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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:SB180043
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB180043 vom 25.10.2018 (ZH)
Datum:25.10.2018
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entziehen von Minderjährigen
Schlagwörter : Schuldig; Beschuldigte; Beschuldigten; Privatkläger; Vorinstanz; Berufung; Verteidigung; Recht; Urteil; Entscheid; Sorge; Schweiz; Türkei; Staat; Geldstrafe; Scheidung; Familiengericht; Verfahren; Staatsanwalt; Staatsanwaltschaft; Gericht; Sorgerecht; Amtlich; Amtliche; Entziehen; Elterliche; AStGB; Urteils; Verfahrens
Rechtsnorm: Art. 135 StPO ; Art. 15 StGB ; Art. 16 StGB ; Art. 180 StGB ; Art. 19 StGB ; Art. 2 StGB ; Art. 220 StGB ; Art. 34 StGB ; Art. 391 StPO ; Art. 422 StPO ; Art. 426 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 429 StPO ; Art. 45 StGB ; Art. 82 StPO ; Art. 85 IPRG ;
Referenz BGE:134 IV 82; 141 IV 205; 92 IV 1;
Kommentar zugewiesen:
Heimgartner, Kommentar, 20. Aufl., Zürich, 2018
STRATHENWERTH, WOHLERS, Handkommentar, 3. Aufl., 2013
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB180043-O/U/cwo

Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. S. Volken, Präsident, Ersatzoberrichterin

lic. iur. C. Brenn, und Ersatzoberrichter lic. iur. H. Meister sowie die Gerichtsschreiberin lic. iur. S. Leuthold

Urteil vom 25. Oktober 2018

in Sachen

A. (gesch. B1. ),

Beschuldigte und Berufungsklägerin

amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt X.

gegen

Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland,

vertreten durch Leitenden Staatsanwalt Dr. iur. R. Jäger,

Anklägerin und Berufungsbeklagte

betreffend Entziehen von Minderjährigen

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Bülach, Einzelgericht, vom 13. November 2017 (GG170044)

Anklage:

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Winterthur / Unterland, vom 20. Juni 2017 ist diesem Urteil beigeheftet (Urk. 18).

Urteil der Vorinstanz:

(Urk. 53 S. 22 f.)

Es wird erkannt:

  1. Die Beschuldigte ist schuldig des Entziehens von Minderjährigen im Sinne von Art. 220 aStGB.

  2. Die Beschuldigte wird bestraft mit einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 10.- (entsprechend Fr. 1'500.-).

  3. Der Vollzug der Geldstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf 2 Jahre festgesetzt.

  4. Die Genugtuungsforderung des Privatklägers wird auf den Zivilweg verwiesen.

  5. Die Entscheidgebühr wird festgesetzt auf:

    Fr. 1'200.-; die weiteren Auslagen betragen: Fr. 1'500.-; Gebühr für die Strafuntersuchung

    Fr. 2'642.85; amtl. Verteidigungskosten (inkl. Barauslagen und 8 % MwSt.)

    Allfällige weitere Auslagen bleiben vorbehalten.

    Wird auf eine schriftliche Begründung des Urteils verzichtet, so reduziert sich die Entscheidgebühr um einen Drittel.

  6. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens werden der Beschuldigten auferlegt; davon ausgenommen sind die Kosten der amtlichen Verteidigung, welche einstweilen und unter dem Vorbehalt von Art. 135 Abs. 4 StPO von der Gerichtskasse übernommen werden.

  7. (Mitteilungen)

  8. (Rechtsmittel)

Berufungsanträge:

  1. Der Verteidigung der Beschuldigten: (Urk. 56 S. 2)

    1. Unter Aufhebung des Dispositivs Ziff. 1 bis 3 des Urteils der Vorinstanz in der Geschäfts-Nr. GG170044-C vom 13. November 2017, sei die Beschuldigte vom Vorwurf des Entziehens von Minderjährigen von Schuld und Strafe freizusprechen.

    2. Unter Aufhebung des Dispositivs Ziff. 6 des Urteils der Vorinstanz in der Geschäfts-Nr. GG170044-C vom 13. November 2017, seien die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens der Vorinstanz zu Lasten der Staatskasse zu nehmen.

    3. Alles unter Prozesskosten, also Gerichtskosten und die Parteientschädigung (zzgl. MWST), zu Lasten des Beklagten [recte wohl Privatklägers].

  2. Der Staatsanwaltschaft: (Urk. 61, schriftlich)

Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils.

Erwägungen:

  1. Ausgangslage/Verfahrensgang

    1. A.

      (nachfolgend Beschuldigte) und B.

      (im Folgenden Privatkläger) sind die Eltern von C. , geboren am tt.mm.2006. Am 2. Mai 2013 leitete die Beschuldigte am Bezirksgericht Bülach die Scheidungsklage ein (Urk. 4/1). Am 7. Juni 2013 fand die Einigungsverhandlung statt. Eine Einigung zwischen der Beschuldigten und dem Privatkläger liess sich nicht erzielen (Urk. 4/2, Protokoll S. 5 ff., insbes. S. 10). Im Anschluss an die Anhörung von C. , welche am 15. Juli 2013 stattfand, führte das Gericht Einzelgespräche mit den Eltern durch (Urk. 4/2, Protokoll S. 12). Die Beschuldigte, welche in den

      bevorstehenden Sommerferien vorhatte, mit C. in der Türkei Ferien zu verbringen, bestätigte anlässlich dieser Einzelgespräche unterschriftlich, dass sie

      nach den Ferien in die Schweiz zurückkehrt und C.

      die erste Klasse der

      Primarschule anfangen kann (Urk. 4/2, Anhang). Die Beschuldigte reiste anschliessend mit C. am 17. Juli 2013 nach Istanbul. Entgegen ihrer Zusicherung kehrte sie nicht zurück in die Schweiz, sondern blieb mit C. in Istanbul. Mit einer SMS vom 28. Juli 2013 teilte sie dem Privatkläger mit, dass sie sich entschieden habe, in der Türkei zu bleiben und dort das Scheidungsverfahren einzuleiten (Urk. 3). Bereits einige Tage zuvor hatte sie die am Bezirksgericht Bülach hängige Scheidungsklage zurück gezogen (Urk. 4/2, Protokoll S. 13).

