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Bundesverwaltungsgericht Urteil D-3362/2021

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung IV
Dossiernummer:D-3362/2021
Datum:03.11.2021
Leitsatz/Stichwort:Datenschutz
Schlagwörter : Beschwerde; Beschwerdeführer; Geburtsdatum; Person; Alter; Afghanische; Personalien; ZEMIS; Kalender; Dokument; Wahrscheinlich; Daten; Dokumente; Beschwerdeführers; Italien; Richtigkeit; Behörde; Wahrscheinlicher; Schweiz; Italienischen; Gemachte; Behörden; Identität; Reichte; Einreise; Afghanischen; Untersuchung; Personalienblatt; Beweis
Rechtsnorm: Art. 13 VwVG ; Art. 25 DSG ; Art. 48 BGG ; Art. 48 VwVG ; Art. 63 VwVG ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung IV D-3362/2021

U r t e i l v o m 3 . N o v e m b e r 2 0 2 1

Besetzung Richterin Jeannine Scherrer-Bänziger (Vorsitz),

Richterin Daniela Brüschweiler, Richter Simon Thurnheer, Gerichtsschreiberin Anna Dürmüller Leibundgut.

Parteien A. , geboren am (…), Afghanistan,

vertreten durch Marc Richard, Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Datenänderung im Zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS);

Verfügung des SEM vom 14. Juli 2021 / N (…).

Sachverhalt:

A.

    1. Der Beschwerdeführer reiste den Akten zufolge am 31. März 2021 illegal nach Italien ein und wurde dort unter den Personalien B. , geb. (…), Afghanistan, registriert.

    2. Am 16. April 2021 wurde er beim Versuch, unter der Identität B. , geb. (…), Afghanistan, in die Schweiz einzureisen, von der Schweizer Grenzwache angehalten und in der Folge nach Italien rücküberstellt.

B.

    1. Am 6. Mai 2021 suchte der Beschwerdeführer unter dem Namen A. in der Schweiz um Asyl nach. Auf dem Personalienblatt gab er als sein Geburtsdatum den «(…)» (afghanischer Kalender) beziehungsweise den «(…)» (abendländischer Kalender) an. Identitätspapiere gab er keine ab.

    2. Am 18. Mai 2021 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung vom SEM zu seiner Identität befragt. Dabei führte er aus, er sei am (…) geboren worden (dies entspricht dem […] im afghanischen Kalender; Anmerkung BVGer). Er habe sein Geburtsdatum auf seiner Tazkera gesehen und es im Hinblick auf seine Reise nach Europa in den abendländischen Kalender umgerechnet. Er denke, er sei (…) alt. Sein Geburtsjahr im afghanischen Kalender laute (…); er habe sich nur das Jahr merken können, nicht das vollständige Geburtsdatum. Seine Mutter habe seine Tazkera auf der Flucht auf sich gehabt; sie hätten sich jedoch an der türkisch-iranischen Grenze aus den Augen verloren. Es treffe zu, dass er am

      31. März 2021 nach Italien eingereist und dabei daktyloskopiert worden sei. Er habe den italienischen Behörden aber weder seinen Namen noch sein Geburtsdatum angegeben. Die italienischen Behörden hätten ihn daraufhin von sich aus unter der fiktiven Identität B. , geboren am (…), registriert. Als er (am 16. April 2021) vom Grenzwachtkorps aufgegriffen worden sei, habe er, um Probleme zu vermeiden, die von den italienischen Behörden verwendeten Personalien angegeben.

    3. Im Anschluss an die Befragung vom 18. Mai 2021 teilte das SEM dem Beschwerdeführer mit, die Minderjährigkeit könne nicht abschliessend beurteilt werden, weshalb möglicherweise eine medizinische Altersabklärung durchgeführt werde. Es gewährte ihm ausserdem das rechtliche Gehör zu

den auf dem Personalienblatt angegebenen, unterschiedlichen Geburtsdaten. Der Beschwerdeführer machte bei dieser Gelegenheit geltend, er habe zunächst sein Geburtsdatum gemäss christlichem Kalender aufgeschrieben, danach habe er gedacht, er müsse in der anderen Spalte auch noch das Datum gemäss afghanischem Kalender angeben. Sein afghanisches Geburtsjahr kenne er, aber Tag und Monat habe er dann wohl vor lauter Aufregung falsch umgerechnet. Das SEM stellte dem Beschwerdeführer sodann im Rahmen der Altersabklärung noch einige medizinische Zusatzfragen.

