Kanton: | SG |
Fallnummer: | OH 2008/1 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Abteilung: | OH - Opferhilfe |
Datum: | 03.07.2008 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 11 Abs. 3 OHG, Art. 2 Abs. 1 OHG. Eine Person, die im Ausland als Beifahrerin bei einem Autounfall schwer verletzt wurde, hat vorliegend keinen Anspruch auf Entschädigung und Genugtuung nach OHG, weil keine Straftat gegeben war. Die Frage des Vorliegens einer Straftat und damit der Opfereigenschaft ist mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu beantworten. Die Bejahung der Tatbestandsmässigkeit des Art. 125 StGB scheiterte daran, dass eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit des Fahrers des Unfallwagens zwar als möglich, aber nicht als überwiegend wahrscheinlich erschien (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 3. Juli 2008, OH 2008/1). |
Schlagwörter: | Unfall; Recht; Fahrer; Stands; Strasse; Verhalten; Beweis; Rekurrent; Tatbestand; Wahrscheinlichkeit; Entschädigung; Opfer; Fahrzeug; Trete; Fahrlässig; Rekurrenten; Verhalten; Fahrlässige; Wäre; Tatbestands; Genugtuung; überwiegend; Erfolg; Sachverhalt; Verfügung; Gefahr; überwiegende; Rekurs; Fehlverhalten; Tatbestand |
Rechtsnorm: | Art. 12 StGB ; Art. 125 StGB ; Art. 18 StGB ; |
Referenz BGE: | 117 V 264; 122 II 320; 122 V 158; 125 II 265; 130 III 325; 130 IV 7; 134 II 33; |
Kommentar zugewiesen: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Weitere Kommentare: | - |
Entscheid vom 3. Juli 2008
in Sachen
K. ,
Rekurrent,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Marcel Köppel, Grossfeldstrasse 45, 7320 Sargans,
gegen
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons
St. Gallen, Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen,
Vorinstanz,
betreffend
Entschädigung und Genugtuung (Straftat) Sachverhalt:
A.
K. , Jahrgang 1981, zog sich am 7. Februar 2000 als Mitfahrer eines Kleinbusses in Z. bei einem Unfall erhebliche Verletzungen zu (Querschnittslähmung und schwerste Verbrennungen). Rechtsanwalt Dr. iur. Marcel Köppel reichte am
7. Januar 2002 in Vertretung des Geschädigten beim Sicherheits- und Justizdepartement (SJD; bis 31. Dezember 2007 Justiz- und Polizeidepartement) vorsorglich ein Gesuch um Entschädigung und Genugtuung gemäss OHG ein. Weil das Verfahren und die Verhandlungen in Z. noch nicht abgeschlossen waren, wurde das Verfahren sistiert und die Sistierung mehrmals verlängert. Im Rahmen einer Besprechung vom 5. Juni 2007 einigten sich der Rechtsvertreter des Geschädigten
und das SJD, dass zunächst vorfrageweise entschieden würde, ob eine Straftat im Sinn des OHG vorliege. In seiner Stellungnahme vom 19. Juni 2007 hielt der Rechtsvertreter fest, die objektiven Tatbestandsmerkmale der fahrlässigen Körperverletzung seien erfüllt, es liege rechtswidriges Handeln vor und Rechtfertigungsgründe seien nicht vorhanden. Eine Straftat sei mithin zu bejahen (act. G 3.11).
Mit Verfügung vom 26. Februar 2008 wies das SJD das Entschädigungs- und Genugtuungsbegehren ab. Ausgewiesen sei, dass der Gesuchsteller durch den Unfall vom 7. Februar 2000 in seiner körperlichen Integrität unmittelbar erheblich und dauernd beeinträchtigt worden sei. Ferner ergebe sich aus verschiedenen Korrespondenzen, dass er von der staatlichen Z. Haftpflichtversicherung auf Schweizer Verhältnisse umgerechnet nur ungenügende Leistungen erhalten habe. Näher zu prüfen bleibe, ob der Gesuchsteller durch den Unfall Opfer einer Straftat im Sinn des OHG geworden sei.
