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Urteil Aufsichtsbehörden und Kommissionen (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:AU 99 11
Instanz:Aufsichtsbehörden und Kommissionen
Abteilung:Aufsichtsbehörde über die Urkundspersonen
Aufsichtsbehörden und Kommissionen Entscheid AU 99 11 vom 29.11.1999 (LU)
Datum:29.11.1999
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:§ 19 BeurkG. Stimmen nicht alle Geheimnisherren der Preisgabe des Berufsgeheimnisses zu, entscheidet die Aufsichtsbehörde aufgrund einer Abwägung der für eine Preisgabe oder die Wahrung des Geheimnisses massgebenden Interessen. Der Anspruch der Urkundsparteien auf den Schutz ihres Vertrauens, welcher der Geheimhaltungspflicht des Notars zu Grunde liegt, dauert auch nach der Beendigung der Ausübung der notariellen Tätigkeit fort.

Schlagwörter: Gesuch; Notar; Gesuchsteller; Geheimnis; Interesse; Verschwiegenheit; Partei; Berufs; Urkundspartei; Berufsgeheimnis; Interessen; Aufsichtsbehörde; Urkundsperson; Vertrauen; Geheimhaltung; Zeuge; Notars; Aussage; Luzern; Ziffer; Zeugen; Kaufvertrags; Verschwiegenheitspflicht; Auskunft; Beurkundung; Kantons; Ausübung; Urkunde; Geheimnisherr
Rechtsnorm: Art. 9 ZGB ;
Referenz BGE:112 Ib 606;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Entscheid
Auf das Gesuch eines ehemaligen Notars um Entbindung vom Berufsgeheimnis wurde ausgeführt:

5.1. Die Urkundspersonen haben über ihre Tätigkeit und über Wahrnehmungen, welche sie dabei machen, Verschwiegenheit zu wahren (§ 19 Abs. 1 BeurkG). Verletzungen des Berufsgeheimnisses ziehen disziplinarische und - auf Antrag - strafrechtliche Folgen nach sich. Vorbehalten sind die eidgenössischen und kantonalen Bestimmungen über die Zeugnisund Editionspflicht (§ 19 Abs. 3 BeurkG; Art. 321 Ziff. 1 und 3 StGB). Sowohl im Zivilprozess (§ 164 Abs. 1 lit. b ZPO i.V.m. Art. 321 Ziff. 1 StGB) als auch im Verwaltungsverfahren (§ 78 VRG) des Kantons Luzern haben die als Zeugen auftretenden Notare ein Antwortverweigerungsrecht. In der luzernischen Strafprozessordnung (§ 93 Abs. 1 StPO) steht das den Rechtsanwälten eingeräumte Zeugnisverweigerungsrecht auch den Notaren zu (LGVE 1981 I Nr. 20). Stimmen nicht alle Geheimnisherren der Preisgabe des Berufsgeheimnisses zu, entscheidet die Aufsichtsbehörde aufgrund einer Abwägung der für eine Preisgabe oder die Wahrung des Geheimnisses massgebenden Interessen (Sidler Kurt, Kurzkommentar zum luzernischen Beurkundungsgesetz, Luzern 1975, S. 28 N 34).

5.2. Der Gesuchsteller will Auskunft über den Inhalt eines Vertrags geben, dessen Abschluss er in seiner Funktion als Notar des Kantons Luzern öffentlich beurkundet hat. Er übt das Amt des Notars zwischenzeitlich nicht mehr aus. Es stellt sich daher vorab die Frage, ob die Aufsichtsbehörde über die Urkundspersonen des Kantons Luzern darauf überhaupt eintreten soll.

