Zusammenfassung des Urteils ZZ.1974.18: Strafkammer
Ein Mann namens P.________ hat sich bei einem Arbeitsunfall verletzt, als er seine rechte Wade an einem Möbelstück stiess. Die Kosten wurden von der Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents übernommen. Später trat eine Rezidivverletzung auf, die zu weiteren medizinischen Eingriffen führte. Die CNA/SUVA lehnte die weitere Kostenübernahme ab, da kein sicherer Kausalzusammenhang zwischen den Ereignissen nachgewiesen werden konnte. Nach mehreren medizinischen Gutachten und einem Rechtsstreit wurde entschieden, dass die CNA/SUVA die Behandlungskosten für das Rezidiv von 2007 übernehmen muss. Der Richter, M. Dind, entschied, dass keine Gerichtskosten anfallen und keine Entschädigung gezahlt werden muss.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | ZZ.1974.18 |
Instanz: | Strafkammer |
Abteilung: | - |
Datum: | 11.09.1974 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Hunde im Walde an der Leine |
Schlagwörter : | Hunde; Quot; Vogelschutz; Leine; Bundesgesetz; Massnahmen; Recht; Recht; Walde; Kanton; Gesetze; Vorschrift; Gesetzes; Gefährdung; Beschuldigte; Beschuldigten; Amtsblatt; Katzen; Gewohnheitsrecht; Regierungsrat; Kantone; Vertreter; Wildes; Dressur; Rechtmässigkeit |
Rechtsnorm: | Art. 1 StGB ;Art. 335 StGB ; |
Referenz BGE: | 74 IV 109; 92 I 482; |
Kommentar: | - |
a) Zur Stützung seiner These, § 25 Abs. 7 sei nicht mehr in Kraft, beruft sich Dr. H. auf die 1974 im solothurnischen Amtsblatt Nr. 11 erfolgte Publikation bezüglich Massnahmen gegen wildernde Hunde und Katzen, zum andern auf derogierendes Gewohnheitsrecht.
Was die angeführte Veröffentlichung im Amtsblatt betrifft, steht dort zwar: "Nach Massgabe der Artikel 23 und 45 Absatz 2 und 3 des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz vom 10. Juni 1925/23. März 1962 hat der Regierungsrat des Kantons Solothurn, gestützt auf § 25 der kantonalen Vollziehungsverordnung vom 15. Dezember 1964, folgende Vorschrift erlassen:..." (Abl. 1974, 319). Es wird im Folgenden wortgetreu § 25 der VVO wiedergegeben, mit einer Ausnahme: es fehlt die Bestimmung des § 25 Abs. 7, wonach Hunde im Walde an der Leine geführt werden müssen. Indessen ist zum vornherein klar, dass eine Neuregelung des § 25 der VVO wie sie der Vertreter des Beschuldigten behauptet sich auf § 31 des kantonalen Gesetzes über Jagd und Vogelschutz vom 6. Dezember 1931 (GS 1931, 168) stützen müsste und nicht auf die VVO selbst. Dass es sich bei der im Amtsblatt erschienenen Publikation nicht um eine neue Verordnung handeln kann, ergibt sich im übrigen auch aus § 7 des Reglements für die Staatskanzlei (RRB vom 19. April 1968, BGS 122.51). Danach zeichnet der Staatsschreiber mit dem Landammann die Erlasse und Schreiben des Regierungsrates. Die alljährlich im Amtsblatt durch das Finanzdepartement veröffentlichten Bestimmungen dienen damit rein informatorischen Zwecken; die Rechtskraft des § 25 VVO und insbesondere Abs. 7 wurde durch die Publikation im Amtsblatt Nr. 11 (1974) nicht berührt.
Der Vertreter des Beschuldigten macht zudem geltend, die Bestimmung des § 25 Abs. 7 sei gewohnheitsrechtlich aufgehoben. - Zwar verbietet es der Grundsatz der Legalität nicht, dass der Richter zugunsten des Angeschuldigten Gewohnheitsrecht heranzieht (Schulz, Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, Bd. I, S. 47; vgl. a. Hafter, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Auflage, S. 15 Ziff. 2). Indessen ist ganz klar, dass an das Vorliegen von derogierendem Gewohnheitsrecht sehr strenge Anforderungen gestellt werden müssen. Hafter (a.a.O.) verlangt, dass sich in weiten Kreisen die Überzeugung von der Unnötigkeit und Unhaltbarkeit einer Strafsatzung festgesetzt haben muss; Schulz (a.a.O., S. 52) bezeichnet als Gewohnheitsrecht die Regel, die in langjähriger Übung aufgrund der allgemeinen Überzeugung ihrer Notwendigkeit und Verbindlichkeit als Rechtsbestimmung durch einen Personenkreis befolgt wird. Was § 25 Abs. 7 der VVO betrifft, kann aber nicht im Ernst behauptet werden, diese Bestimmung werde in weiten Teilen der Bevölkerung als unnötig gar unhaltbar empfunden. Dass heute viele Hundebesitzer ihre Tiere im Walde frei herumlaufen lassen, mag zutreffen. Begründet liegt dieser Zustand aber in der Tatsache, dass die Ahndung dieser Verstösse gegen eine bestehende Vorschrift von der Situation her schwierig ist, und nicht darin, dass allgemein an eine Gefährdung des Wildes durch frei herumlaufende Hunde nicht mehr geglaubt eine solche Gefährdung gar gebilligt würde. Eine Aufhebung des § 25 Abs. 7 der VVO durch Gewohnheitsrecht kann demnach nicht angenommen werden.
