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Urteil Kantonsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:RZ.2010.6
Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:Kantonsgericht
Kantonsgericht Entscheid RZ.2010.6 vom 09.03.2010 (SG)
Datum:09.03.2010
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 16 und Art. 196 lit. c in Verb. m. 217 lit. a ZPO (sGS 961.2); Art. 2 ZPV (sGS 961.21); Art. 15 lit. d in Verb. m. 16 Abs. 2 GO (sGS 941.21). Gegen Verfügungen des Einzelrichters des Kreisgerichts auf dem Gebiet der Rechtshilfe ist der Rekurs zulässig. Intern ist der Präsident der III. Zivilkammer als Einzelrichter zuständig (Kantonsgericht St. Gallen, Präsident der III. Zivilkammer als Einzelrichter, 9. März 2010, RZ.2010.6).
Schlagwörter : Rechts; Rekurrentin; Kanton; Rekurs; Kantons; Kantonsgericht; Rechtshilfe; Praxis; Gerichtsferien; Entscheid; Kantonsgerichts; Einzelrichter; Verbindung; Deutschland; Januar; Wiederherstellung; Stellung; Zuständig; Dezember; Rechtsmittel; Zuständigkeit; Stellungnahme; Gallische; Zivilprozessordnung; Verfahren; Verfügung; Eingereicht; Hilfeersuchen
Rechtsnorm: Art. 16 ZPO ; Art. 18 ZPO ; Art. 44 BGG ; Art. 50 BGG ; Art. 8 ZPO ; Art. 9 BV ;
Referenz BGE:122 V 60; 129 II 361; 132 II 153; 134 III 534; 79 I 246; 99 Ia 638;
Kommentar zugewiesen:
Frank, Sträuli, Messmer, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons Zürich, 1031
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Erwägungen

I.

  1. Am 17. Februar 2009 leitete das Amtsgericht in Deutschland ein Rechtshilfeersuchen des Notariats in Deutschland vom 4. Februar 2009 an das Kantonsgericht als Zentralbehörde gemäss dem Haager Beweisübereinkommen weiter (Eingang beim Kantonsgericht am 23. Februar 2009; vi-act. 2). Im Rahmen eines Betreuungsverfahrens ersucht das Notariat um ein medizinisches Gutachten über den Geisteszustand von A. A, geboren am X. Monat 1931, ist österreichische Staatsangehörige und wohnt seit Juni 2008 in einer Altersresidenz im Kanton

    St. Gallen.

    Da im Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz ein bilateraler Vertrag besteht, welcher den unmittelbaren Geschäftsverkehr zwischen den Gerichtsbehörden gestattet, wurde das Rechtshilfeersuchen am 4. März 2009 an das Kreisgericht zur selbständigen Erledigung überwiesen.

  2. Am 3. Dezember 2009 stellte A bei der Vorinstanz das Gesuch um Sistierung des Rechtshilfeverfahrens mit der Begründung, es sei im Zusammenhang mit der Frage der örtlichen Zuständigkeit noch eine Intervention der österreichischen Botschaft hängig. In ihrer Eingabe hielt sie (nochmals) fest, für das Betreuungsverfahren in Deutschland fehle die rechtliche Grundlage (vi-act. 32). Die Vorinstanz wies das Gesuch um Sistierung mit Verfügung vom 23. Dezember 2009 ab. Sie erwog, aus dem anwendbaren Beweisübereinkommen ergäben sich keine Gründe, das Rechts hilfeersuchen abzulehnen. Zudem solle die durch das Rechtshilfeersuchen zu vollziehende Massnahme letztlich dem Schutz der Rekurrentin bzw. dem Schutz ihres Vermögens dienen. Aus der ersuchten Begutachtung entständen ihr daher keine Nachteile (vi-act. 33).

  3. Mit Eingabe vom 13. Januar 2010 reichte A gegen diesen Entscheid Rekurs ein mit

den folgenden Anträgen:

  1. Die Verfügung des Einzelrichters in Rechtshilfesachen vom 23. Dezember 2009 sei

    aufzuheben und das Rechtshilfeverfahren einzustellen.

