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Urteil Appellationsgericht (BS)

Kopfdaten
Kanton:BS
Fallnummer:HB.2020.11 (AG.2020.291)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid HB.2020.11 (AG.2020.291) vom 20.05.2020 (BS)
Datum:20.05.2020
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Gutheissung des Antrags auf Abweisung des Haftentlassungsgesuchs
Schlagwörter: Beschwerde; Beschwerdeführer; Flucht; Werden; Haftentlassung; Verfügung; Verfahren; Fluchtgefahr; Bereits; Welche; Entscheid; Seiner; Treffe; Staatsanwaltschaft; Januar; Vorinstanz; Seinen; Gemäss; Stehen; Seinem; Anklage; Stellen; Darauf; Stellung; Haftentlassungsgesuch; Führt; Schweiz; Sicherheitshaft; Appellationsgericht; Gleich
Rechtsnorm: Art. 135 StPO ; Art. 212 StPO ; Art. 221 StPO ; Art. 228 StPO ; Art. 396 StPO ; Art. 42 BGG ; Art. 428 StPO ; Art. 48 BGG ;
Referenz BGE:143 IV 160;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Einzelgericht



HB.2020.11


ENTSCHEID


vom 20. Mai 2020



Mitwirkende


lic. iur. Liselotte Henz

und Gerichtsschreiberin lic. iur. Mirjam Kündig




Beteiligte


A____, geb. [...] Beschwerdeführer

c/o Untersuchungsgefängnis,

InnereMargarethenstr.18, 4051Basel

vertreten durch [...], Advokat,

[...]

gegen


Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Beschwerdegegnerin

Binningerstr.21, Postfach, 4001Basel


Gegenstand


Beschwerde gegen eine Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts

vom 8. April 2020


betreffend Gutheissung des Antrags auf Abweisung des Haftentlassungsgesuchs



Sachverhalt


A____ ist mit Anklageschrift vom 15. Mai 2020 des versuchten Mordes, der schweren Körperverletzung, der mehrfachen Gefährdung des Lebens, der Drohung, der versuchten Nötigung und des mehrfachen Vergehens gegen das Waffengesetz angeklagt worden. Er wurde am 5. September 2019 verhaftet und befindet sich seither in Untersuchungshaft und seit dem 19. Februar 2020 im vorzeitigen Strafvollzug.


In dieser Sache sind am 2. Oktober 2019 sowie am 21. Januar 2020 bereits zwei Haftbeschwerdeentscheide des Appellationsgerichts ergangen (HB.2019.61 und HB.2019.71). Nachdem die Staatsanwaltschaft auf Antrag von A____ mit Verfügung vom 19. Februar 2020 den Antritt des vorzeitigen Strafvollzugs bewilligt hatte, stellte er mit Eingabe vom 27. März 2020 erneut ein Gesuch um Haftentlassung unter Auferlegung von Ersatzmassnahmen. Mit Stellungnahme vom 30. März 2020 beantragte die Staatsanwaltschaft die Abweisung des Haftentlassungsgesuches. Am 2. April 2020 replizierte A____ und hielt an seinen Anträgen fest. Mit Verfügung vom 8. April 2020 hiess das Zwangsmassnahmengericht den Antrag der Staatsanwaltschaft vom 30. März 2020 auf Abweisung des Haftentlassungsgesuchs von A____ unter Annahme von Flucht-, Kollusions- und Fortsetzungsgefahr gut und auferlegte diesem eine Sperrfrist für Entlassungsgesuche bis zum 8. Mai 2020. Die Verhältnismässigkeit der Haft wurde bejaht und festgestellt, dass keine geeigneten Ersatzmassnahmen zur Verfügung ständen. Mit Anklageschrift vom 15. Mai 2020 hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren an das Strafgericht überwiesen.


