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Urteil Appellationsgericht (BS)

Kopfdaten
Kanton:BS
Fallnummer:SB.2019.30 (AG.2020.225)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid SB.2019.30 (AG.2020.225) vom 13.03.2020 (BS)
Datum:13.03.2020
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:sexueller Belästigung
Schlagwörter: Berufung; Privatkläger; Berufungskläger; Privatklägerin; Aussage; Aussagen; Vorfall; Urteil; Verteidigung; Welche; Verfahren; Erstinstanzliche; Glaubhaftigkeit; Rechte; Werden; Chefin; Schildert; Gemäss; Vorinstanz; Glaubhaft; Schuldig; Geschildert; Sexuelle; Halten; Genugtuung; Sexuellen; Zweitinstanzliche; Belästigung; Gleich; Beantragt
Rechtsnorm: Art. 135 StPO ; Art. 138 StPO ; Art. 198 StGB ; Art. 382 StPO ; Art. 42 BGG ; Art. 46 BGG ; Art. 48 BGG ;
Referenz BGE:133 I 270; 133 I 33; 135 I 257; 143 IV 357;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Dreiergericht



SB.2019.30


URTEIL


vom 13. März 2020



Mitwirkende


lic. iur. Christian Hoenen (Vorsitz), Dr. Annatina Wirz,

Dr. Heidrun Gutmannsbauer und Gerichtsschreibern Dr. Patrizia Schmid




Beteiligte


A____, geb. [...] Berufungskläger

[...] Beschuldigter

vertreten durch [...], Advokat,

[...]


gegen


Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Berufungsbeklagte

Binningerstrasse21, 4001 Basel



Privatklägerin


B____

[...]

vertreten durch [...], Advokatin,

[...]



Gegenstand


Berufung gegen ein Urteil des Einzelgerichts in Strafsachen

vom 29. Januar 2019


betreffend sexuelle Belästigung



Sachverhalt


A____ wurde vom Einzelgericht in Strafsachen - auf Einsprache gegen Strafbefehl hin - der sexuellen Belästigung schuldig erklärt und verurteilt zu einer Busse von CHF 500.- (bei schuldhafter Nichtbezahlung 5 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) sowie zur Bezahlung von Schadenersatz an die Privatklägerin in Höhe von CHF 92.60 und einer Genugtuung von CHF 300.-. Die Mehrforderung wurde auf den Zivilweg verwiesen (Schadenersatz) bzw. abgewiesen (Genugtuung). Von der Anklage der mehrfachen sexuellen Belästigung zum Nachteil von C____ wurde A____ freigesprochen.


Gegen dieses Urteil hat A____ am 18. März 2019 Berufung erklären lassen. Er beantragt Freispruch vom Vorwurf der sexuellen Belästigung sowie Abweisung der Schadenersatz- und Genugtuungsforderung der Privatklägerin, alles unter o/e Kostenfolge zu Lasten des Staates. Mit Verfügung vom 20. März 2018 hat der Instruktionsrichter die Berufungserklärung der Staatsanwaltschaft und der Privatklägerin zukommen lassen: Gleichzeitig hat er dem Berufungskläger die amtliche Verteidigung für das zweitinstanzliche Verfahren bewilligt. Weder die Staatsanwaltschaft noch die Privatkläger haben innert Frist Nichteintreten auf die Berufung oder Anschlussberufung erklärt. Mit Eingabe vom 9. Juli 2019 hat der Berufungskläger seine Berufung begründen lassen. Mit Berufungsantwort vom 18. Juli 2019 beantragt die Staatsanwaltschaft deren Abweisung. Mit Verfügung vom 13. August 2019 wurde der Privatklägerin die unentgeltliche Rechtspflege und unentgeltliche Verbeiständung für das zweitinstanzliche Verfahren bewilligt. Die Privatklägerin hat sich mit Eingabe vom 14. Oktober 2019 zur Berufung vernehmen lassen und beantragt ebenfalls die Abweisung der Berufung. Weiter beantragt sie die Befragung zweier Zeuginnen. Mit Verfügung vom 15. Oktober 2019 wurde die Berufungsantwort der Privatklägerin den übrigen Parteien zur Kenntnis zugestellt.


