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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:IV 2008/70
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2008/70 vom 17.06.2008 (SG)
Datum:17.06.2008
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 23 ATSG. Der Rückzug einer IV-Anmeldung, bevor der Leistungsanspruch verfügungsweise festgesetzt wurde, ist verfahrensmässig von einem Verzicht auf Leistungen i.S.v. Art. 23 ATSG zu unterscheiden. Art. 34 und 59 ATSG. Hat eine Krankenversicherung Vorleistungen erbracht, so erlangt sie im durch Anmeldung des Versicherten eingeleiteten IV-Verfahren Parteistellung. Deswegen liegt der Rückzug der Anmeldung nicht mehr im alleinigen Dispositionsbereich des Versicherten. Über ein allfälliges Abschreiben des Verfahrens hat die IV-Stelle auch gegenüber der Krankenversicherung formell korrekt zu verfügen (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 17. Juni 2008, IV 2008/70).
Schlagwörter : Sicher; Beschwerde; Verfügung; Beschwerdeführerin; Beschwerdegegnerin; Leistung; Versicherte; Rückzug; Versicherten; Anmeldung; Verfahren; Person; Versicherung; Krankenversicherung; Schreiben; Mitteilung; Partei; Rückzugs; Verzicht; Materiell; Interesse; Psychotherapie; Rückzugserklärung; Leistungen; Materielle; Schutzwürdige; Stellt; Erlass
Rechtsnorm: Art. 23 ATSG ; Art. 34 ATSG ; Art. 42 ATSG ; Art. 49 ATSG ; Art. 51 ATSG ; Art. 59 ATSG ; Art. 70 ATSG ;
Referenz BGE:126 V 149;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Präsident Franz Schlauri, Versicherungsrichterin Monika Gehrer-Hug, Versicherungsrichter Joachim Huber; Gerichtsschreiberin Miriam Lendfers

Entscheid vom 17. Juni 2008 in Sachen

SWICA Gesundheitsorganisation, Römerstrasse 38, 8401 Winterthur,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Maria Londis, c/o SWICA

Gesundheitsorganisation, Römerstrasse 38, 8401 Winterthur,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin, und

C. ,

Beigeladener, vertreten durch A. , betreffend

medizinische Massnahmen / Nichteintreten iS C.

Sachverhalt:

A.

    1. Die SWICA Gesundheitsorganisation als obligatorische Krankenversicherung erbrachte für C. , Jahrgang 1995, vom 15. Juni 2005 bis 31. Dezember 2006 Leistungen für Psychotherapie. Am 3. Mai 2007 meldete die Mutter des Versicherten diesen zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung für Versicherte vor dem

      20. Altersjahr an. Er habe psychologische Probleme, die Behinderung bestehe seit Geburt (IV-act. 1). Mit Schreiben vom 19. Juni 2007 beantragte die Mutter des Versicherten eine "Sistierung der IV-Anmeldung". Da die Therapie abgeschlossen sei, möchte sie die Anmeldung zurückziehen und die IV erst bei einem Rückfall in Anspruch nehmen (IV-act. 8). Ein Schreiben der IV-Stelle vom 25. Juni 2007 betreffend vorbehaltlose Rückzugserklärung unterzeichnete die Mutter des Versicherten am

      28. Juni 2007 (IV-act. 11). Mit Mitteilung vom 6. Juli 2007 bestätigte die IV-Stelle den Rückzug des Leistungsbegehrens. Dieses gelte als gegenstandslos abgeschrieben (IV- act. 12). Sowohl die Aufforderung zur Unterzeichnung der Rückzugserklärung als auch die Abschreibungsmitteilung vom 6. Juli 2007 stellte die IV-Stelle der Krankenversicherung in Kopie zur Kenntnis zu.