  2. Eventualiter sei das Rechtshilfeverfahren bis zur endgültigen Abklärung der örtlichen

Zuständigkeit der ersuchenden Behörde zu sistieren.

3. Subenventualiter sei der ernannte Gutachter abzulehnen; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.

Mit Schreiben vom 9. Februar 2010 wurde A darauf aufmerksam gemacht, dass - aufgrund einer vorläufigen Prüfung - die Rekurseingabe verspätet erfolgt sein könnte, und es wurde ihr Gelegenheit gegeben, zur Frage der Rechtzeitigkeit und damit verbundener Folgen Stellung zu nehmen. In ihrer Stellungnahme vom 19. Februar 2010 vertritt die Rekurrentin die Ansicht, die Einlegung des Rechtsmittels sei fristgerecht erfolgt. Eventualiter beantragt sie die Wiederherstellung der Frist.

II.

1. Was die internationale Rechtshilfe betrifft, so äussert sich die st. gallische Zivilprozessordnung bloss zur erstinstanzlichen Zuständigkeit der Einzelrichter ausdrücklich. Gewisse Handlungen und Entscheide sind einem Einzelrichter des Kreisgerichts (Art. 8 ZPO) andere demjenigen des Kantonsgerichts (Art. 18 ZPO in Verbindung mit Art. 16 Abs. 1 lit. e GO) zugewiesen. Nicht ausdrückliche Erwähnung finden hingegen allfällige kantonale Rechtsmittel auf diesem Gebiet.

  1. Die Rekurrentin geht allerdings zurecht davon aus, dass gegen Verfügungen des Einzelrichters des Kreisgerichts auf dem Gebiet der Rechtshilfe der Rekurs zulässig ist. Zum einen werden die Entscheide nicht im ordentlichen Verfahren gefällt. Zum anderen ist die Verwandtschaft mit den vorsorglichen Beweiserhebungen (Art. 196 lit. c in Verbindung mit Art. 217 lit. a ZPO) und der Anerkennung von ausländischen Entscheidungen (Art. 2 ZPV) nicht zu übersehen. Es entspricht denn auch zürcherischer (Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons Zürich,

    3. Aufl., Anhang II zu GVG, § 23 d, S. 1031, mit Hinweis auf ZR 94 Nr. 18) wie auch st.

    gallischer (GVP 2008 Nr. 94, Erwägung 1b) Praxis, den Rekurs zuzulassen.

  2. Zuständig für die Behandlung des Rekurses ist der Einzelrichter des Kantonsgerichts (Titel VIII, Ziff. 1 ZPO; Art. 217 ff.). Dabei kommt grundsätzlich der Einzelrichter des Kantonsgerichts in Rechtshilfesachen (Art. 18 ZPO; Art. 16 lit. e GO) oder aber der Präsident der III. Zivilkammer in seiner Eigenschaft als Einzelrichter (Art. 16 ZPO; Art. 15 lit. d in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 GO) in Frage. Gegen ersteres spricht, dass sich Art. 18 ZPO in Verbindung mit Art. 16 Abs. 1 lit. e GO kein Hinweis entnehmen lässt, der kantonsgerichtliche Einzelrichter in Rechtshilfesachen sei eine Rechtsmittelinstanz. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es sich beim in Art. 16 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit dem Titel VIII, Ziffer 1 des Zivilprozessgesetztes (Art. 217 ff. ZPO) erwähnten Rekursrichter um den Präsidenten der III. Zivilkammer handelt. In seine Zuständigkeit fallen nämlich alle Angelegenheiten, die sich weder einem besonderen Rekursrichter (Art. 16 lit. a-d GO) noch einer anderen Kammer (Art. 15 lit a- c in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 GO) zuordnen lassen (Art. 15 lit. d in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 GO). Da bei den beiden Ämtern eine Personalunion besteht (Staatskalender 2009/2010, S. 162/163), kommt dem Entscheid über die interne Zuständigkeit allerdings im vorliegenden Fall ohnehin keine praktische Bedeutung zu.