Mit Verfügung vom 3. Januar 2020 wurden der Berufungskläger mit seinem Verteidiger sowie die Staatsanwaltschaft und die Privatklägerin mit ihrer Vertreterin fakultativ zur Hauptverhandlung des Appellationsgerichts geladen. An der Verhandlung vom 13. März 2020 ist der Berufungskläger befragt worden und sein Verteidiger zum Vortrag gelangt. Für sämtliche Ausführungen wird auf das Verhandlungsprotokoll verwiesen. Die Einzelheiten der Standpunkte ergeben sich, soweit sie für den Entscheid von Bedeutung sind, aus dem erstinstanzlichen Urteil und den nachfolgenden Erwägungen.



Erwägungen


1.

1.1 Gegen Urteile des Einzelgerichts in Strafsachen kann gemäss Art. 398 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR.312.0) Berufung erhoben werden. Zur Beurteilung der Berufung ist gemäss § 18 Abs. 1 des Gesetzes über die Einführung der Schweizerischen Strafprozessordnung (EG StPO, SG.257.100) in Verbindung mit § 92 Abs. 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG, SG 154.100) das Appellationsgericht als Dreiergericht zuständig.


1.2 Der Berufungskläger ist durch das angefochtene Urteil beschwert und hat ein Interesse an dessen Aufhebung oder Abänderung (Art. 382 StPO). Er ist somit zur Erhebung eines Rechtsmittels legitimiert. Dieses ist form- und fristgerecht eingereicht worden, so dass darauf einzutreten ist.


2.

2.1 Die Vorinstanz hat als erstellt erachtet, dass der Berufungskläger B____ (im Folgenden: Privatklägerin) am 25. Februar 2018 in der Küche des Alters- und Pflegeheims D____ in Basel von hinten umarmt habe. Sodann habe er mit seiner rechten Hand ihre linke Brust gepackt und zweimal daran gedrückt, wobei er sie gefragt habe, was "das" (gemeint war die Brust) sei. Die Privatklägerin habe die Hand des Beschuldigten weggedrückt, worauf dieser sie angelächelt und die Küche verlassen habe. Die Vorinstanz hat die Aussagen der Privatklägerin als glaubhaft erachtet und ist zum Schluss gekommen, dass der Berufungskläger sich ihr gegenüber der sexuellen Belästigung schuldig gemacht habe.


2.2 Der Berufungskläger hält dem in seiner Berufung entgegen, mangels objektiver Beweise oder Beobachtungen der Vorwürfe durch Drittpersonen bzw. in Anbetracht der Tatsache, dass einzig die Depositionen der Parteien vorlägen, müsse zweifelsfrei feststehen, dass die Aussagen der Privatklägerin glaubhaft und zutreffend seien. Bei der Glaubhaftigkeitsanalyse sei im Sinne des Grundsatzes in dubio pro reo von der sogenannten Nullhypothese auszugehen, wonach von der Nicht-Verwertbarkeit zu Lasten des Beschuldigten der entsprechenden Angaben ausgegangen werde. Die daran anschliessende Analyse müsse die allfällige Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben abschliessend ergeben (Berufungsbegründung S.2/3). Dafür seien die Entstehungsgeschichte der Erstaussage, das Vorliegen genügender Realkriterien sowie die Abwesenheit der die Aussage beeinflussenden Einflüsse von besonderer Bedeutung. Der Berufungskläger lässt zusammengefasst weiter ausführen, die Aussagen der Privatklägerin seien zu wenig glaubhaft, um für einen Schulspruch des Berufungsklägers darauf abzustellen.


2.3 Da vorliegend weder Zeugen noch objektive Beweise vorhanden sind, welche über das Geschehen Angaben machen könnten, sind die -einander widersprechenden - Aussagen des Berufungsklägers und der Privatklägerin zu analysieren, um über ihre Glaubhaftigkeit zu befinden.