Betrifft die Auskunft Informationen und Kenntnisse, die dem Gesuchsteller infolge seiner amtlichen Funktion als Notar anvertraut worden sind oder die er in Ausübung dieses Amtes wahrgenommen hat, handelt es sich um geheimnisgeschützte Informationen. Daran ändert nichts, dass der Gesuchsteller das Amt eines Notars des Kantons Luzern nicht mehr ausübt. Einziges Kriterium der Geheimhaltungspflicht bleibt, dass eine bestimmte Information der Urkundsperson in ihrer Eigenschaft als Amtsperson bzw. infolge ihres Berufs von der Klientschaft anvertraut worden ist oder dass sie die Information in ihrer amtlichen Stellung bzw. in Ausübung ihres Berufs wahrgenommen hat (vgl. Brückner Christian, Schweizerisches Beurkundungsrecht, Zürich 1993, N 1142 sowie Art. 320 und 321 StGB). Der Anspruch der Urkundsparteien auf den Schutz ihres Vertrauens, welcher der Geheimhaltungspflicht des Notars zu Grunde liegt, dauert demnach auch nach der Beendigung der Ausübung der notariellen Tätigkeit fort. So wie der Vertrauensschutz kann auch das Interesse an der Offenbarung des Geheimnisses die Ausübung der notariellen Tätigkeit überdauern. Daraus folgt, dass die Aufsichtsbehörde über die Urkundspersonen des Kantons Luzern auch dann über die Entbindung vom Berufsgeheimnis zu befinden hat, wenn die Urkundsperson ihre Tätigkeit nicht mehr ausübt. Auf das Gesuch ist daher einzutreten.

5.3. Der Gesuchsteller will Auskunft über einen zwischen der X. AG und der Y. AG abgeschlossenen und von ihm öffentlich beurkundeten Grundstückkaufvertrag geben. Die Y. AG wurde infolge Fusion mit der Z. AG aufgelöst. Die X. AG hat den Gesuchsteller von der Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden. Es stellt sich die Frage, ob der Geheimhaltungsanspruch der anderen Urkundspartei Y. AG angesichts des Umstands, dass sie infolge Fusion aufgelöst ist, überhaupt noch existiert und ob die Z. AG gegebenenfalls anstelle der Y. AG den Geheimnisschutz geltend machen kann. Zu klären ist demnach, ob der Gesuchsteller aufgrund dieser Konstellation überhaupt noch ein Gesuch um Entbindung vom Berufsgeheimnis stellen muss.

Mit der Mitwirkung der Urkundsperson soll dafür gesorgt sein, dass der Wille der Beteiligten klar zum Ausdruck kommt und dass er vollständig und unmissverständlich formuliert ist (vgl. Sidler, a.a.O., N 10). Diese Zweckbestimmung findet ihre Folge in Art. 9 ZGB, wonach eine öffentliche Urkunde den vollen Beweis liefert, solange nicht ihre inhaltliche Unrichtigkeit nachgewiesen ist. Dieses erhöhte Vertrauen in die öffentliche Urkunde basiert auf der eben dargelegten Zweckbestimmung. Dies setzt aber voraus, dass eine Urkundspartei der Urkundsperson alle relevanten Punkte eröffnet. Hier knüpft auch die Verschwiegenheitspflicht an. Der Schutz des Geheimnisses beruht nämlich auf dem Gedanken, die Ausübung bestimmter Berufe im öffentlichen Interesse zu erleichtern. Er findet seine Rechtfertigung in der Überlegung, dass diese Berufe nur dann in diesem Sinn richtig und einwandfrei ausgeübt werden können, wenn das Publikum aufgrund einer grundsätzlich unbedingten Garantie der Verschwiegenheit das unentbehrliche Vertrauen zum Inhaber des Berufes hat. Eine Urkundspartei muss auf die Verschwiegenheit des Notars bauen können (vgl. BGE 112 Ib 606 f.). Fehlt das vollständige Vertrauen in die Verschwiegenheit des Notars, besteht die Gefahr, dass die Urkundspartei ihm nicht in alle erheblichen Verhältnisse Einblick gewährt. Würde sich aber eine Urkundspartei mangels Vertrauen in die Verschwiegenheit des Notars über den relevanten Sachverhalt ausschweigen, wäre der oben dargelegte Zweck der öffentlichen Beurkundung in Frage gestellt; die Gewähr, dass mit der öffentlichen Urkunde der Sachverhalt und der Wille der Parteien richtig und vollständig zum Ausdruck kommt, wäre nicht mehr gegeben. Damit wäre auch das in Art. 9 ZGB zum Ausdruck kommende erhöhte Vertrauen in die Richtigkeit und Vollständigkeit der öffentlichen Urkunde nicht mehr gerechtfertigt. Die Pflicht zur Verschwiegenheit muss daher strikt sein. Sie muss auch nach der Beendigung des Verhältnisses zwischen der Urkundspartei und dem Notar weiterbestehen; dabei muss bedeutungslos sein, ob dieses Verhältnis infolge von Erfüllung, Kündigung oder Widerruf des Mandats, Tod des Mandanten oder andern Umständen endet. Dass mit einer so verstandenen Verschwiegenheitspflicht die Schwierigkeiten bei der Wahrheitsfindung möglicherweise erhöht werden, muss in einem Rechtsstaat in Kauf genommen werden (vgl. BGE 112 Ib 606 f.).