Eine technische Ursache des Unfalls erscheine als ausgeschlossen. Die Strassenverhältnisse seien gemäss Polizeirapport gut gewesen. Ein offensichtliches Fehlverhalten des Fahrers sei ebenfalls nicht ersichtlich. So sei das in Z. gegen ihn eingeleitete Strafverfahren eingestellt worden. Auch andere beim Fahrer liegende Gründe (Ohnmacht, Blendung durch andere Fahrzeuge etc.) seien nicht bekannt. Schliesslich könne auch aus den Leistungen der beiden Z. nischen Versicherungen nicht rechtsgenüglich auf ein menschliches Fehlverhalten geschlossen werden, da die bescheidenen Summen angesichts der schweren Verletzungen aus Kulanz erbracht sein könnten. Hingegen sei ein aussergewöhnlich starker unerwarteter Windstoss mehrfach als mögliche Unfallursache genannt worden. Der Fahrer sei jedoch nicht ortskundig gewesen und habe daher nicht mit einer solchen Naturgewalt rechnen müssen. Eine genauere Abklärung der Unfallursache erscheine sowohl aus zeitlichen als auch aus örtlichen Gründen aussichtslos. Damit sei der Unfall nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen (act. G 3).
B.
Gegen diese Verfügung richtet sich der Rekurs des Rechtsvertreters des Rekurrenten vom 10. März 2008. Er beantragt die Aufhebung der Verfügung. Es sei festzustellen, dass es sich beim Vorfall vom 7. Februar 2000 um eine Straftat im Sinne des OHG handle. Die Sache sei zur Weiterbehandlung, d.h. zur korrekten betragsmässigen Festlegung der Entschädigung und der Genugtuung, an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei dem Rekurrenten zur Einreichung der Unterlagen zur konkreten betragsmässigen Festlegung der Entschädigung und der Genugtuung eine angemessene Nachfrist zu setzen, alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Der Unfall hänge mit dem Verhalten des Fahrzeuglenkers sehr wohl zusammen, auch wenn die Strafuntersuchung nicht den strikten Beweis dafür erbracht habe, dass dieses Verhalten fehlerhaft gewesen sei. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sei für das Bejahen einer Straftat im Sinne des OHG nicht vorausgesetzt, dass ein Unfall mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf menschliches (Fehl-)Verhalten zurückzuführen sei. In der Rechtslehre sei unbestritten, dass Strassenverkehrsunfälle nach der bestehenden Ordnung unter das OHG fallen würden und dass schuldhaftes Verhalten des Täters dabei nicht erforderlich sei. Praktisch jeder
Verkehrsunfall mit Verletzungsfolgen falle in den Anwendungsbereich des OHG, sofern nicht ein ausschliesslicher Selbstunfall vorliege. Ein solcher sei im Fall des Rekurrenten nicht gegeben. Die Rechtswidrigkeit einer Handlung entfalle nur, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliege. Daraus ergebe sich, dass eine Straftat nach dem Verständnis des OHG nicht zwingend voraussetze, dass ein Unfall mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf menschliches (Fehl-)Verhalten zurückzuführen sei. Es müsse genügen, dass menschliches Verhalten mit im Spiel gewesen sei und dieses wenn auch nicht nachweislich, so doch mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit als Ursache in Betracht falle. Höhere Gewalt trete als Unfallursache doch deutlich in den Hintergrund, ein Fahrfehler sei als naheliegendste Unfallversion anzunehmen. Die objektiven Tatbestandsmerkmale einer fahrlässigen Körperverletzung im Sinne des Strafgesetzbuchs seien somit zu bejahen. Weiter sei infolge des Unfalls die Gesundheit des Rekurrenten verletzt worden, sodass auch die Rechtswidrigkeit zu bejahen sei. Rechtfertigungsgründe würden fehlen. Deshalb sei eine Straftat im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG zu bejahen (act. G 1).
In der Vernehmlassung vom 3. April 2008 beantragt die Vorinstanz die Abweisung des Rekurses unter Kostenfolgen und verweist zur Begründung auf die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen in der angefochtenen Verfügung, an denen sie ausdrücklich festhält (act. G 3).
Erwägungen:
1.
Die angefochtene Verfügung stützt sich auf das Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG; SR 312.5). Verfügungen des zuständigen Departements über Entschädigungs- und Genugtuungsbegehren nach OHG können beim Versicherungsgericht innert 14 Tagen angefochten werden (Art. 49bis des Strafprozessgesetzes [sGS 962.1] i.V.m. Art. 47 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege [sGS 951.1]). Da der vorliegende Rekurs rechtzeitig beim Versicherungsgericht eingereicht wurde, ist darauf einzutreten.