Die Glaubwürdigkeit einer Person lässt sich an ihrer Persönlichkeit, ihren möglichen Motiven und der Aussagesituation abschätzen; die Glaubhaftigkeit einer Aussage bestimmt sich nach ihrem Inhalt; je detaillierter, individueller und in sich verflochtener eine Aussage ist, desto glaubhafter ist sie (Zweidler, Die Würdigung von Aussagen, in ZBJV 132/1996 115 ff.). Dabei ist sämtlichen Umständen, welche objektiv für die Erforschung von Tatsachen von Bedeutung sein können, Rechnung zu tragen. In Lehre und Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich die Glaubhaftigkeit einer Aussage im Wesentlichen danach richtet, was sie beinhaltet. Demgemäss unterscheiden sich Aussagen über selbst erlebte Ereignisse in ihrer Qualität von Aussagen, welche nicht auf selbst erlebten Vorgängen beruhen (vgl. Ludewig/Baumer/Tavor, in Ludewig/Baumer/Tavor [Hrsg.], Aussagepsychologie für die Rechtspraxis, 2017, S.43 ff.; Undeutsch, Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen, in: Undeutsch (Hrsg.), Forensische Psychiatrie, 1968, S. 26 ff.). Überprüft wird dabei in erster Linie die Hypothese, ob die aussagende Person mit den gegebenen individuellen Voraussetzungen, unter den gegebenen Befragungsumständen und Entstehungsbedingungen der Aussage sowie unter Berücksichtigung der im konkreten Fall möglichen Einflüsse von Dritten diese spezifische Aussage machen könnte, wenn diese nicht auf einem realen Erlebnishintergrund basierte (vgl. Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch, Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie 1995, S. 20 ff.; vgl. auch Urteil BGer 6B_760/2010 vom 13.Dezember 2010 E. 2.3). Damit eine Aussage als zuverlässig erachtet werden kann, ist sie besonders auf das Vorhandensein von Realitätskriterien und umgekehrt auf das Fehlen von Phantasiesignalen zu überprüfen (vgl. Ludewig/Baumer/Tavor, in Ludewig/Baumer/Tavor [Hrsg.], a.a.O., S. 46 ff.; Wiprächtiger, Aussagepsychologische Begutachtung im Strafrecht, forumpoenale 2010 S. 40 f.; Dittmann, Zur Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen, in: plädoyer 2/1997 S. 33 ff.; Zweidler, ZBJV 132/1996 105 ff.). Bei der Glaubhaftigkeitsbeurteilung ist immer auch davon auszugehen, dass die Aussage nicht realitätsbegründet sein kann. Erst wenn sich diese Annahme (Nullhypothese) aufgrund der festgestellten Realitätskriterien nicht mehr halten lässt, wird geschlossen, dass die Aussage einem wirklichen Erleben entspricht und wahr ist (BGE 133 I 33 E. 4.3 S. 44 f. mit Hinweisen auf 129 I 49 E. 5 S. 58 und 128 I 81 E. 2 S. 85 f und auf Literatur). Gegenüber den Realitätskriterien sind also in jedem Fall auch mögliche Anhaltspunkte für eine Falschbezichtigung abzuwägen (dazu Dittmann, in: plädoyer 2/1997 S. 34 f.).

2.4 B____ hat anlässlich ihrer Anzeige auf der Polizeiwache angegeben, sie sei am Sonntag, 25. Februar im Alters- und Pflegeheim D____ in der Küche am Abwaschen gewesen, als sich ihr plötzlich ihr Arbeitskollege - der Berufungskläger - von hinten genähert und sie "fest am Bauch gepackt" habe. Seine Hand sei immer weiter nach oben gerutscht und er habe mit seiner rechten Hand ihre linke Brust gepackt. Er habe richtig zugedrückt. Sie sei geschockt gewesen und habe seine Hand weggeschlagen. Er sei weggegangen als sei nichts passiert. Heute, am 20.März 2018, habe sie ein Gespräch mit der Chefin gehabt, die ihr geraten habe, Anzeige zu erstatten (Rapport vom 21. März 2018, Akten S. 39/40). Praktisch identisch hat die Privatklägerin während ihrer ersten Einvernahme angegeben, sie sei gegen Ende Februar vom Berufungskläger "angefasst" worden. Er habe sie "fest umarmt" und mit der rechten Hand auf der linken Brust gedrückt. Er habe gefragt, was das sei. Sie sei geschockt gewesen und habe seine Hand weggedrückt. Er habe gegrinst und sei weggegangen (Einvernahme vom 2. Mai 2018 S. 2, Akten S. 53). Sie habe es keinem sagen wolllen und sich geschämt. Jemand habe es dann der Chefin erzählt. Am 20. März habe sie zu einem Gespräch zur Chefin müssen, welche sie darauf angesprochen habe (a.a.O.). Sie habe dann mit ihrem Vater zusammen entschieden, eine Anzeige zu machen.


