Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung V |
Dossiernummer: | E-442/2020 |
Datum: | 25.02.2020 |
Leitsatz/Stichwort: | Asyl und Wegweisung |
Schlagwörter : | Beschwerde; Beschwerdeführer; Beschwerdeführerin; Bruder; Vorinstanz; Recht; Wegweisung; Schweiz; Sachverhalt; Sohnes; Verfügung; Kindes; Verfahren; Anhörung; Bruders; Genschaft; Vollzug; Asylgesuch; Familie; Befragung; ältere; Rückkehr; Ausländer; Zumutbar; Iranischen; Hause; Polizei; Mutter; Kinder; Verfügungen |
Rechtsnorm: | Art. 12 KRK ; Art. 25 BV ; Art. 49 BV ; Art. 52 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 65 VwVG ; Art. 83 AIG ; Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | 143 III 65; 144 I 11; ; |
Kommentar zugewiesen: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
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Abteilung V
E-442/2020, E-445/2020
Besetzung Richter David R. Wenger (Vorsitz), Richterin Daniela Brüschweiler, Richter Markus König;
Gerichtsschreiberin Eliane Kohlbrenner.
Parteien A. , geboren am ( ), B. , geboren am ( ), C. , geboren am ( ), D. , geboren am ( ), Iran,
vertreten durch lic. iur. Shahryar Hemmaty, BBFM Beratung und Betreuung für Migranten, Beschwerdeführer,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Asyl und Wegweisung;
Verfügung des SEM vom 20. Dezember 2019 / N ( ).
Die Beschwerdeführer ersuchten am 5. April 2018 in der Schweiz um Asyl. Anlässlich der Befragungen zur Person vom 20. April 2018 respektive
23. April 2018 und der Anhörungen vom 17. Juni 2019 respektive 18. Juni 2019 führten sie aus, sie stammten ursprünglich aus der Stadt E. . Die letzten zwei Jahre hätten sie in F. gelebt. A. (nachfol-
gend: Beschwerdeführer) sei Imker und Landwirt, B.
(nachfol-
gend: Beschwerdeführerin) sei Hausfrau. In E. habe es Demonstrationen wegen Wassermangels gegeben. Der Bruder der Beschwerdeführerin sei aufgrund seiner Demonstrationsteilnahme zwei Monate respektive ein Jahr inhaftiert gewesen. Nach seiner Freilassung sei er nach F. gezogen und habe angefangen, sich politisch zu engagieren. Er habe eine schwarze Tasche mit einem Laptop und Dokumenten bei ihnen zu Hause aufbewahrt. Der Beschwerdeführerin habe er die Anweisung gegeben, die Mappe seinem Freund, welcher zugleich der Nachbar der Beschwerdeführer gewesen sei, zu übergeben, falls er nicht mehr auftauche. Eines Tages, als der Beschwerdeführer bei der Arbeit und die Beschwerdeführerin beim Einkaufen gewesen sei, hätten Polizisten die Wohnung gestürmt und durchsucht. Sie hätten die Mappe und einen weiteren Computer mitgenommen. Den anwesenden Söhnen hätten sie mitgeteilt, ihre Eltern müssten sich auf dem Polizeiposten melden. Der ältere Sohn habe die Beschwerdeführerin telefonisch darüber informiert. Auf dem Heimweg habe die Beschwerdeführerin den Freund ihres Bruders getroffen. Er habe gesagt, ihr Bruder sei verhaftet worden und habe unter Folter ihren Namen verraten. Er habe ihr geraten, nicht nach Hause zurückzukehren. Daraufhin sei sie zu einer Bekannten gefahren. Diese respektive ihr Ehemann habe die Söhne und den Beschwerdeführer abgeholt. Nach einer Nacht bei den Bekannten hätten sie zwei Monate im Gartenhaus der Bekannten gewohnt. Danach seien sie legal mit einem Visum für Griechenland und ihren iranischen Pässen mit dem Flugzeug von Teheran nach Athen geflogen. Nach ihrer Ausreise habe die Mutter der Beschwerdeführerin einen Herzinfarkt erlitten. Der Bruder habe deswegen Hafturlaub erhalten, den er zur Flucht und Ausreise aus dem Iran genutzt habe.
