E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Obergericht (BE)

Kopfdaten
Kanton:BE
Fallnummer:SK 2019 99
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid SK 2019 99 vom 17.02.2020 (BE)
Datum:17.02.2020
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:grobe Verletzung der Verkehrsregeln (Rechtsüberholen)
Schlagwörter : Schuldig; Beschuldigte; Fahren; Fahrzeug; Verkehr; Verkehrs; Beschuldigten; Überholspur; Gefahren; Fahrzeuge; Rechts; Verfahren; überholt; Urteil; Normalspur; Geschwindigkeit; überholen; Fahrende; Unterwegs; Verfahrens; Verkehrsteilnehmer; Hinter; Fahrenden; Weiter; Autobahn; Berufung; Polizeibeamten; Rechtsüberholen; Generalstaatsanwaltschaft
Rechtsnorm: Art. 35 SVG ; Art. 36 VRV ; Art. 398 StPO ; Art. 42 BGG ; Art. 426 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 44 SVG ; Art. 90 SVG ;
Referenz BGE:131 IV 133; 133 II 58; 142 IV 93;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
SK 2019 99 - grobe Verletzung der Verkehrsregeln (Rechtsüberholen)
Obergericht
des Kantons Bern

2. Strafkammer
Cour suprême
du canton de Berne

2e Chambre pénale

Hochschulstrasse 17
Postfach
3001 Bern
Telefon +41 31 635 48 08
Fax +41 31 634 50 54
obergericht-straf.bern@justice.be.ch
www.justice.be.ch/obergericht
Urteil
SK 19 99
Bern, 9. Dezember 2019



Besetzung Oberrichter Aebi (Präsident i.V.),
Oberrichterin Bratschi, Oberrichter Schmid
Gerichtsschreiber Neuenschwander



Verfahrensbeteiligte A.________
v.d. Rechtsanwalt B.________ und Rechtsanwalt C.________
Beschuldigte/Anschlussberufungsführerin
gegen
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, 3013 Bern
Berufungsführerin







Gegenstand Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz

Berufung gegen das Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland (Einzelgericht) vom 28. Januar 2019 (PEN 18 663)
Erwägungen:
I. Formelles
Erstinstanzliches Urteil
Mit Urteil vom 28. Januar 2019 erkannte das Regionalgericht Bern-Mittelland (Einzelgericht, nachfolgend Vorinstanz) was folgt (pag. 70 ff.; Hervorhebungen im Original):
I.
A.________ wird schuldig erklärt:
der einfachen Verkehrsregelverletzung, begangen am 11.04.2018 auf der Autobahn A6-Süd R Wichtrach, durch Rechtsüberholen
und in Anwendung der Art. 47, 106 StGB; Art. 35 Abs. 1, 90 Abs. 1 SVG; Art. 8 Abs. 3 Satz 2; 36 Abs. 5 VRV; Art. 426 Abs. 1 StPO
verurteilt:
1. Zu einer Übertretungsbusse von CHF 1‘000.00. Die Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung wird auf 10 Tage festgesetzt.
2. Zu den Verfahrenskosten, sich zusammensetzend aus Gebühren von CHF 1‘600.00 und Auslagen von CHF 135.00, insgesamt bestimmt auf CHF 1‘735.00.
Wird keine schriftliche Begründung verlangt, reduziert sich die Gebühr um CHF 600.00. Die reduzierten Verfahrenskosten betragen damit CHF 1‘135.00.
II.
Weiter wird verfügt:
[Eröffnungsformel]
Berufung
Gegen dieses Urteil meldete die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Bern-Mittelland, mit Eingabe vom 4. Februar fristgerecht Berufung an (pag. 77).
Die erstinstanzliche Urteilsbegründung datiert vom 6. März 2019 (pag. 80 ff.).
Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft von der Vorinstanz mit Verfügung vom 27. März 2019 mit einem Exemplar der Urteilsbegründung bedient worden war (pag. 110 f.), reichte sie am 11. April 2019 ihre Berufungserklärung ein (pag. 113 ff.). Darin focht sie das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich an.
Mit Eingabe vom 6. Mai 2019 (pag. 121 ff.) erhob A.________ (nachfolgend Beschuldigte), vertreten durch Rechtsanwalt C.________, Anschlussberufung und beantragte, sie sei zu einer Verbindungsbusse von CHF 500.00 zu verurteilen.
Mit dem Hinweis, der Umfang der Anschlussberufung und die Anträge (Verurteilung zu einer Verbindungsbusse) seien angesichts des erstinstanzlich ausgefällten Urteils (Übertretungsbusse) und der Anträge der Generalstaatsanwaltschaft unklar, räumte die Verfahrensleitung der Beschuldigten eine Frist zur Präzisierung der Anschlussberufung ein (Verfügung vom 7. Mai 2019, pag. 126 f.). Mit Eingabe vom 13. Mai 2019 (pag. 129 f.) präzisierte Rechtsanwalt C.________ das Begehren dahingehend, dass die Beschuldigte oberinstanzlich zu einer reduzierten Übertretungsbusse von CHF 500.00 zu verurteilen sei. Die Generalstaatsanwaltschaft, welcher die Verfahrensleitung die Möglichkeit einer Stellungnahme zu den von der Beschuldigten vorgenommenen Präzisierungen eingeräumt hatte, beantragte mit Eingabe vom 24. Mai 2019, auf die Anschlussberufung der Beschuldigten sei nicht einzutreten, eventuell sei insoweit darauf einzutreten, als dass sie im Strafpunkt auf eine Übertretungsbusse von CHF 500.00 schliesse (pag. 135 ff.).
Mit Verfügung vom 28. Mai 2019 trat die Verfahrensleitung insoweit auf die Anschlussberufung der Beschuldigten ein, als sie sich auf den Sanktionspunkt beschränkte und damit eine (reduzierte) Übertretungsbusse von CHF 500.00 beantragt wurde (pag. 138 ff.).