Auch an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung hat sie den Vorfall genau gleich geschildert. Er sei von hinten gekommen, habe sie gepackt, sei mit der rechten Hand an die linke Brust und habe gefragt, was "das" sei (erstinstanzliches Protokoll S.14/15, Akten S. 314/315). Einzig bezüglich der Zeit zwischen Vorfall und Anzeige ergab sich insofern eine Änderung, als dass sie angab, während dieser Zeit bzw. vor ihrer Chefin bereits ihren Cousin und eine Kollegin namens E____ informiert zu haben (erstinstanzliches Protokoll S. 15, Akten S. 315).


2.5 Aus den obigen Ausführungen erhellt, dass die Privatklägerin - wie bereits die Vorinstanz festgehalten hat - den zur Debatte stehenden Vorfall stets gleich geschildert hat, und zwar ohne dass ihre Aussagen stereotyp wirkten. Wenn von der Verteidigung moniert wird, dass sie das Vorgefallene "beliebig" geschildert habe (zweitinstanzliches Protokoll S. 3), so ist dem entgegen zu halten, dass das Geschehen gemäss Angaben der Privatklägerin etwa 10 Sekunden gedauert habe. Ein derart kurzer Vorfall kann schlicht nicht ausführlicher geschildert werden. Es spricht nicht gegen, sondern im Gegenteil für die Glaubhaftigkeit der Aussagen von B____, dass sie den Vorfall nicht weiter ausgeschmückt oder dramatisiert hat.


In Bezug auf die von der Verteidigung als nicht nachvollziehbar bemängelte Entstehungsgeschichte der Erstaussage verhält es sich zwar tatsächlich so, dass B____ erstmals vor Strafgericht angegeben hat, sie habe vor ihrer Chefin bereits ihren Cousin und eine Arbeitskollegin über den Vorfall informiert. Dies spricht aber nicht gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen. Zum einen betreffen diese Angaben nicht das Kerngeschehen, welches sie wie erwogen stets gleich und widerspruchsfrei geschildert hat. Zum anderen aber führen auch die unterschiedlichen Angaben darüber, wen sie informiert hat, zu keinem Widerspruch in sich: Es ist ohne Weiteres vorstellbar, dass sie zuerst ein Familienmitglied eingeweiht hat und erst dann, um einiges später, jemand von der Arbeit. Ihre Aussage, sie habe gewollt, dass es niemand erfahre, weil sie sich geschämt habe, stehen dem nicht entgegen. Es ist durchaus denk- und nachvollziehbar, dass damit Autoritätspersonen - etwa die Eltern oder die Chefin - und weniger nahestehende Arbeitskollegen gemeint sind, nicht aber einzelne Vertrauenspersonen wie der Cousin oder eben die enge Arbeitskollegin. Dem entspricht, dass sie tatsächlich wochenlang weder den Eltern noch der Chefin etwas erzählt hat vom Vorfall.


Entgegen der Ansicht der Verteidigung ist auch kein Widerspruch darin zu sehen, dass B____ zum einen gesagt habe, sie habe nicht mit Frau C____ geredet, und andererseits aber die Chefin auf B____ zugekommen sei, weil sie von jemandem informiert worden sei (zweitinstanzliches Protokoll S. 3): Dies ist eben gerade mit dem Umstand erklärt, dass Frau B____ ihre Arbeitskollegin E____ - nicht Frau C____ - informiert hat, welche dann ihrerseits, wie B____ auch geschildert hat, die Chefin informiert habe (erstinstanzliches Protokoll S. 15, Akten S. 315). Insofern liegt also in der Erwähnung E____s gerade kein Widerspruch zur anderen Schilderung durch B____, wonach sie vor dem Gespräch mit der Chefin nicht mit Frau C____ gesprochen habe. Im Übrigen ist grundsätzlich festzuhalten, dass eine andere Schilderung der Vorgänge durch C____ ohnehin nicht als Begründung dafür angeführt werden kann, die Aussagen B____s seien nicht glaubhaft: C____s Aussagen wurden vom Strafgericht als unglaubhaft eingestuft, was zu einem Freispruch in Bezug auf die Vorwürfe gegen den Berufungskläger in diesem Punkt führte. Sie können somit nicht als Begründung für die Behauptung angeführt werden, anderslautende Schilderungen B____s seien unglaubhaft.


