| Sozialversicherungsgericht |
URTEIL
vom 12. Februar 2020
Mitwirkende
Dr. G. Thomi (Vorsitz), P. Waegeli, lic. iur. R. Schnyder
und Gerichtsschreiberin lic. iur. A. Gmür
Parteien
A____
Beschwerdeführerin
Öffentliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt
Hochstrasse37, Postfach 3759, 4002Basel
vertreten durch B____
Beschwerdegegnerin
Gegenstand
AL.2019.29
Einspracheentscheid vom 22. August 2019
Vermittlungsfähigkeit, insb. die Komponente der Arbeitsberechtigung im Rahmen staatsvertraglicher und ausländerrechtlicher Vorgaben.
Tatsachen
I.
Die 1989 geborene Beschwerdeführerin ist kroatische Staatsangehörige und war ab September 2014 als Doktorandin beim C____ angestellt (Beschwerdeantwortbeilage [AB] 3). Der befristete Arbeitsvertrag wurde mehrmals verlängert, zuletzt bis zum 30. Juni 2019 (AB 3). Die auf «Ausbildung mit Erwerbstätigkeit» lautende Aufenthaltsbewilligung «B» lief per 30. Juni 2019 aus, wurde jedoch nochmals als Aufenthaltsbewilligung «L», Aufenthalt zur Stellensuche (AB 6), bis zum 31. Dezember 2019 verlängert (AB 4). Die Beschwerdeführerin meldete sich infolge des auslaufenden Arbeitsverhältnisses per 1. Juli 2019 zum Leistungsbezug bei der Arbeitslosenkasse Basel-Stadt an (Beschwerdegegnerin; AB 5). Mit Verfügung vom 11. Juli 2019 verneinte die Beschwerdegegnerin den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, da keine Arbeitsberechtigung vorliege, fehle es an der Vermittlungsfähigkeit, weshalb die Beschwerdegegnerin keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung ausrichten könne (AB 6). Eine dagegen erhobene Einsprache vom 23. Juli 2019 wies die Beschwerdegegnerin mit Einspracheentscheid vom 22. August 2019 ab (AB 7).
II.
Am 19. September 2019 erhebt die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 22. August 2019 und ersucht um Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung ab 1. Juli 2019.
Mit Beschwerdeantwort vom 25. November 2019 schliesst die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der Beschwerde.
III.
Nachdem keine der Parteien die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verlangt hat, findet am 12. Februar 2020 die Urteilsberatung durch die Kammer des Sozialversicherungsgerichts statt.
Entscheidungsgründe
1.
1.1. Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt ist gemäss Art. 56 Abs. 1 und Art. 57 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG, SR 830.1) in Verbindung mit § 82 Abs. 1 des basel-städtischen Gerichtsorganisationsgesetzes vom 3. Juni 2015 (GOG, SG 154.100) und § 1 Abs. 1 des kantonalen Sozialversicherungsgerichtsgesetzes vom 9. Mai 2001 (SVGG, SG 154.200) zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus Art. 100 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 25. Juni 1982 (AVIG, SR 837.0) in Verbindung mit Art. 128 sowie Art. 119 Abs. 1 lit. a der Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 31. August 1983 (AVIV, SR 837.02).
1.2. Die Beschwerde wurde rechtzeitig innert der 30-tägigen Frist nach Eröffnung des Einspracheentscheides gemäss Art. 60 ATSG erhoben. Da auch die übrigen formellen Beschwerdevoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin zu Recht einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung der Beschwerdeführerin ab 1. Juli 2019 mangels Vermittlungsfähigkeit verneint hat.
2.2. Gemäss Art. 8 Abs. 1 AVIG hat der Versicherte Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wenn er ganz oder teilweise arbeitslos ist (lit. a), einen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitten hat (lit. b), in der Schweiz wohnt (lit. c), die obligatorische Schulzeit zurückgelegt und weder das Rentenalter der AHV erreicht hat noch eine Altersrente der AHV bezieht (lit. d), die Beitragszeit erfüllt hat oder von der Erfüllung der Beitragszeit befreit ist (lit. e), vermittlungsfähig ist (lit. f) und die Kontrollvorschriften erfüllt (lit. g). Gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. f i. V. m. Art. 15 Abs. 1 AVIG ist eine arbeitslose Person vermittlungsfähig, wenn sie bereit, in der Lage und berechtigt ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen und an Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen. Somit gehören zur Vermittlungsfähigkeit nicht nur die Arbeitsfähigkeit und die Vermittlungsbereitschaft, sondern auch die Arbeitsberechtigung. Wenn und solange keine Arbeitsberechtigung besteht, fehlt es auch an der Vermittlungsfähigkeit des Versicherten und damit an seiner Anspruchsberechtigung (BGE 126 V 376, 378 E. 1b mit Hinweisen). Die Arbeitsberechtigung ist dabei die objektive (sachliche) Komponente der Vermittlungsfähigkeit. Fehlt eine Arbeitsbewilligung (gleichgültig aus welchem Grund), ist die Vermittlungsfähigkeit und somit die Anspruchsberechtigung der betreffenden Person zu verneinen
(Barbara Kupfer Bucher, Fokus Arbeitslosenversicherung, 2016, S. 134).