Bleibt die Pflicht zur Verschwiegenheit auch nach der Beendigung des Verhältnisses zwischen dem Notar und der Urkundspartei bestehen und spielt auch der Grund für die Beendigung keine Rolle, so folgt daraus, dass die Geheimnispflicht einzig an der Begründung des Rechtsverhältnisses zwischen dem Notar in seiner Funktion als Urkundsperson und der Partei (§ 1 lit. d BeurkG) bzw. Urkundspartei (§ 1 lit. e BeurkG) anknüpft, wobei die Vornahme einer öffentlichen Beurkundung nicht vorausgesetzt ist. Nur so lässt sich der Schutz des oben dargelegten Vertrauensverhältnisses zwischen dem Notar und einer Partei/Urkundspartei auf der einen und dem erhöhten Vertrauen an der Richtigkeit und Vollständigkeit von öffentlichen Urkunden auf der anderen Seite wirksam gestalten. Daraus folgt auch, dass der Geheimnisschutz selbst dann nicht endet, wenn die beteiligte juristische Person nach der Beurkundung - aus welchem Grund auch immer - aufgelöst wird. Soweit also der Gesuchsteller wegen seiner Tätigkeit von der Y. AG Informationen entgegengenommen hat, darf er diese Geheimnisse auch nach deren Auflösung weder durch mündliche oder schriftliche Mitteilung noch indirekt durch Aushändigung von Schriftstücken oder andern Sachen, die das Geheimnis betreffen, verraten. Der Gesuchsteller blieb demnach auch nach der Auflösung der Y. AG zur Verschwiegenheit verpflichtet und musste daher, will er das Geheimnis offenbaren, eine Bewilligung der Aufsichtsbehörde einholen. Der Umstand, dass die Y. AG nicht mehr existiert, hat also keinen Einfluss auf den Bestand der Geheimhaltungspflicht. Er kann aber im Rahmen der nachfolgend vorzunehmenden Interessenabwägung gewichtet werden.

5.4. Die Z. AG hat eine Stellungnahme abgegeben mit der Begründung, sie habe die Y. AG mit Fusionsvertrag übernommen. Die Y. AG existiere nicht mehr; sie sei daher zur Stellungnahme berechtigt.

Träger des geschützten Rechts, der sogenannte Geheimnisherr, ist, wer einen Notar in Anspruch nimmt. Sind zwei oder mehrere Parteien beteiligt, so ist jeder Teil selbständiger Geheimnisherr (vgl. Sidler, a.a.O., N 33). Der Geheimhaltungsdispens kann nur vom Geheimnisherrn oder von der Aufsichtsbehörde erteilt werden (Brückner, a.a.O., N 1167). Ob der Z. AG, die nicht Urkundspartei war, die Geheimnisherrschaft abgeht, kann vorliegend offen bleiben. Die Interessen der aufgelösten Gesellschaft (Y. AG) an der Geheimhaltung bleiben dadurch gewahrt, dass der Gesuchsteller, der sich offenbaren will, mangels ihrer Zustimmung, nur durch die Aufsichtsbehörde von der Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden werden kann und nur nach einer Interessenabwägung von dieser Pflicht allenfalls befreit wird.

6.1. Wie bereits erwähnt, hat die Aufsichtsbehörde unter Abwägung der massgebenden Interessen über das Gesuch zu entscheiden. Das geschieht nach freiem Ermessen. Honorarstreitigkeiten ausgenommen, geht es bei der Interessenabwägung kaum jemals um die persönlichen Interessen der Urkundsperson, welche gegenüber den Geheimhaltungsinteressen der Klientschaft abzuwägen wären, sondern eher um öffentliche Interessen und Privatinteressen Dritter, welche den Dispens allenfalls rechtfertigen (Brückner, a.a.O., N 1174). (...) Eine Befreiung vom Berufsgeheimnis durch die Aufsichtsbehörde setzt neben einem wichtigen Grund auch die Dringlichkeit der Preisgabe des Geheimnisses voraus. Sie ist daher grundsätzlich nur zu bewilligen, wenn das damit angestrebte Ziel weder auf andere Weise noch in einem späteren Zeitpunkt erreichbar ist, und wenn das Interesse an der Offenbarung des Berufsgeheimnisses höher, d.h. schutzwürdiger ist als das entgegenstehende Interesse an der Geheimhaltung (LGVE 1983 I Nr. 14).

