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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:SU170046
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SU170046 vom 20.06.2018 (ZH)
Datum:20.06.2018
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Verletzung der Verkehrsregeln
Schlagwörter : Schuldig; Beschuldigte; Zeuge; Beschuldigten; Blinker; Aussage; Zeugen; Vorinstanz; Aussagen; Motorrad; Berufung; Urteil; Verteidigung; Unfall; Recht; Statthalteramt; Sachverhalt; Zeitpunkt; Nahende; Würdigung; Sachverhalts; Gericht; Unfalls; Verkehr; Blinkeranlage; Schaltet; Bericht; Fahrlässig
Rechtsnorm: Art. 10 StPO ; Art. 178 StPO ; Art. 27 SVG ; Art. 28 VRV ; Art. 36 SVG ; Art. 398 StPO ; Art. 402 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 437 StPO ; Art. 90 SVG ;
Referenz BGE:134 I 140;
Kommentar zugewiesen:
Hug, Scheidegger, Kommentar, 2. Auflage , Art. 398 StPO, 2014
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SU170046-O/U/cs

Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. Spiess, Präsident, lic. iur. Ruggli und lic. iur.

Stiefel sowie der Gerichtsschreiber lic. iur. Samokec

Urteil vom 20. Juni 2018

in Sachen

A. ,

Beschuldigte und Berufungsklägerin

erbeten verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X. ,

gegen

Statthalteramt Bezirk Horgen, Untersuchungsbehörde und Berufungsbeklagte

betreffend Verletzung der Verkehrsregeln

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Horgen, Einzelgericht in Strafsachen, vom 12. Juli 2017 (GC170010)

Strafbefehl:

Der Strafbefehl Nr. des Statthalteramtes des Bezirkes Horgen vom 1. Juni 2016 (Urk. 2/2/1) ist diesem Urteil beigeheftet.

Urteil der Vorinstanz :

(Urk. 17)

Es wird erkannt:

  1. Die Beschuldigte ist schuldig der fahrlässigen Missachtung des Vortritts beim Signal Stopp im Sinne von Art. 90 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 SVG, Art. 36 Abs. 2 SVG und Art. 75 Abs. 1 SSV.

  2. Die Beschuldigte wird bestraft mit einer Busse von Fr. 400.-.

  3. Bezahlt die Beschuldigte die Busse schuldhaft nicht, so tritt an deren Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tagen.

  4. Die Entscheidgebühr wird angesetzt auf Fr. 900.-.

  5. Die Kosten gemäss vorstehender Ziffer sowie die Kosten des Strafbefehls Nr. vom 1. Juni 2016 in Höhe von Fr. 360.- und die nachträglichen Gebühren des Statthalteramtes des Bezirks Horgen im Betrage von Fr. 300.- werden der Beschuldigten auferlegt.

    Berufungsanträge der Beschuldigten:

    (Urk. 18 S. 2 und Urk. 28 S. 2)

    In Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils sei die Berufungsklägerin freizusprechen,

    unter Kostenund Entschädigungsfolgen für beide Instanzen zu Lasten der Staatskasse.

    Erwägungen:

    1. Prozessgeschichte
      1. Mit Urteil vom 12. Juli 2017 sprach das Bezirksgericht Horgen, Einzelgericht, die Beschuldigte der fahrlässigen Missachtung des Vortritts beim Signal Stopp im Sinne von Art. 90 Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG, Art. 36 Abs. 2 SVG und Art. 75 Abs. 1 SSV schuldig und bestrafte sie mit einer Busse von

        Fr. 400.- (Urk. 17 S. 23 f.). Das Urteilsdispositiv wurde den Parteien je am 14. Juli 2017 zugestellt (Urk. 12/1-2). Mit Eingabe vom 14. Juli 2017 (Datum Poststempel) meldete die Verteidigung namens der Beschuldigten rechtzeitig Berufung an

        (Urk. 13). Nach Erhalt des begründeten Urteils reichte die Verteidigung fristgerecht die Berufungserklärung ein (Urk. 18). In der Folge wurde dem Statthalteramt mit Präsidialverfügung vom 23. Oktober 2017 die Berufungserklärung zugestellt und Frist angesetzt, um Anschlussberufung zu erheben oder ein Nichteintreten

        auf die Berufung zu beantragen (Urk. 19). Das Statthalteramt liess sich innert Frist nicht vernehmen (vgl. Urk. 20/1).