2.
Wird eine Person, die das Schweizer Bürgerrecht oder Wohnsitz in der Schweiz hat, im Ausland Opfer einer Straftat, kann sie nach Art. 11 Abs. 3 OHG in ihrem Wohnsitzkanton eine Entschädigung oder eine Genugtuung verlangen, wenn sie nicht von einem ausländischen Staat eine genügende Leistung erhält. Hilfe nach diesem Gesetz erhält jede Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt wurde, unabhängig davon, ob der Täter ermittelt wurde und ob er sich schuldhaft verhalten hat (Art. 2 Abs. 1 OHG). Das Opfer hat Anspruch auf eine Entschädigung für den durch die Straftat erlittenen Schaden, wenn seine EL-rechtlich anrechenbaren Einnahmen das Vierfache des massgebenden Höchstbetrages für den allgemeinen Lebensbedarf nach Art. 3b Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG; SR 831.30) vom 19. März 1965 in der bis Ende 2007 gültigen Fassung (bzw. Art. 10 Abs. 1 lit. a des seit 1. Januar 2008 in Kraft stehenden neuen ELG vom 6. Oktober 2006) nicht übersteigen. Massgebend sind die voraussichtlichen Einnahmen nach der Straftat (Art. 12 Abs. 1 OHG). Dem Opfer kann unabhängig von seinem Einkommen eine Genugtuung ausgerichtet werden, wenn es schwer betroffen ist und besondere Umstände es rechtfertigen (Art. 12 Abs. 2 OHG). Der Begriff der Straftat ist im OHG grundsätzlich gleich wie im Strafgesetzbuch. Man versteht darunter ein tatbestandsmässiges und rechtswidriges Verhalten; eine schuldhafte Tatbegehung ist jedoch ausdrücklich nicht vorausgesetzt (vgl. Art. 2 Abs. 1 OHG; BGE 122 II 320 Erw. 3b m.w.H.). In einem neueren Urteil bestätigte das Bundesgericht seine Rechtsprechung, wonach die Tatbestandsmässigkeit nicht nur den objektiven, sondern auch den subjektiven Tatbestand einer Straftat zu umfassen hat, also auch vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln vorausgesetzt wird (BGE 134 II 33 Erw. 5.4).
Im vorliegenden Verfahren steht fest, dass der Rekurrent am 7. Februar 2000 in Z. bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde. Die Invalidenversicherung (IV) finanzierte dem fortan querschnittsgelähmten Versicherten eine Umschulung zum
Technischen Kaufmann, die er im Sommer 2004 abschloss. Die Unfallversicherung (UV) sprach ihm am 29. Oktober 2004 ab 1. November 2004 bei einer Erwerbsunfähigkeit von 63% eine Invalidenrente und eine Entschädigung für Hilflosigkeit leichten Grades sowie eine Integritätsentschädigung zu (act. G 3.7a). Die IV verfügte am 13. Juli 2005 eine Dreiviertelsrente bei einem Invaliditätsgrad von 63% rückwirkend ab 1. August
2004 (act. G 3.9a). Die Betriebshaftpflicht-Versicherung des Fussballclubs St. Gallen verweigerte eine Kostengutsprache unter Hinweis auf ihre Versicherungsbedingungen, die ihre Haftpflicht bei Unfallverursachung durch den Betrieb eines Motorfahrzeugs ausschliesse (act. G 3.13b).
Streitig und zu prüfen ist, ob der Rekurrent am 7. Februar 2000 Opfer einer Straftat geworden ist. Gemäss Lehre und Rechtsprechung ist für die Entschädigungs- und Genugtuungsansprüche nach OHG kein strikter Nachweis einer Straftat erforderlich. Vielmehr ist die Frage des Vorliegens einer Straftat und damit der Opfereigenschaft in Anlehnung an das Sozialversicherungsrecht mit dem dort erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu beantworten (vgl. Gomm/Zehntner, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Bern 2005, Art. 16 Rz. 19; Eva Weishaupt, Finanzielle Ansprüche nach Opferhilfegesetz, in: SJZ 98 [2002] Nr. 13
S. 325 Fn. 35; Urteil OH.2002.0005 des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. Juni 2003, Erw. 5.5). Das Beweismass der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit muss insbesondere von der Glaubhaftmachung abgegrenzt werden. Glaubhaftmachen umschreibt oftmals das Beweismass, das im Rahmen von vorläufigen, zumeist mit Beweismittelbeschränkungen getroffenen Entscheiden gilt. Unterschiedlich ist zudem der jeweils geforderte Grad an Wahrscheinlichkeit. Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache schon dann, wenn für deren Vorhandensein gewisse Elemente sprechen, selbst wenn das Gericht noch mit der Möglichkeit rechnet, dass sie sich nicht verwirklicht haben könnte. Demgegenüber sind die Anforderungen beim Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit höher: Die Möglichkeit, dass es sich auch anders verhalten könnte, schliesst die überwiegende Wahrscheinlichkeit zwar nicht aus, darf aber für die betreffende Tatsache weder eine massgebende Rolle spielen noch vernünftigerweise in Betracht fallen (BGE 130 III 325 Erw. 3.3 m.w.H.).