C.

In der Folge gab das SEM beim Institut für Rechtsmedizin (IRM) (…) die Durchführung einer auf drei Säulen (körperliche, radiologische und zahnärztliche Untersuchung) beruhende Analyse zur Altersbestimmung in Auftrag. Im Gutachten zur Altersschätzung der Universität (…) vom 3. Juni 2021 wurde ein wahrscheinliches Alter von (…) Jahren genannt und das höchste Mindestalter mit (…) Jahren benannt, weshalb die Altersangabe des Beschwerdeführers von (…) Jahren eher nicht plausibel erscheine.

D.

    1. Das SEM teilte dem Beschwerdeführer daraufhin mit Schreiben vom

      14. Juni 2021 mit, er habe seine angebliche Minderjährigkeit weder glaubhaft machen noch beweisen können, weshalb er für das weitere Asylverfahren als volljährig erachtet und beabsichtigt werde, sein Geburtsdatum von Amtes wegen auf «(…)» anzupassen. Das SEM gewährte ihm dazu das rechtliche Gehör.

    2. Mit Stellungnahme vom 16. Juni 2021 erklärte der Beschwerdeführer, er sei mit der beabsichtigten Anpassung seines Geburtsdatums nicht einverstanden. Es sei davon abzusehen, zumindest sei im ZEMIS ein Bestreitungsvermerk anzubringen.

    3. Mit Schreiben vom 17. Juni 2021 teilte das SEM dem Beschwerdeführer mit, sein Geburtsdatum sei im ZEMIS auf den (…) angepasst und mit einem Bestreitungsvermerk versehen worden, und er werde für die nächsten Verfahrensschritte als volljährig erachtet. Die ZEMIS-Änderung werde später mit dem Asylentscheid verfügt.

    4. Mit Eingaben vom 2. und 7. Juli 2021 reichte der Beschwerdeführer je im Original seinen Impfausweis, eine Bestätigung der Afghanistan Central Civil Registration Authority sowie ein Schuldokument zu den Akten und

führte aus, auf diesen Dokumenten sei sein Geburtsdatum ([…] im afghanischen Kalender) aufgeführt. Aufgrund dieser zusätzlichen Indizien für seine Minderjährigkeit lasse sich die Annahme des SEM, er sei volljährig, nicht mehr aufrechterhalten. Es werde daher um Berichtigung des Geburtsdatums im ZEMIS auf den (…) oder um Erlass einer anfechtbaren Verfügung ersucht.

E.

Mit Zwischenverfügung vom 14. Juli 2021 – eröffnet am 15. Juli 2021 – stellte das SEM fest, das im ZEMIS aufgeführte Geburtsdatum des Beschwerdeführers laute auf (…), mit Bestreitungsvermerk.

F.

Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vom 23. Juli 2021 focht der Beschwerdeführer die Zwischenverfügung des SEM vom 14. Juli 2021 an. Er beantragte, diese sei aufzuheben, und das im ZEMIS erfasste Geburtsdatum sei zu berichtigen und auf den (…) anzupassen. Überdies ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung, inklusive Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.

Der Beschwerde lagen die angefochtene Verfügung inklusive Empfangsbestätigung, eine Vollmacht sowie mehrere bereits in den vorinstanzlichen Akten befindliche Unterlagen (alles in Kopie) bei.

G.

Mit Zwischenverfügung vom 3. August 2021 hiess die zuständige Instruktionsrichterin das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gut, verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses und lud das SEM zur Einreichung einer Vernehmlassung innert Frist ein.

H.

