Zusammenfassung des Urteils ZZ.1993.20: Strafkammer
In dem vorliegenden Fall ging es um eine Klage der Firma S.________ LTD gegen V.________ vor dem Zivilgericht des Kantonsgerichts. Die Klägerin forderte die Beklagte auf, bestimmte Geldbeträge zurückzuzahlen. Die Beklagte stellte ihrerseits einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bis zur endgültigen Entscheidung in einem parallel laufenden Strafverfahren. Nach Prüfung der Sachlage entschied der Richter, dass die Aussetzung des Verfahrens nicht notwendig sei und wies den Antrag der Beklagten ab. Die Gerichtskosten wurden auf 1'000 CHF festgelegt, die die Klägerin zu tragen hatte. Zudem wurden der Klägerin die vollen Kosten des Verfahrens auferlegt, die sich auf 1'575 CHF beliefen.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | ZZ.1993.20 |
Instanz: | Strafkammer |
Abteilung: | - |
Datum: | 27.05.1993 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Ne bis in idem |
Schlagwörter : | Verfahren; Verfahrens; Quot; Staat; Urteil; Vorhalt; Grundsatz; Urteils; Staatsanwalt; Quot;ne; Verfahren; Gericht; Doppelbestrafungsverbot; Anzeige; Schlussverfügung; Rechtsprechung; Beurteilung; Lehre; Obergericht; Gerichtspräsident; Entscheid; Erwägungen; Kammer; Freispruch; Prinzip; Klage; Handlung |
Rechtsnorm: | - |
Referenz BGE: | 116 IV 264; |
Kommentar: | - |
Die Erwägungen dieses Entscheides (SOG 1975 Nr. 21) sind auch auf den vorliegenden Fall anwendbar. Nicht anwendbar sind hingegen die in SOG 1987 Nr. 21 gezogenen Schlussfolgerungen, da in jenem Fall die Fragestellung eine andere war. Dort unterliess es der erstinstanzliche Richter, einen in der Schlussverfügung enthaltenen Vorhalt zu beurteilen, was nach ständiger Rechtsprechung der Strafkammer des Obergerichtes einem mittels Appellation anzufechtenden Freispruch gleichkommt, währenddem hier der fragliche Vorhalt im bisherigen Verfahren eben gerade noch nicht erhoben worden ist. Demnach bestand für den Staatsanwalt einzig die in SOG 1975 Nr. 21 angezeigte Möglichkeit, nachträglich eine entsprechende Strafanzeige einzureichen, wie er dies in casu auch tat.
Es bleibt zu prüfen, ob diese Verfahrenssystematik zu einem Widerspruch mit dem Grundsatz "ne bis in idem" führt. Dieses Prinzip ist gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ein Grundsatz des materiellen eidgenössischen Strafrechts und besagt, dass niemand wegen der gleichen Straftat zweimal verfolgt werden darf dass mit anderen Worten einem zweiten Strafverfahren respektive einer zweiten Beurteilung der gleichen Tat der Verbrauch der Strafklage aufgrund des ersten Urteils entgegensteht (BGE 116 IV 264 f.).Nach dem am 1. November 1988 für die Schweiz in Kraft getretenen siebten Zusatzprotokoll zur EMRK lautet der Grundsatz nach dessen Art. 4 wie folgt:
"Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt bestraft werden."
Geltung und Wirkung des Doppelbestrafungsverbots sind in der schweizerischen Lehre und Rechtsprechung unbestritten. Die Verbindlichkeit des Urteils hat unter der Voraussetzung der Identität von Täter eine Sperrwirkung für jedes spätere Verfahren zur Folge. Über den genauen Inhalt und den Umfang des Prinzips gehen die Meinungen allerdings auseinander. Kontrovers ist insbesondere, ob der historische Vorgang als solcher aber der konkrete Gegenstand der ersten Anklage und des ersten Verfahrens massgebend sind. (... Es folgt eine Darstellung und Diskussion der Lehre und Praxis).
Aus alledem geht hervor, dass es der Lehre und der Praxis noch nicht gelungen ist, den genauen Inhalt und den genauen Umfang des allseitig anerkannten Doppelbestrafungsverbotes mit ausreichender Genauigkeit zu bestimmen. Für das Obergericht besteht daher kein Anlass, den Grundsatz "ne bis in idem" in einer Weise zu interpretieren, welche mit der Verfahrensund Rechtsmittelsystematik der solothurnischen Strafprozessordnung nicht vereinbar ist. Gerade weil es dem Staatsanwalt sonst verwehrt bliebe, den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen, darf das Doppelbestrafungsverbot nicht auf Fälle erstreckt werden, in denen es infolge von Verfahrensfehlern versäumt wurde, einen begründeten Verdacht zu verfolgen. Von seiner Zielsetzung her bezweckt der Grundsatz "ne bis in idem" vielmehr, das erneute Aufgreifen eines bereits einmal materiell beurteilten Vorhaltes zu verhindern. In diesem Sinne wird der Beschuldigte vor einem Zurückkommen auf eine nachträglich als fehlerhaft erkannte materielle Beurteilung in der Regel geschützt. Hier liegt das Risiko der unrichtigen Rechtsanwendung beim Staat. Soweit es aber nicht nur um die Anwendung des materiellen Rechtes, sondern um die Aufnahme und Durchführung eines Strafverfahrens überhaupt und damit um Verfahrensfragen geht, gebietet das Legalitätsprinzip eine vollständige Verfolgung aller Verdachtsmomente.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Vorhalt der groben Verletzung von Verkehrsregeln nur durch eine Anzeige des Staatsanwaltes zum Gegenstand eines Verfahrens erhoben werden konnte, nachdem er weder nach der untersuchungsrichterlichen Schlussverfügung noch nach dem Dispositiv und den Erwägungen des ersten Urteils des Gerichtspräsidenten Gegenstand des Verfahrens war. Solange aber dieser Vorhalt nicht Gegenstand des Verfahrens war, steht der Grundsatz "ne bis in idem" der materiellen Beurteilung des nun durch die erneute Strafanzeige zum Verfahrensgegenstand erhobenen Vorhaltes nicht entgegen, selbst wenn bereits in der ersten Strafuntersuchung und im ersten Verfahren vor dem Gerichtspräsidenten von diesen Handlungen die Rede war. Der Beschuldigte kann sich deshalb nicht auf die Verbindlichkeit des ersten Urteils berufen. Gleichzeitig hätte der Gerichtspräsident in seinem zweiten Entscheid den Freispruch nicht auf das formelle Argument des Doppelbestrafungsverbotes abstellen dürfen.
Obergericht Strafkammer, Urteil vom 27. Mai 1993
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