Nach Art. 16 Abs. 2 OHG stellt die Behörde den Sachverhalt von Amtes wegen fest. Die Verwaltung und im Rekursfall das Gericht haben entsprechend von Amtes wegen für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen. Dieser Grundsatz gilt indessen nicht uneingeschränkt; er findet sein Korrelat in den Mitwirkungspflichten der Parteien (BGE 122 V 158 Erw. 1a m.w.H.). Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinn der Beweisführungslast begriffsnotwendig aus. Im Opferhilfeprozess tragen mithin die Parteien eine Beweislast
insofern, als im Fall der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte. Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes aufgrund einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 117 V 264 Erw. 3b m.w.H.).
3.
Vorliegend ist also zu prüfen, ob ein tatbestandsmässiges und rechtswidriges Verhalten zur schweren Körperverletzung des Rekurrenten geführt hat. Art. 122 des Strafgesetzbuchs (StGB; SR 311.0) ist nur bei vorsätzlich begangenen Delikte anwendbar und ist daher vorliegend auszuschliessen. In Frage kommt hingegen die fahrlässige Körperverletzung gemäss Art. 125 StGB.
Unter dem Begriff des Tatbestands werden die rechtlichen Voraussetzungen verstanden, unter denen ein Sachverhalt strafrechtlich bedeutsam ist. Der Tatbestand im engeren Sinn besteht in der Umschreibung des verbotenen Verhaltens, auf das sich eine Strafdrohung bezieht. Widerspricht das Verhalten dem strafrechtlich sanktionierten Verbot oder Gebot, so ist es tatbestandsmässig. Eine Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand ist beim fahrlässigen Handlungsdelikt wenig sachgerecht, da sich der Verwirklichungswille des Fahrlässigkeitstäters nicht auf den strafrechtlich relevanten Erfolg richtet (BSK-Strafrecht I, 2. Aufl., Basel 2007, Jenny Guido, Art. 12 Rz. 70). Kern des Fahrlässigkeitsdelikts ist die pflichtwidrige Unvorsichtigkeit, die Verletzung einer Sorgfaltspflicht (vgl. Art. 12 Abs. 3 StGB in der seit 1. Januar 2007 in Kraft stehenden Fassung). Art. 12 Abs. 3 StGB ist inhaltlich identisch mit dem im Zeitpunkt des Unfalls in Kraft gestandenen Art. 18 Abs. 3 StGB.