Das SEM hielt in seiner Vernehmlassung vom 17. August 2021 vollumfänglich an seiner Verfügung fest. Der Beschwerdeführer replizierte mit Eingabe vom 26. August 2021 und ersuchte um Gutheissung der Beschwerde.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um eine Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG, welche von einer Vorinstanz im Sinne von Art. 33 Bst. d VGG erlassen wurde. Da keine Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG vorliegt, ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung der Beschwerde zuständig (Art. 31 VGG).

    2. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG).

    3. Der Beschwerdeführer war am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt und ist als Adressat der angefochtenen Verfügung sowohl formell als auch materiell beschwert, weshalb er zur Beschwerde legitimiert ist (Art. 37 VGG

      i.V.m. Art. 48 Abs. 1 VwVG).

    4. Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde (Art. 37 VGG

i.V.m. Art. 50 Abs. 1 und Art. 52 VwVG) ist einzutreten.

2.

Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Datenschutzrecht nach Art. 49 VwVG.

3.

    1. Die Vorinstanz führt zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben das ZEMIS, welches der Bearbeitung von Personendaten aus dem Ausländerund dem Asylbereich dient (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 des Bundesgesetzes über das Informationssystem für den Ausländerund den Asylbereich vom

      20. Juni 2003 [BGIAA, SR 142.51]) und in der Verordnung über das Zentrale Migrationsinformationssystem (ZEMIS-Verordnung) vom 12. April 2006 (SR 142.513) näher geregelt ist. Nach Art. 19 Abs. 1 der ZEMIS-Verordnung richten sich die Rechte der Betroffenen, insbesondere deren Auskunfts-, Berichtigungsund Löschungsrecht sowie das Recht auf Informationen über die Beschaffung besonders schützenswerter Personendaten, nach dem Datenschutzgesetz (DSG, SR 235.1) und dem VwVG.

    2. Wer Personendaten bearbeitet, hat sich über deren Richtigkeit zu vergewissern (Art. 5 Abs. 1 DSG). Werden Personendaten von Bundesorganen bearbeitet, kann jede betroffene Person insbesondere verlangen, dass unrichtige Personendaten berichtigt werden (Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 25 Abs. 3 Bst. a DSG). Auf die Berichtigung besteht in einem solchen Fall ein

      absoluter und uneingeschränkter Anspruch (vgl. BVGE 2018 VI/3 E. 3.2). Die ZEMIS-Verordnung sieht zudem in Art. 19 Abs. 3 ausdrücklich vor, dass unrichtige Daten von Amtes wegen zu berichtigen sind.

    3. Grundsätzlich hat die das Berichtigungsbegehren stellende Person die Richtigkeit der von ihr verlangten Änderung, die Bundesbehörde im Bestreitungsfall dagegen die Richtigkeit der von ihr bearbeiteten Personendaten zu beweisen (vgl. Urteil des BGer 1C_11/2013 vom 21. Oktober 2013 E. 4.2; BVGE 2018 VI/3 E. 3.3). Nach den massgeblichen Beweisregeln des VwVG gilt eine Tatsache als bewiesen, wenn sie in Würdigung sämtlicher Erkenntnisse so wahrscheinlich ist, dass keine vernünftigen Zweifel bleiben; unumstössliche Gewissheit ist dagegen nicht erforderlich. Die mit dem Berichtigungsbegehren konfrontierte Behörde hat zwar nach dem Untersuchungsgrundsatz den Sachverhalt grundsätzlich von Amtes wegen abzuklären (Art. 12 VwVG); die gesuchstellende Person ist jedoch gemäss Art. 13 Abs. 1 Bst. a VwVG verpflichtet, an dessen Feststellung mitzuwirken (vgl. zum Ganzen BVGE 2018 VI/3 E. 3.3).

