Kanton: | SG |
Fallnummer: | V-2013/50 |
Instanz: | Verwaltungsrekurskommission |
Abteilung: | Kindes- und Erwachsenenschutz |
Datum: | 12.02.2013 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 434 Abs. 1 ZGB (SR210). Derjenige Arzt, der den Behandlungsplan erstellt hat oder als behandelnder Arzt der betroffenen Person tätig ist, darf nicht auch über die Anordnung medizinischer Massnahmen ohne Zustimmung des Betroffenen entscheiden (Erw. 2). Formelle Anforderungen an eine Anordnung einer Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung (Verwaltungsrekurskommission, Abteilung IV, 12. Februar 2013, V-2013/50). |
Schlagwörter: | Behandlung; Verfügung; Beschwerde; Zustimmung; Behandlungsplan; Person; Anordnung; Chefarzt; Medizinische; Klinik; Massnahme; Formelle; Geiser/; Beschwerdeführerin; Behandelnde; ärztliche; Massnahmen; Störung; Psychischen; Etzensberger; Angefochtene; Vorinstanz; Aufzuheben; Erfüllt; Bereich; Vorgesehene; Kanton; Formellen; Abgekürzt:; Geiser/Etzensberger |
Rechtsnorm: | Art. 426 ZGB ; Art. 427 ZGB ; Art. 429 ZGB ; Art. 434 ZGB ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar zugewiesen: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Weitere Kommentare: | - |
X Y, zurzeit Kantonale Psychiatrische Klinik Wil, Zürcherstrasse 30, 9501 Wil,
Beschwerdeführerin, gegen
Kantonale Psychiatrische Klinik Wil, ärztliche Leitung, Zürcherstrasse 30, 9501 Wil,
Vorinstanz, betreffend
Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung
Sachverhalt:
A.- X Y wurde am xx.xx.19xx geboren. Sie lebt zusammen mit ihrem Lebensgefährten Z in einer Wohnung in M und war bereits ca. 35-mal in der Kantonalen Psychiatrischen Klinik (nachfolgend KPK) Wil hospitalisiert (letztmals vom 1. April bis 2. August 2011). Am 8. Mai 2012 trat X Y freiwillig in die KPK Wil ein, in welcher sie mit amtsärztlicher Verfügung vom 26. Mai 2012 zurückbehalten wurde. Die Diagnose lautete jeweils auf paranoide Schizophrenie.
B.- Am 22. Januar 2013 ordnete die KPK Wil die Behandlung einer psychischen Störung an, nachdem X Y den im Behandlungsplan vorgesehenen medizinischen Massnahmen nicht zugestimmt hatte. Dagegen erhob sie mit Eingabe vom 29. Januar 2013 Beschwerde bei der Verwaltungsrekurskommission. Telefonische Abklärungen bei der Beschwerdeführerin vom 29. Januar und 1. Februar 2013 ergaben, dass sie insbesondere mit einer allfälligen Verlegung ins Pflegeheim Eggfeld und der Medikamentendosis nicht einverstanden sei. Am 7. Februar 2013 stellte sie zudem ein Entlassungsgesuch, worüber die Klinikleitung im Urteilszeitpunkt noch nicht entschieden hatte.
Erwägungen:
1.- Die Eintretensvoraussetzungen sind von Amtes wegen zu prüfen. Die Verwaltungsrekurs-kommission ist zum Sachentscheid zuständig. Die Befugnis zur Rechtsmittelerhebung ist gegeben. Die Beschwerde vom 29. Januar 2013 ist rechtzeitig eingereicht worden und erfüllt in formeller und inhaltlicher Hinsicht die
gesetzlichen Anforderungen (Art. 439 Abs. 1 Ziff. 4, 450 und 450b des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [SR 210; abgekürzt: ZGB], Art. 27 des Einführungsgesetzes zum Kindes- und Erwachsenenschutzrechts [sGS 912.5; abgekürzt: EG-KES] sowie
Art. 41ter des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege [sGS 951.1; abgekürzt: VRP]).
Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.