Gegen diese Verfügung hat A____ (nachfolgend: Beschwerdeführer) am 24. April 2020 durch seinen Rechtsvertreter Beschwerde erheben lassen. Es wird beantragt, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und der Beschwerdeführer sei in Gutheissung seines Haftentlassungsgesuchs unter Anordnung von Ersatzmassnahmen unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen; zudem sei ihm die amtliche Verteidigung zu bewilligen. Die Staatsanwaltschaft hat unter Verweis auf die angefochtene Verfügung mit Stellungnahme vom 28. April 2020 die kostenfällige Abweisung der Beschwerde sowie des Gesuchs um Bewilligung und Entschädigung der amtlichen Verteidigung beantragt. Ausserdem sei dem Beschwerdeführer eine Sperrfrist von einem Monat zu setzen, innerhalb derer er kein Entlassungsgesuch stellen könne. Mit Replik vom 7. Mai 2020 hat der Beschwerdeführer an seinen Anträgen festgehalten.


Der vorliegende Entscheid ist unter Beizug der Verfahrensakten SG.2020.97 ergangen. Die entscheidrelevanten Einzelheiten der Parteistandpunkte ergeben sich aus den nachfolgenden Erwägungen.



Erwägungen


1.

1.1 Die verhaftete Person kann Entscheide betreffend die Anordnung und Verlängerung von Untersuchungs- oder Sicherheitshaft mit Beschwerde bei der Beschwerdeinstanz anfechten (Art. 393 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit Art. 222 der Strafprozessordnung [StPO, SR 312.0]). Zuständiges Beschwerdegericht ist das Appellationsgericht als Einzelgericht (§ 88 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 Abs. 1 Ziff. 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes [GOG, SG 154.100]).


1.2 Das Rechtsmittel ist nach Art. 396 Abs. 1 StPO innert zehn Tagen nach Eröffnung des Entscheids schriftlich und begründet bei der Beschwerdeinstanz einzureichen. Die vorliegende Beschwerde ist form- und fristgerecht eingereicht worden, sodass darauf einzutreten ist.


1.3 Der Beschwerdeführer befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug. Dies hindert ihn nicht daran, ein Gesuch um Haftentlassung zu stellen. Auf Gesuch um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug hin ist zu prüfen, ob die Haftvoraussetzungen gegeben sind (BGer 1B_6/2010 vom 22. Januar 2010 E. 2.1 mit Hinweisen). Mit seinem Haftentlassungsgesuch bringt der Beschwerdeführer aber auch klar zum Ausdruck, dass er nicht nur die materiellen Voraussetzungen der Haft bestreitet, sondern im Hinblick auf einen allfälligen weiteren Freiheitsentzug nicht mehr länger auf die ihm nach der Strafprozessordnung zustehenden Verfahrensgarantien verzichtet. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist in einem solchen Fall zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft nach wie vor gegeben sind. Ist dies zu bejahen, muss formell die Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft angeordnet werden, da nur so die zur Begründung eines rechtmässigen Freiheitsentzugs bestehenden Garantien eingehalten werden können (BGE 143 IV 160 E. 2.3 S. 164).


2.

2.1 Die Anordnung oder Verlängerung von Untersuchungs- oder Sicherheitshaft ist nach Art. 221 Abs. 1 StPO zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und zudem Flucht-, Kollusions- oder Fortsetzungsgefahr besteht. Die Haft muss überdies verhältnismässig sein. Sie ist aufzuheben, sobald Ersatzmassnahmen zum gleichen Ziel führen (Art. 197 Abs. 1 lit. c, Art. 212 Abs. 2 lit. c StPO) und darf nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe (Art. 212 Abs. 3 StPO).


