkungen:
Din genannten In
dieser Hinsicht ist ebenfalls zu beachten, dass und sich das Interesse des Betroffenen an einer Bereinigung seines Anwesenheitsstatus mit fortschreitender Zeit erhöht (vgl. ; siehe auch BGE E.3.3.1). Auf der anderen Seite obliegt es dem Beschwerdeführer, sich fortan an die hiesige Rechtsordnung zu halten und namentlich seine soziale und sprachliche Integration im Rahmen seiner Möglichkeiten weiter voranzutreiben, solange er sich wegen seines Gesundheitszustands nur beschränkt beruflich integrieren kann.
3.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (§13 Abs.2 in Verbindung mit §65a Abs.2 VRG) und steht ihm keine Parteientschädigung zu (§17 Abs.2 VRG). Die Beschwerde muss angesichts der beschränkten Kognition des Verwaltungsgerichts als offensichtlich aussichtslos bezeichnet werden, weshalb das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen ist (§16 Abs.1 und 2 VRG).
4.
Weil der Beschwerdeführer keinen Rechtsanspruch auf eine Härtefallbewilligung besitzt (vgl. auch E.1), kann der vorliegende Entscheid lediglich mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde nach Art.113ff. des Bundesgerichtsgesetzes vom 17.Juni 2005 (BGG) angefochten werden (Art.83 lit.c Ziff.2 BGG).
Demgemäss erkennt die Kammer:
Fr. 2'000.--; die übrigen Kosten betragen:
Fr. 60.-- Zustellkosten,
Fr. 2'060.-- Total der Kosten.
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