2.- Fehlt die Zustimmung der betroffenen Person, so kann der Chefarzt der Abteilung die im Behandlungsplan vorgesehenen medizinischen Massnahmen anordnen, wenn ohne Behandlung der betroffenen Person ein ernsthafter gesundheitlicher Schaden
droht oder das Leben oder die körperliche Integrität Dritter ernsthaft gefährdet ist (Art. 434 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB), die betroffene Person bezüglich ihrer Behandlungsbedürftigkeit urteilsunfähig ist (Ziff. 2) und keine angemessene Massnahme zur Verfügung steht, die weniger einschneidend ist (Ziff. 3). Diese drei Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein; dies geht aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung hervor.
Art. 434 ZGB setzt voraus, dass die betroffene Person zur Behandlung einer psychischen Störung fürsorgerisch in einer Einrichtung untergebracht worden ist (vgl. Botschaft zur Änderung des ZGB, BBl 2006 7069). Ohne Bedeutung ist, ob es sich um eine behördliche (Art. 426 ZGB) oder ärztliche (Art. 429 ZGB) Einweisung oder um eine Zurückbehaltung durch die Einrichtung (Art. 427 ZGB) gehandelt hat (Geiser/ Etzensberger, in: Geiser/Reusser [Hrsg.], Basler Kommentar zum Erwachsenenschutz, Basel 2012, N 13 zu Art. 434/435 ZGB).
Die Beschwerdeführerin wurde mit amtsärztlicher Verfügung vom 26. Mai 2012 zur Behandlung einer paranoiden Schizophrenie mittels fürsorgerischer Freiheitsentziehung gemäss Art. 397a ff. aZGB in der KPK Wil zurückbehalten.
Für die Anordnung der Behandlung ohne Zustimmung im Sinn von Art. 434 ZGB ist der Chefarzt der Abteilung oder sein Stellvertreter zuständig. Nicht ausschlaggebend ist der Titel, sondern die ausgeübte Funktion (vgl. AmtlBull StR 2007 S. 838). Im Kanton St. Gallen gehören Chefärzte zu den Kaderärzten, genauso wie leitende Ärzte und Oberärzte mit besonderen Funktionen (vgl. Art. 2 der Verordnung über die Besoldung der Kaderärztinnen und Kaderärzte, sGS 320.41). Massgebend ist folglich, dass die zuständige Person für die ganze Klinik oder wenigstens für die entsprechende Abteilung die medizinische Gesamtverantwortung trägt. Weiter muss es sich um einen Arzt mit Spezialausbildung handeln, weil er sonst nicht Chefarzt einer psychiatrischen Klinik sein kann. Da der ärztliche Heileingriff tief in die Persönlichkeit der betroffenen Person eingreift und um dem rechtsstaatlichen Gebot der Unbefangenheit Rechnung zu tragen, sollte eine Behandlung ohne Zustimmung nur dann erfolgen, wenn mindestens zwei Spezialärzte von deren Notwendigkeit überzeugt sind. Dies hat zur Folge, dass derjenige Arzt, der den Behandlungsplan aufgestellt hat oder als behandelnder Arzt tätig ist, nicht auch über die Anordnung medizinischer Massnahmen
ohne Zustimmung des Betroffenen entscheiden darf (so auch Geiser/Etzensberger,
a.a.O., N 32 ff. zu Art. 434/435 ZGB).
Der behandelnde Arzt der Beschwerdeführerin ist Dr.med. W, welcher zusammen mit dem Pflegepersonal den Behandlungsplan erstellt und jeweils visiert hat (vgl. act. 13). Die Verfügung vom 22. Januar 2013 – mithin die Anordnung einer Behandlung ohne Zustimmung – wurde ebenfalls durch Dr.med. W erlassen. Gemäss angefochtener Verfügung handelte er "in Delegation" des Chefarztes Bereich 1, der stellvertretenden Chefärztin Bereich 2 und des Chefarztes Bereich 3 der Vorinstanz. Dieser Delegationsverweis ist unbehelflich und ändert insbesondere nichts daran, dass der behandelnde Arzt die angefochtene Verfügung erlassen hat, weshalb Letztere bereits aus diesem formellen Grund aufzuheben ist. Im Übrigen scheint das Vorgehen der Vorinstanz mit der Delegationsklausel auch deshalb nicht unproblematisch, weil nicht ausgeschlossen ist, dass ein Chefarzt ebenfalls als behandelnder Arzt wirken kann. In einem solchen Fall dürfte der Chefarzt die Behandlung ohne Zustimmung ebenfalls nicht verfügen (vgl. Geiser/Etzensberger, a.a.O., N 34 zu Art. 434/435 ZGB).