Die Beschwerdeführer reichten die iranischen Identitätskarten des Beschwerdeführers und der Beschwerdeführerin, die Geburtsurkunde von D. , die Heiratsurkunde, das Familienbüchlein, eine Gerichtsvorladung, eine Bestätigung zum Abschluss der Strafe (alles im Original), einen
iranischen Führerausweis und die iranischen Identitätskarten der Kinder (beides in Kopie) ein.
Mit zwei Verfügungen vom 20. Dezember 2019 (eröffnet am 24. Dezember 2019) verneinte die Vorinstanz die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführer, lehnte die Asylgesuche ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz sowie den Wegweisungsvollzug an.
Mit Eingabe vom 22. Januar 2020 erhoben die Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde. Sie beantragen, es seien die angefochtenen Verfügungen aufzuheben und unter Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft Asyl zu gewähren, das heisst, die originäre Flüchtlingsei-
genschaft für die Beschwerdeführerin B.
sowie die abgeleitete
Flüchtlingseigenschaft und Familienasyl für die anderen Beschwerdeführer. Eventualiter sei die Streitsache zwecks Ergänzung des Sachverhalts und Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter sei die Unzulässigkeit, zumindest die Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs festzustellen, unter Anordnung der einschlägigen gesetzlichen Folgen (vorläufige Aufnahme). Subeventualiter sei die Streitsache zwecks Ergänzung des Sachverhalts, hinsichtlich von Wegweisungsvollzugshindernissen, und Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, insbesondere sei auch von der Kostenvorschusspflicht abzusehen.
Die Beschwerdeführer reichten eine ärztliche Bestätigung der Schwangerschaft der Beschwerdeführerin, einen Quartalsbericht über die Schulleistungen des älteren Sohnes und eine Fürsorgeabhängigkeitsbestätigung ein.
Am 1. März 2019 ist die Teilrevision (AS 2016 3101) des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31) in Kraft getreten. Für das vorliegende Verfahren gilt das bisherige Recht (vgl. Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des AsylG vom 25. September 2015).
Am 1. Januar 2019 wurde das Ausländergesetz vom 16. Dezember
2005 (AuG, SR 142.20) teilrevidiert (AS 2018 3171) und in Ausländerund Integrationsgesetz (AIG) umbenannt. Die vorliegend anzuwendenden Gesetzesartikel (Art. 83 Abs. 1-7 und Art. 84) sind unverändert vom AuG ins AIG übernommen worden, weshalb das Gericht nachfolgend die neue Gesetzesbezeichnung verwendet.
Gemäss Art. 31 VGG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - wie auch vorliegend - endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG). Die Beschwerdeführer sind als Verfügungsadressaten zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (aArt. 108 Abs. 1 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Grundsätzlich bildet jeder vorinstanzliche Entscheid ein selbständiges Anfechtungsobjekt. Die Anfechtung in einer gemeinsamen Beschwerdeschrift und ein gemeinsames Beschwerdeverfahren mit einem einzigen Urteil ist indes zuzulassen, wenn die einzelnen Sachverhalte in einem engen inhaltlichen Zusammenhang stehen und sich ähnliche Rechtsfragen stellen (ANDRÉ MOSER/MICHAEL BEUSCH/LORENZ KNEUBÜHLER, Prozessieren vor
dem Bundesverwaltungsgericht, 2. Aufl. 2013, Rz. 3.17).
Die Vorinstanz lehnte die Asylgesuche der Beschwerdeführerin, des Beschwerdeführers und des minderjährigen Sohnes einerseits sowie jenes des volljährigen Sohnes andererseits in zwei separaten Verfügungen ab. Da es sich um den gleichen Sachverhalt handelt und sich die gleichen Rechtsfragen stellen, sind die Verfahren zu vereinigen und es ist in einem einzigen Urteil über die beiden Verfügungen zu entscheiden.
Mit Beschwerde in Asylsachen kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Die Kognition im Bereich des Ausländerrechts richtet sich nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).
Auf die Durchführung eines Schriftenwechsels wurde verzichtet (Art. 111a Abs. 1 AsylG).
Die Beschwerdeführer erheben formelle Rügen, welche vorab zu beurteilen sind, da sie allenfalls geeignet wären, eine Kassation der vorinstanzlichen Verfügung zu bewirken.
Gemäss Art. 29 VwVG haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör, welcher als Mitwirkungsrecht alle Befugnisse umfasst, die einer Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen kann (vgl. BGE 144 I 11 E. 5.3; BVGE 2009/35 E. 6.4.1). Mit dem Gehörsanspruch korreliert die Pflicht der Behörden, die Vorbringen tatsächlich zu hören, ernsthaft zu prüfen und in ihrer Entscheidfindung angemessen zu berücksichtigen. Nicht erforderlich ist, dass sich die Begründung mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt (vgl. BGE 143 III 65 E. 5.2).
Die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts in Verletzung der behördlichen Untersuchungspflicht bildet einen Beschwerdegrund (Art. 106 Abs. 1 Bst. b AsylG). Unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn der Verfügung ein falscher und aktenwidriger Sachverhalt zugrunde gelegt wird oder Beweise falsch gewürdigt worden sind; unvollständig ist sie, wenn nicht alle für den Entscheid rechtswesentlichen Sachumstände berücksichtigt werden (vgl. KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, Rz. 1043).
Die Beschwerdeführer rügen eine Nichtbeachtung der UNO-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 (KRK; SR 0.107), da die Vorinstanz den urteilsfähigen, minderjährigen Sohn, geboren am ( ), nicht angehört habe. Die Vorinstanz habe die Kindesinteressen des jüngeren Sohns am Verbleib in der Schweiz respektive an der Rückkehr in den Iran nicht ermittelt.
Gemäss Art. 12 Abs. 1 KRK haben Kinder, die fähig sind, sich eine Meinung zu bilden, das Recht auf Respektierung ihrer Meinung. Zu diesem Zweck ist dem Kind insbesondere Gelegenheit zu geben, in allen das Kind berührenden Gerichtsoder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden (Art. 12 Abs. 2 KRK). Eine gesetzliche Bestimmung zum Anhörungsrecht des Kindes im Verwaltungsverfahren findet sich im Schweizer Recht nicht. Das Bundesgericht
hat aber anerkannt, dass Art. 12 KRK im fremdenpolizeilichen Verfahren unmittelbar anwendbar ist. Das Kind ist jedoch nicht in jedem Fall persönlich anzuhören. Soweit sich die Interessenlage des Kindes mit derjenigen seiner Eltern deckt und der rechtserhebliche Sachverhalt auch ohne persönliche Anhörung rechtsgenüglich festgestellt werden kann, kann auf eine gesonderte Anhörung des Kindes (bzw. dessen Vertreters) verzichtet werden (Urteil des BGer 2C_303/2014 vom 20. Februar 2015 E. 5.1; Urteil des BVGer D-5114/2018 vom 1. April 2019 E. 4.5.1).
Vorliegend gelangte der Standpunkt des mittlerweile knapp ( ) Sohnes im Rahmen des vorinstanzlichen Verfahrens durch die Ausführungen des Beschwerdeführers, der Beschwerdeführerin und des volljährigen Sohnes sowie durch die Ausführungen des Rechtsvertreters in der Beschwerdeschrift genügend zum Ausdruck. Im Sinne der gemeinsamen Beschwerdeanträge verfolgen die Beschwerdeführer alle dasselbe Ziel, nämlich die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung von Asyl oder allenfalls der vorläufigen Aufnahme. Es ist somit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer und die Beschwerdeführerin anlässlich der Befragungen auch den Standpunkt ihres jüngeren Sohnes vertraten, zumal eine Verfolgung ausschliesslich aufgrund der Erlebnisse der Beschwerdeführerin geltend gemacht wird. Die Vorinstanz hat demnach zu Recht auf die Anhörung des minderjährigen Sohnes verzichtet. Es liegt keine Verletzung von Art. 12 KRK vor. Aufgrund dieser Ausführungen erübrigen sich auch weitere Sachverhaltsabklärungen.
Des Weiteren bringen die Beschwerdeführer vor, entgegen der völkerrechtlich begründeten Regel, Asylgesuche von Kindern prioritär zu behandeln, habe die Vorinstanz die Asylgesuche erst nach Erreichen der Volljährigkeit des älteren Sohnes behandelt. Aus diesem Umstand dürfe dem älteren Sohn kein Nachteil entstehen, weshalb die Sache zwecks Abklärung des Kindeswohls an die Vorinstanz zurückzuweisen sei.
Es ist zwar durchaus wünschenswert, dass zwischen der Einreichung des Asylgesuchs und der Anhörung zu den Asylgründen ein relativ kurzer Zeitraum liegt, es gibt aber keine zwingende, mit Rechtsfolgen versehene gesetzliche Verpflichtung der Vorinstanz, die Anhörung innerhalb eines gewissen Zeitraums nach der Asylgesuchseinreichung durchzuführen. Zudem schliesst die Volljährigkeit des älteren Sohnes eine Prüfung des Kindeswohls nach KRK aus.
Zusammengefasst besteht keine Veranlassung, die Sache aus formellen Gründen aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das diesbezügliche Rechtsbegehren ist abzuweisen.
Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken (Art. 3 Abs. 2 AsylG).
Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).
Die Vorinstanz begründet ihren Entscheid damit, die Aussagen der Beschwerdeführerin zum Inhalt des Telefonanrufs ihres Sohnes, zur Abholung der Söhne zu Hause und zur Dauer des ersten Gefängnisaufenthalts ihres Bruders seien widersprüchlich. Anlässlich der Befragung habe sie die zweite Verhaftung ihres Bruders nicht erwähnt. Der Beschwerdeführer habe betont, kaum etwas über die Asylmotive seiner Ehefrau zu wissen. Angesichts seiner Aussage, die Geschichte habe die Existenz seiner Familie erschüttert, sei es unerklärlich, dass er nicht versucht habe, mehr über die Ausreisegründe zu erfahren. Die Aussagen des Sohnes würden von jenen der Beschwerdeführerin abweichen. So habe er an der Befragung gesagt, er habe mehrmals erfolglos versucht, seine Mutter telefonisch zu erreichen, während die Beschwerdeführerin angab, der Sohn habe sie per Telefon gewarnt. Er habe erklärt, die Bekannte seiner Mutter habe ihn und seinen Bruder zu Hause abgeholt. Nach Angaben der Mutter seien sie vom Ehemann der Bekannten abgeholt worden. Zudem seien die Vorbringen unsubstantiiert und würden mehrere Ungereimtheiten aufweisen. Es
sei unklar, weshalb der Freund des Bruders so gut über dessen Inhaftierung informiert gewesen sei, wenn er selbst nicht verhaftet worden sei. Zudem sei es unlogisch, dass der Freund die Beschwerdeführer nicht vor der Polizeirazzia gewarnt habe, wenn er bereits von der Verhaftung des Bruders und seiner Denunziation gewusst habe. Ebenso unlogisch sei es, dass der Bruder die Beschwerdeführerin, aber nicht den in die Sache verwickelten Freund, verraten habe. Gemäss Aussagen der Beschwerdeführerin habe die Polizei ihre Wohnadresse gekannt und von der schwarzen Mappe in ihrem Haus gewusst. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass die Polizisten in ihrer Abwesenheit das Haus durchsucht hätten. Wären die Beschwerdeführer tatsächlich von den iranischen Behörden gesucht worden, hätten sie kaum unbehelligt über den Flughafen in Teheran legal mit den eigenen Ausweisen ausreisen können. Wäre der Bruder der Beschwerdeführerin tatsächlich ein hochrangiger Oppositioneller gewesen, wäre ihre ganze Familie Ziel staatlicher Verfolgung gewesen. Gemäss den Angaben über die Telefongespräche mit ihrer Familie sei dies indes nicht der Fall. Zudem hätte der Bruder als Oppositioneller nach einem Jahr Gefängnis kaum unbegleiteten Hafturlaub wegen gesundheitlicher Probleme seiner Mutter bekommen; das Risiko einer Flucht wäre zu gross gewesen.
Die Beschwerdeführer machen geltend, ihre Erzählungen würden mehrere Realkennzeichen und Detailangaben enthalten. Sie hätten oftmals mittels direkter Rede geantwortet und ihre Emotionen geschildert.
Die Vorinstanz hat zu Recht festgestellt, dass die Angaben der Beschwerdeführer Widersprüche aufweisen. So gab die Beschwerdeführerin an der Befragung an, ihr Bruder sei anlässlich einer Demonstrationsteilnahme ein Jahr im Gefängnis gewesen, während sie an der Anhörung sagte, er sei zwei Monate inhaftiert gewesen. Anlässlich der Befragung führte sie aus, der ältere Sohn habe ihr telefonisch mitgeteilt, die Polizei habe das Haus durchsucht, die schwarze Mappe ihres Bruders mitgenommen und verlangt, dass sich die Eltern auf dem Polizeiposten meldeten. Anlässlich der Anhörung meinte sie hingegen, der Sohn habe ihr lediglich per Telefon gesagt, sie solle schnell nach Hause kommen. Daraufhin habe sie Panik bekommen, weil sie gedacht habe, es sei irgendetwas mit dem jüngeren Sohn passiert. Im Widerspruch zu diesen beiden Aussagen erzählte der ältere Sohn an der Befragung, er habe die Beschwerdeführerin telefonisch nicht erreicht. An der Befragung gab die Beschwerdeführerin an, die Bekannte habe ihre Söhne zu Hause abgeholt. An der Anhörung sagte sie hingegen, es sei der Ehemann der Bekannten gewesen. Viel ge-
wichtiger als diese Widersprüche sind indes die zahlreichen Ungereimtheiten in den Vorbringen der Beschwerdeführer. Die Beschwerdeführerin sagte, der Freund des Bruders habe erzählt, der Bruder sei verhaftet und befragt worden. Nach zweitägiger Folter habe er verraten, dass belastende Dokumente bei seiner Schwester zu Hause versteckt seien. Es ist nicht erklärbar, wie der Freund diese Einzelheiten aus der Haft des Bruders erfahren haben soll, da er selbst bei dessen Verhaftung nicht anwesend war oder inhaftiert worden ist. Zudem wäre davon auszugehen, dass der Freund die Beschwerdeführerin umgehend über die Verhaftung des Bruders informiert und gewarnt hätte, anstatt zuzuwarten, bis die Polizei eine Hausdurchsuchung bei der Beschwerdeführerin machen und Dokumente finden würde, die auch ihn belasten könnten. Des Weiteren ist nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführer vom iranischen Staat gesucht worden sein sollen, gleichzeitig aber problemlos legal mit ihren eigenen Ausweispapieren aus dem Iran ausreisen konnten. Hätten die iranischen Behörden tatsächlich ein Interesse an ihnen gehabt, wären sie am Flughafen zurückgehalten worden. Ebenso wenig nachvollziehbar ist, dass der Bruder als Oppositioneller einen unbegleiteten Hafturlaub wegen gesundheitlicher Probleme seiner Mutter bekommen haben soll. Hinsichtlich weiterer Ungereimtheiten kann auf die zutreffenden Ausführungen in den Verfügungen verwiesen werden. In der Beschwerdeschrift wird nichts vorgebracht, das die Widersprüche und Ungereimtheiten erklären könnte. Die eingereichte Vorladung für den Bruder weist keine fälschungssicheren Merkmale auf, weshalb ihr nur ein geringer Beweiswert zukommt. Insgesamt sind die Vorbringen der Beschwerdeführer als unglaubhaft einzustufen. Die Vorinstanz hat die Asylgesuche zu Recht abgewiesen.
Lehnt das SEM das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie (Art. 44 AsylG). Die Beschwerdeführer verfügen weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet.
Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, so regelt das Staatssekretariat das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 44 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AIG).
Nach Art. 83 Abs. 3 AIG ist der Vollzug nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunftsoder einen Drittstaat entgegenstehen. Vorliegend kommt dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zu. Das flüchtlingsrechtliche Rückschiebungsverbot von Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) und Art. 5 AsylG ist daher nicht anwendbar. Die Zulässigkeit des Vollzugs beurteilt sich vielmehr nach den allgemeinen verfassungsund völkerrechtlichen Bestimmungen (Art. 25 Abs. 3 BV; Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe [FoK, SR 0.105]; Art. 3 EMRK).
Aus den Akten ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführer für den Fall einer Ausschaffung nach Iran dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen Strafe oder Behandlung ausgesetzt wären. Der Vollzug der Wegweisung ist zulässig.
Nach Art. 83 Abs. 4 AIG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimatoder Herkunftsstaat auf Grund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind.
Im Iran herrscht weder Krieg oder Bürgerkrieg noch eine Situation allgemeiner Gewalt, aufgrund derer eine Rückkehr generell unzumutbar wäre (Urteile des BVGer E-3169/2019 vom 23. August 2019 E. 8.3; E-353/2019 vom 22. März 2019 E. 10.4.1).
Der Beschwerdeführer arbeitete in F. als Imker und Landwirt. Mit seinem Einkommen konnte er für den Lebensunterhalt seiner Familie aufkommen. Die Ehefrau verfügt über Berufserfahrung als Näherin und war Hausfrau. Mit ihren Geschwistern, den Eltern der Beschwerdeführerin und ihren Freunden verfügen sie über ein familiäres und soziales Beziehungsnetz im Iran. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr seine frühere Tätigkeit wieder aufnehmen und für die Familie sorgen kann. Die Schwangerschaft der Beschwerdeführerin steht einer Rückkehr ebenfalls nicht im Weg, da eine entsprechende medizinische Versorgung im Iran gewährleistet ist.
