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Urteil Appellationsgericht (BS)

Kopfdaten
Kanton:BS
Fallnummer:BES.2014.116 (AG.2015.379)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid BES.2014.116 (AG.2015.379) vom 22.05.2015 (BS)
Datum:22.05.2015
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Befehl für Erkennungsdienstliche Erfassung (Art. 260 StPO)
Schlagwörter: Beschwerde; Erkennungsdienstlich; Verfügung; Erkennungsdienstliche; Erfassung; Massnahme; Staatsanwaltschaft; Gericht; Beschwerdeführer; Massnahmen; Basel; Sachverhalt; Erhob; Angefochtene; Erhoben; Basel-Stadt; Delikte; Verfahren; Vorliege; StPO; Erkennungsdienstlichen; Daten; Eingriff; Spätere; Bundesgericht; Sachverhaltsabklärung; Recht; Entscheid; Gewalt; Erwägungen
Rechtsnorm: Art. 10 BV ; Art. 13 BV ; Art. 197 StPO ; Art. 260 StPO ; Art. 261 StPO ; Art. 36 BV ; Art. 393 StPO ; Art. 396 StPO ; Art. 42 BGG ;
Referenz BGE:133 I 81; 136 I 87;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Einzelgericht



BES.2014.116


ENTSCHEID


vom 22. Mai 2015



Mitwirkende


lic. iur. Christian Hoenen

und Gerichtsschreiberin Dr. Patrizia Schmid Cech




Beteiligte


A____, geb. [ ] Beschwerdeführer

[ ]


gegen


Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Beschwerdegegnerin

Binningerstrasse 21, 4001 Basel


Gegenstand


Beschwerde gegen eine Verfügung der Staatsanwaltschaft

vom 6. August 2014


betreffend erkennungsdienstliche Erfassung


Sachverhalt


Mit Verfügung vom 6. August 2014 ordnete die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt im Anschluss an eine durchgeführte Einvernahme die erkennungsdienstliche Erfassung von A____ an, worauf dieser einer entsprechenden Behandlung unterzogen wurde. Dagegen erhob A____ am 18. August 2014 Beschwerde ans Appellationsgericht und beantragte, der Befehl der erkennungsdienstlichen Erfassung sei aufzuheben und die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt anzuweisen, die entsprechenden erkennungsdienstlich erhobenen Daten zu vernichten, alles unter o/e-Kostenfolge. Die Staatsanwaltschaft hat sich mit Eingabe vom 1. September 2014 vernehmen lassen und beantragt, es sei - soweit überhaupt ein solches vorliege - auf das Ausstandsbegehren des Beschwerdeführers nicht einzutreten, im Übrigen sei die Beschwerde unter o/e Kostenfolge abzuweisen. Dazu hat der Beschwerdeführer am 3. November 2014 repliziert. Die Replik wurde der Staatsanwaltschaft zur Kenntnisnahme zugestellt.


Die Einzelheiten der Standpunkte ergeben sich, soweit sie für den Entscheid von Bedeutung sind, aus den nachfolgenden Erwägungen.



Erwägungen

1.

Gemäss Art. 393 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 lit. b der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO [SR 312.0]) unterliegen Verfügungen der Staatsanwaltschaft der Beschwerde an die Beschwerdeinstanz. Zuständiges Beschwerdegericht ist das Appellationsgericht als Einzelgericht (§ 4 lit. b und § 17 lit. b EG StPO [SG 257.100]; § 73a Abs. 1 lit. b GOG [SG 154.100]). Die Beschwerde ist entsprechend den Erfordernissen von Art. 396 StPO form- und fristgemäss eingereicht worden.


2.