      2. Mit Beschluss vom 24. November 2017 wurde das schriftliche Verfahren angeordnet und der Beschuldigten Frist zur Antragsstellung und Berufungsbegründung angesetzt (Urk. 23). Nach zweimaliger Fristerstreckung (vgl. Urk. 25 und 27) ging die Berufungsbegründung fristgerecht am hiesigen Gericht ein

      (Urk. 28). Mit Präsidialverfügung vom 20. Februar 2018 wurde das Doppel der Berufungsbegründung dem Statthalteramt sowie der Vorinstanz zugestellt, Ersterem Frist angesetzt, um die Berufungsantwort einzureichen und Letzterer Gelegenheit zur freigestellten Vernehmlassung eingeräumt (Urk. 30). Das Statthalteramt liess sich innert Frist nicht vernehmen (vgl. Urk. 31/1). Die Vorinstanz verzichtete auf Vernehmlassung (Urk. 32). Das Verfahren erweist sich als spruchreif.

    2. Prozessuales
  1. Gemäss Art. 402 StPO in Verbindung mit Art. 437 StPO wird die Rechtskraft des angefochtenen Urteils im Umfang der Anfechtung gehemmt. Die Beschuldigte ficht das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich an (Urk. 18 S. 2; Urk. 28 S. 2), weshalb keine Dispositivziffer in Rechtskraft erwächst.

  2. Bilden - wie im vorliegenden Fall - ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens, so kann mit der Berufung nur geltend gemacht werden, das Urteil sei rechtsfehlerhaft oder die Feststellung des Sachverhalts sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung. Neue Behauptungen und Beweise können nicht vorgebracht werden (Art. 398 Abs. 4 StPO).

    1. Betreffend den Sachverhalt hat das Berufungsgericht konkret nur zu prüfen, ob dieser durch die Vorinstanz offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich, festgestellt wurde. Relevant sind dabei klare Fehler bei der Sachverhaltsermittlung, wie namentlich Versehen, Irrtümer oder offensichtliche Diskrepanzen zwischen der sich aus den Akten sowie der Hauptverhandlung ergebenden Beweislage auf der einen und der Urteilsbegründung auf der anderen Seite. Weiter in Betracht kommen insbesondere Fälle, in denen die gerügte Sachverhaltsfeststellung auf einer Verletzung von Bundesrecht, in erster Linie von Verfahrensvorschriften der StPO selbst, beruht. Gesamthaft gesehen sind Konstellationen relevant, die als willkürliche Sachverhaltserstellung zu qualifizieren sind (vgl. Schmid/Jositsch, Praxiskommentar StPO, 3. Auflage 2018, Art. 398 StPO N 12 f.; Eugster, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar StPO, 2. Auflage 2014, Art. 398 StPO N 3a; Urteil des Bundesgerichts 6B_696/2011 vom 6. März 2012 E. 2.1). Willkür bei der Beweiswürdigung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, genügt nicht (vgl. BGE 134 I 140 E. 5.4 m.H.). Das Berufungsgericht darf und muss sich in Sachverhaltsfragen auf eine Willkürprüfung beschränken und hat keine erneute Beweiswürdigung vorzunehmen (vgl. Urteil BGer vom 6. März 2012 [6B_696/2011], E. 4.1).

    2. Weiter wird das angefochtene Urteil auf Rechtsverletzungen bei der durch die Vorinstanz vorgenommenen rechtlichen Würdigung überprüft. Dabei liegt keine Einschränkung der Überprüfungsbefugnis vor; sämtliche Rechtsfragen sind mit freier Kognition zu prüfen, und zwar nicht nur materiellrechtliche, sondern auch prozessuale (Hug/Scheidegger, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Kommentar, 2. Auflage 2014, Art. 398 StPO N 23).