    4. Kann bei einer verlangten oder von Amtes wegen beabsichtigten Berichtigung weder die Richtigkeit der bisherigen noch diejenige der neuen Personendaten bewiesen werden, dürfen grundsätzlich weder die einen noch die anderen Daten bearbeitet werden (vgl. Art. 5 Abs. 1 DSG). Dies ist jedoch nicht immer möglich, müssen doch bestimmte Personendaten zur Erfüllung wichtiger öffentlicher Aufgaben notwendigerweise bearbeitet werden. Dies gilt namentlich auch für im ZEMIS erfasste Namen und Geburtsdaten. In solchen Fällen überwiegt das öffentliche Interesse an der Bearbeitung möglicherweise unzutreffender Daten das Interesse an deren Richtigkeit. Unter diesen Umständen sieht Art. 25 Abs. 2 DSG die Anbringung eines Bestreitungsvermerks vor. Spricht dabei mehr für die Richtigkeit der neuen Daten, sind die bisherigen Angaben zunächst zu berichtigen und die neuen Daten anschliessend mit einem derartigen Vermerk zu versehen. Verhält es sich umgekehrt, erscheint also die Richtigkeit der bisher eingetragenen Daten als wahrscheinlicher oder zumindest nicht als unwahrscheinlicher, sind diese zu belassen und mit einem Bestreitungsvermerk zu versehen. Über dessen Anbringung ist jeweils von Amtes wegen und unabhängig davon zu entscheiden, ob ein entsprechender Antrag gestellt worden ist (vgl. zum Ganzen BVGE 2018 VI/3 E. 3.4; vgl. ferner Urteil des BGer 1C_240/2012 vom 13. August 2012 E. 3.2).

4.

    1. Zur Begründung seines Entscheids führte das SEM im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe vage und unsubstanziierte Angaben zu seinem Geburtsdatum, zur schulischen Laufbahn sowie zu seiner Einreise und Registrierung in Italien und in der Schweiz gemacht. Insbesondere habe er anlässlich der Erstbefragung als Geburtsdatum den (…) genannt und dabei vorgebracht, er sei (…) alt; angesichts des genannten Geburtsdatums wäre er damals indessen (…) Jahre und acht Tage alt gewesen. Weiter erstaune es, dass er von seinem Geburtstag gemäss afghanischem Kalender lediglich das Geburtsjahr kenne, dagegen das vollständige Geburtsdatum gemäss abendländischem Kalender nennen könne. Auf die Frage, wie und woher er von seinem Geburtsdatum erfahren habe, habe er ausweichend geantwortet, und zu seiner schulischen Laufbahn habe er widersprüchliche und unsubstanziierte Angaben gemacht. Bei seiner Aussage, die italienischen Behörden hätten von sich aus das fiktive Geburtsdatum «(…)» eingetragen, handle es sich um eine unbelegte Parteibehauptung. Es bestehe kein Grund, die aus Italien übermittelten Personalien zu bezweifeln, zumal der Beschwerdeführer anlässlich der versuchten Einreise in die Schweiz und der darauffolgenden Rücküberstellung nach Italien im April 2021 keine Berichtigung dieser Personalien beantragt und diese vielmehr mit seiner Unterschrift bei der Eröffnung des Einreiseverbotes bestätigt habe. Sodann habe die Altersbestimmung ein wahrscheinliches Alter von (…) Jahren ergeben; das geltend gemachte Alter von (…) Jahren sei als eher nicht plausibel erachtet worden. Die eingereichten Dokumente seien nicht fälschungssicher und könnten in Afghanistan leicht käuflich erworben werden. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer in der Erstbefragung erklärt, er besitze ausser seiner Taskera keine weiteren Ausweispapiere. Insgesamt sei daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer volljährig und das Geburtsdatum des (…) wahrscheinlicher sei als der (…).

    2. In der Beschwerde wird entgegnet, der Beschwerdeführer habe nie gesagt, er sei (…) Jahre alt. Sein Geburtsdatum habe er vor der Ausreise vom afghanischen in den abendländischen Kalender umgerechnet und auswendig gelernt. Davor sei sein Geburtsdatum für ihn nicht wichtig gewesen, weshalb nicht erstaune, dass er das afghanische Datum nicht kenne. Beim Ausfüllen des Personalienblatts sei er aufgeregt gewesen. Er habe gedacht, er müsse auch das afghanische Geburtsdatum aufschreiben, habe aber nur noch das Geburtsjahr gewusst und daher einfach etwas geschrieben. Der Vorwurf, er habe auf die Frage, woher und wie er von seinem

      Geburtsdatum erfahren habe, ausweichend geantwortet, sei nicht nachvollziehbar. Er habe erklärt, er kenne dieses von seiner Tazkera. Seine Angaben zum Besuch der Koranschule seien mit seinem Alter von (…) Jahren im Zeitpunkt der Einreise in die Schweiz ohne Weiteres vereinbar. Ferner gehe es nicht an, den eingereichten Beweismitteln pauschal jeglichen Beweiswert abzusprechen. Der Beschwerdeführer habe ein Identitätsdokument in Kopie sowie drei verschiedene Originaldokumente eingereicht. Seine Aussage in der Erstbefragung, er verfüge über keine weiteren Ausweispapiere, spreche nicht gegen ihn; denn die nachgereichten Dokumente stellten keine «Ausweispapiere» dar. Zudem sei er im damaligen Zeitpunkt noch nicht im Besitz dieser Dokumente gewesen, diese seien nachträglich von seiner Schwester beschafft worden. Damit sei er seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen. Die Dokumente seien als Indiz für die Richtigkeit seiner Altersangabe zu werten. Soweit das SEM auf das Einreiseverbot verweise, welches der Beschwerdeführer unterzeichnet habe, sei festzustellen, dass dieses Dokument der Rechtsvertretung nie zugänglich gemacht worden sei. Es sei ferner offensichtlich, dass das in Italien registrierte Geburtsdatum nicht vom Beschwerdeführer selbst genannt worden sei. Er habe überdies in nachvollziehbarer Weise dargelegt, weshalb er in Italien unter falschen Personalien erfasst worden sei und weshalb er dem schweizerischen Grenzwachtkorps im April 2021 diese Personalien gezeigt habe. Die Registrierung in Italien spreche daher nicht gegen die Richtigkeit seiner Altersangabe. Sodann lasse sich anhand der erfolgten medizinischen Altersabklärung keine Aussage zu seiner Minderrespektive Volljährigkeit machen, da das Mindestalter bei der zahnärztlichen Untersuchung und der Schlüsselbeinrespektive Skelettaltersanalyse unter achtzehn Jahren liege. Eine Gesamtwürdigung der Indizien ergebe, dass das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Geburtsdatum des (…) wahrscheinlicher sei als das im ZEMIS eingetragene Datum.

    3. Das SEM räumt in seiner Vernehmlassung ein, es habe die Aussage des Beschwerdeführers zu seinem Alter in der Erstbefragung nicht korrekt wiedergegeben. Hingegen sei erneut festzustellen, dass das auf dem Personalienblatt angegebene afghanische Geburtsdatum nicht dem geltend gemachten Datum gemäss abendländischem Kalender entspreche. Die aufgeführten Gründe für diese Diskrepanz vermöchten nicht zu überzeugen. Auch sein Verhalten gegenüber dem Grenzwachtkorps sei nicht nachvollziehbar.

    4. In der Replik wiederholt der Beschwerdeführer, er habe zum Zeitpunkt, als er das Personalienblatt ausgefüllt habe, sein genaues Geburtsdatum

gemäss afghanischem Kalender nicht gekannt, sondern nur das Geburtsjahr. Daher habe er auch nur dieses korrekt aufschreiben können.

5.

    1. Wie vorstehend (vgl. E. 3) dargelegt, obliegt es grundsätzlich dem SEM zu beweisen, dass das aktuell im ZEMIS eingetragene Geburtsdatum des Beschwerdeführers ([…]) korrekt ist. Der Beschwerdeführer hat seinerseits nachzuweisen, dass das von ihm geltend gemachte Geburtsdatum ([…]) richtig respektive zumindest wahrscheinlicher ist als die derzeit im ZEMIS erfassten Angaben. Gelingt keiner Partei der sichere Nachweis des Geburtsdatums, ist dasjenige im ZEMIS zu belassen oder einzutragen, dessen Richtigkeit wahrscheinlicher ist (vgl. zum Ganzen BVGE 2018 VI/3 E. 3.5, m.w.H.).