Gehört der Eintritt eines Verletzungserfolgs zur Verwirklichung des Tatbestands, so setzt der Vorwurf des fahrlässigen Verhaltens voraus, dass der Täter ihn verursacht oder mitverursacht hat, sein Handeln pflichtwidrig unvorsichtig war und der Erfolg sich als Auswirkung gerade der durch den Sorgfaltsmangel geschaffenen Gefahr darstellt. In der neueren Lehre ist praktisch unbestritten, dass die den Kern der Fahrlässigkeitshaftung bildende Verletzung einer Sorgfaltspflicht bereits das
tatbestandsmässige Unrecht kennzeichnet und nicht erst ein Element oder eine Form der Schuld (m.w.H. Jenny, a.a.O., Art. 12 Rz. 69). Die Tatbestandsmässigkeit bei der fahrlässigen Deliktsbegehung setzt mehr voraus als die blosse adäquat kausale Verursachung eines Erfolgs. Verboten sein kann nur das Eingehen von Gefahren, die ein zulässiges, durch die je geltenden Sorgfaltsanforderungen festgelegtes Mass überschreiten. Das Handlungsunrecht fahrlässigen Verhaltens kommt erst durch die Schaffung eines unerlaubten Risikos zustande (Jenny, a.a.O., Art. 12 Rz. 78). Zu den Grundvoraussetzungen sorgfaltswidrigen Handelns gehören einerseits die Voraussehbarkeit des Erfolgs und andererseits dessen Vermeidbarkeit, entweder durch das Ergreifen von Vorkehrungen, die das Risiko seiner Verwirklichung ausschliessen bzw. auf das erlaubte Mass reduzieren, oder – falls dies nicht möglich ist – durch das Unterlassen der gefährlichen Handlung. Die Vermeidbarkeit folgt oft, aber nicht zwangsläufig aus der Vorhersehbarkeit. Nicht der Fall ist dies namentlich bei plötzlich auftretenden Gefahren. Platzt etwa in voller Fahrt ein Autoreifen, so droht ein Unfall, der zwar vorhersehbar, aber nicht vermeidbar ist (Jenny, a.a.O., Art. 12 Rz. 79). Zur Beuteilung der Vermeidbarkeit wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Dabei genügt es nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung für die Zurechnung des Erfolgs, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (m.w.H. BGE 130 IV 7, Erw. 3.2).
Für fahrlässige Tatbegehung kann zudem nur haften, wer nach seinen persönlichen Verhältnissen (individuelle Kenntnisse und Fähigkeiten) imstande gewesen wäre, mit grösserer Sorgfalt vorzugehen, als er es getan hat. Die gebotene Individualisierung berührt gemäss der herrschenden Lehre stets die Tatbestandsmässigkeit mit der Folge, dass derjenige, der die Gefahr des Erfolgseintritts weder erkennen noch ihn verhindern konnte, nicht erst unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Schuld entlastet wird, sondern schon gar kein Delikt begeht (m.w.H. Jenny, a.a.O., Art. 12 Rz. 81). Gemäss Art. 12 Abs. 3 StGB ist stets die "nach den Umständen gebotene" Vorsicht aufzuwenden. Der Inhalt der Sorgfaltspflicht kann somit letztlich erst mit Blick auf die konkrete Gefahrenlage präzisiert werden (Jenny, a.a.O., Art. 12 Rz. 88).
4.
Im vorliegenden Fall kommt als Täter nur der Fahrer des verunfallten Kleinbusses in Frage. Der Unfall erfolgte unbestrittenermassen nicht unter Drittbeteiligung. Der Polizeibeamte, der als erster am Unfallort eintraf, hielt in seinem Bericht vom 7. Februar 2000 fest, das Fahrzeug sei von der Strasse abgekommen und habe sich überschlagen. Verletzte seien am Strassenrand gelegen. Der Lenker könne sich nach seiner Behauptung nicht erinnern, was geschehen sei (act. G 3.11a, S. 11). Es habe helles Tageslicht geherrscht. Der Strassenbelag habe aus Bitumen bestanden und sei trocken gewesen. Der Lenker habe einen nüchternen, aber geschockten Eindruck gemacht (S. 13). Bei den Untersuchungsakten finden sich mehrere Bescheinigungen von Insassen des Unfallfahrzeugs, die unterschriftlich bestätigten, bis zum Unfall geschlafen zu haben und deshalb nicht beschreiben zu können, was geschehen sei, ausser dass das Wetter gut und die Strasse geteert und trocken gewesen sei. Das Strassenstück, auf dem der Unfall geschehen sei, sei leicht aufwärts gegangen, die Strasse sei breit und gerade gewesen (act. G 3.11b). Der Fahrer des Unfallwagens bestätigte, das Wetter sei sehr windig, aber ansonsten gut gewesen, die Sicht sei gut gewesen, der Südostwind habe in Böen geblasen. Das Fahrzeug sei abrupt und plötzlich ausgebrochen und habe auf die linke Strassenseite geschwenkt, über den Strassenrand hinweg in die Rinne neben der Strasse, "where the vehicle rolled several times". Er habe versucht, das Fahrzeug unter Kontrolle zu bringen, bevor es die asphaltierte Strasse verlassen habe, aber es habe auf seine Versuche nicht reagiert. Über die exakte Unfallursache sei er unsicher. Als denkbare Ursachen nannte er eine Reifenpanne bei einem der Vorderreifen ("a blow out in a front tire") oder als Alternative eine besonders starke Windböe. Es seien ihnen keine Fahrzeuge entgegen gekommen. Sein Fahrzeug sei das zweitletzte von vier Fahrzeugen einer Kolonne gewesen. Es habe etwa eine Geschwindigkeit von 80 km/h gehabt (act. G 3.11b). Bei den Akten findet
sich eine Bestätigung des Fahrers des Minibusses, der hinter dem verunfallten gefahren war. Jener Fahrer war ebenfalls ein Begleiter des Fussballclubs. Er habe den vor ihm fahrenden Bus ausbrechen und fast sofort die Strasse verlassen sehen. Wegen der abrupten Weise, in der das Fahrzeug ausgebrochen sei, könne er nur annehmen, es sei ein Reifen geplatzt oder es habe eine plötzliche starke Windböe gegeben
(act. G 3.11b).