    2. Am 29. Juli 2013 erstattete der Privatkläger bei der Kantonspolizei Zürich Strafanzeige und erhob Strafantrag wegen Entziehens von Unmündigen i.S.v. Art. 220 StGB und Drohung i.S.v. Art. 180 StGB (Urk. 1 f.). Seine polizeiliche Befragung fand am 30. Juli 2013 statt (Urk. 6). Die Beschuldigte konnte erst am

      5. Mai 2017 befragt werden, und zwar von der Staatsanwaltschaft Winterthur/ Unterland, nachfolgend Staatsanwaltschaft (Urk. 5/1). Am gleichen Tag vernahm die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten als Auskunftsperson (Urk. 7). In der Folge erhob die Staatsanwaltschaft die im Anhang wiedergegebene Anklage vom

      20. Juni 2017 wegen Entziehens von Minderjährigen (Urk. 18). Bezüglich der vom Beschuldigten angezeigten Drohung hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit Verfügung vom 14. Juni 2017 eingestellt (Urk. 17). Diese Verfügung erwuchs in Rechtskraft.

    3. Die erstinstanzliche Hauptverhandlung fand am 13. November 2017 statt (Prot. I S. 5 ff.), nachdem der auf den 18. September 2017 angesetzte Verhandlungstermin wegen Erkrankung der Beschuldigten verschoben worden war (Urk. 20, 29 f. und 33). An der Hauptverhandlung konnte die Beschuldigte nicht teilnehmen, da sie kurz zuvor erneut erkrankt war (Urk. 38 ff., Urk. 42A). Auf Antrag ihres Verteidigers (Urk. 39) dispensierte die Vorinstanz die Beschuldigte von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen. Gleichzeitig wies sie den Antrag des Verteidigers, die Beschuldigte sei persönlich zu befragen, ab (Prot. I S. 6 ff., insbes. S. 12 f.). Mit mündlich eröffnetem Urteil vom 13. November 2017

      (Prot. I S. 26 ff.) sprach die Vorinstanz die Beschuldigte des Entziehens von Minderjährigen im Sinne von Art. 220 aStGB schuldig und bestrafte sie mit einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 10.. Den Vollzug der Strafe schob die Vorinstanz unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren auf. Die Genugtuungsforderung des Privatklägers verwies sie auf den Zivilweg. Die Verfahrenskosten auferlegte sie der Beschuldigten.

    4. Mit Eingabe an die Vorinstanz vom 14. November 2017 liess die Beschuldigte fristgerecht die Berufung anmelden (Urk. 47). Die schriftlich begründete Fassung des Entscheids vom 13. November 2017 ging dem Verteidiger am

      9. Januar 2018 zu (Urk. 52 und Urk. 52/B). Mit Eingabe an das Obergericht, Strafkammer, vom 9. Januar 2018 liess die Beschuldigte innert Frist Berufung erklären (Urk. 56). Unter Aufhebung der Dispositiv-Ziff. 1 - 3 und 6 des vorinstanzlichen Urteils beantragt sie einen Freispruch und die Auflage der erstinstanzlichen Kosten zu Lasten des Staates. Die Kosten des Berufungsverfahrens (Gerichtskosten und Parteientschädigung) seien dem Beklagten aufzuerlegen. Die Staatsanwaltschaft und der Privatkläger erhoben weder Berufung noch Anschlussberufung. Mit Eingabe vom 18. Juni 2018 liess die Beschuldigte das Urteil des 4. Familiengerichts zu ... vom 19. April 2018 einreichen und beantragen, dieses zu den Akten zu nehmen (act. 68). Das genannte Urteil wurde akturiert (act. 69) und dem Antrag damit stattgegeben.

    5. Die Berufungsverhandlung fand am 17. September 2018 in Anwesenheit der Beschuldigten, ihres amtlichen Verteidigers Rechtsanwalt X. sowie des Privatklägers statt (Prot. II S. 3). Nachdem im Anschluss an die Berufungsverhandlung über die Beweisanträge der Verteidigung beraten worden war, wurde den Parteien mitgeteilt, dass das Gericht die Entscheide des türkischen Familiengerichts vom 25. Juli 2013 sowie vom 20. September 2013 für die Urteilsberatung beiziehe. Die Verteidigung erklärte sich bereit, dem Gericht diese Entscheide mitsamt Übersetzung zukommen zu lassen (Prot. II S. 14 f.). In der Folge reichte die Verteidigung das Eröffnungsprotokoll des 4. Familiengerichts zu ... vom 25. Juli 2013 (Urk. 79) mit Eingabe vom 18. September 2018 (Urk. 77) sowie den Zwischenentscheid des 4. Familiengerichts zu ... vom 20. September 2013 (Urk. 82)

      mit Eingabe vom 21. September 2018 (Urk. 80) ein.

    6. Schliesslich fand am 25. Oktober 2017 die Urteilsberatung statt (Prot. II S. 16 ff.).

  2. Umfang der Berufung

    Die Beschuldigte beantragt einen vollumfänglichen Freispruch und ficht sämtliche Ziffern des vorinstanzlichen Urteils an, mit Ausnahme von Dispositiv Ziff. 4, welche den Verweis der Genugtuungsforderung des Privatklägers auf den Zivilweg enthält, und von Dispositiv Ziff. 5, welche die Festsetzung der erstinstanzlichen Kosten zum Gegenstand hat (Urk. 56; Prot. II S. 5). In diesen beiden Punkten ist das erstinstanzliche Urteil in Rechtskraft erwachsen, was vorab vorzumerken ist (Art. 399 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 402 und 437 StPO).

  3. Prozessuales

    1. Beweisanträge

      1. Die Verteidigung stellte anlässlich der Berufungsverhandlung verschiedene Beweisanträge, wonach die Akten des Bundesamtes für Justiz mit der Verfahrensnummer K2013001946 sowie des Bezirksgerichts Bülach mit den Verfahrensnummern EE130103, FE130127, FE150233 und EZ170007 beizuziehen seien. Zur Begründung führte sie aus, die Beschuldigte sei sehr detailliert befragt worden, wobei sich viele Antworten aus diesen Akten ergeben würden. Insbesondere ergebe sich aus diesen Akten, dass das türkische Familiengericht der Beschuldigten am 25. Juli 2013 das alleinige Sorgerecht erteilt habe und ein Ausreiseverbot für den Jungen verhängt habe. Mit diesem Beweisantrag solle die Glaubwürdigkeit der Beschuldigten untermauert sowie das Dilemma, in welchem sie sich befunden habe, deutlich gemacht werden (Prot. II S. 5 f.). Bereits in der Untersuchung machte die Verteidigung zudem geltend, es gäbe einen Entscheid vom 20. September 2013, mit welchem der Beschuldigten das alleinige Sorgerecht einstweilen zugeteilt worden sei (Urk. 5/1 S. 5), woran sie auch anlässlich

        der Berufungsverhandlung auf Frage der Verfahrensleitung festhielt (Prot. II S. 14 f.).