  3. Somit ist im Folgenden zu überprüfen, ob die von der Beschuldigten vorgebrachten Beanstandungen von der oben dargelegten Überprüfungsbefugnis gedeckt sind, und gegebenenfalls, ob das vorinstanzliche Urteil auf willkürlicher Sachverhaltsfeststellung oder auf Rechtsverletzungen beruht.

III. Schuldpunkt
  1. Der Beschuldigten wird im Strafbefehl vom 1. Juni 2016 vorgeworfen, am 16. April 2016 um 11:40 Uhr bei der Verzweigung A. /B. [Strassen] in C. beim Signal Stop gegenüber dem Motorrad mit dem Kennzeichen ZG fahrlässig den Vortritt missachtet zu haben. Aus diesem Grund habe der Motorradlenker (nachfolgend: Zeuge E. ) zur Vermeidung einer Kollision mit dem Fahrzeug der Beschuldigten eine Vollbremsung vollzogen und sei dadurch zu Fall gekommen (Urk. 2/1 S. 1).

  2. Die Beschuldigte bestreitet nicht, dass sie zum anklagegegenständlichen Zeitpunkt von der vortrittsbelasteten C. in die B. eingebogen sei. Sie macht jedoch geltend, nur deshalb losgefahren zu sein, da sie im Verkehrsspiegel gesehen habe, dass der Blinker des Motorrades des Zeugen

    E. eingeschaltet gewesen sei und dieser so signalisiert habe, nach rechts in

    die C. abbiegen zu wollen. Zudem sei er so langsam gefahren, dass ein Abbiegen möglich gewesen wäre (Urk. 2/1/1 S. 2; Urk. 2/9 S. 2 ff.).

  3. Die Vorinstanz kam zum Schluss, dass sich der Sachverhalt, wie im Strafbefehl vom 1. Juni 2016 umschrieben, zugetragen habe (Urk. 17 S. 14 f.). Zu dieser Erkenntnis gelangte sie nach der Würdigung der Aussagen der Beschuldigten sowie derjenigen der beiden Zeugen E. und F. . Die Aussagen ebendieser Zeugen, welche übereinstimmend davon berichteten, dass die Blinkeranlage des Motorrades zum Zeitpunkt des Unfalls nicht eingeschaltet gewesen sei, erachtete sie als überzeugend. Demgegenüber erwog sie hinsichtlich der Beteuerungen der Beschuldigten, einen gestellten Blinker gesehen zu haben, dass diese zwar plausibel seien, jedoch nicht auszuschliessen sei, dass sie sich über den gesetzten Blinker getäuscht habe, zumal sie selbst angegeben habe, dass sie sich beim Einbiegen in die B. vor allem auf den von rechts nahenden Gegenverkehr geachtet habe. Das Verhalten der Beschuldigten qualifizierte die Vorinstanz letztlich als fahrlässige Missachtung des Vortritts beim Signal Stop im Sinne von Art. 90 Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG, Art. 36 Abs. 1 SVG und Art. 75 Abs. 1 SSV und sprach sie entsprechend schuldig (Urk. 17 S. 3 ff.).

  4. Mit ihrer Berufung lässt die Beschuldigte geltend machen, dass das vorinstanzliche Urteil rechtsfehlerhaft und auch der Anklagesachverhalt offensichtlich nicht richtig erstellt worden sei (Urk. 28 S. 3).

    1. Die Verteidigung rügt mit ihrer Berufungsbegründung zunächst, dass die Vorinstanz bei der Würdigung des Berichts des Forensischen Instituts Zürich (nachfolgend: FOR) vom 28. April 2016 zum Betriebszustand der Blinkerglühlampen (Urk. 2/1/9) lediglich ausgeführt habe, dass aufgrund der Erkenntnisse dieses Berichts nicht erstellt werden könne, ob die Blinkeranlage des Motorrades zum Zeitpunkt des Unfalls eingeschaltet gewesen sei oder nicht. Dadurch habe sie den Grundsatz in dubio pro reo verletzt und sei bei der Erstellung des Sachverhalts in Willkür verfallen (Urk. 28 S. 4). Aus Sicht der Verteidigung hätte der Umstand, dass der Bericht auf eine leichte Anomalie des Glühwendels in der BlinkerGlühlampe hinten rechts hingewiesen habe, zumindest dahingehend berücksichtigt werden müssen, dass die Angaben der Beschuldigten zum Betriebszustand der Blinkeranlage durch diese Erkenntnis objektiv gestützt würden (Urk. 28 S. 5).