Bezüglich der Schilderung des Übergriffs selbst ist weiter festzuhalten, dass diese ebenfalls glaubhaft ist. B____ schildert den Vorfall stets gleich, ohne ihn zu dramatisieren. Entgegen der Ausführungen der Verteidigung ist auch anatomisch gesehen gut vorstellbar, dass bei einem Griff von hinten die rechte Hand an die linke - und eben nicht an die rechte - Brust geht. Dass B____ so konsequent etwas auf den ersten Blick Unlogisches angibt, spricht im Übrigen gerade für die Glaubhaftigkeit der betreffenden Aussage. Dasselbe gilt in Bezug auf die von ihr - übrigens stets in der direkten Rede wiedergegebene - Äusserung des Berufungsklägers, wonach er sie beim Berühren der Brust gefragt habe, "was das sei".


Entgegen den Ausführungen der Verteidigung hat B____ im Übrigen nie gesagt, der Berufungskläger sei mit der rechten Hand an ihre linke und gleichzeitig mit der linken Hand an ihre rechte Brust gelangt, womit die Hände des Berufungsklägers "quasi über Kreuz" nach oben gerutscht sein müssten (so die Verteidigung, Berufungsbegründung S. 6). Sie hat laut der Aussagen im Rapport - auf welche sich die Verteidigung bezieht- vielmehr gesagt, er habe sie von hinten fest am Bauch gepackt in der Folge sei "seine Hand" (Einzahl) nach oben gerutscht und er habe mit der rechten Hand die linke Brust gepackt (Rapport vom 21. März 2018, Akten S. 39). Von beiden Händen ist nicht die Rede. Dass es sich beim letzten Buchstaben des offensichtlich falsch protokollierten Worts "rutschten" - aus welchem die Verteidigung abzuleiten scheint, sie habe von beiden Händen gesprochen - um einen Verschrieb handelt, ergibt sich nicht zuletzt auch aus der Präzisierung des Vorfalls in der folgenden Einvernahme, wonach er sie zuerst von hinten umarmt habe und dann "aus dieser Position" mit der rechten Hand zur linken Brust gegangen sei (Einvernahme vom 2. Mai 2018, Akten S. 53).


Dass zwischen dem Vorfall selbst und der Anzeige desselben durch die Privatklägerin rund 3 Wochen liegen, spricht sodann entgegen der Ansicht der Verteidigung ebenfalls nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Aussagen von B____. Vielmehr ist dieser Verlauf bei derartigen Delikten gerade typisch. Bei der noch sehr jungen Privatklägerin kommt noch ihr kultureller Hintergrund hinzu, bei welchem anzunehmen ist, dass dieser die von ihr geschilderte Scham und die Überwindung, über den Vorfall zu sprechen, noch verstärkt hat. Ebenfalls erschwerend fällt neben dem eklatanten Altersunterschied zwischen Opfer und Täter die Tatsache ins Gewicht, dass der ihr zwar in der Hierarchie nicht übergeordnete Berufungskläger offenbar dennoch eine gewisse Autorität im Team ausstrahlte - davon zeugen die geschilderten Dispute mit der ihm fachlich überstellten C____ -, während die Privatklägerin selbst wie erwähnt noch in der Lehre war. All dies vermag ohne Weiteres zu erklären, dass die Privatklägerin einige Zeit verstreichen liess und mit sich gerungen hat, bevor sie den Vorfall zur Anzeige brachte. Dass sie im Übrigen nicht selbst zur Chefin ging, sondern diese von der Kollegin informiert wurde, spricht nicht zuletzt auch gegen eine Falschbelastung des Berufungsklägers durch die Privatklägerin. Im Übrigen ist auch sonst keinerlei Motiv für eine Falschbelastung seitens B____ ersichtlich: Wie der Berufungskläger selbst zuletzt in der Verhandlung des Appellationsgerichts angegeben hat, hatten die beiden ein gutes Verhältnis, welches nicht mit dem eher schwierigen zwischen dem Berufungskläger und C____ zu vergleichen war. Sie seien "wie Familie" gewesen (zweitinstanzliches Protokoll S. 2).