      2. Der Beschuldigten wird in der Anklageschrift vom 20. Juni 2017 vorgeworfen, am 28. Juli 2013 mit dem gemeinsamen Sohn C. in der Türkei geblieben zu sein und den minderjährigen Sohn dadurch dem Privatkläger bis zum

        12. August 2015 entzogen zu haben (Urk. 18 S. 2). Um die Frage der Strafbarkeit dieses Verhaltens zu beurteilen, ist - wie nachfolgend zu zeigen sein wird - relevant, ob und allenfalls ab welchem Zeitpunkt die Beschuldigte über das alleinige Sorgerecht verfügte. Es genügt diesbezüglich, die Entscheide des türkischen Familiengerichts betreffend die Zuteilung der elterlichen Sorge vom 25. Juli 2013 sowie vom 20. September 2013 beizuziehen, welche im Anschluss an die Berufungsverhandlung von der Verteidigung eingereicht und zu den Akten genommen wurden (Urk. 79 und 82). Ein Beizug der restlichen Akten ist daher nicht erforderlich, weshalb die Beweisanträge der Verteidigung im Übrigen abzuweisen sind.

    2. Befangenheit der erstinstanzlichen Richterin

      1. Die Verteidigung rügt in ihrer Berufungsbegründung, die Vorinstanz habe den Anspruch der Beschuldigten auf eine unvoreingenommene Richterin verletzt. Diese habe dem Privatkläger im Anschluss an die mündliche Urteilseröffnung eine kostenlose Rechtsberatung erteilt. Dieser Ausstandgrund sei der Beschuldigten unmittelbar nach der mündlichen Urteilseröffnung offenbar worden (Urk. 76 S. 2).

      2. Trotz einleitender Aufforderung der Verfahrensleitung an der Berufungsverhandlung, prozessuale Anträge für das Berufungsverfahren zu stellen, stellte die Verteidigung keine solchen Anträge (Prot. II S. 4), weshalb nicht weiter auf dieses Vorbringen einzugehen ist.

    3. Persönliche Befragung der Beschuldigten

      1. Ferner rügt die Verteidigung in der Berufungsbegründung, die Vorinstanz sei dem Gesuch um Befragung der Beschuldigten mit dem Hinweis nicht nachgekommen, dass das Dispensationsgesuch eine Befragung ausschliesse. Da die Dispensation aber lediglich die Anwesenheitspflicht anlässlich der Hauptverhand-

        lung umfasse, hätte die Vorinstanz die Beschuldigte zu einem späteren Zeitpunkt befragen müssen, um sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen (Urk. 76 S. 3).

      2. Wiederum rügt die Verteidigung zwar diesen Umstand, ohne jedoch diesbezüglich formelle Anträge zu stellen. Da die Beschuldigte überdies im Berufungsverfahren ausführlich persönlich befragt wurde (Urk. 75), erübrigen sich auch hierzu weitere Ausführungen.

  4. Sachverhalt

    1. In der Anklageschrift vom 20. Juni 2017 (Urk. 18) wird der Beschuldigten Folgendes vorgeworfen. Sie sei am 17. Juli 2013 zusammen mit ihrem damals siebenjährigen Sohn C. im Einverständnis mit dem Kindsvater, dem Privatkläger, mit welchem sie damals noch verheiratet gewesen sei und das gemeinsame Sorgerecht geteilt habe, nach Istanbul in die Ferien gereist. In der Folge habe die Beschuldigte den Sohn, entgegen der Abmachung mit dem Privatkläger, nicht am 28. Juli 2013 zurück in die Schweiz gebracht. Am Abend des 28. Juli 2013 habe sie dem Privatkläger stattdessen per SMS mitgeteilt, dass sie mit dem gemeinsamen Sohn in der Türkei bleiben und nicht mehr in die Schweiz zurückkehren werde. Durch die Weigerung, den Sohn zurück in die Schweiz zu bringen, habe sie dem Privatkläger den minderjährigen C. entzogen, und zwar bis zum 12. August 2015 (dem Zeitpunkt der Rückkehr von C. zu seinem Vater in die Schweiz).

    2. Die Beschuldigte anerkennt den Ablauf der Ereignisse, wie er vorstehend festgehalten wurde (act. 5/1 Ziff. 5, 8, 9, 11 und 15; Urk. 75 S. 8 ff.; vgl. auch act. 1 S. 3). Das Geständnis stimmt sodann mit den Untersuchungsakten überein. Trotz Anerkennung des vorgeworfenen Sachverhalts bestreitet die Beschuldigte die Schlussfolgerung der Staatsanwaltschaft, durch ihre Weigerung, den Sohn zurück in die Schweiz zu bringen, dem Privatkläger den minderjährigen C. entzogen und damit den Tatbestand von Art. 220 StGB erfüllt zu haben. Sie stellt sich sodann auf den Standpunkt, zur Tat berechtigt gewesen zu sein und ohne

      jedes Verschulden gehandelt zu haben. Auf diese Einwände ist nachfolgend im Rahmen der rechtlichen Würdigung einzugehen.