      Die Verteidigung weist zu Recht darauf hin, dass aus dem Bericht des FOR hervorgeht, dass der Glühwendel der Blinker-Glühlampe hinten rechts eine leichte Anomalie aufgewiesen habe, was grundsätzlich ein Hinweis auf eine zum Unfallzeitpunkt eingeschaltete Blinkeranlage sein könnte (vgl. Urk. 2/1/9 S. 3). Das Fazit des Berichts lautet jedoch, dass der Entstehungsgrund der Anomalie nicht bestimmt werden könne und keine abschliessenden Rückschlüsse über den Betriebszustand der Motorrad-Blinker zum Unfallzeitpunkt gezogen werden könnten. Entgegen der Ansicht der Verteidigung wird damit die Sachverhaltsdarstellung der Beschuldigten, der in Frage stehende Blinker sei zum Zeitpunkt des Unfalls gestellt gewesen, durch die Erkenntnisse des Berichts nicht gestützt. Andererseits brachte der Bericht aber auch keine gesicherten Erkenntnisse hervor, welche auf einen nicht gestellten Blinker als wahrscheinlichere Variante schliessen lassen würden. Indem die Vorinstanz den (ergebnislosen) Bericht des FOR nicht in ihre Beweiswürdigung einfliessen liess, verfiel sie - entgegen der Auffassung der Verteidigung - nicht in Willkür.

    2. Die Verteidigung macht weiter geltend, dass die Vorinstanz die Grundsätze der Würdigung von Zeugenaussagen verletzt habe (Urk. 28 S. 4).

      1. So bringt diese in formeller Hinsicht vor, es sei fraglich, ob die Aussagen des Zeugen E. zu Ungunsten der Berufungsklägerin verwertbar seien. Ersterer sei vom Statthalteramt als Zeuge befragt worden. Da im vorliegenden Kontext aber zu klären gewesen sei, ob der Zeuge E. es allenfalls unterlassen hatte, den rechten Richtungsblinker zurückzustellen, womit er sich nach Art. 28 Abs. 2 VRV strafbar gemacht hätte, hätte er richtigerweise als Auskunftsperson mit entsprechender Rechtsbelehrung befragt werden müssen (Urk. 28 S. 5).

        Diesem Vorbringen der Verteidigung ist entgegenzuhalten, dass der Zeuge E. sich weder als Privatkläger konstituiert hat noch als Täter oder Teilnehmer des zu beurteilenden Delikts in Frage kommt oder in einem anderen Verfahren wegen einer Tat beschuldigt ist, die mit der abzuklärenden Straftat in Zusammenhang steht (vgl. Art. 178 StPO). Seine Befragung in der Eigenschaft als Zeuge ist daher nicht zu beanstanden.

      2. In materieller Hinsicht bringt die Verteidigung hinsichtlich der vorinstanzlichen Würdigung der Aussagen der Beschuldigten im Wesentlichen vor, dass deren Angabe, sie habe sich beim Einbiegen in die B. vor allem auf den von rechts kommenden Gegenverkehr geachtet (Prot. I S. 6), willkürlich zu ihrem Nachteil bewertet worden sei (Urk. 28 S. 8). Weiter wird hinsichtlich der Aussagen des Zeugen F. beanstandet, dass, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, alleine aus dem Umstand, dass diesem ein Blinker nicht aufgefallen sei, nicht zweifelsfrei gefolgert werden könne, ein solcher sei nicht gestellt gewesen (Urk. 28 S. 9). Zudem wird gerügt, dass die Vorinstanz überhaupt nicht auf die Widersprüche in den Angaben des Zeugen E. eingegangen sei und dessen Aussagen teilweise nicht richtig wiedergegeben worden seien (Urk. 28 S. 7).