  1. Die Rechtzeitigkeit der Rekurseingabe ist von Amtes wegen zu prüfen. Da sich die Rekurrentin auf den Standpunkt stellt, den Rekurs rechtzeitig eingereicht zu haben, ist zunächst darüber zu befinden. Wäre ihr zuzustimmen, würde das Wiederherstellungsgesuch gegenstandslos.

  2. Für die Frage der Rechtzeitigkeit der Rekurseingabe vom 13. Januar 2010 ist

    entscheidend, wann die zehntägige Frist für die Einreichung zu laufen begonnen hat.

    Die Rekurrentin beruft sich auf die gefestigte Kantonsgerichtspraxis, wonach der erste Tag nach den Gerichtsferien bei der Fristberechnung nicht mitgezählt werde (Stellungnahme der Rekurrentin vom 19.02.2010, 1).

    1. Nach der früheren st. gallischen Praxis zu den Art. 127 und Art. 134 Abs. 1 aZP wurde bei Ansetzung einer Frist innerhalb der Gerichtsferien der erste Tag nach den Gerichtsferien bei der Berechnung der Frist nicht mitgezählt (GVP 1986 Nr. 48 mit Berufung auf die Bundesgerichtspraxis zu den analogen Bestimmungen von Art. 32 Abs. 1 und Art. 34 aOG [BGE 79 I 246; BGE 99 Ia 638 ff., 643]; vgl. auch BGE 122 V 60

      ff. und Leuenberger/Uffer-Tobler, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons

      St. Gallen, N 3b Vorbemerkungen zu Art. 217 ff. ZPO). Mit Entscheid vom 17. Dezem ber 2007 änderte das Kantonsgericht jedoch seine Praxis (GVP 2007 Nr. 63). Es erwog, dass die Praxis gemäss GVP 1986 Nr. 48 nicht weiterzuführen sei, nachdem das Bundesgericht seine Rechtsprechung gestützt auf den gegenüber Art. 32 aOG veränderten Wortlaut von Art. 44 Abs. 1 BGG geändert habe (BGE 132 II 153 ff., 158 f. Erw. 4.2); Art. 82 Abs. 1 GerG, wonach die Frist am Tag, der ihrer schriftlichen Eröffnung folgt, beginnt, liege viel näher bei der Formulierung von Art. 44 Abs. 1 BGG als bei derjenigen von Art. 32 aOG. Finde das fristauslösende Ereignis innerhalb der Gerichtsferien statt, beginne die Frist daher (neu) am ersten Tag nach Ablauf der Gerichtsferien zu laufen (GVP 2007 Nr. 63).

      Es dient der Rechtssicherheit, wenn die Fristberechnung einheitlich erfolgt. Es war daher angezeigt, nach Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes die st. gallische Praxis zu überdenken und der (neuen) bundesgerichtlichen Rechtsprechung anzupassen. In diesem Zusammenhang ist ferner darauf hinzuweisen, dass die st. gallische Verwaltungsgerichtsbarkeit ihre Praxis ebenfalls der eidgenössischen angepasst hat

      (vgl. Entscheid der Verwaltungsrekurskommission vom 10. Januar 2007 [I/1-2006/192]). Schliesslich entspricht die heutige Praxis des Kantonsgerichts Art. 146 Abs. 1 der eidgenössischen Zivilprozessordnung, wonach bei Zustellung während des Stillstandes der Fristenlauf am ersten Tag nach Ende des Stillstandes beginnt.

      Aufgrund der seit 2007 geltenden Praxis des Kantonsgerichts wird somit bei Ansetzung einer Frist innerhalb der Gerichtsferien der erste Tag nach den Gerichtsferien bei der Fristberechnung mitgezählt.

    2. Die Verfügung der Vorinstanz vom 23. Dezember 2009 wurde dem Rechtsvertreter der Rekurrentin am 24. Dezember 2009, mithin während der Gerichtsferien, via Postfach zugestellt (vgl. Suchergebnis Track & Trace). Die zehntägige Rekursfrist begann demnach am ersten Tag nach Ablauf der Gerichtsferien, d.h. am 3. Januar 2010 (Art. 90 lit. b GerG), zu laufen und endete am 12. Januar 2010. Indem die Rekurrentin ihre Eingabe erst am 13. Januar 2010 der Post übergab (vgl. Stellungnahme vom 19.02.2010, 1), verpasste sie die Frist (Art. 84 Abs. 2 GerG).