    2. Bezüglich der Frage des korrekten oder zumindest wahrscheinlicheren Geburtsdatums des Beschwerdeführers lassen sich den Akten folgende Hinweise entnehmen:

      1. Das Altersgutachten vom 3. Juni 2021 hält fest, aufgrund der zahnärztlichen Untersuchung sowie der radiologischen Befunde der linken Hand und des linken Schlüsselbeins sei insgesamt von einem wahrscheinlichen Alter von (…) Jahren auszugehen, wobei das zu berücksichtigende höchste Mindestalter mit (…) Jahren anzugeben sei. Demnach sei das angegebene Alter von (…) Jahren eher nicht plausibel. Dem Gutachten ist weiter zu entnehmen, dass die zahnärztliche Untersuchung auf ein Mindestalter von (…) Jahren hinweist und bezüglich der beiden radiologischen Untersuchungen von einem Mindestalter von (…) respektive (…) Jahren auszugehen ist. Nach dem Gesagten liegt das Mindestalter sowohl bei der zahnärztlichen Untersuchung als auch bei der Schlüsselbeinund der (zum Beweis der Minderrespektive Volljährigkeit ohnehin ungeeigneten [vgl. BVGE 2018 VI/3 E. 4.2.1]) Handknochenanalyse unter 18 Jahren. Folglich lässt das Altersgutachten vom 3. Juni 2021 keine Aussage zur Minderres- pektive Volljährigkeit des Beschwerdeführers zu (vgl. dazu BVGE 2018 VI/3 E. 4.2.2). Das vom Beschwerdeführer im Untersuchungszeitpunkt (26. Mai 2021) geltend gemachte Alter von (…) Jahren liegt zudem lediglich vier Monate unter dem gemäss Gutachten zu berücksichtigenden höchsten Mindestalter ([…]). Auch wenn das dargelegte Alter von (…) Jahren gemäss dem Gutachten «eher nicht plausibel» ist, so liegt es dennoch durchaus im Rahmen des Möglichen.

      2. Der Beschwerdeführer gab im vorinstanzlichen Verfahren konsistent an, er sei gemäss abendländischem Kalender am (…) geboren worden. Dieses Datum stimmt überein mit seinem Vorbringen in der Erstbefragung vom 18. Mai 2021, er sei (…) alt. Dies erscheint mit Blick auf sein Aussehen (vgl. das aktenkundige Foto) jedenfalls nicht ausgeschlossen. Seine Angaben zum Besuch einer Koranschule (Einschulung ungefähr im Jahr […] [{…}] im Alter von ungefähr (…) Jahren, rund vierjähriger Schulbesuch; vgl. A17 Ziff. 1.17.04) erscheinen plausibel und sind zudem vereinbar mit dem geltend gemachten Alter von (…) Jahren im Zeitpunkt der Einreise in die Schweiz. Auf dem Personalienblatt gab er ergänzend zum (…) auch ein Datum gemäss afghanischem Kalender an, und zwar den (…). Dies entspricht dem (…) und steht somit im Widerspruch zum (…). Der Beschwerdeführer macht diesbezüglich geltend, er habe nur sein Geburtsjahr gemäss afghanischem Kalender auswendig gewusst, nicht aber das komplette Datum. Er sei aufgeregt gewesen, und als er den (…) in den afghanischen Kalender zurückgerechnet habe, sei ihm ein Fehler passiert (vgl. A17 Ziff. 8.01). Die Erklärung, er habe im Hinblick auf seine Reise nach Europa das auf seiner Tazkera vermerkte afghanische Geburtsdatum umgerechnet und dieses auswendig gelernt, könne sich jedoch nicht an das genaue Datum gemäss afghanischem Kalender erinnern, ist im afghanischen Kontext nicht als völlig unplausibel zu erachten (vgl. dazu ACCORD

        – Austrian Centre vor Country of Origin and Asylum Research and Documentation, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Wissen und Bedeutung von persönlichen Tagen [Geburt, Hochzeit] und Umgang mit Zeitangaben,