      3. Die Vorinstanz gelangte bei der Würdigung der Aussagen der Beschuldigten zum Schluss, dass diese durchaus plausibel seien. Gleichzeitig erwog sie aber, dass aufgrund der von der Beschuldigten zu Protokoll gegebenen Ausführungen nicht ausgeschlossen werden könne, dass deren Fokus vor allem auf dem von rechts nahenden Gegenverkehr gelegen habe, als auf dem von links herannahenden Motorrad. Dadurch werde der Anschein erweckt, dass die Beteuerungen der Beschuldigten, sie habe beim Motorrad einen eingeschalteten Blinker gesehen, möglicherweise doch nicht auf ihren eigenen Beobachtungen beruhen würden und sie sich bezüglich der Wahrnehmung des Blinkens geirrt haben könnte (Urk. 17 S. 14).

          1. Zum Treffen einer solchen Annahme besteht jedoch kein Anlass. Die Beschuldigte gab in ihren Einvernahmen stets an, dass sie erst dann in die

            1. eingebogen sei, als sie sich sicher gewesen sei, dass der von links herannahende Zeuge E. nach rechts in die C. habe abbiegen wollen. Sie habe zweimal in den Spiegel geblickt und gesehen, dass das Motorrad einen Richtungsblinker gesetzt gehabt habe (Urk. 2/1/2 S. 2, Urk. 2/9 S. 2; Prot. I S. 6). Dass sich die Beschuldigte beim Einbiegen in die B. vor allem auf den von rechts nahenden Gegenverkehr geachtet habe, schliesst folglich nicht aus, dass sie sich vor der Vornahme dieses Einbiegemanövers zunächst auf das von links nahende Motorrad geachtet und bei diesem einen gestellten Blinker gesehen habe. Die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Beschuldigten wird durch ihre Äusserung, dass sie sich beim Einbiegen auf den von rechts kommenden Gegenverkehr geachtet habe, nicht geschmälert. Indem die Vorinstanz Gegenteiliges in den Raum stellte, verfiel sie in Willkür. Die Aussagen der Beschuldigten sind grundsätzlich glaubhaft.

          2. Die Aussagen des Zeugen F. wurden von der Vorinstanz ebenfalls als glaubhaft erachtet. Aus dessen spontanem Gedanken das kann nicht sein beim Einbiegen der Beschuldigten in die B. gehe hervor, dass der Fokus des Zeugen F. von Anfang an auf dem Verhalten der Beschuldigten gelegen habe und er dieses nicht habe nachvollziehen können bzw. spontan als Fehlverhalten qualifiziert habe. Der Zeuge F. habe wiederholt bekräftigt, dass er davon überzeugt gewesen sei, keinen Blinker gesehen zu haben. Seinen spontanen Gedanken sei es schliesslich zugrunde zu legen, dass es ihm nicht nur möglich gewesen sei, den Zeugen E. an sich zu erkennen, sondern auch zu eruieren, ob die Blinkeranlage dessen Motorrades in Betrieb gewesen sei oder nicht (Urk. 17 S. 15). Die Aussagen des Zeugen F. scheinen für die Vorinstanz aus den genannten Gründen denn auch ausschlaggebend für die Sachverhaltserstellung zu sein.

          3. Dagegen weist die Verteidigung zu Recht darauf hin, dass die Umstän- de, unter welchen der Zeuge F. den fraglichen Unfall beobachtet hatte, alles andere als optimal waren (vgl. Urk. 28 S. 6 und 8 ff.). Von einem auf der

        1. direkt beim Stop-Streifen stehenden Fahrzeug konnte der von links von der B. herannahende Verkehr im Wesentlichen nur über einen Verkehrsspiegel wahrgenommen werden (vgl. Urk. 1/3). Es ist bekannt, dass solche Verkehrsspiegel primär dazu dienen, auf andere herannahende Verkehrsteilnehmer aufmerksam zu machen. Aufgrund ihrer eher bescheidenen Dimensionen sind solche Spiegel dagegen nicht dazu geeignet, die darin gespiegelten Fahrzeuge bis ins kleinste Detail abzubilden. Im Gegensatz zur Beschuldigten, welche sich zum fraglichen Zeitpunkt direkt beim Stop-Streifen aufhielt (Urk. 1/2 S. 2, Urk. 2/9

        S. 2, Urk. 2/14 S. 1, Urk. 2/15 S. 2), fuhr der Zeuge F. gemäss eigenen Angaben mit einem gewissen Abstand hinter der Beschuldigten her (Urk. 2/14 S. 2).