  5. Rechtliche Würdigung

    1. Anwendbares Recht

      Der anklagebildende Sachverhalt - ein Dauerdelikt - ereignete sich ab Sommer 2013. Der Straftatbestand des Entziehens einer minderjährigen Person, der hier zur Debatte steht, ist per 1. Juli 2014 revidiert worden. Damit stellt sich die Frage des anwendbaren Rechts (vgl. Art. 2 Abs. 2 StGB). Die Vorinstanz hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt und ist mit zutreffender Begründung zur Auffassung gelangt, dass das Recht zum Tatzeitpunkt für die Beschuldigte milder war und somit Art. 220 aStGB zur Anwendung kommt. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (Art. 82 Abs. 4 StPO; Urk. 53 Erw. 4.1 mit Verweis auf OG ZH SB160141 vom

      21. Oktober 2016 S. 5 ff.).

    2. Entziehen von Minderjährigen

      1. Nach Art. 220 aStGB wird auf Antrag mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer eine minderjährige Person dem Inhaber des Obhutsrechts entzieht oder sich weigert, sie ihm zurückzugeben. Diese Bestimmung schützt diejenige Person, die über den Aufenthaltsort des Kindes bestimmen darf. Wer dies ist, ergibt sich aus dem Zivilrecht (BGE 141 IV 205 E. 5.3.1). Während der Ehe üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus (Art. 297 Abs. 1 aZGB). Bestandteil der elterlichen Sorge ist das Obhutsrecht, das unter anderem die Befugnis beinhaltet, über den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Auch wenn beide Elternteile Träger der elterlichen Sorge sowie des Obhutsrechts sind, kann sich der eine Elternteil wegen Entziehens eines Minderjährigen schuldig machen, wenn er dem anderen die Mitwirkung bei der Ausübung der elterlichen Rechte tatsächlich verunmöglicht, etwa indem er das Kind ins Ausland verbringt (BSK StGB-ECKERT, Art. 220 N 11). Unter Weigerung der Rückgabe ist der vom Täter gegen aussen (explizit oder konkludent) zum Ausdruck gebrachte Wille zu

        verstehen, die Wiederherstellung der elterlichen Sorge zu verhindern, indem sich der Täter der Verpflichtung zur Herausgabe widersetzt. Eine Pflicht zur Herausgabe trifft nach Ablauf der vorgesehenen Zeit auch denjenigen, dem ein Kind gemäss richterlichem Urteil oder aufgrund einer Vereinbarung nur vorübergehend übergeben worden ist (STRATHENWERTH/WOHLERS, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 3. Aufl., Bern 2013, Art. 220 N 3). Bei der Weigerung der Rückgabe handelt es sich um ein Dauerdelikt, das ab dem Zeitpunkt der Weigerung vollendet ist (BSK StGB-ECKERT, Art. 220 N 28 und 31).

      2. Am 2. Mai 2013 erhob die Beschuldigte am Bezirksgericht Bülach die Klage auf Scheidung der Ehe. Zu diesem Zeitpunkt bis zu ihrer Abreise in die Türkei lebte sie mit dem Privatkläger und C. wie schon zuvor im gemeinsamen Haushalt. Eine gerichtliche Regelung zur Zuteilung der Obhut für C. für den Fall der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor, ebenso wenig eine Vereinbarung der Parteien zu diesem Punkt. Damit lag das Obhutsrecht immer noch bei beiden Elternteilen. Wie die Vorinstanz zutreffend erwog (Urk. 53 Erw. 4.2.4), war es daher nur folgerichtig, dass die Parteien über die anstehenden Ferien, welche die Beschuldigte zusammen mit C. in ihrer Heimat, in Istanbul, verbringen wollte, eine Vereinbarung trafen. Aus dieser Vereinbarung, die im Anschluss an die Anhörung von C. durch die Scheidungsrichterin am 15. Juli 2013 erfolgte, ergibt sich unmissverständlich, dass der Privatkläger seine Zustimmung dazu erteilte, dass die Beschuldigte mit C. zu Ferienzwecken in die Türkei reist, und die Beschuldigte sich im Gegenzug verpflichtete, mit C. nach den Ferien in die Schweiz zurück zu kehren, damit dieser die erste Klasse der Primarschule beginnen kann (Urk. 4/2, Anhang).

      3. Die Beschuldigte hielt sich nicht an diese Abmachung. Am 28. Juli 2013 teilte sie dem Privatkläger per SMS mit, dass sie nicht zurückkehren, sondern mit C. in der Türkei bleiben und dort das Scheidungsverfahren einleiten werde. Bereits einige Tage zuvor hatte sie ihre beim Bezirksgericht Bülach anhängig gemachte Klage auf Scheidung zurück gezogen. Durch das Verbleiben im Ausland verunmöglichte sie dem Privatkläger, seine elterlichen Rechte bezüglich C. so wahrnehmen zu können, wie es vor ihrer Ausreise in die Türkei an der Tagesordnung und mit Vereinbarung vom 15. Juli 2013 bekräftigt worden war. Das Delikt war folglich ab dem Zeitpunkt des abredewidrigen Verbleibens in der Türkei vollendet und der objektive Tatbestand des Entziehens von Minderjährigen im Sinne von Art. 220 aStGB damit erfüllt. Daran ändert auch nichts, dass der Vater auch in der Türkei ein Besuchsrecht hätte ausüben können, wie dies die Verteidigung geltend macht (Urk. 76 S. 3), ist dies doch für die Erfüllung des angeklagten Tatbestandes irrelevant.

      4. An der Berufungsverhandlung machte die Verteidigung im Wesentlichen geltend, die Beschuldigte sei durch die türkischen Gerichte zu ihrem Vorgehen legitimiert worden, weshalb ihr Verhalten nicht tatbestandsmässig sein könne, zumal zivilrechtlich erlaubtes Verhalten strafrechtlich nicht verpönt sein könne (Urk. 76 S. 3 ff. i.V.m. Prot. II S. 7 ff.). Das türkische Familiengericht habe am

        25. Juli 2013 vorsorglich sowohl das alleinige Sorgerecht für die Dauer des Verfahrens der Beschuldigten zugeteilt wie auch ein Ausreiseverbot für den Jungen angeordnet (Prot. II S. 6). Sodann sei der Beschuldigten das alleinige Sorgerecht für C. für die Dauer des Verfahrens mit Entscheid des Gerichts ..., 4. Familiengericht, vom 20. September 2013 einstweilen erteilt worden (Prot. II S. 14).