    2. Mit Schreiben vom 23. November 2007 beantragte die SWICA als vom Rückzug betroffene Krankenversicherung eine einsprachefähige Verfügung, um die Sachlage prüfen zu können (IV-act. 13). Die IV-Stelle teilte ihr daraufhin mit Schreiben vom

      18. Dezember 2007 mit, dass lediglich die Rückzugserklärung der Mutter des Versicherten als solche rechtsgestaltende Wirkung gehabt habe und ihr lediglich mit Mitteilung der Eingang der Rückzugserklärung bestätigt worden sei. Die Mitteilung sei zudem bereits seit längerem ergangen und somit gewissermassen in Rechtskraft erwachsen. Auf das mit Schreiben vom 23. November 2007 gestellte Wiedererwägungsgesuch trete man daher nicht ein (IV-act. 15). Die Krankenversicherung machte mit Schreiben vom 15. Januar 2008 geltend, die Mitteilung vom 6. Juli 2007 sei nicht rechtskraftfähig. Das Gesuch um eine Verfügung, um als vorleistende Krankenversicherung die Rechtslage prüfen zu können, sei daher von einem Wiedererwägungsgesuch zu unterscheiden. Da die Krankenversicherung für den Versicherten Leistungen für Psychotherapie übernommen habe, sei sie als betroffene Person berechtigt, in dieser Angelegenheit eine einsprachefähige Verfügung verlangen. Erneut ersuchte sie um Erlass einer Verfügung, andernfalls sie von einer Rechtsverweigerung ausgehe und das Versicherungsgericht anrufen werde (IV-act. 16).

    3. Am 29. Januar 2008 erliess die IV-Stelle eine Nichteintretensverfügung. Auf die Mitteilung vom 6. Juli 2007 komme sie nicht zurück. Weder liege eine pendente Anmeldung noch ein offenes IV-Verfahren vor, weshalb sie keine materielle Verfügung erlassen könne. Auch sei es nicht möglich, das Schreiben als Anmeldung entgegenzunehmen (act. G 1.1.1).

B.

B.a Gegen diese Verfügung richtet sich die Beschwerde der Krankenversicherung vom

1. Februar 2008. Die Verfügung vom 29. November 2008 sei für nichtig zu erklären. Die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, eine Verfügung betreffend Leistungspflicht für die Psychotherapie des Versicherten zu erlassen, alles unter Kostenfolge. Vom 15. Juni 2005 bis 31. Dezember 2006 habe sie Kosten für Psychotherapie von Fr. 10'034.- übernommen. Nach einem Jahr sei die Psychotherapie von der Invalidenversicherung zu übernehmen. Die Beschwerdeführerin als vorleistungspflichtige Krankenversicherung habe ein Interesse daran, dass die IV ihre Leistungspflicht prüfe

und diese bei Vorliegen der Voraussetzungen anerkenne, damit die Krankenversicherung ihre Vorleistungen zurückfordern könne. Daher habe sie, die Beschwerdeführerin, mit Schreiben vom 23. November 2007 erklärt, dass sie vom Rückzug betroffen sei, und eine Verfügung verlangt, um den Sachverhalt prüfen zu können. Die Erklärung eines Verzichts auf Versicherungsleistungen könne nicht ohne Berücksichtigung von Drittinteressen erfolgen. Möglich sei ein Verzicht nur, wenn keine schutzwürdigen Interessen entgegenstünden. Die Rechtsfolge der Beeinträchtigung von schutzwürdigen Interessen sei die Nichtigkeit des Gestaltungsaktes, also vorliegend der Rückzugserklärung. Die Beschwerdeführerin habe Anspruch auf eine Verfügung über die Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin, die sie einer gerichtlichen Beurteilung zuführen könne. Damit habe die Beschwerdegegnerin die Rückzugserklärung zu Unrecht entgegengenommen und das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben. Vielmehr sei sie nach wie vor verpflichtet, ihre Leistungspflicht für die Psychotherapie des Versicherten zu prüfen und bei deren Ablehnung eine einsprachefähige Verfügung zu erlassen (act. G 1).