        7. Februar 2017; https://www.e-coi.net/de/dokument/ 1393481.html). Demnach erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer beim Ausfüllen des Personalienblatts das (auswendig gelernte) Geburtsdatum gemäss abendländischem Kalender in den afghanischen Kalender zurückrechnen musste und ihm dabei ein Fehler unterlaufen ist. Seine Erklärung ist demnach durchaus geeignet, den Widerspruch zwischen den beiden Daten in nachvollziehbarer Weise zu erklären. Die unterschiedlichen Geburtsdaten auf dem Personalienblatt sprechen somit nicht gegen die Glaubhaftigkeit des im Übrigen konsistent genannten Geburtsdatums des (…).

      3. Die italienischen Behörden haben den Beschwerdeführer den Akten zufolge unter einer anderen Identität registriert, nämlich B. , geb. (…). Diese Personalien gab der Beschwerdeführer bei seiner versuchten Einreise in die Schweiz im April 2021 den Beamten des Grenzwachtkorps an. Auf Anfrage des SEM teilten die italienischen Behörden mit, der Beschwerdeführer habe ihnen die obgenannten Personalien genannt (vgl.

        A25). Die Frage, ob die italienischen Behörden den Beschwerdeführer von sich aus unter fiktiven Personalien registriert haben – wie dies der Beschwerdeführer geltend macht, oder ob diese Angaben vom Beschwerdeführer selber stammen, kann letztlich offenbleiben. Da der Beschwerdeführer in Italien kein Asylgesuch eingereicht hatte, hatten die italienischen Behörden keine Veranlassung, sein Alter und damit sein Geburtsdatum näher abzuklären. Der Umstand, dass er in Italien unter dem Geburtsdatum

        «(…)» registriert wurde, vermag daher zur Frage des wahrscheinlicheren Geburtsdatums nichts Entscheidendes beizutragen. Der Beschwerdeführer erklärte sodann, er habe, um Probleme zu vermeiden, bei der versuchten Einreise in die Schweiz im April 2021 die von den italienischen Behörden aufgenommenen Personalien verwendet respektive dem Grenzwachtkorps ein negatives Corona-Testresultat aus Italien, welches auf die fraglichen Personalien ausgestellt worden sei, vorgezeigt (vgl. A17 Ziff. 5.03 sowie A27 S. 2). Dieses Vorbringen ist als plausibel zu erachten. Es ist bei dieser Sachlage nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer das auf diese Personalien lautende Einreiseverbot vom 22. April 2021 widerspruchslos unterzeichnet hat. Der Auffassung des SEM, er habe damit die Richtigkeit dieser Personalien bestätigt, kann daher nicht gefolgt werden.

      4. Der Beschwerdeführer reichte mit Eingabe vom 7. Juli 2021 drei Dokumente im Original zu den Akten: einen Impfausweis, eine Bestätigung der Afghanistan Central Civil Registration Authority (Antragsformular für eine Tazkera) sowie eine Schülerkarte. Diese Dokumente sind keine Identitätspapiere (entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde [vgl. Ziff. II.6,

S. 9] wurde kein Identitätsdokument in Kopie eingereicht), weshalb deren Nachreichung nicht im Widerspruch steht zur Aussage des Beschwerdeführers, er könne keine Identitätspapiere, namentlich keine Tazkera, erhältlich machen. Die Dokumente wurden von seiner Schwester beschafft (vgl. Ziff. II.6, S. 10 der Beschwerde), was nicht ausgeschlossen erscheint. Es trifft zwar zu, dass diese Dokumente allesamt nicht fälschungssicher sind; daher kann ihnen nur ein geringer Beweiswert zuerkannt werden. Sie sind daher offensichtlich nicht geeignet, den Beweis für die Richtigkeit des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Geburtsdatums zu erbringen. Nichtsdestotrotz sind sie im Rahmen der Prüfung, welches Geburtsdatum ([…]) wahrscheinlicher erscheint, als Indizien zu berücksichtigen (vgl. dazu beispielsweise das Urteil des BVGer D-3375/2016 vom 10. August 2016