2.2

2.2.1 Der dringende Tatverdacht ist unbestritten (Beschwerde I.1) und wird praxisgemäss bei Vorliegen der Anklageschrift vermutet. Das Zwangsmassnahmengericht hat mit Verfügung vom 8. April 2020 den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Abweisung des Haftentlassungsgesuchs gutgeheissen und bezüglich der Fluchtgefahr erwogen, im Entscheid vom 2. Oktober 2019 habe das Appellationsgericht das Vorliegen von Fluchtgefahr bejaht und diese mit Entscheid vom 21. Januar 2020 bestätigt. Das vom Beschwerdeführer geschilderte Nachtatverhalten entspreche nicht den aktenkundigen Erkenntnissen. So habe er sich nach der Ankündigung seines Verteidigers vom 6. August 2019 nicht etwa mit einer gewissen Verzögerung freiwillig den Behörden gestellt, sondern sei vielmehr von der Fahndung der Kantonspolizei Basel-Landschaft aufgrund einer Hotelkontrolle als Begleiter seiner Freundin ausfindig gemacht, überwacht und schliesslich verhaftet worden. Die Tatsache, dass er bei seiner Festnahme Bargeld von CHF 230.- auf sich getragen habe, lasse darauf schliessen, dass er auf Personen in seinem Umfeld habe zurückgreifen können, die ihm in der Zeit zwischen Tat und Verhaftung Unterkunft und finanzielle Unterstützung gewährt hätten. Nach diesem Vorverhalten bestehe verstärkt die Gefahr, dass er bei einer Haftentlassung erneut untertauchen werde, da ihm bewusst sei, dass ihn im Falle eines anklagegemässen Schuldspruchs wegen versuchten Mordes eine empfindliche Freiheitsstrafe erwarte. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in einem solchen Fall mittels erneuter Fahndung oder Rechtshilfeersuchen beigebracht werden müsste, bedeute für die Behörden eine unzumutbare Verfahrenserschwerung (Verfügung p. 2 f.).


2.2.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, bei der Prüfung der Frage der Fluchtgefahr seien die gesamten Verhältnisse zu berücksichtigen, insbesondere die Tatsache, dass er in Notwehr gehandelt habe. Zwar treffe es zu, dass er sich im ersten Moment nach den in Frage stehenden Geschehnissen den Strafbehörden entzogen habe. Er sei jedoch nicht definitiv untergetaucht, sondern habe vielmehr nach dem ersten Schock seinen Anwalt kontaktiert und diesen gebeten, eine Stellungnahme für ihn einzureichen, um den Behörden erste Beweiserhebungen zu ermöglichen. Zudem habe er die Klärung der Frage, unter welchen Gegebenheiten er sich den Behörden stellen könne, durch seinen Anwalt abwarten wollen. Er sei immer in der Region Basel geblieben und weder ins Ausland noch in andere Gegenden der Schweiz geflüchtet; daraus folge, dass er seine Ankündigung, sich den Behörden zu stellen, auch tatsächlich habe verwirklichen wollen. Er verfüge zudem weder über die Mittel noch die Möglichkeiten, dauerhaft in der Schweiz unterzutauchen. Die Vorinstanz habe sich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass er Schweizer und in Basel zur Welt gekommen sei, noch nie in einem anderen Land gelebt habe und seine ganze Familie in Basel lebe. Zu seinem Kind, welches sehr unter der Trennung vom Vater leide, habe er eine starke Bindung, was durch die regelmässigen Besuche in Haft bewiesen sei. In beruflicher Hinsicht habe er die Möglichkeit einer Anstellung als Promoter für Telekommunikation in [...]. Der Beschwerdeführer führt weiter aus, er sei sich durchaus bewusst, dass er die Konsequenzen für die Geschehnisse vom letzten Sommer tragen müsse; dass er nie darauf aus gewesen sei, sich dem Verfahren zu entziehen, zeige nicht zuletzt seine Kontaktnahme mit seinem Anwalt unmittelbar nach der Tat (Beschwerde p. 3 f.).


2.2.3 Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme auf die Erwägungen der Vorinstanz sowie der beiden bereits in gleicher Sache ergangenen Haftbeschwerdeentscheide verwiesen und darauf hingewiesen, dass sich die Sach- und Rechtslage unverändert präsentiere (Stellungnahme StA p. 2).