    1. Die Beschwerdegegnerin beantragt in der Beschwerdeantwort vom 17. März 2008 die Abweisung der Beschwerde. Beim Rückzug einer Anmeldung werde dessen Erhalt schriftlich mit Mitteilung bestätigt. Nachdem die Mutter des Versicherten mit Schreiben vom 19. Juni 2007 mitgeteilt habe, dass die Therapie ihres Sohnes bereits abgeschlossen sei, habe man mit einiger Sicherheit davon ausgehen können, dass keine Drittinteressen betroffen gewesen seien. In Frage sei die Krankenversicherung gekommen, die ohnehin im ersten Behandlungsjahr die Kosten hätte übernehmen müssen. Trotzdem habe man die Beschwerdeführerin über den Rückzug der Anmeldung durch Zusendung einer Kopie der Mitteilung vom 6. Juli 2007 informiert. Die Beschwerdeführerin hätte die Möglichkeit gehabt, ein Begehren um Erlass einer formellen Verfügung zu stellen. Sie habe sich erst viereinhalb Monate nach Eingang der Mitteilung gemeldet. Dies könne sicher nicht mehr als rechtzeitig angesehen werden. Die Mitteilung vom 6. Juli 2007 sei infolge Zeitablaufs rechtsbeständig geworden. Das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 23. November 2007 sei deshalb zu Recht als Wiedererwägungsgesuch angesehen worden. Die Beschwerdegegnerin stellt sich auf den Standpunkt, sie habe gemäss den für die Wiedererwägung geltenden Regeln entscheiden dürfen, dass sie das Gesuch nicht behandle. Entsprechend habe sie der Beschwerdeführerin zu Recht mit einfachem Brief vom 18. Dezember 2007 mitgeteilt,

      dass sie auf das Wiedererwägungsgesuch nicht eintrete. Dies umso mehr, als die Beschwerdeführerin allein ihre Eigenschaft als Krankenversicherung des Versicherten als Grund für den Anspruch auf Erhalt einer Verfügung genannt und nicht konkret dargelegt habe, warum sie durch den Rückzug der Anmeldung betroffen sein solle. Erst im weiteren Schreiben vom 15. Januar 2008 habe die Beschwerdeführerin geltend gemacht, sie habe vom 15. Juni 2005 bis 31. Dezember 2006 Leistungen für Psychotherapie übernommen. Da nun aber die Anmeldung samt Rückzug und erfolgter Bestätigung erledigt gewesen sei und Rechtsbeständigkeit habe erlangen können, habe man das Schreiben weder als neue Anmeldung entgegennehmen können, noch habe man ein pendentes IV-Verfahren gehabt, das den Erlass einer materiellen Verfügung erlaubt hätte (act. G 4).

    2. In der Replik vom 1. April 2008 hält die Beschwerdeführerin an den Begehren gemäss Beschwerde fest. Der Rückzug einer Anmeldung sei nichtig, wenn er schutzwürdige Interessen von Drittpersonen tangiere. Ein nichtiger Akt könne jedoch entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin nicht in Rechtskraft erwachsen. Die Beschwerdegegnerin hätte die Rückzugserklärung nicht annehmen und das IV- Verfahren nicht abschliessen dürfen. Die Beschwerdegegnerin habe nach Erhalt des Rückzugs nicht geprüft, ob Drittinteressen verletzt seien. Dieses Versäumnis dürfe nicht zulasten von Drittinteressen gehen. Aus diesem Grund sei die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, materiell über den Anspruch des Versicherten auf Psychotherapie zu entscheiden (act. G 6).

    3. Die Beschwerdegegnerin hält mit Schreiben vom 7. April 2008 an ihrem Antrag fest und verzichtet auf weitere Ausführungen (act. G 8).