Schriftliches Verfahren
Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist das Urteil eines Einzelgerichts. Art. 406 Abs. 2 lit. b der Schweizerischen Strafprozessordung (StPO; SR 312.0) sieht für diesen Fall die Möglichkeit der Durchführung eines schriftlichen Verfahrens vor. Da ein entsprechender Antrag bereits von der Generalstaatsanwaltschaft gestellt worden war (pag. 115) und die Beschuldigte ihr Einverständnis kundgetan hatte (pag. 123), ordnete die Verfahrensleitung mit Verfügung vom 28. Mai 2019 die Behandlung im schriftlichen Verfahren an (pag. 138 f.).
Die Berufungsbegründung der Generalstaatsanwaltschaft datiert vom 5. Juli 2019 (pag. 155 ff.). Dazu nahm die Beschuldigte mit Eingabe vom 19. August 2019 Stellung (pag. 169 ff.). Sowohl die Generalstaatsanwaltschaft (Replik vom 9. September 2019, pag. 182 ff.) als auch die Beschuldigte (Duplik vom 1. Oktober 2019, pag. 190) äusserten sich je erneut zu den Argumenten der jeweils anderen Partei.
Praxisgemäss holte die Kammer im Hinblick auf das schriftliche Urteil von Amtes wegen einen Strafregisterauszug (datierend vom 29. Mai 2019, pag. 141) über die Beschuldigte ein.
Anträge der Parteien
In ihrer Berufungsbegründung vom 5. Juli 2019 stellte die Generalstaatsanwaltschaft folgende Anträge (pag. 155):
1. Die Beschuldigte sei wegen grober Verkehrsregelverletzung schuldig zu erklären.
2. Sie sei mit einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je CHF 90.00, ausmachend CHF 1‘350.00 zu bestrafen. Der Vollzug der Geldstrafe sei aufzuschieben unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren.
3. Weiter sei die Beschuldigte mit einer Verbindungsbusse von CHF 500.00 zu bestrafen, bei schuldhaftem Nichtbezahlen ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von 3 Tagen.
4. Die Kosten des erst- und oberinstanzlichen Verfahrens seien der Beschuldigten aufzuerlegen.
Die Beschuldigte liess in ihrer Stellungnahme vom 19. August 2019 dagegen folgende Anträge stellen (pag. 170):
Anträge zur Berufung der Generalstaatsanwaltschaft
1. Die Berufung der Generalstaatsanwaltschaft sei dahingehend teilweise gutzuheissen, als die Beschuldigte mit einer Übertretungsbusse von CHF 500.00 zu bestrafen sei, bei schuldhaften Nichtbezahlen ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von 3 Tagen.
2. Im Übrigen sei die Berufung der Generalstaatsanwaltschaft abzuweisen
• unter Kosten- und Entschädigungsfolgen
Antrag Anschlussberufung
1. In teilweiser Gutheissung der Anschlussberufung sei das erstinstanzliche Urteil dahingehend abzuändern, als die Beschuldigte mit einer Übertretungsbusse von CHF 500.00 zu bestrafen sei, bei schuldhaften Nichtbezahlen ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von 3 Tagen.
• unter Kosten- und Entschädigungsfolgen
Verfahrensgegenstand und Kognition der Kammer
Angesichts der vollumfänglichen Berufung durch die Generalstaatsanwaltschaft hat die Kammer das erstinstanzliche Urteil gesamthaft zu überprüfen. Dabei kommt ihr in Anwendung von Art. 398 Abs. 3 StPO volle Kognition zu. Insbesondere ist auch eine strengere Bestrafung der Beschuldigten möglich.
II. Sachverhalt und Beweiswürdigung
Vorwurf gemäss Anklage
Nach Art. 356 Abs. 1 Satz 2 StPO gilt vorliegend der Strafbefehl vom 11. Juni 2018 als Anklageschrift. Darin wird der Beschuldigen das folgende Verhalten vorgeworfen (pag. 9):
Die Beschuldigte fuhr auf der A6 von Bern herkommend auf dem Überholstreifen hinter einem anderen Fahrzeug her. Die Beschuldigte wechselte auf den Normalstreifen, überholte das Fahrzeug vor ihr rechts und wechselte anschliessend wieder auf die Überholspur. Dadurch nahm die Beschuldigte eine erhöhte Gefährdung der Sicherheit des rechts überholten Fahrzeuglenkers in Kauf, da dieser nicht damit rechnen musste, auf der Autobahn rechts überholt zu werden.
Allgemeine Grundlagen der Beweiswürdigung und zugängliche Beweismittel
Für die allgemeinen Grundlagen der Beweiswürdigung ist auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz (S. 5 f. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung, pag. 84 f.) zu verweisen.
Weiter fasste die Vorinstanz auch die zugänglichen Beweismittel vollständig und zutreffend zusammen (S. 8 ff. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung, pag. 87 ff.). Es sind dies neben dem Anzeigerapport vom 19. April 2018 (pag. 1 f.) die Aussagen der Beschuldigten (vom 28. Januar 2019, pag. 64 ff.) und der beiden Polizeibeamten D.________ und E.________ (ebenfalls vom 28. Januar 2019, pag. 57 ff. und 61 ff.).
Die Kammer geht im Rahmen der nachstehenden Beweiswürdigung direkt auf die Beweismittel ein, soweit sie für die Beurteilung des Sachverhalts relevant erscheinen.
Unbestrittener und bestrittener Sachverhalt
Wie bereits von der Vorinstanz zutreffend festgehalten, ist vorliegend unbestritten, dass die Beschuldigte als Lenkerin des Personenwagens VD .________ am 11. April 2018 um ca. 16:15 Uhr auf der Autobahn A6-Süd von Bern in Richtung Wichtrach unterwegs war. Die Beschuldigte bestreitet ferner nicht, dabei von der Überholspur auf die Normalspur gewechselt (pag. 65 Z. 10-11, 34-35; 66 Z 6), dort rechts an einem bis zwei Fahrzeugen vorbeigefahren zu sein (pag. 57 Z. 23-25; 61 Z. 21-22; 66 Z. 7; 68) und anschliessend wieder auf die Überholspur gewechselt zu haben (pag. 65 Z. 11-12; 66 Z. 8-10).