2.1 Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Beschwerde gegen erkennungsdienstliche Erfassungen zur Verfügung steht (Guidon, in: Basler Kommentar StPO, Art. 393 StPO N 10, S. 2947). Fraglich und zu prüfen ist jedoch vorliegend, ob bezüglich der angefochtenen Verfügung ein aktuelles Rechtsschutzinteresse vorliegt, da die erkennungsdienstliche Erfassung gemäss Akten bereits erfolgt ist. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass sich der Verfügungsbegründung entnehmen lässt, die fraglichen Massnahmen seien für die Sachverhaltsabklärung beziehungsweise für allfällige spätere Verbrechen sachdienlich. Das Bundesgericht hat in einem ähnlichen Fall erwogen, da es bei den zur Debatte stehenden Massnahmen darum gehe, allfällige zukünftige Delikte des Beschwerdeführers zu beweisen, komme dem angefochtenen Entscheid eine über das Strafverfahren hinausgehende Bedeutung zu (BGer 1B_57/2013 vom 2.7.2013, E. 1.5). Entsprechend ist auf die vorliegende Beschwerde einzutreten.


2.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verfügung der Staatsanwaltschaft sei ungenügend begründet. Dazu ist festzuhalten, dass die erkennungsdienstliche Erfassung gemäss Art. 260 Abs. 3 StPO in einem schriftlichen und kurz begründeten Befehl anzuordnen ist. Mit dieser Regelung wird angestrebt, dass die Massnahme aktenkundig gemacht wird und damit nachvollziehbar erscheint (Werlen, in: Basler Kommentar StPO, Art. 261 StPO N 5). Die vorliegend angefochtene Verfügung nennt den zur Debatte stehenden Straftatbestand der Gewalt und Drohung gegen Beamte. Unter dem Titel angeordnete Massnahme wird festgehalten: Erkennungsdienstliche Erfassung: Feststellung Körpermerkmale und Herstellung Abdrücke von Köperteilen (Art. 260 Abs. 1 StPO). Als Begründung für diese Massnahme wird ausgeführt, die betroffene Person werde eines Verbrechens oder Vergehens beschuldigt und die Massnahme sei für die Sachverhaltsabklärung beziehungsweise allfällige spätere Verfahren notwendig (Verfügung vom 6. August 2014, bei den Akten).


Damit wird einerseits nicht klar, welche konkreten Massnahmen die erkennungsdienstliche Erfassung beinhaltet. Vor allem aber wird der Zusammenhang zwischen diesen Massnahmen und der angeführten Sachverhaltsabklärung bzw. den allfälligen späteren Verfahren nicht dargelegt. Anders als etwa bei einem Diebstahl, wo notorisch ist, dass für die Überführung des Täters der Vergleich bzw. die Erhebung von Fingerabdrücken relevant ist, ist ein derartiger Zusammenhang bei den vorliegend zur Debatte stehenden Delikten auch nicht per se ersichtlich. Die Sachverhaltsabklärung des aktuellen Delikts bedurfte angesichts der Aufzeichnung des Telefongesprächs mit der Steuerverwaltung und der Geständigkeit des Beschwerdeführers keiner erkennungsdienstlichen Erfassung mehr. In welcher Hinsicht eine solche bei allfälligen späteren Verfahren - wobei in der Verfügung nicht angegeben wird, welcher Art - sachdienlich sein soll, wird sodann nicht ausgeführt. Die nicht nur knapp, sondern vor allem sehr allgemein gehaltenen Formulierungen in der angefochtenen Verfügung, welche grösstenteils in einer reinen Übernahme des Gesetzestextes bestehen, vermögen in dieser Hinsicht nichts zu erhellen. Die durchgeführten Massnahmen erscheinen deshalb nicht nachvollziehbar im geforderten Sinne. Damit ist die Begründung der Verfügung ungenügend.


3.

Auch bei materieller Prüfung ist eine erkennungsdienstliche Erfassung vorliegend nicht gerechtfertigt.