    4. Mit Schreiben vom 11. April 2008 wurde die Mutter des Versicherten zum Verfahren beigeladen und erhielt Gelegenheit, die Parteirechte wahrzunehmen (act. G 9). Die ihr dazu angesetzte Frist liess sie ungenutzt verstreichen.

Erwägungen:

1.

    1. In den Gesuchen vom 23. November 2007 und 15. Januar 2008 (IV-act. 13, 16) und in der Beschwerde verlangt die Beschwerdeführerin die Verpflichtung der Beschwerdegegnerin zur Weiterführung des Verwaltungsverfahrens bis zum Erlass einer materiellen Verfügung über den Leistungsanspruch des Versicherten. Streitig und im vorliegenden Verfahren zu überprüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin auf dieses Begehren zu Recht nicht eintrat. Ein Antrag auf Vornahme einer materiellen Prüfung und auf eine entsprechende Entscheidung des Gerichts liegt nicht vor.

    2. Verlangt werden die Aufhebung der Nichteintretensverfügung und die Verpflichtung der Beschwerdegegnerin zur Fortführung der materiellen Anspruchsprüfung. Das Nichteintreten begründet die Beschwerdegegnerin damit, die Gesuche der Beschwerdeführerin seien wegen der Rechtskraft des Gesuchsrückzugs des Versicherten als Wiedererwägungsgesuche zu behandeln. Es liegt auf der Hand, dass das Nichteintreten rechtswidrig wäre, wenn die Annahme einer Rechtsbeständigkeit des Gesuchsrückzugs nicht auf die Beschwerdeführerin ausgedehnt werden könnte.

2.

    1. Gemäss Art. 23 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) kann eine versicherte Person auf Versicherungsleistungen verzichten. Sie kann den Verzicht jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Nach Abs. 2 desselben Artikels sind Verzicht und Widerruf nichtig, wenn die schutzwürdigen Interessen von anderen Personen, von Versicherungen oder Fürsorgestellen beeinträchtigt werden oder wenn damit eine Umgehung gesetzlicher Vorschriften bezweckt wird. Der Versicherer hat der berechtigten Person Verzicht und Widerruf schriftlich zu bestätigen. In der Bestätigung sind Gegenstand, Umfang und Folgen des Verzichts und des Widerrufs festzuhalten (Art. 23 Abs. 3 ATSG). An der gestaltenden Wirkung der Erklärung seitens der berechtigten Person kann die Bestätigung des Versicherungsträgers nichts ändern (keine konstitutive Wirkung der Bestätigung; Kieser Ueli, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, Rz. 24 zu Art. 23). Im Hinblick auf die Nichtigkeit hat der Versicherungsträger vor Erlass der Bestätigung Abklärungen zu treffen, so zur Frage der Beeinträchtigung von schutzwürdigen Interessen (Kieser, a.a.O., Rz. 25 zu Art. 23).

    2. Das vom Bundesamt für Sozialversicherung herausgegebene Kreisschreiben über das Verfahren in der Invalidenversicherung (KSVI; nicht etwa das von der Beschwerdegegnerin zitierte KSRP) in der bis Ende 2007 gültigen Fassung hielt in

Rz. 1024 fest, die versicherte Person könne die Anmeldung zurückziehen, sofern nicht schutzwürdige Interessen der versicherten Person selbst oder anderer beteiligter Personen dem entgegenstünden. Rz. 1024 stand unter dem Titel "Rückzug der Anmeldung" und nicht "Verzicht auf Leistung", der ab der folgenden Randziffer behandelt wurde.

3.

