BEK 2019 208 - Nichtanhandnahme Strafverfahren
Beschluss vom 6. Mai 2020
BEK 2019 208
Mitwirkend
Kantonsgerichtsvizepräsident Dr. Reto Heizmann,
Kantonsrichter Clara Betschart und Josef Reichlin,
Gerichtsschreiber lic. iur. Mathis Bösch.
In Sachen
A.________,
Privatkläger und Beschwerdeführer,
gegen
1. Kantonale Staatsanwaltschaft, Postfach 75, SSB 8836 Bennau,
Strafverfolgungsbehörde und Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Staatsanwalt B.________,
2. C.________,
Beschuldigter und Beschwerdegegner,
betreffend
Nichtanhandnahme Strafverfahren
(Beschwerde gegen die Verfügung der kantonalen Staatsanwaltschaft vom 29. November 2019, SUB 2019 633);-
hat die Beschwerdekammer,
nachdem sich ergeben und in Erwägung:
1. A.________ reichte am 18. Oktober 2019 gegen C.________ Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs und Freiheitsberaubung ein. Er soll am 18. April 2017 „in Verletzung jeglicher Verhältnismässigkeit zwischen den Vorhaltungen [ ] und dem polizeilichen/staatsanwaltschaftlichen Vorgehen“ frühmorgens verhaftet und ohne nähere Erklärung auf dem Polizeiposten verhört und anschliessend vier Tage in Untersuchungshaft genommen worden sein (U-act. 8.1.001). Die Oberstaatsanwaltschaft überwies die Anzeige zuständigkeitshalber der kantonalen Staatsanwaltschaft (U-act. 13.1.002). Diese verfügte am 29. November 2019, keine Strafuntersuchung durchzuführen, weil es unter anderem dem Beschuldigten aus gesetzlichen Gründen gar nicht möglich gewesen sei, Haft zu verfügen, sondern nur beim Zwangsmassnahmengericht zu beantragen. Dagegen erhob der Strafanzeigeerstatter rechtzeitig am 19. Dezember 2019 Beschwerde ans Kantonsgericht. Er verlangte, die Verfügung sei aufzuheben und eine ordentliche Ermittlung durch einen anderen Staatsanwalt durchzuführen sowie Anklage zu erheben. Die kantonale Staatsanwaltschaft beantragte am 7. Januar 2020 unter Verweis auf die Begründung der angefochtenen Verfügung, die Beschwerde sei vollumfänglich und kostenpflichtig abzuweisen. Der verfügende Staatsanwalt erklärte sich ausserdem für unbefangen (KG-act. 7). Der verzeigte Staatsanwalt liess sich nicht vernehmen.
2. Art. 312 StGB (Amtsmissbrauch) schützt primär das öffentliche Interesse am reibungslosen Funktionieren von Justiz, Regierung und Verwaltung (vgl. Isenring, OFK, 20. A. 2018, Art. 312 StGB N 6). Im Falle unmittelbarer Beeinträchtigungen, wie vorliegend der angeblich amtsmissbräuchlich angeordneten bzw. beantragten Untersuchungshaft gegen den Beschwerdeführer, sind jedoch auch Privatpersonen als Privatkläger befugt, gegen die Nichtanhandnahme einer Untersuchung Beschwerde zu erheben (Art. 382 Abs. 1 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 lit. b, Art. 115 Abs. 1 und 118 Abs. 1 StPO; BGer 6B_761/2016 vom 16. Mai 2017 E. 3.4.2, dagegen BGer 6B_964/2016 vom 25. April 2017 E. 1.2.2). Abgesehen davon macht der Beschwerdeführer geltend, Opfer eines staatlichen Übergriffs bzw. erniedrigender Behandlung geworden zu sein und kann sich daher gegen die Nichtanhandnahme des Verfahrens zur Wehr setzen (BGE 138 IV 86 = Pra 2012 Nr. 114 E. 3.1.1 m.H.).