Bestritten ist auf der Ebene des Sachverhalts einerseits die Tempogestaltung der Beschuldigten, als sie auf der Normalspur rechts an den auf der Überholspur zirkulierenden Fahrzeugen vorbeifuhr. Andererseits sind Zeitpunkt und Grund für den erneuten Wechsel der Beschuldigten auf die Überholspur umstritten.
Beweiswürdigung durch die Kammer
0.1 Zu den Aussagen der Polizeibeamten
Die Zeugen D.________ und E.________ schilderten einen in sich stimmigen und in den Kernpunkten übereinstimmenden Ablauf des Geschehens. Sie hielten sich mit Belastungen zurück, was für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen spricht. So scheint vor dem Hintergrund der seit dem Vorfall vergangenen Zeit nachvollziehbar, dass die Polizisten die von der Beschuldigten gefahrene Geschwindigkeit nicht mehr absolut beziffern konnten (Polizist D.________: pag. 57 Z. 18 f. und pag. 59 Z. 13-15). Polizist D.________ machte aber insofern einleuchtende Ausführungen, als er das Tempo der Beschuldigten bzw. des Patrouillenfahrzeugs ins Verhältnis zu der von den übrigen Verkehrsteilnehmern gefahrenen Geschwindigkeit setzte und den Ablauf des Manövers anhand von teilweise ausgefallenen Details rekonstruierte. Konkret rekapitulierte er zusammengefasst, er und Kollege E.________ seien zunächst auf dem rechten Fahrstreifen unterwegs gewesen und dort von der Beschuldigten (links) überholt worden (pag. 57 Z. 14 f.). Als sie anschliessend auf den Überholstreifen gewechselt hätten, seien sie unmittelbar hinter der Beschuldigten gefahren (pag. 57 Z. 14 und 15). Vor der letzteren seien vier bis fünf Fahrzeuge (auf der Überholspur) unterwegs gewesen, wobei es sich beim letzten um ein «Kastenfahrzeug» der Arbeitsmarktkontrolle des Kantons Bern gehandelt habe (pag. 57 Z. 15-17). Auf der Normalspur habe es ein bis zwei Fahrzeuge gehabt (pag. 57 Z. 17-18). Auch wenn er sich an die genaue Geschwindigkeit nicht mehr erinnern könne, so Polizist D.________ weiter, könne er doch sagen, dass es vorwärts gegangen sei und sie die Fahrzeuge auf dem Normalstreifen überholt hätten (pag. 57 Z. 19-20). Zum anschliessenden Manöver der Beschuldigten führte er weiter aus, sie hätten festgestellt, dass das Auto vor ihnen (dasjenige der Beschuldigten) ziemlich nahe aufgefahren sei; auch die Fahrzeuge vor ihr seien zunächst nahe beieinander gefahren (pag. 57 Z. 20-22). Als sich die Autos ein wenig «auseinandergezogen» hätten, habe die Beschuldigte rechts ausgeschwenkt, das Fahrzeug der Arbeitsmarktkontrolle rechts überholt und unmittelbar vor diesem wieder auf die Überholspur eingeschwenkt. An ein Blinkzeichen seitens der Beschuldigten könne er sich nicht erinnern (pag. 57 Z. 23-26). Polizist D.________ konkretisierte, er wisse einfach, dass die Autos vor ihnen ziemlich aufgestaut gewesen seien. Das Tempo sei daher kurz langsamer gewesen. Die kurze Aufstauung habe sich aber schnell wieder aufgelöst (pag. 58 Z. 13-15). Nach kurzem Überlegen gab Polizist D.________ schliesslich an, er sei der Ansicht, die Beschuldigte habe beschleunigen müssen, um den Kastenwagen überholen zu können; es sei aber relativ schnell gegangen (pag. 57 Z. 28-33).
Polizist E.________, der sich erst nach der Lektüre des Anzeigerapports wieder an den Vorfall erinnern konnte (pag. 61 Z. 9-11), gab ergänzend an, die Beschuldigte habe links geblinkt, sei danach rechts rüber, habe das Fahrzeug überholt und sei wieder links rein. Dies hätten sie so festgestellt und sich gedacht, dies könne nicht sein, weshalb sie die Beschuldigte in F.________(Ortschaft) angehalten hätten (pag. 61 Z. 20-23). Originell knüpfte Polizist E.________ seine Aussage zum Blinker an die Erinnerung, dass er damals nach dem französischen Wort für «Blinker» gesucht habe (pag. 61 Z. 23 f.). Zur damaligen Verkehrssituation gab er an, der Vorfall habe sich zwischen 16.00 Uhr und 17.00 Uhr ereignet, daher habe es schon Verkehr gehabt. Dies habe dazu geführt, dass es zwischendurch langsamer vorangegangen sei (pag. 61 Z. 28-30).
0.2 Zu den Aussagen und Vorbringen der Beschuldigten
Anders als die Ausführungen der Polizeibeamten, sind die Schilderungen der Beschuldigten zum Sachverhalt nicht überzeugend. Namentlich ihre Angaben zu dem auf den beiden Fahrspuren gefahrenen Tempo ergeben wenig Sinn. Eingangs der Befragung vor der Vorinstanz gab sie an, sie sei zunächst auf der rechten Fahrspur mit ca. 80 km/h unterwegs gewesen. Anschliessend habe sie einen Bus und einen Lieferwagen überholt und sei wieder zurück auf die rechte Fahrspur. Sie sei langsam gefahren (pag. 65 Z. 1-4). Ihre langsame Fahrt erklärte sie damit, dass sie die Gegend nicht gekannt und sich darum auf das GPS konzentriert habe (pag. 64 Z. 29-31). Sie habe geblinkt und sei auf die linke Spur gefahren. Die Autos vor ihr seien mit ca. 80 bis 85 km/h gefahren (pag. 65 Z. 6-7). Vor ihr seien zwei schwarze VW’s gewesen, davon ein Tiguan, die mit 70 bis 80 km/h unterwegs gewesen seien (pag. 65 Z. 7-9). Da diese Autos nicht so schnell gefahren seien, habe sie wieder zurück auf die rechte Spur gewechselt und sei dort weitergefahren. Bei der nächsten Autobahnauffahrt sei ein Bus gekommen, was sie dazu veranlasst habe, auf die linke Spur zu fahren (pag. 65 Z. 10-12). Auf erneute Aufforderung konkretisierte sie ihre Fahrt auf dem linken Fahrstreifen dahingehend, dass die Fahrzeuge vor ihr langsam gefahren seien, obwohl es Platz gehabt habe. Sie sei weiterhin auf der linken Spur gefahren, zwischen 85 und 90 km/h. Dann habe sie auf die rechte Fahrspur gewechselt und sei so weitergefahren, bis sie für den von der Auffahrt herkommenden Bus Platz gemacht habe (pag. 65 Z. 26-30). Sie sei den beiden VW’s mindestens 10 Minuten lang hinterhergefahren und habe dabei weiterhin geblinkt, das mache sie so (pag. 65 Z. 32-33). Der Abstand sei gerade so gewesen, dass ein weiteres Fahrzeug zwischen ihnen Platz gehabt hätte; er sei immer gleich gewesen (pag. 65 Z. 33-34). Da die beiden Fahrzeuge weiterhin gleich gefahren seien, habe sie auf die rechte Fahrspur gewechselt. Dort habe sie nicht sofort beschleunigt, sondern sei einfach mit 90 km/h weitergefahren (pag. 65 Z. 34-36).
Wie die Fahrzeuge auf der Überholspur mit 70-80 km/h «immer gleich» gefahren sein sollen, während die Beschuldigte ihnen mit 80-85 km/h folgte, ist nicht nachvollziehbar. Unmöglich ist weiter, dass die Beschuldigte auf der Normalspur rechts an den Fahrzeugen auf der Überholspur vorbeigefahren sein konnte, wenn die Fahrzeuge auf beiden Fahrspuren ihre Geschwindigkeit beibehielten, wie dies von der Beschuldigten geschildert wurde. Von der Gerichtspräsidentin auf diesen Widerspruch angesprochen, korrigierte sich die Beschuldigte denn auch spontan und sagte, die Geschwindigkeit «der beiden Fahrzeuge» (vermutlich gemeint: diejenige der beiden schwarzen VW’s) habe bei 70 km/h gelegen und sie ergänzte, sie habe nach ihrem Wechsel auf die rechte Fahrspur auf 90 km/h beschleunigt (pag. 66 Z. 5-7).
Anders als noch bei der Begründung der Einsprache, wo die Beschuldigte vorbrachte, sie sei unter Beibehaltung ihres Tempos rechts an den Fahrzeugen auf der Überholspur vorbeigefahren, bringt die Verteidigung im oberinstanzlichen Verfahren vor, die Beschuldigte habe sich mit einer «leichten Beschleunigung» an den mit massiv untersetztem Tempo auf der Überholspur zirkulierenden Fahrzeugen vorbeigeschoben (S. 3 der Berufungsbegründung vom 19. August 2019, pag. 171). Angesichts der gleichzeitig geltend gemachten lockeren Verkehrsverhältnisse erscheint eine derart tiefe bzw. weit unter der signalisierten Höchstgeschwindigkeit liegende Geschwindigkeit der Fahrzeuge auf der Überholspur, wie sie seitens der Beschuldigten gegen Ende ihrer Befragung behauptet wurde, wenig wahrscheinlich. Dies hätte auch von den unmittelbar hinter der Beschuldigten fahrenden Polizeibeamten wahrgenommen werden müssen, welche ihrerseits aber nur von kurzzeitigen, sich schnell auflösenden Verkehrsverdichtungen sprachen. Ferner wäre diesfalls zu erwarten gewesen, dass die Beschuldigte während den zehn Minuten, die sie in gleichbleibendem Tempo hinter den Fahrzeugen auf der Überholspur gefahren sein will, von zahlreichen Fahrzeugen auf der Normalspur - wo sie nach eigenen Angaben kurz zuvor mit 80 km/h unterwegs war - überholt worden wäre. Entsprechendes wurde aber weder von den Polizeibeamten noch von der Beschuldigten selber vorgebracht. Auch von einer «leichten» Beschleunigung kann nicht mehr gesprochen werden, wenn man bedenkt, auf welcher Strecke die Beschuldigte die von ihr geschätzte Tempodifferenz von 20 km/h erreicht haben musste. So gab sie in diesem Zusammenhang an, sie sei konstant mit einem Abstand von einer Fahrzeuglänge - und damit sehr nahe - hinter den Verkehrsteilnehmern auf der Überholspur unterwegs gewesen, bevor sie zu ihrem Überholmanöver angesetzt habe.
Soweit die Beschuldigte anlässlich ihrer Befragung vor der Vorinstanz (zumindest implizit) vorbrachte, auf der Überholspur seien nicht die Polizeibeamten hinter ihr, sondern umgekehrt sie hinter den Polizeibeamten (welche nach übereinstimmenden Angaben mit einem VW Tiguan unterwegs waren) hergefahren, kann ihr nicht gefolgt werden. So schildern die Polizeibeamten den Ablauf - wie ausgeführt - nachvollziehbar aus einer anderen Perspektive. Dass die Polizeibeamten die Beschuldigte mit einem anderen Fahrzeug verwechselt und zusätzlich ein sie rechtsseitig passierendes Fahrzeug übersehen haben könnten, erscheint mit Blick auf Ort und Zeit des von beiden Seiten geschilderten Manövers und den Umstand, dass kurz darauf die Beschuldigte angehalten wurde, ausgeschlossen. Polizist E.________ gab denn auch explizit an, sie selber seien nicht rechts überholt worden (pag. 62 Z. 6-8). Sollte vor der Beschuldigten ein VW Tiguan unterwegs gewesen sein, handelte es sich dabei nicht um das von den Polizeibeamten gelenkte Fahrzeug.