    1. Die Parteien gehen zu Unrecht davon aus, dass Art. 23 ATSG auf den vorliegenden Fall anwendbar ist. Beim Rückzug der Anmeldung handelt es sich nicht um einen Verzicht auf Leistungen. Ein Verzicht kann dann nicht vorliegen, wenn eine Person nach der Anmeldung, aber vor dem Entscheid der Versicherung die Anmeldung zurückzieht; in diesem Fall geht es nur um mögliche, nicht um ausgewiesene Leistungsansprüche. Die Rückzugserklärung im Verwaltungsverfahren ist - wie die entsprechende Erklärung im Rechtsmittelverfahren - Ausfluss der Dispositionsmaxime, die es einer Person freistellt, ein Verfahren einzuleiten oder zu beenden (Thomas Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 3. Aufl., Bern 2003, S. 275 Rz. 17). Ein Verzicht im Sinne

      von Art. 23 ATSG kommt erst in Frage, wenn der Leistungsanspruch geprüft und darüber verfügt wurde. Nur auf eine zugesprochene, d.h. feststehende Leistung kann verzichtet werden (so auch Locher, a.a.O., S. 275 Rz. 18). In Bezug auf die Charakterisierung der Nichtanmeldung geht Kieser davon aus, dass durch Art. 23 nur der ausdrückliche Verzicht (und nicht der stillschweigende Verzicht durch Nichtanmeldung) geordnet werde (Kieser, a.a.O., Rz. 29 zu Art. 70; insofern wirkt Rz. 6 zu Art. 23 widersprüchlich, wird dort doch festgehalten, der Gesetzgeber habe den Leistungsverzicht durch Nichtanmeldung nicht ausschliessen wollen; betreffend Folgen der Nichtanmeldung hält auch Kieser Art. 23 ATSG jedenfalls nicht für anwendbar).

    2. Zu prüfen ist also, ob ausserhalb von Art. 23 ATSG eine Möglichkeit besteht, die schutzwürdigen Interessen von Dritten an einer Anmeldung bzw. der materiellen Prüfung einer Anmeldung zu berücksichtigen. Art. 70 ATSG bezeichnet u.a. eine Vorleistungspflicht der Krankenversicherung für Sachleistungen, deren Übernahme

      durch die Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Militärversicherung oder die Invalidenversicherung umstritten ist. Gemäss Art. 70 Abs. 3 ATSG hat sich die versicherte Person bei den in Frage kommenden Sozialversicherungen anzumelden. Als Parteien gelten nach Art. 34 ATSG neben Personen, die aus der Sozialversicherung Rechte oder Pflichten ableiten, Personen, Organisationen oder Behörden, denen ein Rechtsmittel gegen die Verfügung eines Versicherungsträgers oder eines ihm gleichgestellten Durchführungsorgans zusteht. Art. 59 ATSG legt wiederum fest, dass zur Beschwerde berechtigt ist, wer durch die angefochtene Verfügung oder den Einspracheentscheid berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Abänderung hat. So sind Verfügungen eines Versicherungsträgers, die die Leistungspflicht eines anderen Trägers berühren, auch diesem zu eröffnen. Er kann die gleichen Rechtsmittel ergreifen wie die versicherte Person (Art. 49 Abs. 4 ATSG).

    3. Im vorliegenden Fall erbrachte die Beschwerdeführerin für die Psychotherapie des Versicherten Vorleistungen. Es liegt ein Koordinationsfall vor. Durch eine Verfügung über die Ablehnung der Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin ist die Beschwerdeführerin direkt berührt; an deren Abänderung hat sie grundsätzlich ein schutzwürdiges Interesse. Im durch die Anmeldung des Versicherten in Gang gesetzten IV-Verfahren hat die Beschwerdeführerin somit aus Gründen der Leistungskoordination Parteistellung (Art. 49 Abs. 4 ATSG). Da also nicht der Versicherte alleine Partei war, lag es nicht mehr in seinem uneingeschränkten Dispositionsbereich, das Verfahren durch Rückzug seiner Anmeldung gänzlich abzubrechen. Die Beschwerdegegnerin konnte ihn nicht auf seinen Wunsch hin aus dem Verfahren entlassen und dieses (nur) ihm gegenüber als gegenstandslos abschreiben.