        Entsprechend befand er sich zum Zeitpunkt des Unfalls auch in einem grösseren Abstand zum Verkehrsspiegel, weshalb seine Wahrnehmungen zum herannahenden Motorrad nicht gleich detailliert ausfallen konnten, wie diejenigen, der sich in unmittelbarer Nähe des Spiegels befindlichen Beschuldigten. Hinzu kommt, dass der Zeuge F. gemäss eigener Aussage kaum Zeit gehabt habe, den Unfallhergang zu beobachten. So führte er anlässlich seiner Befragung beim Statthalteramt aus, dass er das Motorrad im Spiegel gesehen habe, worauf es schon gräpplet habe. Als er das Motorrad im Spiegel gesehen habe, habe es nicht mehr als ein oder zwei Sekunden gedauert, bis dieses zu Fall gekommen sei (vgl. Urk. 2/14 S. 1 f.).

            1. Dass es für den Zeugen F. schwierig gewesen sein muss, die relevanten Details des Unfallhergangs wahrzunehmen, zeigt sich letztlich auch an seinem Aussageverhalten. Anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme gab er an, dass ihm ein Blinken nicht aufgefallen sei (Urk. 1/2 S. 2). Im Rahmen seiner Befragung beim Statthalteramt gab er dagegen zu Protokoll, dass das Motorrad zu 100% keinen Blinker gestellt gehabt habe (Urk. 2/14 S. 4). Diese Beteuerung beruhte jedoch nicht auf den eigenen Wahrnehmungen des Zeugen F. , sondern vielmehr auf seiner Überzeugung, dass es ihm aufgefallen wäre, wenn das Motorrad geblinkt hätte (Urk. 2/14 S. 4).

            2. Die blosse Tatsache, dass dem Zeugen F. , unter Berücksichtigung seiner Position zum Zeitpunkt des Unfalls und des schnellen zeitlichen Ablaufs desselben, im Verkehrsspiegel ein allfälliges Blinken des Motorrades nicht auffiel, vermag jedoch noch nicht auszuschliessen, dass die Blinkeranlage zum fraglichen Zeitpunkt nicht doch eingeschaltet war. Die Aussagen des Zeugen

        F. sind trotz dieser Umstände zwar nach wie vor als glaubhaft zu erachten, jedoch kann ihnen keine gegenüber den Aussagen der Beschuldigten erhöhte Glaubhaftigkeit bescheinigt werden. Daran vermag auch die spontane Reaktion des Zeugen F. auf das Losfahren der Beschuldigten nichts zu ändern (vgl. Urk.17 S. 15). Dass dieser das Verhalten der Beschuldigten nicht habe nachvollziehen können und dieses spontan als Fehlverhalten qualifiziert habe, sagt noch nichts darüber aus, ob sich die Beschuldigte auch tatsächlich falsch verhalten hat.

        Indem die Vorinstanz im Rahmen ihrer Gesamtwürdigung andeutete, den Aussagen des Zeugen F. ein grösseres Gewicht beizumessen, als den Aussagen der Beschuldigten, verfiel sie in Willkür.

        4.6. Betreffend die Aussagen des Zeugen E. erwog die Vorinstanz zu Recht, dass diese nachvollziehbar und glaubhaft seien (Urk. 17 S. 12). Der Einwand der Verteidigung, wonach die Aussagen des Zeugen E. zum Zurücksetzen des Blinkers während seiner Befragungen bei der Polizei und beim Statthalteramt nicht gänzlich deckungsgleich seien, ist zwar zutreffend, vermag aber die grundsätzliche Glaubhaftigkeit seiner Aussagen nicht zu erschüttern. Dass der Zeuge E. anlässlich seiner Einvernahme beim Statthalteramt Ausführungen zu den Anweisungen seines Chefs zum Zurückstellen des Blinkers machte, lag daran, dass ihn der Einvernehmende einlässlich zum Zurückstellen des Blinkers befragte (Urk. 2/15 S. 3). Es kann dem Zeugen E. nicht zum Nachteil gereichen, dass er auf detaillierte Fragen auch detaillierte Antworten gab. Wie die Verteidigung, war schliesslich auch die Vorinstanz der Ansicht, dass die Aussagen des Zeugen E. insgesamt nicht glaubhafter seien, als diejenigen der Beschuldigten, und sich allein aufgrund deren noch nicht rechtsgenügend erstellen lasse, dass der Blinker des Motorrads zum Zeitpunkt des Unfalls nicht eingeschaltet gewesen sei (Urk. 17 S. 12). Eine willkürliche Würdigung der Aussagen des Zeugen E. durch die Vorinstanz liegt entsprechend nicht vor.