3.1 Mit der erkennungsdienstlichen Erfassung gemäss Art. 260 StPO wird die Abklärung von Personen zur Zuordnung und zum Ausschluss bereits begangener und zukünftiger Straftaten bezweckt. Festzuhalten ist, dass erkennungsdienstliche Massnahmen und die Aufbewahrung von Daten einen Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV) darstellen. Einschränkungen von Grundrechten müssen nach Art. 36 Abs.3 BV verhältnismässig sein (BGE 136 I 87 E. 5.1). Dies wird für den vorliegenden Bereich durch Art. 197 StPO konkretisiert, wonach Zwangsmassnahmen nur ergriffen werden dürfen, wenn die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können (lit. c) und die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (lit. d). Selbst wenn die Wahrheit sich nur mithilfe von Zwangsmassnahmen ermitteln lässt, muss von einem Grundrechtseingriff abgesehen werden, wenn Eingriffszweck und Eingriffswirkung nicht in einer vernünftigen Relation stehen (Hug/Scheidegger, in: Donatsch et. al. [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordung, Art. 197 StPO, N 20, m. H. a. BGE 133 I 81 und 134 I 218).


3.2 Wie bereits erwogen wird in der Verfügung nicht begründet, weshalb die erkennungsdienstliche Erfassung durchgeführt wurde. Auch bei materieller Betrachtung sind keine Situationen denkbar, für welche vorliegend eine erkennungsdienstliche Erfassung notwendig sein könnte: Der Beschwerdeführer ist bisher stets im Zusammenhang mit Gewalt und Drohung gegen Beamte straffällig geworden. Auch das vom Strafgericht im Verfahren SB.2014.9 eingeholte Gutachten der UPK vom 25. Juli 2013 stellt ausdrücklich fest, beim Beschwerdeführer sei das Rückfallrisiko für Delikte dieser Art erhöht. In Bezug auf solche Delikte aber besteht keine Gefahr, den Beschwerdeführer später nicht identifizieren zu können - handelt es sich dabei doch um Taten, bei welchen der Beschwerdeführer den Beamten gegenüber persönlich Drohungen äussert oder Gewalt anwendet. Inwiefern eine erkennungsdienstliche Erfassung zur Identifikation des Täters hier notwendig sein soll, ist nicht ersichtlich. Damit erscheint eine solche Massnahme weder als geeignet noch als erforderlich zur Sachverhaltsermittlung im Rahmen künftiger Delikte und damit nicht als verhältnismässig. Wenn die Staatsanwaltschaft sich - unter Berufung auf einen Teil der Lehre - auf den Standpunkt stellt, angesichts des geringen Eingriffs in die Grundrechte des Betroffenen sei selbst eine Abnahme bei Verdacht hinsichtlich einer Deliktsart möglich, bei der die fragliche Massnahme konkret nichts bringe (vgl. Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, Ziff. 3; mit Hinweis auf Schmid, Praxiskommentar StPO, Rz 5 ff.), so kann ihr darin nach dem Gesagten nicht gefolgt werden.


Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Voraussetzungen von Art. 197 Abs. 1 lit. c und d StPO nicht erfüllt sind. Die Beschwerde ist deshalb auch unter diesem Aspekt gutzuheissen.


4.

Gemäss den obigen Erwägungen ist die Beschwerde gutzuheissen. Die angefochtene Verfügung ist aufzuheben und die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt wird angewiesen, die entsprechenden erkennungsdienstlich erhobenen Daten zu vernichten.



Demgemäss erkennt das Einzelgericht:


//: In Gutheissung der Beschwerde wird die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 6. August 2014 aufgehoben.


Die Staatsanwaltschaft wird angewiesen, die Daten der mit der entsprechenden Verfügung erhobenen erkennungsdienstlichen Massnahmen zu vernichten.


Für das Beschwerdeverfahren werden keine Kosten erhoben.



APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT



Der Präsident Die Gerichtschreiberin

lic. iur. Christian Hoenen Dr. Patrizia Schmid Cech

Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes [BGG] innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht (1000 Lausanne 14) einzureichen. Für die Anforderungen an deren Inhalt wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.



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