Zusammenfassend erfüllen die Aussagen von B____ verschiedene Realkriterien und sind als glaubhaft einzustufen. Sie hat das Kerngeschehen stets gleich geschildert, ohne stereotyp zu sein, sie hat Aussagen des Berufungsklägers in direkter Rede wiedergegeben ("was ist das"?) und auffällige Details (er hat die rechte Hand auf die linke Brust gelegt) erwähnt, welche dafür sprechen, dass sich der Vorfall so zugetragen hat, wie sie ihn beschreibt. Sie hat den Berufungskläger nicht über Gebühr belastet, und es ist keinerlei Motiv für eine Falschbeschuldigung ersichtlich. Mit der Vorinstanz ist deshalb auf ihr Aussagen abzustellen und der Sachverhalt als erstellt zu erachten.


Bei diesem Ergebnis der Beweiswürdigung erübrigt sich die Befragung der von der Vertreterin der Privatklägerin beantragten Zeugen und ist der Antrag entsprechend abweisen.


3.

In rechtlicher Hinsicht erfüllt das Anfassen der Brust der Privatklägerin klar den Tatbestand der sexuellen Belästigung gemäss Art. 198 StGB. Es kann diesbezüglich auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (erstinstanzliches Urteil S. 5).


4.

Die Vorinstanz hat den Berufungskläger für seine Tat mit einer Busse von CHF 500.- sanktioniert. Dies erscheint angemessen, wobei die Höhe der Busse auch nicht angefochten ist. Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, wiegt das Verschulden des Berufungsklägers nicht mehr leicht. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, dass die Privatklägerin zum Tatzeitpunkt noch in der Lehre war und erheblich jünger als der Berufungskläger ist. Sie ist denn auch vom Vorfall immer noch belastet und psychisch angeschlagen. Zu seinen Gunsten kann einzig angeführt werden, dass er von ihr abliess, als sie ihn wegdrückte. Ein Geständnis oder eine Entschuldigung liegt jedoch nicht vor.


Insgesamt ist somit die Höhe der Busse, welche die Vorinstanz ausgesprochen hat, zu bestätigen.


5.

5.1 Die Vorinstanz hat die beantragte Schadenersatzforderung der Privatklägerin von CHF 220.- im Umfang von CHF 92.60 gutgeheissen, da sie lediglich insoweit belegt sei (vorinstanzliches Urteil S. 7). Dem ist beizupflichten, so dass der Berufungskläger zur Bezahlung der Schadenersatzforderung in dieser Höhe zu verurteilen ist. Die Mehrforderung ist auf den Zivilweg zu verweisen.

5.2 Die Privatklägerin hat vor erster Instanz zudem eine Genugtuungsforderung von CHF 1'000.- verlangt, welche die Vorinstanz unter Abweisung der Mehrforderung mit zutreffender Begründung auf CHF 300.- reduziert hat (erstinstanzliches Urteil S. 8). Da die Privatklägerin vor zweiter Instanz lediglich die Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils beantragt und nicht an der ursprünglichen Genugtuungsforderung festgehalten hat, ist der Berufungskläger zur Zahlung einer Genugtuung an die Privatklägerin in Höhe von CHF 300.- zu verurteilen.


6.

6.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Berufungskläger dessen Kosten zu tragen mit einer Gebühr von CHF 700.-. Weiter trägt er die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens.


Dem Verteidiger, [...], wird zufolge Gewährung der amtlichen Verteidigung ein Honorar aus der Gerichtskasse ausgerichtet. Mit seiner Honorarnote vom 11. März 2020 macht er einen Aufwand von 8 ½ Stunden (exkl. Hauptverhandlung) à CHF200.- sowie Auslagen in Höhe von CHF 68.25 geltend. Dies erscheint angemessen, so dass ihm ein Honorar gemäss Aufstellung, zuzüglich 1 ¾ Stunden Hauptverhandlung und Mehrwertsteuer, aus der Gerichtskasse auszurichten ist. Art.135 Abs. 4 StPO bleibt vorbehalten.

6.2 Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Berufungskläger der Privatklägerin eine Parteientschädigung auszurichten. Deren Vertreterin macht mit ihrer Honorar- und Kostennote vom 11. März 2020 einen Aufwand von 7.23 Stunden zum Ansatz von CHF 200.- sowie Auslagen von CHF 23.90 geltend. Dies erscheint angemessen, so dass dem Beschuldigten eine Parteientschädigung in dieser Höhe, zuzüglich MWST, zuzusprechen ist.


Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird diese aus der Gerichtskasse erstattet, wobei der Berufungskläger gemäss Art. 432 Abs. 1 und 135 Abs. 4 i.V. mit Art. 138 Abs. 1 StPO rückerstattungspflichtig wird, sobald es seine wirtschaftlichen Verhältnisse zulassen.



Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Dreiergericht):


://: Es wird festgestellt, dass folgende Punkte des Urteils des Einzelgerichts in Strafsachen vom 29. Januar 2019 mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen sind:

- Freispruch von der Anklage der mehrfachen sexuellen Belästigung zum Nachteil von C____;

- Entschädigung der amtlichen Verteidigung für das erstinstanzliche Verfahren;

- Entschädigung der unentgeltlichen Vertreterin der Privatklägerin für das erstinstanzliche Verfahren.


A____ wird der sexuellen Belästigung schuldig erklärt und verurteilt zu einer Busse von CHF 500.- (bei schuldhafter Nichtbezahlung 5 Tage Ersatzfreiheitsstrafe),

in Anwendung von Art. 198 und 106 des Strafgesetzbuches.


Der Beurteilte wird zu CHF 92.60 Schadenersatz sowie zu CHF 300.- Genugtuung an B____ verurteilt. Die Mehrforderung (Schadenersatz) von CHF 127.40 wird auf den Zivilweg verwiesen. Die Genugtuungsmehrforderung im Betrage von CHF 700.- wird abgewiesen.


A____ trägt die Kosten von CHF 365.30 und eine Urteilsgebühr von CHF 1'500.- für das erstinstanzliche Verfahren sowie die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens mit Einschluss einer Urteilsgebühr von CHF700.- (inkl. Kanzleiausgaben, zuzüglich allfällige übrige Auslagen).


Dem amtlichen Verteidiger [...] werden für das zweitinstanzliche Verfahren ein Honorar von CHF 2'025.- und ein Auslagenersatz von CHF71.25, zuzüglich MWST von CHF 161.40, aus der Gerichtskasse zugesprochen. Art. 135 Abs. 4 StPO bleibt vorbehalten.


Der Vertreterin der Privatklägerin im Kostenerlass, [...], werden in Anwendung von Art. 136 in Verbindung mit Art. 426 Abs. 4 der Strafprozessordnung ein Honorar von CHF 1'446.00 und ein Auslagenersatz von CHF 23.90, zuzüglich 7,7 % MWST von insgesamt CHF 113.20, aus der Gerichtskasse ausgerichtet. Der Berufungskläger hat dem Appellationsgericht diesen Betrag zurückzuerstatten, sobald es seine wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben, in Anwendung von Art. 138 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 Abs. 4 der Strafprozessordnung.


Mitteilung an:

- Berufungskläger

- Privatklägerin

- Staatsanwaltschaft Basel-Stadt

- Strafgericht

- Strafregister-Informationssystem VOSTRA

- Migrationsamt Basel-Stadt


APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT


Der Präsident Die Gerichtsschreiberin

lic. iur. Christian Hoenen Dr. Patrizia Schmid Cech



Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Der mit Verordnung des Bundesrats vom 20. März 2020 über den Stillstand der Fristen in Zivil- und Verwaltungsverfahren zur Aufrechterhaltung der Justiz im Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19) (SR 173.110.4) geregelte Fristenstillstand gilt auch in Strafverfahren vor Bundesgericht. Keine Anwendung findet der Fristenstillstand in Verfahren gemäss Art. 46 Abs. 2 BGG sowie in Verfahren betreffend andere vorsorgliche Massnahmen, namentlich in strafprozessualen Haftprüfungsverfahren und strafprozessualen Zwischenentscheiden (insbesondere Beschlagnahmen und Kontosperren) (Art. 46 Abs. 2 BGG; BGE 133 I 270 E. 1.2.2; BGE 135 I 257 E. 1.3; BGE 143 IV 357 E. 1.2.1). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.


Die amtliche Verteidigung kann gegen einen allfälligen Entscheid betreffend ihre Entschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren gemäss Art. 135 Abs. 3 lit. b der Strafprozessordnung (StPO) innert 10 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde beim Bundesstrafgericht (Viale Stefano Franscini 7, Postfach 2720, 6501 Bellinzona) erheben (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014).



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