b) Dr. H. bringt als zweiten Einwand vor, selbst wenn § 25 Abs. 7 der VVO noch in Kraft wäre, würde ihm die Rechtmässigkeit fehlen. Die regierungsrätliche Vollziehungsverordnung stütze sich zwar auf das kantonale Gesetz über Jagd und Vogelschutz, dieses wiederum auf das gleichbenannte Bundesgesetz (BS 9, 544). Indessen würden die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes (Art. 39-65) eine abschliessende Regelung dieser Materie darstellen. In diesem Bereich sei eine Legiferierung durch den Kanton im übrigen auch gemäss Art. 335 StGB ausgeschlossen. Einzig Art. 23 des Bundesgesetzes ermächtige die Kantone, Massnahmen gegen Hunde und Katzen zu treffen. Dabei spreche das Bundesgesetz von Massnahmen gegen wildernde Hunde. Gleiches werde auch in § 31 des kantonalen Gesetzes gesagt, wogegen die Vollziehungs-Verordnung generell bestimme, Hunde seien im Walde an der Leine zu führen. § 25 Abs. 7 der VVO verstosse deshalb gegen Bundeswie gegen kantonales Recht; er sei folglich nicht rechtmässig.
Der Richter besitzt gegenüber Vorschriften der kantonalen Rechtsordnung ein allgemeines akzessorisches, materielles Prüfungsrecht, das ihm erlaubt, solche Bestimmungen vorfrageweise auf ihre Rechtmässigkeit hin zu überprüfen (SJZ 62, 1966, Nr. 119, S. 202). Unbestritten ist, dass sich § 25 VVO formell auf § 31 des kantonalen Gesetzes über Jagd und Vogelschutz stützt. § 31 ermächtigt den Regierungsrat aber nicht wie der Vertreter des Beschuldigten vorbringt -, Massnahmen gegen wildernde Hunde zu erlassen, vielmehr heisst es in dieser Bestimmung: "Die Massnahmen zur Verhinderung des Wilderns durch Hunde und Katzen werden in der Vollziehungs-Verordnung festgesetzt." Der Regierungsrat ist also ermächtigt, Präventiv-Massnahmen zu erlassen. Als eine solche gilt zweifellos die Bestimmung, dass Hunde im Walde an der Leine zu führen sind. Durch das Anleinen besteht eine wesentliche Gewähr dafür, dass Hunde nicht wildern. § 25 Abs. 7 der VVO befindet sich demnach in Einklang mit der Delegationsnorm des kantonalen Gesetzes; die Bestimmung der Rechtsverordnung widerspricht weder dem Wortlaut noch dem Sinn der Ermächtigung.
Gemäss Praxis des Bundesgerichtes hat der kantonale Richter kantonale Gesetze auf ihre Übereinstimmung mit dem Bundesrecht zu prüfen (BGE 92 I 482; 82 I 219). Es stellt sich damit die Frage, ob die kantonalrechtliche Bestimmung, welche von Massnahmen zur Verhinderung des Wilderns spricht, noch in Einklang mit dem Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz steht, insbesondere mit § 23, der die Kantone ermächtigt, Massnahmen gegen wildernde Katzen und Hunde zu treffen. Aus der Botschaft des Bundesrates vom 20. März 1922 ist ersichtlich, dass man mit der Aufnahme dieser Bestimmung "den Schädigungen des Wildbestandes und der geschützten Vögel durch wildernde Hunde und Katzen vorbeugen" wollte (BBl 1922, Bd. I, S. 369). Dem Gericht erscheint es deshalb nicht unzulässig, dass der kantonale Gesetzgeber den Gedanken der Vorbeugung stärker als das Bundesgesetz betonte und insofern konkretisierte, als er einen Gesetzestext schuf, der Massnahmen zulässt, welche die Möglichkeit einschränken sollen, dass Hunde überhaupt zu einer Gefährdung des Wildes werden können. § 31 des Gesetzes über Jagd und Vogelschutz verletzt deshalb kein Bundesrecht.