  5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich sowohl die Aussagen der beiden Zeugen E. und F. als auch diejenigen der Beschuldigten als glaubhaft erweisen. Objektive Beweismittel, welche den Betrieb der Blinkeranlage zum Zeitpunkt des Unfalls ausschliessen oder bestätigen könnten, liegen nicht vor. In Anbetracht dessen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Zeuge F. aufgrund seiner Distanz zum Verkehrsspiegel und des schnellen zeitlichen Ablaufs des Unfalls ein allfälliges Blinken des herannahenden Motorrads übersehen hat, kann seinen diesbezüglichen Aussagen - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - kein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen werden. Nach der Würdigung sämtlicher verfügbarer Beweismittel ist es nach wie vor vorstellbar, dass die Blinkeranlage des Motorrades zum Zeitpunkt des Unfalls einge-

schaltet war und die Beschuldigte deshalb nicht fahrlässig handelte, als sie von der C. in die B. einbog. Damit bleiben erhebliche Zweifel im Sinne von Art. 10 Abs. 3 StPO daran, ob sich der Sachverhalt gemäss der Beschreibung im Strafbefehl vom 1. Juni 2016 verwirklicht hat. Dadurch, dass die Vorinstanz angesichts dieser Beweislage den Anklagesachverhalt dennoch als erstellt erachtet hatte, verletzte sie den Grundsatz in dubio pro reo und verfiel in Willkür. Entsprechend ist die Beschuldigte vom Vorwurf des fahrlässigen Missachtens des Vortrittsrechts freizusprechen.

IV. Kosten und Entschädigungsfolgen

Nachdem die Beschuldigte freizusprechen ist, sind die Kosten der Untersuchung sowie der Gerichtsverfahren beider Instanzen auf die Gerichtskasse zu nehmen (Art. 428 Abs. 1 StPO). Sodann ist der Beschuldigten für ihre Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte im gesamten Verfahren gemäss der Honorarnote (Urk. 29) ihres erbetenen Verteidigers eine Prozessentschädigung von Fr. 8'754.- (inkl. MWST.) zuzusprechen (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO).

Es wird erkannt:

  1. Die Beschuldigte A. ist der fahrlässigen Missachtung des Vortritts beim Signal Stop im Sinne von Art. 90 Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG, Art. 36 Abs. 2 SVG und Art. 75 Abs. 1 SSV nicht schuldig und wird freigesprochen.

  2. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz.

  3. Die Kosten der Untersuchung sowie der Gerichtsverfahren beider Instanzen werden auf die Gerichtskasse genommen.

  4. Der Beschuldigten wird eine Prozessentschädigung von Fr. 8'754.- für anwaltliche Verteidigung aus der Gerichtskasse zugesprochen.

  5. Schriftliche Mitteilung in vollständiger Ausfertigung an

    • die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten;

    • das Statthalteramt des Bezirkes Horgen;

    • die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich;

      sowie nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz;

    • das Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich, Abteilung Administrativmassnahmen, Lessingstrasse 33, 8090 Zürich (PINNr. ;

    • die Kantonspolizei Zürich, KDM-ZD, mit separatem Schreiben (§ 54a Abs. 1 PolG).

  6. Rechtsmittel:

Gegen diesen Entscheid kann bund esrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer

Zürich, 20. Juni 2018

Der Präsident:

Oberrichter lic. iur. Spiess

Der Gerichtsschreiber:

lic. iur. Samokec

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