2.2.4 Bereits im Haftbeschwerdeentscheid vom 21. Januar 2020 (HB.2019.71) wurde bezüglich der Fluchtgefahr auf den Haftbeschwerdeentscheid vom 2. Oktober 2019 (HB.2019.61) verwiesen. Die Argumente des Beschwerdeführers waren im damaligen Verfahren weitgehend die gleichen wie in der vorliegenden Beschwerde; so haben auch die damals angeführten Gründe, welche zur Bejahung der Fluchtgefahr führten, noch immer Gültigkeit (vgl. HB.2019.71 E. 4.2). Die Vorinstanz wie auch die bereits ergangenen Haftbeschwerdeentscheide verkennen nicht, dass der Beschwerdeführer seinen Lebensmittelpunkt in der Schweiz hat und auch sein Sohn hier lebt. Obwohl der Beschwerdeführer fliessend türkisch spricht und durch seine Familie offenbar auch mit der türkischen Kultur vertraut ist und damit eine Flucht ins Ausland nicht völlig ausgeschlossen erscheint, steht diese vorliegend nicht im Zentrum. Wie jedoch die Vorinstanz erneut klargestellt hat, kann nicht nur eine Flucht ins Ausland, sondern auch ein Untertauchen im Inland Fluchtgefahr begründen (Verfügung p. 2). Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, die angeblich sehr enge Bindung zu seinem Kind sowie der Umstand, dass dieses unter der Trennung vom Vater leide, hielten ihn von einem zukünftigen Untertauchen in der Schweiz ab, ist darauf hinzuweisen, dass er sich bereits nach der Tat während immerhin zweieinhalb Monaten - und damit eines längeren Zeitraums, welcher keineswegs nur mit dem Schock unmittelbar nach den Ereignissen erklärt werden kann - dem Zugriff der Behörden entzogen hat. Aus welchem Grund er die Klärung der «Gegebenheiten, unter denen er sich den Behörden stellen konnte» durch seinen Anwalt abwarten musste und wie diese Gegebenheiten sich hätten darstellen sollen, damit er sich tatsächlich gestellt hätte, führt er weder in seiner Beschwerde noch in der Replik aus und bleibt damit unklar. Tatsache ist, dass er sich - trotz und entgegen aller Absichtsbekundungen - dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden so lange entzog bis er aufgrund einer Hotelkontrolle und anschliessender Überwachung seiner Freundin angehalten und verhaftet werden konnte. Dieses Verhalten spricht objektiv gegen seine subjektiven Beteuerungen, welche im Übrigen mit Blick auf den derzeitigen Verfahrensstand umso weniger zu überzeugen vermögen. So trug er bei seiner Verhaftung einen Bargeldbetrag von immerhin CHF 235.20 auf sich, woraus folgt, dass er durchaus über finanzielle Unterstützung aus seinem Umfeld verfügte, auf welche er wohl auch bei einem erneuten Untertauchen zählen könnte. Die jetzige Situation präsentiert sich aus Sicht des Beschwerdeführers im Vergleich zur Situation unmittelbar nach der Tat insofern anders, als eine Anklage wegen versuchten Mordes gegen ihn vorliegt und er sich nun bewusst ist, dass seine Version, wonach er in Notwehr gehandelt habe, weder von den Ermittlungsbehörden noch vom Zwangsmassnahmengericht als glaubhaft erachtet wurde. Konnte er unmittelbar nach der Tat noch darauf hoffen, dass ihm der Nachweis oder zumindest das Glaubhaftmachen einer Notwehrsituation gelingen könnte, muss ihm nun klar sein, dass die Wahrscheinlichkeit, dass das Strafgericht seiner Version folgen wird, nicht besonders hoch ist. Damit wird eine Verurteilung wegen eines Kapitalverbrechens zu einer empfindlichen Strafe deutlich wahrscheinlicher, was einen ungleich stärkeren Fluchtanreiz darstellen dürfte als unmittelbar nach der Tat, als noch die Hoffnung bestand, dass die Ermittlungsbehörden seiner Version Glauben schenken würden. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer sich nun bereits seit mehreren Monaten im Freiheitsentzug befindet, was den Fluchtanreiz bei Aussicht auf eine längere Strafe praxisgemäss beträchtlich erhöht. So dürfte die bisherige Haft dem Beschwerdeführer aufgezeigt haben, was auf ihn zukommt, sollte er anklagegemäss verurteilt werden und eine langjährige Strafe zu verbüssen haben. Angesicht dieser Umstände ist die Fluchtgefahr zweifellos auch im jetzigen Zeitpunkt zu bejahen. Was die Beziehung zu seinem inzwischen dreijährigen Sohn angeht, steht zwar fest, dass dieser ihn in der Haft regelmässig besucht. Jedoch geht aus dem Brief der Kindsmutter vom 4. Februar 2020 auch hervor, dass sich der Beschwerdeführer in Freiheit offenbar auch durch die Existenz seines Sohnes nicht von einem längeren Kontaktabbruch hat abhalten lassen (Akten S. 763 Brief [...]: «Ok, du bisch scho zyt de geburt vo [...] nie e unterstützig für mi gsi und auch kei Vater bisch gsi für di Sohn. [ ] Weish du was ich alles dure gmacht ha mit [...] in dere zyt wo du uf de flucht gsi bish? Und drnoch , au jetzt? Weish du wie kaputt [...] ish psychish?»). Diese Zeilen, welche mit Blick auf den hochemotionalen Hintergrund des Paarkonflikts sicherlich zurückhaltend zu interpretieren sind, lassen darauf schliessen, dass es dem Sohn schlecht gehe, weil der Vater sich - notabene bereits vor seiner Inhaftierung - nicht ausreichend um ihn und um die Unterstützung der Kindsmutter gekümmert habe. Wenn sich nun der Beschwerdeführer darauf beruft, sein Sohn leide ausserordentlich unter der durch die Haft bedingte Trennung vom Vater, so mag dies wohl zutreffen, führt jedoch keineswegs zur Verneinung der Fluchtgefahr. Bezeichnend ist schliesslich, dass nicht nur die aufgebrachte Ehefrau das Untertauchen nach der Tat als Flucht bezeichnet, sondern auch er selbst (vgl. Auss. Einvernahme vom 6. September 2019 Akten S. 199: «[ ], das hätte ich ja bereits machen können, als ich auf der Flucht war, also mich versteckt habe»). Aus diesen Erwägungen folgt, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr nach wie vor zu bejahen ist.