2.3. Im Rahmen der Prüfung der Vermittlungsfähigkeit stellt die Frage nach der Arbeitsberechtigung ausländischer Staatsangehöriger eine Vorfrage dar (BGE 120 V 378, 382 E. 3a). Sie beurteilt sich aufgrund einer individuell-konkreten und nicht einer generell-abstrakten Betrachtungsweise, wobei im konkreten Einzelfall zu entscheiden ist, ob die ausländische Person über eine Arbeitsbewilligung verfügt oder mit einer solchen rechnen kann (BGE 126 V 376, 383 E. 6a). Die Vermittlungsfähigkeit beurteilt sich prospektiv, somit von jenem Zeitpunkt aus und auf der Basis der tatsächlichen Verhältnisse, wie sie bis zum Erlass des Einspracheentscheides gegeben waren (BGE 120 V 385, 387 E. 2; Urteil des Bundesgerichts 8C_581/2018 vom 25. Januar 2019 E. 2.2.2 mit Hinweisen).
2.4. Gemäss Art. 10 Abs. 1 c Übergangsbestimmungen und Weiterentwicklung des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (Freizügigkeitsabkommens [FZA]; SR 0.142.112.681) kann die Schweiz bis Ende des zweiten Jahres nach Inkrafttreten des Protokolls zu diesem Abkommen im Hinblick auf die Aufnahme der Republik Kroatien als Vertragspartei für die Kategorie der Aufenthalte von mehr als vier Monaten und weniger als einem Jahr und für die Kategorie der Aufenthalte von einem Jahr und mehr weiterhin Höchstzahlen für den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit von Arbeitnehmern und Selbständigen aufrechterhalten, die Staatsangehörige der Republik Kroatien sind. Die Schweiz und die Republik Kroatien können während eines Zeitraums von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Protokolls zu diesem Abkommen im Hinblick auf die Aufnahme der Republik Kroatien als Vertragspartei für Arbeitnehmer einer dieser Vertragsparteien, die in ihrem Hoheitsgebiet beschäftigt sind, die Kontrolle der Einhaltung des Vorrangs der in den regulären Arbeitsmarkt integrierten Arbeitnehmer und die Kontrolle der Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen für die Staatsangehörigen der betreffenden Vertragspartei beibehalten (Art. 10 Abs. 2 c Übergangsbestimmungen und Weiterentwicklung FZA). Für kroatische Staatsangehörige gilt daher seit dem 1. Januar 2017 eine beschränkte Personenfreizügigkeit, d.h. es wird ihnen bis maximal am 31. Dezember 2023 ein kontingentierter Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt gewährt (vgl. Kreisschreiben über die Auswirkungen der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und 987/2009 auf die Arbeitslosenversicherung [KS ALE 883, Stand: 1. Juli 2019], Fussnote 40 zu B15).
2.5. Das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration vom 16. Dezember 2005 (AIG; SR 142.20) regelt unter anderem den Aufenthalt von Ausländern in der Schweiz. In den Art. 18-29a des Gesetzes werden die Voraussetzungen für eine Zulassung zu einem Aufenthalt mit Erwerbstätigkeit genannt. Gemäss dem in Art. 21 Abs. 1 AIG geregelten Inländervorrang darf eine Zulassung zu einem Aufenthalt mit Erwerbstätigkeit nur erfolgen, wenn nachgewiesen wird, dass keine dafür geeigneten inländischen Arbeitnehmer oder Angehörige von Staaten, mit denen ein Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen wurde, gefunden werden können. Eine Ausnahme sieht Art. 21 Abs. 3 AIG für Ausländer mit Schweizer Hochschulabschluss vor, welche in Abweichung von Abs. 1 (Inländervorrang) zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit zugelassen werden können, wenn diese von hohem wissenschaftlichem oder wirtschaftlichem Interesse ist. Sie werden für eine Dauer von sechs Monaten nach dem Abschluss ihrer Aus- oder Weiterbildung in der Schweiz vorläufig zugelassen, um eine entsprechende Erwerbstätigkeit zu finden. Diese Regelung gilt nur für Abschlüsse (Bachelor, Master, Doktorat) von anerkannten Schweizer universitären Hochschulen (kantonale Universitäten, EidgenössischeTechnische Hochschulen [ETH] sowie beitragsberechtigte Universitätsinstitutionen) und Fachhochschulen (vgl. Weisungen und Erläuterungen Ausländerbereich des Staatssekretariats für Migration [SEM], Stand: 1. November 2019, Ziff. 5.1.2). In diesen Fällen entfällt der arbeitgeberseitige Nachweis erfolgloser Rekrutierungsbemühungen in der Schweiz oder in der EU/EFTA (Urteil des Bundesgerichts 8C_581/2018 vom 25. Januar 2019 E. 4.2.2 mit Hinweisen).