      5. Dem eingereichten Eröffnungsprotokoll des 4. Familiengerichts zu ... vom

        25. Juli 2013 ist zu entnehmen, dass die Beklagte eine Scheidungsklage gegen den Privatkläger eingeleitet hat (Urk. 79 S. 1). In Bezug auf den Sohn C. wurde einzig festgehalten, dass der Pass-Abteilungsleitung des Polizeipräsidiums zu Istanbul ein schriftlicher Bescheid übermittelt wird, um die Ausreise des gemeinsamen Kindes der Parteien ins Ausland ohne die Erlaubnis der Mutter zu verhindern (Urk. 79 S. 2, Ziff. 7). Des Weiteren wurde eine Begutachtung des Kindes angeordnet, um abzuklären, bei welcher Partei das Kind besser aufgehoben ist (Urk. 79 S. 2, Ziff. 8). Mithin wurde der Beschuldigten - entgegen der Behauptung der Verteidigung - weder die Ausreise mit dem gemeinsamen Sohn C. verboten, noch wurde ihr vorsorglich das alleinige Sorgerecht zugeteilt. Auch aus dem nunmehr eingereichten Entscheid des 4. Familiengerichts zu ... vom 20. September 2013, gemäss welchem die Beschuldigte zwar das alleinige vorläufige Sorgerecht für C. beantragt hatte, ergibt sich keine Zuteilung der

        elterlichen Sorge an die Beschuldigte, wurde in diesem Entscheid doch festgehalten, dass es keinen Raum dafür gibt über das vorläufige Sorgerecht erneut zu entscheiden, nachdem über das gemeinsame Kind das Rückführungsverfahren immer noch andauert und hinsichtlich dem vorläufigen und endgültigen Sorgerecht ein Entscheid zur Hinterlegung einer aufschiebenden Wirkung hierzu im Rückführungsverfahren angeordnet wurde. Folglich liegt kein türkischer Entscheid vor, welcher der Beschuldigten das alleinige Sorgerecht zugeteilt oder ihr die Ausreise mit C. verboten hätte. Solches wurde denn auch bezeichnenderweise im türkischen Scheidungsurteil vom 19. April 2018 (Urk. 69) nie erwähnt.

      6. Ohnehin hätte ein solcher Entscheid eines türkischen Gerichts die Regeln der Zuständigkeit hinsichtlich der Belange von Kindern in internationalen Verhältnissen verletzt: Gemäss Art. 85 Abs. 1 IPRG gilt für den Schutz von Kindern in Bezug auf die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte oder Behörden das Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Massnahmen zum Schutz von Kindern (Haager Kindesschutzübereinkommen, HKsÜ; SR 0.211.231.011). Nach Art. 5 Abs. 1 HKsÜ sind zur Ergreifung von Massnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes die Behörden des Vertragsstaats zuständig, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Im Fall von C. war dies die Schweiz. Bei widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten des Kindes bleiben diese Behörden nach Art. 7 Abs. 1 lit. a und b HKsÜ so lange zuständig, bis das Kind einerseits einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Staat erlangt hat und andererseits jede sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle das Verbringen oder Zurückhalten genehmigt hat oder das Kind sich in diesem anderen Staat mindestens während eines Jahres aufgehalten hat, nachdem die sorgeberechtigte Person seinen Aufenthaltsort kannte oder hätte kennen müssen, kein während dieses Zeitraums gestellter Antrag auf Rückgabe mehr anhängig ist und das Kind sich in seinem neuen Umfeld eingelebt hat. Zweck dieser Bestimmung ist es zu verhindern, dass sich der entführende Elternteil missbräuchlich Vorteile mit Bezug etwa auf das Obhutsund Sorgerecht erwirken kann (FamKomm Scheidung/JAMETTI/WEBER, Anh. IPR N 160). Es steht ausser Frage, dass

        die Voraussetzungen für einen Übergang der Zuständigkeit von der Schweiz in die Türkei im Sinne von Art. 7 Abs. 1 lit. a und b HKsÜ im September 2013 nicht erfüllt waren. Im Gegenteil, bereits am 30. Juli 2013 hatte das Bezirksgericht Bülach, Einzelgericht, der Beschuldigten im Sinne einer superprovisorischen

        Massnahme befohlen, C. (Urk. 4/3).

        unverzüglich in die Schweiz zurückzubringen

      7. Der Entscheid des Gerichts ..., 1. Familiengericht, mit welchem der Antrag des Privatklägers auf Rückführung von C. in die Schweiz abgewiesen wurde, erfolgte erst am 13. November 2014 und damit knapp 1 ½ Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem die Beschuldigte C. hätte in die Schweiz zurück bringen müssen. Frühestens auf diesen Zeitpunkt hin konnte die Zuständigkeit für Entscheide über die Belange von C. von der Schweiz auf die Türkei übergehen (Art. 7 Abs. 1 lit. b HKsÜ). Jedenfalls für den Zeitraum vom 28. Juli 2013 bis 13. November 2014 bleibt das Verhalten der Beschuldigten somit tatbestandsmässig.

      8. In subjektiver Hinsicht verlangt der Tatbestand von Art. 220 aStGB vorsätzliches Handeln. Dies hat die Vorinstanz mit zutreffender Begründung bejaht, so dass darauf verwiesen werden kann (Urk. 53 Erw. 4.2.5). Wie vorstehend aufgezeigt liegen entgegen der Verteidigung (vgl. Urk. 76 S. 4) auch keine Entscheide von Familiengerichten vor, welche das Handeln der Beschuldigten gerechtfertigt oder sie gar verpflichtet hätten, das gemeinsame Kind nicht an den Vater herauszugeben. Hervorzuheben ist das Rechtsgut, das durch Art. 220 aStGB geschützt wird: primär geht es um die Ausübung der Rechte und Pflichten des betroffenen (Mit-)Inhabers der elterlichen Sorge. Das Kindeswohl wird durch Art. 220 aStGB nur mittelbar geschützt (BGE 92 IV 1 E.a S. 2). Der Einwand der Beschuldigten, sie habe lediglich C. schützen wollen und deshalb in dessen Interesse gehandelt, ist daher im Rahmen der Prüfung des subjektiven Tatbestandselementes nicht von Bedeutung. Auf diesen Einwand ist bei der Frage nach allfälligen Rechtfertigungsgründen näher einzugehen (vgl. dazu nachfolgende Erw. 5.3).

      9. Mit ihrer Weigerung, C. in die Schweiz zurückzubringen und dem Privatkläger zu ermöglichen, seine elterlichen Rechte auszuüben, hat die Beschuldigte jedenfalls für den Zeitraum vom 28. Juli 2013 bis 13. November 2014 den objektiven und subjektiven Tatbestand erfüllt.