  3. Für den Fall, dass die Rekursschrift nicht fristwahrend eingereicht worden sein sollte, beantragt die Rekurrentin die Wiederherstellung der Frist (Stellungnahme vom 19.02.2010, 1 f.).

    1. Eine Frist wird wiederhergestellt, wenn der Säumige ein unverschuldetes Hindernis als Ursache der Säumnis geltend macht. Die Wiederherstellung kann auch angeordnet werden, wenn den Säumigen ein leichtes Verschulden trifft oder wenn der Verfahrensgegner zustimmt (Art. 85 Abs. 1 und 2 GerG).

    2. Die Rekurrentin begründet ihr Wiederherstellungsgesuch namentlich damit, dass sie in guten Treuen auf die langjährige und gefestigte Kantonsgerichtspraxis vertraut habe.

      Damit macht die Rekurrentin Rechtsirrtum als Hindernis geltend. Blosse Unkenntnis von Rechtsregeln, insbesondere solcher verfahrensrechtlicher Natur, beziehungsweise ein Irrtum über deren Tragweite gibt indessen keinen Anlass zur Fristwiederherstellung (Amstutz/Arnold, Basler Kommentar, N 19 zu Art. 50 BGG). Anders verhält es sich nur, wenn die Säumnis im berechtigten Vertrauen auf eine konkrete und nicht ohne

      Weiteres als solche erkennbare unrichtige Auskunft oder Belehrung der zuständigen Behörde begründet ist. In einem solchen Fall kann sich eine Frist im Einzelfall entsprechend verlängern. Dabei handelt es sich jedoch um einen Anwendungsfall des verfasssungsmässigen Rechts auf Vertrauensschutz (Art. 9 BV), das unter anderem beinhaltet, dass falsche Auskünfte von Behörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden gebieten

      (z.B. falsche Rechtsmittelbelehrung; vgl. BGE 129 II 361 ff., 381 Erw. 7.1; BGE 117 Ia

      421 ff., 422 Erw. 2b).

      Nachdem die Praxisänderung ausdrücklich als solche bezeichnet und in der kantonalen Entscheidsammlung als GVP 2007 Nr. 63 publiziert ist (zur Bedeutung der Publikation vgl. BGE 134 III 534 ff. E. 3.2.3.3), durfte sich die Rekurrentin nicht auf den Hinweis im vor zehn Jahren erschienenen Kommentar von Leuenberger/Uffer-Tobler und die an dieser Stelle zitierten Entscheide verlassen.

    3. Weiter bringt der Rechtsvertreter der Rekurrentin vor, die Instruktion sei aufgrund des bekanntlich auch in Deutschland hängigen Verfahrens und des fortgeschrittenen Alters der Rekurrentin äusserst schwer koordinierbar (Stellungnahme vom 19.02.2010, 1 f.).

      Das Rechtsmittel wurde verspätet eingereicht, weil der Rechtsvertreter der Rekurrentin die Frist aufgrund der alten Praxis des Kantonsgerichts falsch berechnete und nicht weil ihm die notwendigen Informationen zur Verfassung der Rekursschrift gefehlt hätten. Zudem wäre nicht ersichtlich, inwiefern die Instruktion schwierig gewesen sein sollte: Die Rekurrentin wohnt in einer Altersresidenz im Kanton St. Gallen und war damit grundsätzlich erreichbar. Es wird nicht vorgebracht, eine Besprechung mit der Rekurrentin sei aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen. Des Weiteren wird nicht aufgezeigt, dass Informationen im Zusammenhang mit dem in Deutschland hängigen Verfahren ausstehend gewesen wären.

    4. Es ergibt sich, dass das Wiederherstellungsgesuch abzuweisen ist.

  4. Im Lichte dieser Erwägungen wurde der Rekurs nicht fristgerecht eingereicht und

es kann daher nicht darauf eingetreten werden.

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