    4. Die Beschwerdegegnerin stellt sich auf den Standpunkt, die Rückzugserklärung der Mutter des Versicherten habe konstitutive Wirkung gehabt und sie habe den Eingang des Rückzugs lediglich noch formlos bestätigt. In diesem Zusammenhang verweist sie auf eine analoge Anwendung von Art. 51 ATSG. Gemäss dieser Bestimmung können Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die nicht unter Art. 49 Abs. 1 ATSG fallen, in einem formlosen Verfahren behandelt werden (Abs. 1), wobei die betroffene Person den Erlass einer Verfügung verlangen kann (Abs. 2).

      Art. 49 Abs. 1 ATSG wiederum kennt eine Verfügungspflicht für Leistungen,

      Forderungen und Anordnungen, die erheblich sind oder mit denen die betroffene

      Person nicht einverstanden ist. Die Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) regelt die Zusprache einiger Leistungen ohne Verfügung in Art. 74 ter für Fälle, in denen die Anspruchsvoraussetzungen offensichtlich erfüllt sind und den Begehren der Versicherten vollumfänglich entsprochen wird. Gemäss Art. 74quater IVV hat die IV- Stelle die nach Art. 74ter IVV gefassten Beschlüsse dem Versicherten schriftlich mitzuteilen und ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er den Erlass einer Verfügung verlangen kann, wenn er mit dem Beschluss nicht einverstanden ist.

    5. Da im vorliegenden Fall nicht nur der Versicherte, sondern auch die Beschwerdeführerin von einer allfälligen Abschreibung des Verfahrens betroffen war und auf der Hand liegt, dass letztere mit einer der materiellen Rechtslage widersprechenden Leistungsablehnung bzw. einer Abschreibung infolge Rückzugs nicht einverstanden wäre, hätte die Beschwerdegegnerin die Abschreibung korrekterweise förmlich verfügen und die Verfügung auch der Beschwerdeführerin als Partei eröffnen müssen. Davor wäre ein ordentliches Vorbescheidverfahren durchzuführen und den Parteien das rechtliche Gehör zu gewähren gewesen (vgl. Art. 57a des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung [IVG; SR 831.20] mit Verweis auf Art. 42 ATSG). Die anschliessend zu erlassende Verfügung wäre mit einer

      ordentlichen Rechtsmittelbelehrung zu versehen gewesen. Für die analoge Anwendung von Art. 51 ATSG bleibt somit kein Raum. Auch Art. 74ter IVV findet keine Anwendung. Zwar wird dort vom Begehren des "Versicherten" gesprochen; hat jedoch wie vorliegend noch ein Dritter Parteistellung, ist offensichtlich, dass dessen Interessen nicht ausgeklammert werden dürfen. Dies bedeutet, dass die Beschwerdegegnerin gegenüber der Beschwerdeführerin das Verfahren nur verfügungsweise hätte abschliessen dürfen.

    6. Selbst wenn man mit der Beschwerdegegnerin von einer analogen Anwendbarkeit von Art. 51 ATSG ausginge, könnte die Reaktion der Beschwerdeführerin im November 2007 nicht als verspätet betrachtet werden. Die Beschwerdegegnerin stellt sich auf den Standpunkt, die Beschwerdeführerin hätte gestützt auf die ihr als Orientierungskopie zugestellte Mitteilung vom 6. Juli 2007 in analoger Anwendung von Art. 51 Abs. 2

      ATSG eine anfechtbare Verfügung verlangen müssen. Sie habe sich erst am

      23. November 2007 gemeldet, was sicher nicht mehr als rechtzeitig angesehen werden

      könne. Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, eine Frist für das Begehren um Erlass