Hinzu kommt, dass die angefochtene Verfügung keine eigenhändige Unterschrift trägt. Da das Gesetz dies aber vorschreibt (vgl. Art. 434 Abs. 1 ZGB), wäre die Anordnung vom 22. Januar 2013 auch aus diesem Grund aufzuheben.
3.- Die Beschwerde ist aus formellen Gründen gutzuheissen und die angefochtene Verfügung entsprechend aufzuheben. Eine inhaltliche Prüfung der Anordnung einer Behandlung ohne Zustimmung erübrigt sich daher. Da seit Inkrafttreten des neuen Erwachsenenschutzrechts per 1. Januar 2013 erstmals über eine solche Verfügung zu entscheiden ist, erscheint es jedoch zweckdienlich, auf einige weitere formelle Punkte hinzuweisen.
Die Anordnung einer Behandlung ohne Zustimmung stellt eine Verfügung dar. Für ihren Erlass gelten somit alle für eine Verfügung massgeblichen rechtsstaatlichen Grundsätze. Namentlich ist das rechtliche Gehör zu gewähren; eine Anhörung ist aber nicht vorgeschrieben. Es genügt, dass sich der Betroffene zum Behandlungsplan äussern konnte. In der Verfügung sollte jedoch festgehalten werden, wie er sich zur Behandlung ohne Zustimmung geäussert hat. Der Betroffene und die vorzunehmenden
Handlungen sind genau anzugeben. Die Bezeichnung "Frau X.Y" allein reicht nicht aus, weil dies keine klare Zuordnung zur betroffenen Person erlaubt; mindestens der vollständige Name und das Geburtsdatum sind anzugeben. Da nur im Behandlungsplan vorgesehene medizinische Massnahmen angeordnet werden dürfen, kann zur Begründung, warum eine Behandlung notwendig ist und die Voraussetzungen von Art. 434 ZGB erfüllt sind, auf den Behandlungsplan verwiesen werden, soweit dieser die entsprechenden Fragen beantwortet (vgl. Geiser/Etzensberger, a.a.O., N 36 ff. zu Art. 434/435 ZGB). Eine genaue Bezeichnung der Behandlungsmassnahmen erscheint auch deshalb wichtig, weil unter Umständen nicht jede medizinische Massnahme gemäss Behandlungsplan die Voraussetzungen von Art. 434 ZGB erfüllt. Schliesslich sollte aus der Verfügung hervorgehen, mit welchen Zwangsmassnahmen die betroffene Person zu rechnen hat, wenn sie sich der Behandlung widersetzt.
4.- Zusammenfassend genügt die Verfügung der Vorinstanz vom 22. Januar 2013 den formellen Anforderungen nicht. Insbesondere ist der behandelnde Arzt nicht befugt, eine Behandlung der psychischen Störung ohne Zustimmung anzuordnen; weiter fehlt die eigenhändige Unterschrift auf der Anordnung. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und die Verfügung vom 22. Januar 2013 aufzuheben.
5.- Nach Art. 11 lit. a EG-KES i.V.m. Art. 95 Abs. 1 VRP hat in Streitigkeiten jener Beteiligte die Kosten zu tragen, dessen Begehren ganz oder teilweise abgewiesen werden. Es gilt der Grundsatz der Kostentragung nach Massgabe des Obsiegens und Unterliegens. Da dem Hauptantrag zu entsprechen ist, obsiegt die Beschwerdeführerin vollumfänglich, womit ihr keine Kosten auferlegt werden können. Deshalb sind die amtlichen Kosten vom Staat zu tragen. Angemessen erscheint eine Entscheidgebühr von Fr. 1'000.-- (vgl. Art. 7 Ziff. 122 der Gerichtskostenverordnung, sGS 941.12).
Entscheid:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, und die Verfügung vom 22. Januar 2013 (Anordnung einer Behandlung ohne Zustimmung) wird aufgehoben.
Der Staat trägt die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 1'000.--.
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