    3. Rechtfertigungsgründe

      1. Die Beschuldigte stellt sich auf den Standpunkt, aufgrund des Verhaltens des Privatklägers berechtigt gewesen zu sein, mit C. in der Türkei zu bleiben. In der Schweiz habe sie den Sohn nicht mehr vor seinem Vater schützen können. So habe der Privatkläger während des Zusammenlebens viele Regeln aufgestellt, die er stets mit Strafen durchgesetzt habe. Zum Beispiel habe

        C.

        bei Regelverletzungen jeweils für mehrere Stunden auf einem roten

        Strafstuhl sitzen müssen oder sei in einem dunklen Zimmer eingesperrt worden. Oder er habe C. gezwungen, das Essen fertig zu essen, obwohl es für diesen viel zu scharf gewesen sei. Aufgrund seiner Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen Schwierigkeit, die Rechnungen zu bezahlen, sei der Privatkläger in der letzten Zeit unter zusätzlichem Druck und aggressiv gewesen. Als der Privat-

        kläger in die USA gegangen sei, hätten sie und C.

        festgestellt, dass es

        ihnen ohne den Privatkläger viel besser gehe (Urk. 5/1 Ziff. 5 ff.; Urk. 75 S. 10 ff.; Prot. II S. 13 ).

      2. Die Vorinstanz setzte sich mit diesen Argumenten der Beschuldigten einlässlich auseinander: Sie stellte zunächst die relevanten rechtlichen Grundlagen dar sie prüfte die Einwände der Beschuldigten richtigerweise unter dem Aspekt der Notwehrhilfe gemäss Art. 15 StGB und nahm gestützt darauf die Würdigung der hier konkret vorliegenden Verhältnisse in zutreffender Weise vor. Auch in diesem Punkt kann zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf diese Erwägungen verwiesen werden (Urk. 53 Erw. 4.3).

      3. Ergänzend und präzisierend ist Folgendes festzuhalten: Bevor die Beschuldigte sich entschied, mit C. in Istanbul zu bleiben und ihn nicht wie vereinbart nach den Ferien in die Schweiz zurückzubringen, hatte sie in der Schweiz, am Bezirksgericht Bülach, bereits das Scheidungsverfahren eingeleitet. Im Scheidungsbegehren (Urk. 4/1), das die Beschuldigte am 2. Mai 2013 am Bezirksgericht Bülach einreichte, aber auch in ihren Ausführungen anlässlich der Einigungsverhandlung (Urk. 4/2, Prot. S. 5 ff.), welche am 7. Juni 2013 am Bezirksgericht Bülach stattfand, und zwar in Anwesenheit ihres Rechtsvertreters (!), finden sich nicht die geringsten Hinweise, die auf eine konkrete, unmittelbare Gefähr-

        dung von C.

        hindeuten (vgl. auch Urk. 75 S. 14). Im Gegenteil, die Beschuldigte liess zwar die alleinige Obhut beantragen, war aber gleichzeitig bereit, dem Privatkläger ein Besuchsrecht alle zwei Wochen sowie während der Hälfte der Ferien zu gewähren. Insbesondere beantragte sie auch die gemeinsame elterliche Sorge, weil diese dem Kindeswohl am Besten entspreche. Ihren Antrag, ihr sei die eheliche Wohnung in D. zuzuteilen, begründete sie damit, dass C. in seinem gewohnten Umfeld bleiben können soll (Urk. 4/2 [dort Prot.

        S. 8]). In krassem Widerspruch dazu stehen ihre wenige Wochen später erfolgte Weigerung, mit ihrem Sohn in die Schweiz zurückzukehren, sowie ihre Begrün- dung, dass sie C. habe schützen müssen. Dies macht klar, dass das regelbehaftete Zusammenleben mit dem Privatkläger, das die Beschuldigte anlässlich ihrer Befragung vom 5. Mai 2017 vehement kritisierte (vom Privatkläger allerdings bestritten wurde [Urk. 7 Ziff. 24 f. und Ziff. 45]), für C. nicht in einem solchen Ausmass nachteilig war, dass von einer Notwehrlage gesprochen werden kann. So konnte die Beschuldigte auch an der Berufungsverhandlung kein nachvoll-

        ziehbares Beispiel für eine relevante Gefährdung von C.

        nennen. Sie

        sprach zwar von Gewalt und psychischer Gewalt, von Millionen von Vorfällen, schilderte aber als Beispiel einzig eine Situation, in welcher C. offenbar gezwungen worden sei, scharfes Essen aufzuessen (Urk. 75 S. 11 ff.). Und selbst wenn von einer Notwehrlage ausgegangen würde, müsste die Reaktion der Beschuldigten, mit C. in der Türkei zu bleiben, als völlig unverhältnismässige Notwehrhandlung bezeichnet werden. Wie die Vorinstanz zutreffend erwog, stehen in der Schweiz zahlreiche Stellen zur Verfügung, bei denen in einer Notlage, ob einer vermeintlichen oder realen, Hilfe gesucht und auch gefunden werden kann. Am naheliegendsten wäre gewesen, dass die Beschuldigte die für das Scheidungsverfahren zuständige Richterin über die von ihr behaupteten Verhältnisse informiert und die notwendigen Massnahmen verlangt. Sie hätte sich aber auch an die Kindesoder Erwachsenenschutzbehörde oder an die Polizei wenden können. All dies hat die Beschuldigte nicht getan. Es liegt daher auf der Hand,

        dass die Beschuldigte deshalb zusammen mit C.

        in der Türkei blieb, ihre

        bereits hängige Scheidungsklage in der Schweiz zurück zog und in der Türkei eine neue Klage anhängig machte, weil sie von den türkischen Gerichten für sich ein günstigeres Ergebnis bei der Regelung der Kinderbelange erhoffte. Von einer rechtfertigenden Notwehrhandlung der Beschuldigten kann unter diesen Umständen keine Rede sein.