3.
3.1. Vorliegend steht fest, dass die Beschwerdeführerin kroatische Staatsangehörige ist und sie somit unter den Geltungsbereich des Freizügigkeitsabkommens fällt. Dies bedeutet, dass für die Beschwerdeführerin eine beschränkte Personenfreizügigkeit gilt. Danach benötigt sie, um in der Schweiz zu arbeiten, eine Arbeitsbewilligung zu Lasten des Kontingents. Zudem können Arbeitnehmende aus Kroatien nur angestellt werden, wenn nachgewiesen wird, dass die offene Stelle nicht mit geeigneten inländischen Arbeitnehmenden besetzt werden kann (vgl. E. 2.4 und 2.5.). Unter diesen Umständen hat die Beschwerdeführerin grundsätzlich geringere Chancen, eine Bewilligung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu erlangen. Die Beschwerdeführerin war somit im Zeitpunkt des Erlasses des Einspracheentscheids im August 2019 nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit zugelassen und sie konnte auch nicht ohne weiteres mit einer Arbeitsbewilligung rechnen. Folglich fehlt es ihr an der Vermittlungsfähigkeit, die für einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung erforderlich ist, so dass die Beschwerdegegnerin diesen Anspruch - wie auch die nachfolgenden Ausführungen zeigen - zu Recht verneint hat.
3.2. Denn auch Art. 21 Abs. 3 AIG - auf welchen sich die Beschwerdeführerin beruft - vermag nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen. Es erscheint naheliegend, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer akademischen Ausbildung am C____ (AB 3) zu den hochqualifizierten Arbeitskräften gehört, weshalb gestützt auf Art. 21 Abs. 3 AlG der Inländervorrang nicht zum Zuge käme (vgl. E. 2.5). Indes geht damit kein Anspruch auf Erteilung einer Arbeitsbewilligung beziehungsweise eine Genehmigung derselben durch das SEM einher. Denn es besteht kein Rechtsanspruch auf Erteilung einer solchen Bewilligung; die Beschwerdeführerin ist weiterhin den restlichen Zulassungsvoraussetzungen für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, welche in Art. 20 ff. AIG vorgesehen sind, unterstellt (vgl. Weisungen und Erläuterungen Ausländerbereich des Staatssekretariats für Migration [SEM], Kapitel 4 Aufenthalt mit Erwerbstätigkeit, Stand: 1. April 2020, Ziff. 4.4.6). Soweit die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 21 Abs. 3 AIG argumentiert, dass ihr bei Vorlage eines neuen Arbeitsvertrags eine entsprechende neue Arbeitsbewilligung erteilt wird bzw. sie mit einer solchen rechnen kann, verkennt sie, dass sich hinsichtlich der Vermittlungsfähigkeit die Frage nach der Arbeitsberechtigung der ausländischen Person individuell-konkret und prospektiv auf der Basis der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses des Einspracheentscheides beurteilt (vgl. E. 2.3). Zwar verfügte die Beschwerdeführerin zum vorliegend massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des Einspracheentscheides im August 2019 über eine Kurzaufenthaltsbewilligung «L» zum Zwecke der Stellensuche (AB 4 und 6), indes stand aus prospektiver Sicht ein entsprechender Stellenantritt gerade nicht bevor (AB 7; Urteil des Bundesgerichts 8C_479/2011 vom 10. Februar 2012, E. 3.2.3 mit Hinweisen). Nicht entscheidwesentlich ist daher auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin ab 15. November 2019 eine Anstellung als Postdoktorandin an der D____ gefunden hat und seit dem 1. Januar 2020 als Postdoktorandin beim E____ arbeitet (AB 9; Urteil des Bundesgerichts 8C_479/2011 vom 10. Februar 2012, E. 3.3).
3.3. Gesamthaft betrachtet hat die Beschwerdegegnerin den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung mangels Vermittlungsfähigkeit zu Recht verneint.
4.
4.1. Nach dem Erwähnten ist die Beschwerde daher abzuweisen.
4.2. Das Verfahren ist kostenlos.
Demgemäss erkennt das Sozialversicherungsgericht:
://: Die Beschwerde wird abgewiesen.
Das Verfahren ist kostenlos.
Sozialversicherungsgericht BASEL-STADT
Der Präsident Die Gerichtsschreiberin
Dr. G. Thomi lic. iur. A. Gmür
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht [Bundesgerichtsgesetz, BGG]). Die Beschwerdefrist kann nicht erstreckt werden (Art. 47 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegründe sind in Art. 95 ff. BGG geregelt.
Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, in dreifacher Ausfertigung zuzustellen. Die Beschwerdeschrift hat den Anforderungen gemäss Art. 42 BGG zu genügen; zu beachten ist dabei insbesondere:
a) Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten;
b) in der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt;
c) die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat, ebenso der angefochtene Entscheid.
Geht an:
- Beschwerdeführerin
- Beschwerdegegnerin
- seco
Versandt am: