Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung IV |
Dossiernummer: | D-4836/2020 |
Datum: | 09.10.2020 |
Leitsatz/Stichwort: | Aufhebung vorläufige Aufnahme (Asyl) |
Schlagwörter : | Beschwerde; Beschwerdeführer; Bundesverwaltungsgericht; Recht; Verfügung; Vorinstanz; Landesverweisung; Urteil; Ordnete; Vollzug; Erlöschen; Angeordnete; Unentgeltliche; Prozessführung; Beiordnung; Amtlichen; Gewährung; Eingang; Akten; Verfahren; Abzuweisen; Gesuch; Gericht; Unentgeltlichen; Angeordneten; Träge; Kreisgericht; Verfahrens; Rechtskraft; Stellungnahme |
Rechtsnorm: | Art. 121 BGG ; Art. 32 VwVG ; Art. 48 VwVG ; Art. 49 BV ; Art. 52 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 65 VwVG ; Art. 83 AIG ; Art. 83 BGG ; Art. 84 AIG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar zugewiesen: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
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Abteilung IV D-4836/2020
Besetzung Einzelrichterin Jeannine Scherrer-Bänziger, mit Zustimmung von Richter Simon Thurnheer; Gerichtsschreiber Patrick Blumer.
Parteien A. , geboren am (…), Afghanistan,
(…) Beschwerdeführer,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Aufhebung vorläufige Aufnahme (Asyl);
Verfügung des SEM vom 28. August 2020 / N (…).
Der Beschwerdeführer ersuchte am 25. November 2015 in der Schweiz um Asyl.
Mit Verfügung vom 15. Juni 2017 stellte das SEM fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte sein Asylgesuch ab und verfügte die Wegweisung aus der Schweiz, ordnete aber wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers an.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil E-3970/2017 vom 23. August 2017 ab.
Mit Urteil (…) vom 4. Juni 2020 verurteilte das Kreisgericht B. den Beschwerdeführer wegen versuchter Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von (…) Monaten, wovon der Vollzug von (…) Monaten bedingt ausgesprochen wurde. Gleichzeitig sprach es eine Landesverweisung von (…) Jahren gestützt auf Art. 66a Abs. 1 lit. h StGB aus und ordnete die Ausschreibung der Landesverweisung (Einreiseund Aufenthaltsverweigerung) im Schengener Informationssystem an. Dieser Entscheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Mit Schreiben vom 23. Juli 2020 teilte das SEM dem Beschwerdeführer
mit, aufgrund des genannten Urteils des Kreisgerichts B.
vom
4. Juni 2020 beabsichtige es festzustellen, dass seine vorläufige Aufnahme erloschen sei, und gewährte ihm dazu das rechtliche Gehör.
Mit undatierter Stellungnahme (eingehend beim SEM am 14. August 2020) machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, da er als Armee-Deserteur aus dem Taliban-Gebiet im Falle einer Auslieferung umgehend festgenommen, gefoltert und durch Schläge exekutiert würde.
Mit Verfügung vom 28. August 2020 – eröffnet am 31. August 2020 – stellte das SEM fest, dass die am 15. Juni 2017 angeordnete vorläufige Aufnahme erloschen sei. Es wies die Gesuche um unentgeltliche Prozessführung und
Beiordnung eines amtlichen Rechtsbeistandes ab, soweit es darauf eintrat. Auf die übrigen Verfahrensanträge trat es nicht ein.
Der Beschwerdeführer teilte dem SEM mit als «Asylstatus Gewährung aufgrund neuer Beweismittel» bezeichneter Eingabe (undatiert, Eingang beim SEM am 2. September 2020) mit, er sei zwischenzeitlich im Besitz der in seiner Stellungnahme (vgl. Bst. D hievor) genannten Unterlagen, welche er nunmehr mit Übersetzung und beglaubigt in der Beilage zur Kenntnisnahme einreiche.
Mit Schreiben vom 4. September 2020 sandte das SEM dem Beschwerdeführer diese Eingabe samt Beilagen zurück, da daraus nicht eindeutig hervorgehe, ob er gegen die vorgenannte Verfügung vom 28. August 2020 Beschwerde erheben wolle. Es machte gleichzeitig auf die noch laufende Beschwerdefrist an das Bundesverwaltungsgericht aufmerksam.
Mit an das Migrationsamt des Kantons C. gerichteter und von diesem mit Schreiben vom 30. September 2020 an das Bundesverwaltungsgericht weitergeleiteter Eingabe (undatiert, Eingang beim BVGer am 1. Oktober 2020) erhob der Beschwerdeführer gegen die Feststellungsverfügung des SEM vom 28. August 2020 Beschwerde. Er beantragt sinngemäss die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Beiordnung eines amtlichen Beistands in der Person von Rechtsanwalt D. , E. oder F. . Weiter sei ihm Akteneinsicht und das Replikrecht sowie eventualiter Gelegenheit zur Beschwerdeverbesserung zu gewähren. Ferner sei das Verfahren beschleunigt durchzuführen und ihm seien die Unkosten in der Höhe von Fr. 500.– zu ersetzen und eine Eingangsbestätigung zuzustellen.
Der Beschwerde lagen die beim SEM am 2. September 2020 eingegangenen und dem Beschwerdeführer zurückgesandten Dokumente (vgl. Bst. F hievor) im Original bei.
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 1. Oktober 2020 den Eingang der Beschwerde.
Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet im Bereich des Ausländerrechts betreffend Erlöschen der vorläufigen Aufnahme endgültig (Art. 83 Bst. c Ziff. 3 BGG). Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist – vorbehältlich der E. 5.3 – einzutreten (Art. 50 und Art. 52 Abs. 1 VwVG)
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).
Bei Beschwerden gegen Verfügungen des SEM betreffend Feststellung des Erlöschens der vorläufigen Aufnahme ist lediglich zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht das Bestehen eines Erlöschenstatbestandes im Sinne von Art. 83 Abs. 9 beziehungsweise Art. 84 Abs. 4 AIG (SR142.20) festgestellt hat. Sofern das Gericht den vorinstanzlichen Feststellungsentscheid als unrechtmässig erachtet, hebt es die angefochtene Verfügung auf, womit die vorläufige Aufnahme weiterhin Bestand hat.
Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG). Wie nachstehend aufgezeigt, handelt es sich vorliegend um eine solche, weshalb der Beschwerdeentscheid nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG). Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde vorliegend auf einen Schriftenwechsel verzichtet.
Die vom Beschwerdeführer eingereichte undatierte Beschwerdeschrift erfüllt die formellen Anforderungen (Einreichung in schriftlicher Form, Unterschrift, hinreichend klare Anträge und Begründung). Es besteht keine Veranlassung zur Beschwerdeverbesserung. Ein Replikrecht muss dem
Beschwerdeführer ebenfalls nicht eingeräumt werden, da die Vorinstanz sich nicht zur Beschwerde äusserte und es ihm offen gestanden wäre, sich im Rahmen von Art. 32 Abs. 2 VwVG einzubringen, falls er wesentliche Nachträge zu seiner Beschwerde gehabt hätte.
Der Beschwerdeführer substantiierte nicht ansatzweise, in welche Akten ihm Einsicht zu gewähren sei, weshalb sein Akteneinsichtsgesuch abzuweisen ist, zumal ihm die Vorinstanz das am 31. Juli 2020 gestellte Gesuch um Akteneinsicht offenbar bereits beantwortet hatte.
Gemäss Art. 83 Abs. 9 AIG wird die vorläufige Aufnahme nicht verfügt oder sie erlischt, wenn eine Landesverweisung nach Art. 66a oder 66abis StGB oder Art. 49a oder 49abis MStG rechtskräftig geworden ist.