Auf Vorhalt des im Strassenverkehr grundsätzlich geltenden Rechtsüberholverbots gab die Beschuldigte gegenüber der Vorinstanz zusammengefasst an, die Fahrzeuge auf der Überholspur seien mit massiv untersetzter Geschwindigkeit unterwegs gewesen, wogegen niemand auf dem Normalstreifen gefahren sei. Sie wüsste nicht, wieso sie (in dieser Situation) hinter den langsamen Fahrzeugen hätte herfahren sollen (pag. 66 Z. 15-19). Damit brachte die Beschuldigte deutlich zum Ausdruck, dass sie die Überholspur mit dem Ziel verliess, das vor ihr fahrende Fahrzeug unter Inanspruchnahme der Normalspur hinter sich zu lassen, weil es sich mit einer ihr nicht genehmen bzw. zu tiefen Geschwindigkeit fortbewegte. Darauf deutet im Übrigen auch die konstante Betätigung des linken Blinkers, wie es von Polizist E.________ beschrieben und von der Beschuldigten eingestanden wurde, hin.
0.3 Gesamtwürdigung und erstellter Sachverhalt
Gestützt auf die übereinstimmenden Aussagen der Parteien geht die Kammer zum Tatzeitpunkt von einer «normalen», mithin mehrheitlich flüssigen Verkehrssituation aus (Beschuldigte: pag. 64 Z. 31; D.________ pag. 57 Z.17-20; E.________: pag. 61 Z. 29). Allfällige Rückstauungen lösten sich rasch auf und führten nicht dazu, dass die Fahrzeuge auf der Normalspur schneller vorankamen, als jene auf der Überholspur. Was den weiteren Ablauf des Manövers angeht, folgt die Kammer - wie im Wesentlichen bereits die Vorinstanz - den als glaubhaft erachteten Aussagen der Polizeibeamten. Im Einzelnen ist somit davon auszugehen, dass die Beschuldigte zunächst auf der Überholspur links an den Polizeibeamten vorbeifuhr, als diese auf der Normalspur unterwegs waren. Anschliessend wechselten auch die Polizeibeamten unmittelbar hinter die Beschuldigte auf die Überholspur. Dort folgte die Beschuldigte einer Gruppe von ca. vier Fahrzeugen nach eigenen Angaben mit einem Abstand von einer Fahrzeuglänge und hatte (durchwegs) den linken Blinker aktiviert. Auch wenn das zum Tatzeitpunkt auf dem Streckenabschnitt gefahrene Tempo nicht mehr rekonstruiert werden kann, ist immerhin festzuhalten, dass der Verkehr grösstenteils flüssig voranging und die Fahrzeuge auf der Überholspur schneller fuhren als jene auf der Normalspur, wo die Beschuldigte kurz zuvor mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h unterwegs war. Als sich zwischen den zuvor dicht hintereinander fahrenden Fahrzeugen vor der Beschuldigten eine Lücke abzeichnete, schwenkte die Beschuldigte - unter stetiger Betätigung des linken Blinkers - rechts auf die Normalspur aus, beschleunigte ihr Fahrzeug und fuhr mit einer Tempodifferenz von 20 km/h rechts an mindestens einem Fahrzeug vorbei, bevor sie sich wieder auf der Überholspur einordnete und dort ihre Fahrt fortsetzte.
III. Rechtliche Würdigung
Rechtsüberholen vs. Rechtsvorfahren
0.1 Rechtliche Grundlagen
Nach Art. 35 Abs. 1 SVG ist links zu überholen, woraus sich das Verbot des Rechtsüberholens ergibt. Von einem Überholvorgang ist auszugehen, wenn ein Fahrzeug ein in gleicher Richtung vorausfahrendes einholt, an ihm vorbeifährt und vor ihm die Fahrt fortsetzt, wobei weder das Ausschwenken noch das Wiedereinbiegen eine notwendige Voraussetzung des Überholens bildet (BGE 133 II 58 E. 4, übersetzt in Pra 96 [2007] Nr. 107). Ausnahmen vom Verbot des Rechtsüberholens und damit des erlaubten Rechtsvorfahrens regeln Art. 8 Abs. 3 der Verkehrsregelverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11) allgemein und Art. 36 Abs. 5 VRV für das Fahren auf Autobahnen und Autostrassen.
Art. 36 Abs. 5 lit. a VRV erlaubt das Rechtsvorfahren auf Autobahnen «beim Fahren in parallelen Kolonnen». Gestattet ist, allenfalls unter Wechsel des Fahrstreifens, rechts an anderen Fahrzeugen vorbeizufahren, wenn dies ohne Behinderung des übrigen Verkehrs möglich ist (vgl. Art. 44 Abs. 1 SVG; BGE 133 II 58 E. 4 mit Hinweisen). Das Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen ist hingegen gemäss Art. 8 Abs. 3 Satz 2 VRV ausdrücklich untersagt. Beim Fahren in parallelen Kolonnen auf Autobahnen darf deshalb in keinem Fall durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen rechts überholt werden. Dies ist namentlich der Fall, wenn ein Fahrzeuglenker die Lücken in den parallelen Kolonnen ausnützt, um auf der rechten Fahrbahn zu überholen (BGE 142 IV 93 E. 3.3 mit Hinweisen).