2.3 Das zusätzliche Vorliegen von Kollusionsgefahr wurde von der Vorinstanz ebenfalls mit zutreffenden Erwägungen bejaht. Da auch diesbezüglich keine neuen Argumente vom Beschwerdeführer vorgebracht werden, kann grundsätzlich auf die ausführlichen Erwägungen im Entscheid HB.2019.71 verwiesen werden (E. 5.2.2). Es liegt auf der Hand, dass es gerade wegen der vom Beschwerdeführer beharrlich behaupteten Notwehrsituation auf jeden Fall zu einer Befragung von B____ und C____ im Rahmen der Hauptverhandlung vor Strafgericht kommen wird. Angesichts der Anklage wegen eines Kapitaldelikts besteht ein eminentes öffentliches Interesse an einer von Kollusionshandlungen freien Sachverhaltsermittlung, bei welcher die Aussagen der beiden Hauptbelastungszeugen von zentraler Bedeutung sind. An dieser Situation ändert auch die Bewilligung des vorzeitigen Strafvollzugs nichts, wurde diese doch unter der Auflage erteilt, die Kontaktsperre zu C____ und B____ aufrecht zu erhalten. Dass eine Kontaktsperre im Strafvollzug ungleich effektiver durchgesetzt werden kann, als wenn der Beschwerdeführer auf freiem Fuss ist, wo er beliebig auf Drittpersonen aus dem Umfeld der Konfliktbeteiligten zurückgreifen kann und ein Verstoss allenfalls nachträglich bekannt würde, liegt auf der Hand.