Sind von einem allfälligen Wegweisungsvollzug Kinder betroffen, so kommt dem Kindeswohl im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung eine gewichtige Bedeutung zu. Unter dem Aspekt des Kindeswohls sind sämtliche Umstände einzubeziehen und zu würdigen, die im Hinblick auf eine Wegweisung wesentlich erscheinen. Dabei können namentlich folgende Kriterien im Rahmen einer gesamtheitlichen Beurteilung von Bedeutung sein: Alter des Kindes, Reife, Abhängigkeiten, Art (Nähe, Intensität, Tragfähigkeit) seiner Beziehungen, Eigenschaften seiner Bezugspersonen (insbesondere Unterstützungsbereitschaft und -fähigkeit), Stand und Prognose bezüglich Entwicklung/Ausbildung, Grad der erfolgten Integration bei einem längeren Aufenthalt in der Schweiz. Gerade letzterer Aspekt, die Dauer des Aufenthaltes in der Schweiz, ist im Hinblick auf die Prüfung der Chancen und Hindernisse einer Reintegration im Heimatland bei einem Kind als gewichtiger Faktor zu werten, da Kinder nicht ohne guten Grund aus einem einmal vertrauten Umfeld herausgerissen werden sollten. Dabei ist aus entwicklungspsychologischer Sicht nicht nur das unmittelbare persönliche Umfeld des Kindes (d.h. dessen Kernfamilie) zu berücksichtigen, sondern auch dessen übrige soziale Einbettung. Die Verwurzelung in der Schweiz kann eine reziproke Wirkung auf die Frage der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs haben, indem eine starke Assimilierung in der Schweiz mithin eine Entwurzelung im Heimatstaat zur Folge haben kann, welche unter Umständen die Rückkehr dorthin als unzumutbar erscheinen lässt (vgl. BVGE 2009/28 E. 9.3.2; BVGE 2009/51 E. 5.6 S. 749).
Der minderjährige Sohn der Beschwerdeführer ist knapp ( ) Jahre alt. Bis zu seinem ( ) Lebensjahr ist er im Iran aufgewachsen. Seit April 2018 halten sich die Beschwerdeführer in der Schweiz auf. Aufgrund seines Alters und der relativ kurzen Aufenthaltsdauer in der Schweiz kann noch nicht von einer fortgeschrittenen Verwurzelung in der Schweiz gesprochen werden, zumal seine Eltern und der ältere Bruder (noch) die wichtigsten Bezugspersonen bilden. Es ist davon auszugehen, dass er im Iran wieder die Schule besuchen und sich nach einer kurzen Angewöhnungszeit integrieren kann. Eine Rückkehr in den Iran ist demnach mit dem Kindeswohl vereinbar.
Der Vollzug der Wegweisung erweist sich somit auch in individueller Hinsicht als zumutbar.
Nach Art. 83 Abs. 2 AIG ist der Vollzug auch als möglich zu bezeichnen, weil es den Beschwerdeführern obliegt, sich bei der zuständigen Vertretung ihres Heimatstaats die für eine Rückkehr notwendigen Reisedokumente zu beschaffen (Art. 8 Abs. 4 AsylG; BVGE 2008/34 E. 12).
Zusammenfassend hat die Vorinstanz den Wegweisungsvollzug zu Recht als zulässig, zumutbar und möglich bezeichnet. Eine Anordnung der vorläufigen Aufnahme fällt ausser Betracht (Art. 83 Abs. 1-4 AIG).
Aus den Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig sowie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG) und - soweit diesbezüglich überprüfbar - angemessen ist. Die Beschwerde ist abzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG; Art. 1-3 des Reglements vom
21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Da ihre Rechtsbegehren jedoch nicht von vornherein als aussichtslos betrachtet werden können und ihre Bedürftigkeit ausgewiesen ist, ist das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG gutzuheissen. Es sind somit keine Verfahrenskosten zu erheben.
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Die Verfahren E-442/2020 und E-445/2020 werden vereinigt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird gutgeheissen.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.
Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:
David R. Wenger Eliane Kohlbrenner
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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