3. Dem Tatbestand des Amtsmissbrauchs können nur Verfügungen und Massnahmen unterstellt werden, die der Täter kraft seines Amtes in Ausübung seiner hoheitlichen Gewalt anordnet bzw. unter Zwangsausübung trifft, etwa eine widerrechtliche Anordnung einer Zwangsmassnahme (Isenring, ebd. N 6b ff.). Unerheblich bleibt, ob die entsprechenden Machtbefugnisse durch Gesetz, Reglement oder aufgrund eines Auftrags einer Behörde bestehen (Heimgartner, BSK, 4. A. 2019, Art. 312 StGB N 6 ff.). Allerdings liegt ein Amtsmissbrauch nicht in jeder Verfügung vor, bei der sich im Nachhinein - etwa im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens - herausstellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlagen, sondern nur, wenn wissentlicher und willentlicher Ermessensmissbrauch vorliegt, etwa ein Staatsanwalt eine Zwangsmassnahme trotz offensichtlichen Wegfalls des Grundes nicht aufhebt (Heimgartner, ebd. N 8, 18 und 22). Amtsmissbrauch liegt jedoch auch vor, wenn der Einsatz des Machtmittels zwar rechtmässig war, hierbei das erlaubte Mass an Zwang jedoch überschritten wurde (BGer 6B_1212/2018 vom 5. Juli 2019 E. 2.3 m.H.). Art. 312 StGB schützt auch das Interesse der Bürger, nicht unkontrollierter und willkürlicher staatlicher Machtentfaltung ausgesetzt zu werden (vgl. oben E. 2 sowie BGer 1C_584/2017 vom 1. Juni 2018 E. 3.2 m.H.).
4. Es gilt der rechtsstaatliche Grundsatz, dass eine beschuldigte Person in Freiheit bleibt (Art. 212 Abs. 1 StPO) und freiheitsentziehende Zwangsmassnahmen aufzuheben sind, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind (ebd. Abs. 2 lit. a). Die Polizei kann eine Person vorläufig festnehmen und auf den Polizeiposten bringen, die eines Verbrechens oder Vergehens verdächtig ist (Art. 217 Abs. 2 StPO). Danach informiert sie die Staatsanwaltschaft über die Festnahme bzw. führt dieser die festgenommene Person unverzüglich zu, wenn ihre Abklärungen den Tatverdacht und einen Haftgrund bestätigen (Art. 219 StPO). Die Untersuchungshaft beginnt mit ihrer Anordnung durch das Zwangsmassnahmengericht (Art. 220 Abs. 1 StPO), zum effektiven Freiheitsentzug zählt indes schon die Dauer der Anhaltung durch die Polizei (Art. 219 Abs. 4 StPO und Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. A. 2020, N 1182). Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person und erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind (Art. 224 Abs. 1 StPO). Bestätigen sich der Tatverdacht und die Haftgründe, so beantragt die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht spätestens innert 48 Stunden seit der Festnahme, die Anordnung der Untersuchungshaft oder einer Ersatzmassnahme (Art. 224 Abs. 2 StPO). Verzichtet sie auf einen Haftantrag, so verfügt sie die unverzügliche Freilassung (Art. 224 Abs. 3 StPO). Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet ebenfalls unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden nach Eingang des Antrags. Ordnet es keine Untersuchungshaft an, so wird die beschuldigte Person unverzüglich freigelassen (Art. 226 Abs. 1 und 5 StPO). Die verhaftete Person kann Entscheide über die Anordnung der Untersuchungshaft bei der Beschwerdeinstanz anfechten (Art. 222 StPO). Ordnet das Zwangsmassnahmengericht keine Untersuchungshaft an, besteht nach dem Gesetz keine Beschwerdemöglichkeit. Eine solche eröffnete indes das Bundesgericht für die Staatsanwaltschaft (BGE 137 IV 22 = Pra 2011 Nr. 100 und BGE 137 IV 87; vgl. auch BGer 1B_486/2018 vom 22. November 2018 E. 2.1).