2.4 Auch die Einwände, die der Beschwerdeführer unter lit. c Ziff. 1-6 seiner Beschwerde gegen das Bestehen der Fortsetzungsgefahr vorbringt, sind nicht neu. Das Appellationsgericht hat sich mit diesen bereits im Entscheid vom 21. Januar 2020 ausführlich auseinandergesetzt (HB.2019.71 E. 5.3.2). Dass der Beschwerdeführer sich auf sein Notwehrrecht beruft, deutet nicht per se auf das Vorliegen von Fortsetzungsgefahr hin. Zu beachten gilt jedoch, dass der Beschwerdeführer im Sommer 2019 gleich zweimal in tätliche Auseinandersetzungen verwickelt war, welche er jeweils durch den Einsatz einer mitgeführten Waffe zu seinen Gunsten zu entscheiden versuchte. Der Umstand, dass er sich jeweils im Anschluss an die Geschehnisse den Ermittlungsbehörden gegenüber auf eine Notwehrsituation berief, lässt auf eine gewisse Verharmlosungstendenz schliessen, was seine eigenen Anteile an der Entstehung und dem Verlauf der Auseinandersetzungen anbelangt. Dieses Verhalten des Beschwerdeführers lässt befürchten, dass er auch in zukünftigen Konflikten zur Waffe greifen könnte. Zweifellos ist der Haftgrund der Fortsetzungsgefahr der am wenigsten im Vordergrund stehende der drei bejahten Haftgründe. Dies ist indessen nicht entscheidend, reicht doch bereits das Vorliegen eines einzigen Haftgrundes zur Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft aus.


3.

3.1 Die Dauer der Untersuchungshaft ist angesichts der im Falle eines Schuldspruchs in den wesentlichen Anklagepunkten zu erwartenden Sanktion verhältnismässig. Nachdem in den bereits ergangenen Haftbeschwerdeentscheiden noch von einem möglichen Schuldspruch wegen versuchter vorsätzlicher Tötung oder gar «nur» wegen schwerer Körperverletzung ausgegangen wurde, steht seit dem Vorliegen der Anklageschrift fest, dass die Anklage auf versuchten Mord lautet (mit entsprechend höherer Einsatzstrafe). Der Beschwerdeführer hat denn auch die Verhältnismässigkeit in zeitlicher Hinsicht nicht bestritten. Er macht jedoch geltend, die Haftsituation gestalte sich infolge der aktuellen COVID-19-bedingten zusätzlichen Einschränkungen betreffend den Antritt des bewilligten vorzeitigen Strafvollzugs sowie die ausgesetzten Besuche seines Kindes ausserordentlich belastend. Es sei zudem nicht absehbar, wann die Hauptverhandlung vor Strafgericht stattfinden könne. Wie bereits die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, werden Hauptverhandlungen unter Beachtung der Abstandsvorschriften des BAG weiterhin vom Strafgericht angesetzt, ausserdem haben Verhandlungen betreffend inhaftierte Beschuldigte dabei Vorrang. Das eingeschränkte Besuchsrecht und die räumlichen Beschränkungen bei Verteidigerbesuchen (Trennscheibe) stellen zeitlich beschränkte Massnahmen dar und sind kein Grund für eine Haftentlassung wegen Unverhältnismässigkeit.


3.2 Der Beschwerdeführer verlangt seine Haftentlassung unter Auferlegung von Ersatzmassnahmen. So sei etwa zur Bannung der Fluchtgefahr eine Schriftensperre anzuordnen. Dass nach einer Haftentlassung zu befürchten steht, dass sich der Beschwerdeführer durch Flucht seinem Strafverfahren entzieht, wurde oben ausgefährt. Die Vorinstanz hat in der angefochtenen Verfügung überzeugend dargelegt, dass ein Untertauchen im Inland durch eine Ausweis- und Schriftensperre keineswegs verhindert werden könnte und - mangels Echtzeitüberwachung - eine elektronische Fussfessel die Fluchtgefahr ebenfalls nicht abwenden könnte. Da der Beschwerdeführer gemäss eigenen Angaben über keine finanziellen Mittel verfügt, wäre auch die Stellung einer Drittkaution nicht tauglich, eine drohende Flucht zu verhindern. Dass die freiwillige Einhaltung einer Kontaktsperre nicht zur Prävention von allfälligen Kollusionshandlungen taugt, wurde oben ausgeführt (E. 2.3). Es stehen somit keine probaten Ersatzmassnahmen zur Verfügung.


4.