Der in Z. vom Rekurrenten beigezogene Anwalt hielt in einem Schreiben vom
13. Juni 2000 fest, ein unabhängiger Spezialist habe den Unfall untersucht und am
Wagen keinen offensichtlichen Mangel oder eine Fehlkonstruktion bemerkt. Das Fahrzeug sei noch neu gewesen. Der Wind habe am Unfalltag gemäss den Zeugen tatsächlich extrem stark geweht und sei böenhaft gewesen. Die Strecke sei bekannt für solche Böen, die öfters Wagen von der Strasse wehen würden. Inwiefern der Fahrer des Fahrzeugs fahrlässig gewesen sei, sei schwierig zu beurteilen, da weder er noch die Insassen sich an etwas Konkretes erinnern könnten (act. G 13a).
Fest steht, dass der Unfall sowohl natürlich als auch adäquat kausal für die schwere Körperverletzung des Rekurrenten ist. Zu prüfen ist jedoch, ob dem Fahrer ein pflichtwidrig unvorsichtiges Verhalten vorgeworfen werden kann. Zwar ist durchaus denkbar, dass ein Fehlverhalten des Fahrers direkt zum Unfall führte, indem er beispielsweise zufolge einer Unaufmerksamkeit oder eines Sekundenschlafs von der Fahrbahn geriet. Ebenso möglich wäre jedoch, dass eine aussergewöhnlich starke Windböe oder ein geplatzter Reifen den Unfall verursachten. Der Rechtsvertreter des Rekurrenten anerkennt in der Rekursschrift, ein Fehlverhalten des Fahrers habe sich durch die polizeilichen Untersuchungen in Z. offensichtlich nicht erhärten lassen (act. G 1, Ziff. III/1b). Der diesbezügliche Sachverhalt kann nicht hinreichend geklärt werden. Dem Fahrer kann jedenfalls keine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit nachgewiesen werden. Ein allfälliger Verdacht, er wäre übermässige Gefahren eingegangen, lässt sich nicht erhärten. Als mögliche Ursache des Unfalls wurde ein Reifenproblem erwähnt. Näheres über den Zustand zumindest des linken Vorderreifens ist den Akten nicht zu entnehmen. Im Inspektionsbericht vom 5. April 2000 wurde dazu lediglich festgehalten, der Reifen habe nicht untersucht werden können, weil er für Tests weggesandt worden sei (act. G 3.11b). Bei einer Reifenpanne wäre zwar die Voraussehbarkeit des Unfalls allenfalls zu bejahen. Dennoch wäre sorgfaltswidriges Handeln zu verneinen, weil es an der Vermeidbarkeit des Erfolgseintritts fehlen würde, zumal der Fahrer mit der recht hohen Geschwindigkeit von 80 km/h unterwegs war und er nicht etwa hätte Vorkehrungen treffen können, um ein Platzen des Reifens – möglicherweise wegen eines auf der Fahrbahn liegenden spitzigen Gegenstands – zu verhindern. Hätte eine plötzlich auftretende heftige Windböe den Unfall verursacht, so wäre es ebenfalls kaum möglich, dem Fahrer eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit nachzuweisen bzw. eine solche überwiegend wahrscheinlich als gegeben zu betrachten. Zwar wäre es dem Fahrer allenfalls möglich gewesen, seinen Fahrstil – insbesondere die Geschwindigkeit – den Umständen besser anzupassen; ob er eine
vom böenartigen Wind ausgehende mögliche Gefahr samt deren Ausmass jedoch hätte voraussehen müssen, ist zweifelhaft. Im Rahmen seiner persönlichen Verhältnisse verfügte er womöglich nicht über hinreichende Kenntnisse der Gefahr durch Wind in der Unfallgegend, war er schliesslich nicht ortskundig.