6.2. Der Gesuchsteller will in einem Zivilprozess zur Entstehungsgeschichte und damit zum Inhalt einer Bestimmung des von ihm öffentlich beurkundeten Kaufvertrags Auskunft geben. Die Informationen, die der Gesuchsteller offenbaren will, sind grundsätzlich geheimnisgeschützt, so dass deren Offenbarung eine Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht voraussetzt. Ein öffentliches Interesse an der Entbindung vom Berufsgeheimnis besteht nicht, da es weder ein Verbrechen aufzuklären gilt, noch der gute Ruf des Gesuchstellers zu wahren ist (vgl. AU Entscheid vom 16.12.1996 i.S. A. und AU Entscheid vom 20.12.1996 i.S. B.).

6.3. Der Gesuchsteller will Auskunft über die Entstehungsgeschichte und den Inhalt von Ziff. 14 des Kaufvertrags geben. Es besteht indes auch hinsichtlich des Zivilverfahrens kein Grund, den Gesuchsteller von der Verschwiegenheitspflicht zu befreien. Einmal stehen sich im genannten Zivilprozess ausschliesslich private Interessen gegenüber, welche rechtlich als gleichwertig zu betrachten sind, geht es doch beiden Seiten um die Erledigung der gleichen Streitsache. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass die Interessen der einen Prozesspartei höher als diejenigen der Gegenpartei wären. Sodann hält die X. AG, welche den Gesuchsteller als Zeugen aufruft, in ihrer Stellungnahme fest, der Zeuge C. habe klare Aussagen zu den Ziffern 14 und 16 des Kaufvertrags gemacht. Trotz der klaren Zeugenaussagen habe das Amtsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung diese als nicht genügend beurteilt. Die X. AG gibt demnach zu, dass die Aussagen des Zeugen C. klar sind. Ihre Behauptung, klare und zur Wahrheitsfindung relevante Aussagen könne nur der verantwortliche Notar machen, trifft daher nicht zu. Diese Behauptung enthält auch die Auffassung der X. AG, dass sich der Inhalt von Ziffer 14 Abs. 3 des Kaufvertrags mit der klaren Aussage des Zeugen C. beweisen lässt, sie also auf die Aussage des Gesuchstellers gar nicht angewiesen ist. Allein der Umstand, dass das Amtsgericht die klaren Aussagen des von ihm als glaubwürdig betrachteten Zeugen anders als die X. AG würdigte, rechtfertigt es nach dem zur Bedeutung der Verschwiegenheitspflicht Gesagten (E. 5c) und der seit langem herrschenden Praxis (LGVE 1983 I Nr. 14) nicht, den Notar diesbezüglich vom Berufsgeheimnis zu entbinden.

6.4. Die X. AG weist im Rahmen ihrer Vernehmlassung darauf hin, der Appellationsbegründung könne auch entnommen werden, dass der Gesuchsteller nicht nur zu Ziffer 14 sondern auch zu Ziffer 16 als Zeuge angerufen werde.

Es ist allein Sache des Notars zu entscheiden, ob er das Berufsgeheimnis offenbaren und sich, wenn die Einwilligung der Urkundsparteien nicht zu erlangen ist, mit einem entsprechenden Gesuch an die Aufsichtsbehörde wenden will (LGVE 1981 I Nr. 20). Der Gesuchsteller beantragte einzig, hinsichtlich der Ziffer 14 des Kaufvertrags vom Berufsgeheimnis entbunden zu werden; weitere Anträge stellte er nicht. Schon deshalb kann der Gesuchsteller hinsichtlich des Inhalts von Ziffer 16 des Kaufvertrags von seiner Geheimhaltungspflicht nicht entbunden werden.



Aufsichtsbehörde über die Urkundspersonen, 29. November 1999 (AU 99 11)



Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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