E. 5.7 betreffend eine Tazkera), zumal keine konkreten Hinweise darauf bestehen, dass es sich dabei nicht um authentische Schriftstücke handelt. Im Übrigen ist anzunehmen, dass der Beschwerdeführer, hätte er gefälschte Dokumente beschaffen wollen, wohl primär versucht hätte, eine

Tazkera oder ein anderes afghanisches Ausweispapier erhältlich zu machen. Die Tatsache, dass er keine gängigen afghanischen Ausweisdokumente nachgereicht hat, spricht daher gegen die implizit vom SEM geäusserte pauschale Vermutung, es handle sich bei den eingereichten Unterlagen um käuflich erworbene Fälschungen. In den nachgereichten Dokumenten wird übereinstimmend der (…) ([…]) als Geburtsdatum des Beschwerdeführers angegeben. Auch der im Asylverfahren genannte Name des Vaters (C. ) und der Mutter (D. ) sowie die Herkunftsprovinz (E. ) stimmen mit den Angaben in den Dokumenten überein (der Beschwerdeführer hat sich offenbar selber den Nachnamen

«(…)» gegeben [vgl. A17 Ziff. 1.16.04], was erklärt, weshalb dieser Name auf den Dokumenten nicht erscheint). Die Schülerkarte bestätigt zudem die Angaben des Beschwerdeführers zum Besuch einer islamischen Schule namens F. ab dem Jahr (…) (vgl. A17 Ziff. 1.17.04). Im Ergebnis ist festzustellen, dass die nachträglich eingereichten Originaldokumente die Angaben des Beschwerdeführers, namentlich das von ihm genannte Geburtsdatum des (…), bestätigen.

5.3 Nach dem Gesagten ist weder dem SEM noch dem Beschwerdeführer der Nachweis gelungen, dass das aktuell im ZEMIS eingetragene Geburtsdatum ([…]) beziehungsweise das geltend gemachte Geburtsdatum des (…) korrekt ist. Aufgrund der vorstehenden Würdigung aller relevanten Umstände ist indes festzustellen, dass das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Geburtsdatum wahrscheinlicher ist als die derzeit im ZEMIS erfassten Angaben.

6.

Die Beschwerde ist somit gutzuheissen, und die Verfügung des SEM vom

14. Juli 2021 ist aufzuheben. Das SEM ist anzuweisen, das Geburtsdatum des Beschwerdeführers im ZEMIS vom (…) auf den (…) zu ändern.

7.

    1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG).

    2. Dem vertretenen Beschwerdeführer ist angesichts seines Obsiegens in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom

21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) eine Entschädigung für die ihm notwendigerweise erwachsenen Parteikosten zuzusprechen. Es wurde keine Kostennote eingereicht, weswegen die notwendigen Parteikosten

aufgrund der Akten zu bestimmen sind (Art. 14 Abs. 2 in fine VGKE). Gestützt auf die in Betracht zu ziehenden Bemessungsfaktoren (Art. 9–13 VGKE) ist dem Beschwerdeführer zulasten der Vorinstanz eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 800.– (inkl. Auslagen) zuzusprechen.

8.

Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts auf dem Gebiet des Datenschutzes sind gemäss Art. 35 Abs. 2 der Verordnung vom 14. Juni 1993 zum Bundesgesetz über den Datenschutz (VDSG, SR 235.11) dem Eidgenössischen Datenschutzund Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) bekannt zu geben.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2.

Das SEM wird angewiesen, im ZEMIS als Geburtsdatum des Beschwerdeführers den (…) einzutragen.

3.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

4.

Das SEM wird angewiesen, dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 800.– auszurichten.

5.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM, das Generalsekretariat EJPD und den Eidgenössischen Datenschutzund Öffentlichkeitsbeauftragten.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Jeannine Scherrer-Bänziger Anna Dürmüller Leibundgut

(Rechtsmittelbelehrung nächste Seite)

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 des Bundesgerichtsgesetzes [BGG, SR 173.110]). Die Frist ist gewahrt, wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben worden ist (Art. 48 Abs. 1 BGG). Die Rechtsschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die Partei in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).

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