      4. Wie vorstehend dargelegt spricht weder das Eröffnungsprotokoll vom

        25. Juli 2013 (Urk. 79) noch der Entscheid des 4. Familiengerichts ... vom 20. September 2013 (Urk. 82) der Beschuldigten das alleinige Sorgerecht für ihren Sohn zu. Auch verbietet keiner der Entscheide der Beschuldigten, mit C. die Türkei zu verlassen (vgl. Urk. 79 und 82). Zwar wird im Eröffnungsprotokoll vom 25. Juli 2013 vorsorglich dafür gesorgt, dass C. die Türkei nicht ohne Erlaubnis der Mutter verlassen darf (Urk. 79 S. 2). Jedoch wäre es der Beschuldigten jederzeit erlaubt gewesen, gemeinsam mit C. auszureisen oder auch die Ausreise von C. alleine zu genehmigen. Weder das Eröffnungsprotokoll vom 25. Juli 2013 (Urk. 79) noch der Entscheid des 4. Familiengerichts ... vom 20. September 2013 (Urk. 82) taugen somit als Grundlage für einen Rechtfertigungsgrund. Dasselbe trifft zu auf den im Berufungsverfahren eingereichten Entscheid desselben Gerichts vom 19. April 2018, mit dem die Ehe der Parteien in der Tür- kei geschieden und der Beschuldigten das Sorgerecht für C. zugesprochen wurde (Urk. 69). Schliesslich liegt entgegen den Ausführungen der Verteidigung an der Berufungsverhandlung auch kein zivilrechtlicher Rechtfertigungsgrund vor (vgl. Prot. II S. 9), führte die Verteidigung doch auch selber aus, dass das Haager Übereinkommen nicht als Rechtfertigungsgrundlage für strafrechtliche Verfahren konzipiert worden sei (Prot. II S. 8).

    4. Schuldausschlussgründe

      1. Die Beschuldigte stellt sich schliesslich auf den Standpunkt, im Tatzeitpunkt unter einer starken emotionalen Belastung gestanden zu haben und deswegen schuldunfähig gewesen zu sein.

      2. Die Vorinstanz hat sich auch mit diesem Vorbringen der Beschuldigten befasst. Sie hat die relevanten rechtlichen Grundlagen dargestellt und die konkrete Situation der Beschuldigten zutreffend gewürdigt, so dass auch in diesem Punkt auf die vorinstanzlichen Erwägungen verwiesen werden kann (Urk. 53 Erw. 4.4). Ergänzend sei angefügt, dass aus den vorstehend genannten Gründen (Erw. 7.3.3) auch keine entschuldbare Notwehrhandlung der Beschuldigten im Sinne von Art. 16 Abs. 2 StGB angenommen werden kann. Ebenso wenig fällt eine Schuldunfähigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 1 und 2 StGB ernsthaft in Betracht.

    5. Fazit

      Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschuldigte mit ihren Handlungen bzw. Unterlassungen sämtliche objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale von Art. 220 aStGB erfüllt hat und weder Rechtfertigungsnoch Schuldausschlussgründe vorliegen. Sie ist deshalb wegen Entziehens von Minderjährigen im Sinne von Art. 220 aStGB schuldig zu sprechen.

  6. Strafzumessung:

    1. Die Vorinstanz hat zunächst den massgeblichen Strafrahmen erwähnt sowie die allgemeinen Grundsätze der Strafzumessung zutreffend festgehalten (Urk. 53 Erw. 5.1-5.3). Es kann darauf verwiesen werden. Ergänzend ist anzufü- gen, dass per 1. Januar 2018, und damit nach Erlass des angefochtenen Urteils, die strafrechtlichen Sanktionen revidiert wurden. Der Anwendungsbereich der Geldstrafe ist dabei eingeschränkt worden, indem statt wie bisher 360 neu nur noch maximal 180 Tagessätze als Geldstrafe ausgesprochen werden können (Art. 34 Abs. 1 StGB). Gemäss Art. 2 Abs. 2 StGB ist das mildere Recht anwendbar, wenn ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten einer Gesetzesänderung begangen wurde, die Beurteilung aber erst nachher erfolgt. Weil eine Geldstrafe gegenüber einer Freiheitsstrafe milder ist (BGE 134 IV 82 E. 7.2.2), sind für vor dem 1. Januar 2018 begangene Straftaten mittlerer Kriminalität, die nach altem Recht eine Geldstrafe von 180 bis 360 Tagessätzen indizieren, weiterhin solche Geldstrafen auszufällen (Heimgartner, in: Donatsch/Heimgartner/Isenring/

      Weder [Hrsg.], OFK/StGB Kommentar, 20. Aufl., Zürich 2018, Art. 34 N 7). Da die Staatsanwaltschaft auf eine (Anschluss-)Berufung verzichtete, stellt sich die Frage einer Erhöhung der vorinstanzlich ausgefällten Sanktion von 150 Tagessätzen Geldstrafe jedoch ohnehin nicht (Art. 391 Abs. 2 StPO).

    2. Die objektive und subjektive Schwere der von der Beschuldigten verübten Tat (Tatkomponente) ist von der Vorinstanz unter Bezugnahme auf die konkreten Verhältnisse zutreffend gewürdigt worden (Urk. 53 Erw. 5.3.1 f.). Die Verteidigung äussert sich zur Strafzumessung der Vorinstanz nicht (Urk. 76, Prot. II S. 7 ff.). Zuzustimmen ist der Vorinstanz namentlich darin, dass die Beschuldigte schon bei Unterzeichnung der Vereinbarung vom 15. Juli 2013 mit dem Gedanken ge-

      spielt haben muss, mit C.

      in der Türkei zu bleiben, und sie diesen Entschluss, entgegen ihren Aussagen (Urk. 5/1 Ziff. 10; Urk. 75 S. 14), nicht erst in der Türkei fasste. Dafür spricht nicht nur ihre Aussage, wonach es sich bei der Abmachung vom 15. Juli 2013 nicht um ein Urteil oder so gehandelt habe, sondern nur um ihre Erklärung auf einem Blatt Papier, andernfalls sie C. nicht hätte mitnehmen dürfen (Urk. 5/1 Ziff. 7). Aufschlussreich ist diesbezüglich auch ihr Hinweis auf eine mehrwöchige Abwesenheit des Privatklägers, die ihr und C. sehr gut getan und C. zur Aussage veranlasst habe, sie könnten ohne Papi besser leben. Da habe sie gemerkt, dass sie ihren Sohn nicht schützen könne (Urk. 5/1 Ziff. 7). Schliesslich hatte sie auch bereits am 25. Juli 2013 die erforderliche Anzahlung geleistet und die Scheidungsklage beim 4. Familiengerichts

      ... vom 20. September 2013 eingereicht (Urk. 79), ohne dies dem Beschuldigten in ihrem SMS vom 28. Juli 2013 mitzuteilen. Mit der Vorinstanz ist der Beschuldigten somit ein gewisses Mass an Hinterlist vorzuwerfen. Entgegen der Vorinstanz ist indessen zugunsten der Beschuldigten zu berücksichtigen, dass sie das Kind nicht in einen völlig fremden Kulturkreis gebracht hatte und ihm insbesondere auch den Kontakt zu seinen Grosseltern väterlicherseits sowie auch zu seinem Vater selber ermöglichte.