4.1 Zusammenfassend erweisen sich die Rügen des Beschwerdeführers als unbegründet und die Beschwerde ist abzuweisen. Da auch weiterhin Flucht-, Kollusions- und Fortsetzungsgefahr bestehen, ist zudem für die vorläufige Dauer von acht Wochen, bis zum 15. Juli 2020, Sicherheitshaft anzuordnen (vgl. oben E. 1.3). Bei diesem Verfahrensausgang trägt der Beschwerdeführer gemäss Art. 428 Abs. 1 StPO die ordentlichen Verfahrenskosten. Es ist mit Verweis auf die ausführliche Begründung im Beschwerdeentscheid BES.2019.71 vom 21. Januar 2020 festzuhalten, dass die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auch dann auferlegt werden können, wenn die Voraussetzungen zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gegeben sind (BGer 6B_847/2017 vom 7. Februar 2018 E. 5). Für das Haftbeschwerdeverfahren ist eine Gebühr von CHF 800. aufzuerlegen. Das Gesuch um Bewilligung der amtlichen Verteidigung wird gutgeheissen und dem Verteidiger entsprechend ein Honorar aus der Gerichtskasse ausgerichtet. Mangels Kostennote ist der Aufwand zu schätzen, wobei für den doppelten Schriftenwechsel ein Zeitaufwand von sechs Stunden angemessen erscheint. Diese sind nach dem üblichen Stundenansatz von CHF 200.- (einschliesslich Auslange, zuzüglich MWST) zu entschädigen. Der Beschwerdeführer wird nach Massgabe von Art. 135 Abs. 4 StPO rückerstattungspflichtig.


4.2 Die Vorinstanz hat die Beschwerde, die nur kurze Zeit nach Kenntnisnahme des Entscheids des Appellationsgerichts vom 21. Januar 2020 gestellt wurde, als trölerisch bezeichnet und dem Beschwerdeführer eine Sperrfrist von einem Monat für die Stellung eines erneuten Haftentlassungsgesuchs gestellt (Art. 228 Abs. 5 StPO). Trölerisch ist eine Eingabe, wenn sie ein Gerichtsverfahren leichtfertig oder mutwillig verzögert. Bei Beschwerden gegen Untersuchungs- oder Sicherheitshaft, die grundsätzlich einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der betroffenen Person darstellt, ist eine generelle Aussichtslosigkeit mit Zurückhaltung anzunehmen (vgl. dazu Urteil 1B_732/2011 vom 19. Januar 2012 E. 7). Anlass der vorliegenden Beschwerde stellte der Abschluss des Untersuchungsverfahrens und die Überweisung des Falles an das Strafgericht dar. Da aufgrund der aktuellen, im Zusammenhang mit COVID-19 stehenden Massnahmen diverse zusätzliche - allerdings zeitlich befristete - Einschränkungen im Haftregime gelten, muss in dieser besonderen Situation bei der Annahme von Aussichtslosigkeit ein besonders strenger Massstab angelegt werden. Aus diesem Grund wird dem Beschwerdeführer keine Sperrfrist nach Art. 228 Abs. 4 StPO auferlegt.



Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Einzelgericht):


://: Die Beschwerde wird unter Annahme von Flucht-, Kollusions- und Fortsetzungsgefahr abgewiesen. Es wird für die vorläufige Dauer von acht Wochen, bis zum 15. Juli 2020, Sicherheitshaft angeordnet.


Der Beschwerdeführer trägt die Verfahrenskosten mit einer Gebühr von CHF 800.-.


Dem amtlichen Verteidiger, [...], werden für das Beschwerdeverfahren ein Honorar von CHF 1'200.- (einschliesslich Auslagen), zuzüglich 7,7% MWST von CHF 92.40, aus der Gerichtskasse ausgerichtet. Art. 135 Abs. 4 StPO bleibt vorbehalten.


Mitteilung an:

- Beschwerdeführer

- Staatsanwaltschaft Basel-Stadt

- Zwangsmassnahmengericht


APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT


Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin

lic. iur. Liselotte Henz lic. iur. Mirjam Kündig

Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.


Die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche Vertretung der Privatklägerschaft können gegen einen allfälligen Entscheid betreffend ihre Entschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren gemäss Art. 135 Abs. 3 lit. b der Strafprozessordnung (StPO) innert 10 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde beim Bundesstrafgericht (Viale Stefano Franscini 7, Postfach 2720, 6501 Bellinzona) erheben (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014).



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