      einer formellen Verfügung festzulegen. Bei der Ausarbeitung von Art. 51 ATSG hatte der Bundesrat vorgeschlagen, eine Jahresfrist festzulegen (vgl. BBl 1994 V 949). Obwohl auf eine Festlegung schliesslich verzichtet wurde, vermerkte der Gesetzgeber, dass eine Frist von ungefähr einem Jahr der bisherigen Praxis und Rechtsprechung entspreche (vgl. BBl 1999 4610; Kieser, a.a.O., Rz. 12 zu Art. 51). Bei der Beurteilung, ob die Partei rechtzeitig eine Verfügung verlangte, ist auf die Verhältnisse im betreffenden Versicherungszweig und auf die Umstände des konkreten Falls abzustellen. Kriterien, die die Länge der Frist beeinflussen, sind etwa der Hinweis auf die Befugnis, eine formelle Verfügung zu verlangen, die Sachkunde der Partei, die Komplexität der Materie und das Verhalten des Versicherungsträgers (etwa die Frage, ob er den formlosen Entscheid begründet hat oder nicht; Kieser, a.a.O., Rz. 13 zu

      Art. 51).

    7. Vorliegend wurde die Beschwerdeführerin lediglich mit einer Orientierungskopie der Mitteilung vom 6. Juli 2007 bedient; sie wurde trotz Parteistellung nicht wie eine Partei behandelt. Die Mitteilung enthielt keinen Hinweis darauf, dass sie eine anfechtbare Verfügung verlangen könnte. Ebenso wenig drückte die Beschwerdegegnerin explizit aus, dass die Beschwerdeführerin nicht mehr mit einem förmlichen Abschluss des Verfahrens ihr gegenüber rechnen durfte, sodass der Leistungsanspruch des Versicherten und damit die Rückgriffsmöglichkeit der Beschwerdeführerin materiell ungeprüft bleiben würde. Bezogen auf die Beschwerdeführerin enthielt die formlose Mitteilung keinerlei Begründung. Zwar hat die Beschwerdeführerin als rechtskundig zu gelten; unter den konkreten Umständen kann der Beschwerdeführerin ein Versäumnis der Frist zum Verlangen einer anfechtbaren Verfügung über die Fortführung der materiellen Anspruchsprüfung aber jedenfalls nicht entgegen gehalten werden.

4.

    1. Gemäss den obenstehenden Erwägungen ist die Beschwerde unter Aufhebung des Nichteintretensentscheids gutzuheissen. Gegenüber der Beschwerdeführerin ist das Verfahren nicht rechtswirksam abgeschrieben und auch sonst nicht beendet worden. Die Beschwerdegegnerin ist verpflichtet, eine materielle Prüfung des Leistungsanspruchs des Versicherten vorzunehmen. Zu diesem Zweck ist die

      Streitsache an sie zurückzuweisen. Sie wird den Versicherten zum wieder zu eröffnenden Verfahren beiladen müssen, über die in Frage stehenden Leistungen für Psychotherapie die notwendigen Abklärungen treffen und anschliessend entscheiden.

    2. Das Beschwerdeverfahren ist kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von Fr. 200.- bis

      Fr. 1000.- festgelegt (Art. 69 Abs. 1bis IVG). Eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.- erscheint

      als angemessen. Die Beschwerdegegnerin unterliegt, sodass ihr als nicht von der Pflicht zur

      Übernahme amtlicher Kosten befreiter selbstständiger öffentlich-rechtlicher Anstalt die ganze Gerichtsgebühr aufzuerlegen ist. Der von der Beschwerdeführerin geleistete Kostenvorschuss von Fr. 600.- wird dieser zurückerstattet.

    3. Die obsiegende Krankenversicherung hat als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (BGE 126 V 149 Erw. 4a mit Hinweisen).

Demgemäss hat das Versicherungsgericht

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 53 GerG entschieden:

  1. Die Beschwerde wird unter Aufhebung der Verfügung vom 29. Januar 2008 gutgeheissen und die Sache im Sinne der Erwägungen zur Fortführung des Abklärungs- und Entscheidverfahrens an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

  2. Die Beschwerdegegnerin bezahlt eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.-.

  3. Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 600.- wird der Beschwerdeführerin

zurückerstattet.

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