    3. Die Vorinstanz hat sodann den in der Person der Beschuldigten liegenden Umständen (Täterkomponente) ausreichend und in zutreffender Weise Rechnung getragen (Urk. 53 Erw. 5.5). Auch darauf kann verwiesen werden.

    4. Selbst wenn wie vorstehend zugunsten der Beschuldigten zu berücksichtigen ist, dass sie den Kontakt zum Vater sowie den Grosseltern nicht gänzlich verunmöglichte, sind in Anbetracht des Tatzeitraums von nicht unbeachtlichen Länge die 150 Tagessätze, welche von der Vorinstanz als Geldstrafe festgesetzt wurden, insgesamt unter keinen Aspekten zu beanstanden.

    5. Dasselbe trifft zu auf die Höhe des Tagessatzes, welche die Vorinstanz auf Fr. 10. festsetzte (Urk. 53 Erw. 5.7).

    6. Die Beschuldigte ist folglich mit einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 10. zu bestrafen.

  7. Strafvollzug

    Die Vorinstanz hat den Vollzug der Geldstrafe aufgeschoben und die Probezeit auf zwei Jahren angesetzt (Urk. 53 Ziff. 6). Da mangels (Anschluss-)Berufung der Staatsanwaltschaft in diesen Punkten keine Schlechterstellung der Beschuldigten erfolgen darf (Art. 391 Abs. 4 StPO) und eine Besserstellung angesichts der gesetzliche Vorgaben nicht möglich ist die Probezeit entspricht dem gesetzlichen Minimum (vgl. Art. 42 ff. StGB) , braucht auf die vorinstanzlichen Erwägungen nicht näher eingegangen zu werden und sind dieselben Anordnungen zu treffen.

  8. Kostenund Entschädigungsfolgen

    1. Der vorinstanzliche Entscheid zur Kostenauflage (Urk. 53 Erw. 8 und Dispositiv Ziff. 6) ist bei diesem Ausgang zu bestätigen.

    2. Die Gebühr für das Berufungsverfahren ist auf Fr. 3'000. festzusetzen (§ 16 Abs. 1 GebV OG). Zu den Verfahrenskosten hinzu kommen die Entschädigung für den amtlichen Verteidiger (Art. 422 StPO). Die amtliche Verteidigung verzichtete trotz entsprechender Aufforderung auf das Einreichen einer Honorarnote und stellte ihre Bemühungen in das pflichtgemässe Ermessen des Gerichts, weil sie die Interessen der Beschuldigten auch in den zivilrechtlichen Verfahren vertrete und eine klare Trennung dieser Verfahren nicht möglich sei (Prot. II

      S. 10). In Anwendung von § 2, 17 und 18 der Verordnung über die Anwaltsgebühren ist die Entschädigung des amtlichen Verteidigers für das Berufungsverfahren pauschal auf Fr. 2'500.- (inkl. MWSt. und Barauslagen) festzusetzen.

    3. Ausgangsgemäss sind der Beschuldigten die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme der Entschädigung des amtlichen Verteidigers, aufzuerlegen (Art. 428 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 426 Abs. 1 StPO). Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers ist von der Beschuldigten dem Kanton Zürich zurückzuzahlen, sobald es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben (Art. 135 Abs. 4 lit. a StPO). Angesichts ihres Unterliegens fällt die Zusprechung einer Entschädigung an die Beschuldigte nicht in Betracht (Art. 429 StPO e contrario).

Es wird beschlossen:

  1. Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichts Bülach, Einzelgericht, vom 13. November 2017 wie folgt in Rechtskraft erwachsen ist:

    1.-3. ( )

    1. Die Genugtuungsforderung des Privatklägers wird auf den Zivilweg verwiesen.

    2. Die Entscheidgebühr wird festgesetzt auf:

      Fr. 1'200.-; die weiteren Auslagen betragen: Fr. 1'500.-; Gebühr für die Strafuntersuchung

      Fr. 2'642.85; amtl. Verteidigungskosten (inkl. Barauslagen und 8 % MwSt.)

      Allfällige weitere Auslagen bleiben vorbehalten. 6. ( )

      1. (Mitteilungen)

      2. (Rechtsmittel)

  2. Schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.

Es wird erkannt:

  1. Die Beschuldigte A. ist schuldig des Entziehens von Minderjährigen im Sinne von Art. 220 aStGB.

  2. Die Beschuldigte wird bestraft mit einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 10..

  3. Der Vollzug der Geldstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf zwei Jahre festgesetzt.

  4. Die erstinstanzliche Kostenauflage (Ziff. 6) wird bestätigt.

  5. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf: Fr. 3'000. ; die weiteren Kosten betragen:

    Fr. 2'500.- amtliche Verteidigung

  6. Die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme der Kosten der amtlichen Verteidigung , werden der Beschuldigten auferlegt. Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden einstweilen auf die Gerichtskasse genommen. Die Rückzahlungspflicht der Beschuldigten bleibt gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO vorbehalten.

  7. Schriftliche Mitteilung im Dispositiv an

    • die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland

    • den Privatkläger

      sowie in vollständiger Ausfertigung an

    • die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland

    • den Privatkläger

      und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz

    • die Koordinationsstelle VOSTRA mit Formular A.

  8. Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer Zürich, 25. Oktober 2018

Der Präsident:

lic. iur. S. Volken

Die Gerichtsschreiberin:

lic. iur. S. Leuthold

Zur Beachtung:

Der/die Verurteilte wird auf die Folgen der Nichtbewährung während der Probezeit aufmerksam gemacht:

Wurde der Vollzug einer Geldstrafe unter Ansetzung einer Probezeit aufgeschoben, muss sie vorerst nicht bezahlt werden. Bewährt sich der/die Verurteilte bis zum Ablauf der Probezeit, muss er/sie die Geldstrafe definitiv nicht mehr bezahlen (Art. 45 StGB); Analoges gilt für die bedingte Freiheitsstrafe.

Eine bedingte Strafe bzw. der bedingte Teil einer Strafe kann im Übrigen vollzogen werden (Art. 46 Abs. 1 bzw. Abs. 4 StGB),

  • wenn der/die Verurteilte während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen begeht,

  • wenn der/die Verurteilte sich der Bewährungshilfe entzieht oder die Weisungen missachtet.

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