a) Soweit in der angefochtenen Verfügung erwogen wird, dem fallführenden Staatsanwalt stehe es lediglich frei, Untersuchungshaft beim Zwangsmassnahmengericht zu beantragen, legt sie nur eine Seite des Haftprozederes offen. Die andere Seite birgt die Tatsache in sich, dass der Haftantrag an das Zwangsmassnahmengericht (wie die polizeiliche Zuführung) zugleich den Entscheid des Staatsanwalts (bzw. der Polizei) gegen die Freilassung des Inhaftierten darstellt (Art. 224 Abs. 3 StPO sowie dazu auch Art. 212 StPO aber auch Art. 10 Abs. 2 StPO, Art. 31 und 35 f. BV sowie Art. 5 EMRK). Der Beschwerdeführer musste mithin die Haft aufgrund der Amtsausübung des Staatsanwalts und nicht einfach aufgrund des gesetzlichen Haftprozederes hinnehmen. Inwiefern dabei der Staatsanwalt sein Ermessen offensichtlich nicht amtsmissbräuchlich ausübte, wird in der angefochtenen Verfügung nicht dargetan, namentlich nicht im Hinblick auf die in der Strafanzeige infrage gestellte Verhältnismässigkeit zu den Vorhaltungen. Zudem fehlt eine hinreichende konkrete Bezugnahme auf die Erwägungen des Zwangsmassnahmengerichts und der Beschwerdeinstanz, auf welche sich der Beschwerdeführer in der Strafanzeige beruft. Namentlich wird nicht erklärt, inwiefern die Untersuchungshaft „offensichtlich nicht unrechtmässig war“ (vgl. angef. Verfügung E. 5.4). Die Möglichkeiten der Anrechnung und Entschädigung der erlittenen Haft schliessen Amtsmissbrauch nicht aus. In subjektiver Hinsicht ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, inwiefern einem Staatsanwalt, der angeblich einen Inhaftierten ermessensmissbräuchlich nicht freilässt, das Zufügen eines unrechtmässigen Nachteils unklar sein soll. Mit der vorliegenden Begründung der angefochtenen Verfügung vermag mithin die Staatsanwaltschaft nicht darzutun, dass der Straftatbestand des Amtsmissbrauchs eindeutig nicht erfüllt ist (Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO).
b) Dass es das Bundesgericht der Staatsanwaltschaft ermöglicht, Beschwerde gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts zu erheben, und die entsprechenden Verfahrensvoraussetzungen in seiner Rechtsprechung quasi „reglementierte“, schliesst einen Amtsmissbrauch in diesem Stadium ebenfalls nicht von Vorneherein aus; denn der Weiterbestand der Untersuchungshaft ist Teil des vom Bundesgericht initiierten Beschwerderechts der Staatsanwaltschaft (vgl. etwa BGE 137 IV 237 E. 2.5). Der Beschwerdeführer rügt diesbezüglich klar, dass der Staatsanwalt mit der (später wieder zurückgezogenen) Beschwerde gegen den deutlich abschlägigen Entscheid der Zwangsmassnahmenrichterin ein „Spiel“ mit seiner Person betrieben habe. Auch zu diesem Vorwurf äussert sich die angefochtene Verfügung nicht.
c) Ist die Nichtanhandnahme schon in Bezug auf den Straftatbestand des Amtsmissbrauchs nicht hinreichend begründet (oben lit. a und b), muss auf die Behauptungen des Beschwerdeführers betreffend eine angebliche Freiheitsberaubung sowie im Zusammenhang der angeblichen „Rufmord-Kampagne“ in der Presse hier nicht mehr weiter eingegangen werden.
5. Aus diesen Gründen ist die angefochtene Verfügung in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben. Vorläufig drängt es sich noch nicht auf, der Staatsanwaltschaft für den weiteren Gang des Verfahrens Weisungen zu erteilen (Art. 397 Abs. 3 StPO). Ausgangsgemäss gehen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu Lasten des Staates (Art. 428 Abs. 1 StPO). Den Entschädigungsantrag substanziiert der Beschwerdeführer nicht, weshalb darauf nicht näher einzugehen ist (Art. 433 StPO);-
beschlossen:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und die angefochtene Verfügung aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 1‘200.00 gehen zu Lasten des Staates. Die in dieser Höhe geleistete Sicherheit wird dem Beschwerdeführer aus der Kantonsgerichtskasse zurückbezahlt.
3. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung nach Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht in Lausanne eingereicht werden. Die Beschwerdeschrift muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.
4. Zufertigung an den Beschwerdeführer (1/R), den Beschwerdegegner (1/R), die kantonale Staatsanwaltschaft (2/R, mit den Akten) und die Oberstaatsanwaltschaft (1/R) sowie nach definitiver Erledigung an die Kantonsgerichtskasse (1/ü, im Dispositiv).
Namens der Beschwerdekammer
Der Kantonsgerichtsvizepräsident
Der Gerichtsschreiber
Versand
11. Mai 2020 kau
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