Selbst wenn das Gericht zum Schluss gekommen wäre, das kantonale Gesetz und die darauf basierende VVO widersprächen dem eidgenössischen Jagd und Vogelschutzgesetz, würde die Bestrafung wegen Nichtanleinens eines Hundes im Walde nicht der gesetzlichen Grundlage entbehren. § 5 der Vollzugsverordnung zum Gesetz über das Halten von Hunden bestimmt nämlich: "In Wäldern und Parkanlagen ... müssen Hunde an der Leine geführt werden".(GS 1972, 1133)
Dr. H. führt im weiteren an, das Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz habe das mögliche strafbare Verhalten abschliessend geregelt. Ein Legiferieren der Kantone in diesem Bereich sei gemäss Art. 335 StGB ausgeschlossen. - Die Strafbestimmungen der Art. 39-65 des BG über Jagd und Vogelschutz sind indessen nur insofern abschliessend, als sie sich auf die im Bundesgesetz geregelte Materie beziehen (vgl. Art. 65 des BG über Jagd und Vogelschutz). Indem der Bundesgesetzgeber in Art. 23 die Kantone dazu ermächtigte, Massnahmen gegen wildernde Hunde zu treffen, hat er den Kantonen auch das Recht eingeräumt, Verstösse gegen die von ihnen zu erlassenden Vorschriften mit strafrechtlichen Sanktionen zu belegen. Von einem qualifizierten Schweigen des Bundesgesetzgebers kann deshalb vernünftigerweise nicht gesprochen werden (vgl. BGE 74 IV 109).
Aufgrund der gemachten Überlegungen steht fest, dass § 25 Abs. 7 der VVO zum Gesetz über Jagd und Vogelschutz eine in vollem Umfange gültige Rechtsverordnung darstellt.
2. Der § 25 Abs. 7 der VVO zum Gesetz über Jagd und Vogelschutz ist in seiner Aussage eindeutig. Mit dem statuierten Gebot, Hunde seien im Walde an der Leine zu führen, soll einer möglichen Gefährdung des Wildes begegnet werden. Diese Gefährdung ist nicht nur darin zu erblicken, dass ein frei herumlaufender Hund Jagd auf Tiere des Waldes machen könnte, sondern sie besteht schon in einem Erschrecken Scheuchen des Wildes.
Der Beschuldigte gibt zu, während seiner Ausritte in den Wäldern von N. den Hund Prinz nicht an der Leine geführt zu haben. Der Vorderrichter hat den Freispruch folgendermassen begründet: Um der Bestimmung des § 25 Abs. 7 Genüge zu tun, ist nicht Voraussetzung, dass der Hund an einer stofflichen Leine gehalten wird, ausreichend ist auch eine Dressur-"Leine".Der Vertreter des Beschuldigten schliesst sich heute der Begründung des Vorderrichters an. Dieser Argumentationsweise kann indessen nicht gefolgt werden. Wollte man eine Dressur-"Leine" als der gesetzlichen Vorschrift entsprechend ansehen, würde die besondere Art der Vorbeugung gegen das Wildern illusorisch gemacht, Die Fähigkeit, einen Hund mittels Dressur unter Kontrolle zu halten, müsste nämlich grundsätzlich jedem Hundehalter zugebilligt werden. Das würde bedeuten, dass sämtliche Hunde primär im Walde frei herumlaufen dürften. Die Frage, ob die Dressur-"Leine" wirklich "hält", könnte erst entschieden werden, wenn eine Konfrontation zwischen Hund und Wild stattfindet. Die Vorschrift des § 25 Abs. 7 kann deshalb nur so interpretiert werden, dass sämtliche Hunde im Walde an einer stofflichen Leine zu führen sind. Der Gesetzgeber nahm damit in Kauf, dass mit einer solchen Regelung auch Hunde betroffen sein können, die keine Gefährdung für das Wild darstellen, sei dies weil ihnen ein Jagdtrieb abgeht dieser durch den Meister unter Kontrolle gehalten wird. Das freie Laufenlassen des Hundes stellt damit objektiv einen Verstoss gegen § 25 Abs. 7 der VVO zum Gesetz über Jagd und Vogelschutz dar. Der Amtsgerichtspräsident hat die erwähnte VVO des Regierungsrates unrichtig angewendet (§ 190 Abs. 1, lit. c StPO).
Obergericht Strafkammer, Urteil vom 11. September 1974
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