Das Kreisgericht B. hat mit Urteil (…) vom 4. Juni 2020 unter anderem eine Landesverweisung von (…) Jahren gestützt auf Art. 66a Abs. 1 lit. h StGB ausgesprochen. Dieser Entscheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Der Beschwerdeführer äusserte sich weder in seiner Stellungnahme an die Vorinstanz (rechtliches Gehör) noch in seiner Beschwerdeschrift zur eingetretenen Rechtskraft der Landesverweisung. Stattdessen beschränkt er sich auf ausschweifende Ausführungen. Daraus kann er keine Rechtsverletzung ableiten. Eine solche ist auch nicht ersichtlich. Die Vorinstanz hat zu Recht das Erlöschen der vormals angeordneten vorläufigen Aufnahme nach Art. 83 Abs. 9 AIG festgestellt. Die Beschwerde ist in diesem Punkt abzuweisen.
Soweit der Beschwerdeführer gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht geltend macht, seine Desertion aus der Armee habe im Taliban-Gebiet seines Heimatstaates seine Festnahme, Folterung und Exekution zur Folge, was als zwingendes völkerrechtliches Wegweisungsvollzugshindernis zu berücksichtigen sei, liegt es nicht in der Zuständigkeit der Vorinstanz, sondern der kantonalen Vollzugsbehörde, derartige Vorbringen zum gegebenen Zeitpunkt bei der Vollstreckung der Landesverweisung zu würdigen. Mit der entsprechenden Prüfung der Vollstreckbarkeit der rechtskräftig angeordneten Landesverweisung werden demzufolge zu gegebener Zeit die zuständigen kantonalen Behörden betraut sein. Diese werden dabei durch die Vorinstanz unterstützt, indem diese nebst dem Führen von Ausreisege-
sprächen, Hilfe bei der Papierbeschaffung insbesondere auch einen permanenten Informationsaustausch über Fragen des Vollzugs pflegt (vgl. Art. 71 AIG i.V.m. Art. 1 und 7 Abs. 2 der Verordnung über den Vollzug der Wegund Ausweisung sowie der Landesverweisung von ausländischen Personen [VVWAL; SR 142.281]). Eine derartige allfällige Vollstreckungsverfügung wäre – nach Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs – beim Bundesgericht und nicht etwa beim Bundesverwaltungsgericht anzufechten (vgl. Urteil des BVGer E-695/2020 vom 27. März 2020 E. 2.3).
Dem Gesagten nach erübrigt sich auch eine weitergehende Auseinandersetzung mit den eingereichten Dokumenten (vgl. vorstehender Bst. F), zumal in der Rechtsmitteleingabe substanziierte Ausführungen dazu fehlen (vgl. Beschwerde, S. 15). Soweit es sich dabei um neue erhebliche Beweismittel handeln sollte, die seine Flüchtlingseigenschaft beschlagen, steht es dem Beschwerdeführer frei, ein Revisionsgesuch gemäss Art. 121 ff. BGG (i.V.m. Art. 45 VGG) oder gegebenenfalls ein Folgeasylgesuch gemäss Art. 111b AsylG (qualifiziertes Wiedererwägungsgesuch) oder 111c AsylG (Mehrfachgesuch; vgl. BVGE 2014/39) einzureichen.
Auf die Beschwerde ist daher mit Bezug auf die vom Beschwerdeführer erwähnten Vollzugshindernisse nicht einzutreten.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Vorinstanz mit Verfügung vom 28. August 2020 zu Recht das Erlöschen der am 15. Juni 2017 angeordneten vorläufigen Aufnahme festgestellt hat.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die vorliegende Verfügung Bundesrecht nicht verletzt und die Beschwerde abzuweisen ist, soweit auf diese einzutreten ist.
Der Beschwerdeführer beantragt die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG und die Beiordnung eines amtlichen Rechtsbeistands nach Art. 65 Abs. 2 VwVG. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass seine Begehren als aussichtslos zu gelten haben. Damit ist eine der beiden kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen (Bedürftigkeit und Nicht-Aussichtslosigkeit) nicht gegeben, weshalb die Gesuche ungeachtet der behaupteten Bedürftigkeit abzuweisen sind.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf insgesamt Fr. 750.– festzusetzen (Art. 1–3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und um Beiordnung eines amtlichen Rechtsbeistands werden abgewiesen.
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Die Einzelrichterin: Der Gerichtsschreiber:
Jeannine Scherrer-Bänziger Patrick Blumer
Versand:
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