Im erwähnten BGE 142 IV 93 präzisierte das Bundesgericht den Begriff des Kolonnenverkehrs und der damit verbundenen Gefahrenbewertung unterschiedlicher Geschwindigkeiten auf einzelnen Fahrspuren. An der Unterscheidung zwischen dem grundsätzlichen Verbot, (auf Autobahnen) rechts zu überholen und dem erlaubten (passiven) Rechtsvorfahren, hielt es dagegen fest. Nach der Rechtsprechung setzt paralleler Kolonnenverkehr dichten Verkehr auf beiden Fahrspuren, somit ein längeres Nebeneinanderfahren von mehreren sich in gleicher Richtung bewegenden Fahrzeugreihen voraus (BGE 142 IV 93 E. 3.3; 124 IV 219 E. 3a S. 222; Urteile 6B_1423/2017 vom 9. Mai 2018 E. 2.1.2 und 6B_208/2019 vom 13. September 2019 E. 1.2.1 je mit Hinweisen). Kolonnenverkehr ist anhand der konkreten Verkehrssituation zu bestimmen und zu bejahen, wenn es auf der (linken und/oder mittleren) Überholspur zu einer derartigen Verkehrsverdichtung kommt, dass die auf der Überhol- und der Normalspur gefahrenen Geschwindigkeiten annähernd gleich sind (BGE 142 IV 93 E. 4.2.1; Urteil 6B_208/2019 vom 13. September 2019 E. 1.2.1).
0.2 Einordung des vorliegenden Falls
Die Beschuldigte behauptet - anders als noch in ihrer Einsprache - oberinstanzlich nicht mehr, ihr Verhalten sei nicht als Überholmanöver zu qualifizieren (S. 4 [Ziff. 2] der Berufungsbegründung, pag. 172). Dies ist nicht zu beanstanden. So herrschte zum Tatzeitpunkt kein paralleler Kolonnenverkehr. Auch wenn es auf der Überholspur gemäss den Aussagen der Polizeibeamten teilweise zu tempolimitierenden Rückstauungen kam, waren diese nur von kurzer Dauer und führten nicht dazu, dass die Verkehrsteilnehmer auf der Normalspur annähernd gleich schnell oder gar schneller unterwegs gewesen wären. Die Beschuldigte verhielt sich weiter nicht passiv, wie dies für die Bejahung eines Rechtsvorfahrens vorausgesetzt wäre. Sie verliess die Überholspur mit dem Ziel, den vor ihr fahrenden Verkehrsteilnehmer hinter sich zu lassen. Nach dem Erreichen der Normalspur beschleunigte die Beschuldigte sodann aktiv und setzte vor den überholten Fahrzeugen wieder zurück auf die Überholspur. Das Manöver der Beschuldigten ist als Rechtsüberholen im Sinne der vorgenannten Bestimmungen zu qualifizieren.
Zur groben Verkehrsregelverletzung
0.3 Grundlagen
Nach Art. 90 Abs. 2 des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958 (SVG; SR 741.01) wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. In objektiver Hinsicht setzt die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung eine ernsthafte Gefährdung der Verkehrssicherheit voraus. Dabei genügt eine erhöhte abstrakte Gefährdung. Wesentliches Kriterium für die Annahme einer erhöhten abstrakten Gefahr ist die Nähe der Verwirklichung. Die allgemeine Möglichkeit der Verwirklichung einer Gefahr genügt demnach nur zur Erfüllung des Tatbestands von Art. 90 Abs. 2 SVG, wenn in Anbetracht der Umstände der Eintritt einer konkreten Gefährdung oder gar einer Verletzung naheliegt (BGE 142 IV 93 E. 3.1; 131 IV 133 E. 3.2 je mit Hinweisen).
Subjektiv erfordert der Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, mithin ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit (BGE 131 IV 133 E. 3.2 mit Hinweisen). Je schwerer die Verkehrsregelverletzung objektiv wiegt, desto eher wird Rücksichtslosigkeit subjektiv zu bejahen sein, sofern keine besonderen Gegenindizien vorliegen (BGE 142 IV 93 E. 3.1 mit Hinweisen). Rücksichtslosigkeit im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG ist bloss mit Zurückhaltung anzunehmen. Insbesondere darf nicht unbesehen von einer objektiven auf eine subjektiv schwere Verkehrsregelverletzung geschlossen werden. Nicht jede Unaufmerksamkeit, die wegen der Schwere des Erfolgs objektiv als gravierende Verletzung der Vorsichtspflicht zu betrachten ist, wiegt auch subjektiv schwer (BGE 142 IV 93 E. 3.1 mit Hinweisen).
0.4 Einordnung des zu beurteilenden Vorfalls
0.4.1 Vorbringen der Beschuldigten
Die Beschuldigte bringt vor, sie habe mit ihrem Verhalten weder eine konkrete, noch eine erhöhte abstrakte Gefahr für die übrigen Verkehrsteilnehmer geschaffen. Sie stützt ihre Einschätzung diesbezüglich im Einzelnen auf das auf dem besagten Streckenabschnitt wenig dichte Verkehrsaufkommen und die gefahrenen (tiefen) Geschwindigkeiten. Das von ihr gelenkte Fahrzeug sei zwar neben den auf der Überholspur fahrenden Fahrzeugen aufgetaucht, dies jedoch nicht plötzlich und unvermittelt mit hoher Geschwindigkeit, wie dies für die Bejahung einer abstrakt erhöhten Gefahrensituation erforderlich sei. Die auf der Überholspur fahrenden Fahrzeuglenker hätten sich weiter nicht darauf verlassen dürfen, ohne Blinkzeichen und Überprüfen der Verkehrslage blind auf die rechte Fahrspur zurück zu wechseln. Sie wären bei einem Spurwechsel nicht vortrittsberechtigt, sondern vortrittsbelastet gewesen. Dies gelte umso mehr, da auch auf der Autobahn grundsätzlich, wie es vorliegend möglich gewesen wäre, die rechte Fahrspur zu benutzen sei. Es bestehe daher kein Raum für eine Gefährlichkeitsbeurteilung aufgrund von hypothetischen Szenarien eines denkbaren Fehlverhaltens der durch den Überholvorgang irritierten Fahrzeuglenker.