Lediglich ein von aussen nicht begünstigtes Fehlverhalten des Fahrers wie Unaufmerksamkeit wäre somit als tatbestandsmässige Handlung denkbar. Da ein solches jedoch gemäss den polizeilichen Ermittlungen vor Ort offenbar nicht als wahrscheinlicher betrachtet werden konnte als etwa der Einfluss einer Windböe, ist der erforderliche Beweisgrad nicht erfüllt. Das Gericht hat ernsthaft damit zu rechnen, dass sich der Unfall auch ohne ein relevantes Fehlverhalten des Fahrers zugetragen haben könnte. Da das in Z. gegen den Fahrer eingeleitete Strafverfahren eingestellt wurde, ist davon auszugehen, dass es nicht möglich war, durch weitere Sachverhaltsabklärungen die Unfallursache zu belegen. Dies bestätigte auch der den Rekurrenten in Z. vertretende Rechtsanwalt (act. 3.13a). Mangels des Nachweises einer pflichtwidrigen Unvorsichtigkeit bzw. weil eine solche zwar als möglich erscheint, nicht aber als überwiegend wahrscheinlich nachgewiesen werden konnte, ist die Tatbestandsmässigkeit in Bezug auf Art. 125 StGB also nicht gegeben. Entsprechend scheitert ein Anspruch auf Leistungen gemäss OHG am Vorliegen einer Straftat.
Die vom Rechtsvertreter des Rekurrenten zitierten Lehrmeinungen zur Frage, wann Verkehrsunfälle unter das Opferhilfegesetz fallen, vermögen an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Auch Gomm und Zehntner gehen in ihrem Kommentar zum OHG davon aus, dass die (objektive und subjektive) Tatbestandsmässigkeit bei der schädigenden Handlung gegeben sein muss, damit überhaupt von einer Straftat ausgegangen werden kann – dies auch in Bezug auf Strassenverkehrsunfälle (Gomm/ Zehntner, a.a.O., Art. 2 Rz. 3 ff., Art. 14 Rz. 8). Aus der Abhandlung von Koller kann ebenfalls nichts anderes geschlossen werden, da auch er tatbestandsmässiges und rechtswidriges Handeln als notwendig erachtet (Koller Thomas, Das Opferhilfegesetz: Auswirkungen auf das Strassenverkehrsrecht, in: AJP 5/96, S. 581). Ohne Tatbestandsmässigkeit ist mangels eines begangenen Delikts auch die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen.
Die Vorinstanz mutmasst, die bescheidenen Summen, die von den Z. nischen Versicherungen bezahlt worden seien, könnten aus Kulanz erbracht worden sein. Selbst wenn es sich nicht so verhalten würde und die Versicherungen zur Zahlung verpflichtet gewesen wären, liesse dies keine strafrechtlichen Schlüsse zu. Die haftpflichtrechtliche Seite des Falles ist für die vorliegende Beurteilung nicht relevant. Auch wenn der Fahrer des Unfallwagens den Straftatbestand der fahrlässigen Körperverletzung nicht erfüllt, sagt dies über seine allfällige haftpflichtrechtliche Verantwortlichkeit nichts aus (vgl. z.B. die Beweislastverteilung gemäss Art. 59 Abs. 1 des Strassenverkehrsgesetzes [SVG; SR 741.01]). Um Ansprüche aus OHG durchsetzen zu können, ist jedoch das Vorliegen einer Straftat erforderlich.
5.
Gemäss den vorstehenden Erwägungen ist der Rekurs gegen die Verfügung vom
26. Februar 2008 abzuweisen. Die angefochtene Verfügung ist nicht zu beanstanden.
Da das Verfahren betreffend Entschädigung und Genugtuung aus OHG (einschliesslich Rechtsmittelverfahren) von Bundesrechts wegen kostenlos ist (Art. 16 Abs. 1 OHG; BGE 125 II 265 Erw. 3b), sind keine Gerichtskosten zu erheben.
Demgemäss hat das Versicherungsgericht
im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 53 GerG entschieden:
Der Rekurs wird abgewiesen.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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