Auch das für die Erfüllung des subjektiven Tatbestands erforderliche rücksichtslose oder sonst schwerwiegende verkehrswidrige Verhalten sei nicht gegeben. Vielmehr lägen triftige Gründe vor, welche ihr Verhalten subjektiv weniger schwer erscheinen liessen. Da sie während längerer Zeit hinter notorischen Linksfahrern hergefahren sei, habe sie davon ausgehen dürfen, diese würden (auch bei ihrem Überholmanöver) auf ihrer Spur bleiben und die von ihr benutzte rechte Spur freilassen. Sie (die Beschuldigte) habe sich vor dem Wechsel der Fahrspur vergewissert, dass die rechte Spur frei gewesen sei. Angesichts der gefahrenen Geschwindigkeit habe sie nicht gedankenlos gehandelt oder ein sich aufdrängendes Risiko ausgeblendet. Vielmehr sei sie davon ausgegangen, alles richtig gemacht zu haben.
0.4.2 Erwägungen der Kammer
Das Verbot des Rechtsüberholens auf Autobahnen ist nach der Praxis des Bundesgerichts eine für die Verkehrssicherheit objektiv wichtige Vorschrift, deren Missachtung eine erhebliche Gefährdung der Verkehrssicherheit mit beträchtlicher Unfallgefahr nach sich zieht und daher objektiv schwer wiegt. Wer auf Autobahnen fährt, muss sich darauf verlassen können, nicht plötzlich rechts überholt zu werden. Die Reaktionen der überholten Fahrzeuglenker können von einfachem Erschrecken bis zu ungeplanten Fahrmanövern reichen. Das Rechtsüberholen auf der Autobahn, auf der hohe Geschwindigkeiten gefahren werden, stellt eine erhöhte abstrakte Gefährdung dar (BGE 142 IV 93 E. 3.2; Urteil des Bundesgerichts 6B_216/2018 vom 14. November 2018 E. 2.1.2 je mit Hinweisen).
Nach dem von der Kammer als erstellt erachteten Sachverhalt kamen die Verkehrsteilnehmer auf der Überholspur mehrheitlich flüssig voran. Sie fuhren sodann ein höheres Tempo, als die Fahrzeuge auf der Normalspur, wo die Beschuldigte vor ihrem Wechsel auf die Überholspur mit 80 km/h unterwegs gewesen war. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Verkehrsteilnehmer auf der Überholspur vorankamen und regelmässig Fahrzeuge auf der Normalspur überholten, mussten sie nicht damit rechnen, plötzlich auf der rechten Seite überholt zu werden. Selbst wenn die Geschwindigkeit auf der Überholspur unter der zulässigen gesetzlichen Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h gelegen haben sollte, waren die dort fahrenden Verkehrsteilnehmer mit mehr als 80 km/h unterwegs. Sie hatten damit eine Geschwindigkeit, bei welcher ruckartige Ausweichmanöver, wie sie als Reaktion auf ein rechtswidriges und damit nicht zu erwartenden Verhaltens eines anderen Verkehrsteilnehmers auftreten können, verheerende Folgen haben können. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass die Beschuldigte bis auf eine Fahrzeuglänge auf den vor ihr fahrenden Verkehrsteilnehmer aufschloss und dazu stetig nach links blinkte. Mit einem derartigen Verhalten ist gemeinhin die implizite Aufforderung verbunden, den Überholstreifen freizugeben. Ein Spurwechsel des vor der Beschuldigten fahrenden Verkehrsteilnehmers lag daher besonders nahe. Indem die Beschuldigte - unter weiterhin fortlaufender Betätigung des linken Blinkers - auf die Normalspur ausschwenkte, beschleunigte und anschliessend mit einer Tempodifferenz von ca. 20 km/h rechts am vor ihr fahrenden Verkehrsteilnehmer vorbeifuhr, tauchte sie - entgegen ihren Ausführungen - sehr wohl plötzlich und unerwartet im Blickfeld des voranfahrenden Personenwagens auf. Insgesamt lag eine konkrete Gefährdung des vor der Beschuldigten fahrenden Fahrzeugs in dieser Situation zumindest nahe. Der objektive Tatbestand ist erfüllt. Daran ändert nichts, dass die auf der Überholspur fahrenden Verkehrsteilnehmer gehalten waren, möglichst rechts zu fahren und sich bei einem Spurwechsel zu vergewissern, dass die von ihnen angesteuerte Fahrbahn frei war.
Auch wenn die Beschuldigte keine Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer beabsichtigte, setzte sie die vor ihr fahrenden Verkehrsteilnehmer doch zumindest einer erhöhten abstrakten Gefahr aus und handelte so (unbewusst) fahrlässig. Als geübte Autofahrerin musste ihr das Verbot des Rechtsüberholens bekannt sein. Dennoch entschloss sie sich, die Normalspur in Anspruch zu nehmen, um sich ein schnelleres Fortkommen zu ermöglichen. Der Beschuldigten hätte sodann bewusst sein müssen, dass sie zumindest bei dem vor ihr fahrenden Verkehrsteilnehmer eine potentiell unkontrollierte Reaktion hätte hervorrufen können. Zunächst schloss sie nahe zu ihm auf und blinkte gegen links. Sie setzte dann aber nach rechts auf die Normalspur und überholte so das Fahrzeug der Arbeitsmarktkontrolle mit einer Tempodifferenz von ca. 20 km/h rechts.
Dieses Verhalten ist nach dem Gesagten nicht nur objektiv als grobe Verkehrsregelverletzung einzustufen, sondern erfüllt auch die bei Fahrlässigkeit vorausgesetzte Rücksichtslosigkeit. Die Beschuldigte ist der groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG schuldig zu erklären.
IV. Strafzumessung
Allgemeine Grundlagen der Strafzumessung
Für die allgemeinen Grundlagen der Strafzumessung wird auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen (S. 20 f. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung, pag. 99 f.).
Konkrete Strafzumessung
Im Bereich der Massendelinquenz greift die Kammer regelmässig auf die Richtlinien des Verbands Bernischer Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte (VBRS-Richtlinien) zurück, um einen Ausgangspunkt für die Strafzumessung zu erhalten. Gemäss den VBRS-Richtlinien ist ein Rechtsüberholen auf Autobahnen und Autostrassen mit einer Strafe ab 12 Strafeinheiten zu ahnden, die mit einer Busse von mind. CHF 500.00 zu verbinden ist.
Der Beschuldigten ist mit Blick auf die objektive Tatschwere zu Gute zu halten, dass sich die zumindest geschaffene erhöhte abstrakte Gefährdung nicht verwirklichte und das Rechtsüberholen ohne Folgen blieb. Weiter überholte die Beschuldigte auch nicht mit übersetzter Geschwindigkeit. Verglichen mit einem Durchschnittsfall erhöhend wirkt sich dagegen aus, dass die Beschuldigte mit sehr geringem Abstand hinter dem vor ihr fahrenden Fahrzeug unterwegs war (bloss eine Fahrzeuglänge) und gegen links blinkte, bevor sie (entgegen ihrer Richtungsanzeige) nach rechts auf die Normalspur ausschwenkte, beschleunigte und mindestens ein Fahrzeug rechts überholte.
Da sich sowohl die subjektiven Tatkomponenten als auch die Täterkomponenten neutral auswirken, erscheint der Kammer eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen angemessen.
Die Beschuldigte hat ihr Einkommen auf CHF 3‘500.00 beziffert (pag. 8). Sie ist geschieden und hat zwei erwachsene Kinder. Es rechtfertigt sich daher, den Tagessatz nach einem Pauschalabzug von 20% auf CHF 90.00 festzusetzen.
Weiter kann die Geldstrafe mit Blick auf den automobilistischen Leumund der Beschuldigten grundsätzlich aufgeschoben werden. Aufgrund der Schnittstellenproblematik und der Denkzettelfunktion ist die bedingte Strafe mit einer (unbedingten) Busse zu verbinden, welche auf einen Fünftel der bedingt ausgesprochenen Geldstrafe, ausmachend CHF 270.00, festzusetzen ist. Die bedingte Geldstrafe wird im entsprechenden Umfang reduziert und die Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall eines schuldhaften Nichtbezahlens der Verbindungsbusse auf drei Tage festgesetzt. Die nach den VBRS-Richtlinien zu tiefe Verbindungsbusse rechtfertigt sich durch die eher hohen, von der Beschuldigten zu tragenden Verfahrenskosten.
Konkret auszusprechende Strafe
Die Beschuldigte ist nach dem Gesagten zu einer Geldstrafe von 12 Tagessätzen zu je CHF 90.00, ausmachend total CHF 1‘080.00, zu verurteilen. Der Vollzug ist aufzuschieben und die Probezeit auf zwei Jahre festzusetzen. Zusätzlich ist der Beschuldigten eine Verbindungsbusse von CHF 270.00 aufzuerlegen, wobei die Ersatzfreiheitsstrafe für ein schuldhaftes Nichtbezahlen auf drei Tage festgesetzt wird.
V. Kosten und Entschädigung
Die beschuldigte Person trägt die erstinstanzlichen Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird (Art. 426 Abs. 1 StPO). Gemäss Art. 428 Abs. 1 StPO haben die Parteien die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens zu tragen.
Die Beschuldigte unterliegt im oberinstanzlichen Verfahren und wird wegen grober Verkehrsregelverletzung verurteilt. Folglich hat sie sowohl die erstinstanzlichen Verfahrenskosten, bestimmt auf CHF 1‘735.00, als auch die oberinstanzlichen Verfahrenskosten, bestimmt auf CHF 2‘000.00, zu tragen.
Zufolge ihrer Verurteilung ist der Beschuldigten keine Entschädigung auszurichten.
VI. Verfügungen
Für die weiteren Verfügungen wird direkt auf das Dispositiv verwiesen.
VII. Dispositiv
Die 2. Strafkammer erkennt:
I.
A.________ wird schuldig erklärt
der groben Verkehrsregelverletzung, begangen am 11. April 2018 durch Rechtsüberholen auf der Autobahn A6-Süd Richtung Wichtrach,
und in Anwendung der Artikel
34, 42 Abs. 1 und 4, 47 und 106 StGB;
35 Abs. 1 und 90 Abs. 2 SVG;
8 und 36 Abs. 5 VRV;
426 Abs. 1 und 428 Abs. 1 StPO
verurteilt:
1. Zu einer Geldstrafe von 12 Tagessätzen zu je CHF 90.00, ausmachend insgesamt CHF 1‘080.00.
Der Vollzug der Geldstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf zwei Jahre festgesetzt.
2. Zu einer Verbindungsbusse von CHF 270.00. Die Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung wird auf drei Tage festgesetzt.
3. Zu den erstinstanzlichen Verfahrenskosten von insgesamt CHF 1‘735.00 (Gebühren CHF 1‘600.00 und Auslagen von CHF 135.00).
4. Zu den oberinstanzlichen Verfahrenskosten, bestimmt auf CHF 2‘000.00.
II.
Zu eröffnen:
• der Beschuldigten, v.d. Rechtsanwalt B.________ und Rechtsanwalt C.________
• der Generalstaatsanwaltschaft
Mitzuteilen:
• der Vorinstanz
• der Koordinationsstelle Strafregister (nur Dispositiv; nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist oder Entscheid der Rechtsmittelbehörde)
• dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Waadt (nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist oder Entscheid der Rechtsmittelbehörde)



Bern, 9. Dezember 2019

Im Namen der 2. Strafkammer
Der Präsident i.V.:
Oberrichter Aebi

Der Gerichtsschreiber:
Neuenschwander



Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung der schriftlichen Begründung beim Bundesgericht, Av. du Tribunal fédéral 29, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 39 ff., 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110) geführt werden. Die Beschwerde muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.
Quelle: https://www.zsg-entscheide.apps.be.ch/tribunapublikation/
Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.

SWISSRIGHTS verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf der Website analysieren zu können. Weitere Informationen finden Sie hier: Datenschutz