Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung VI |
Dossiernummer: | F-3148/2020 |
Datum: | 24.06.2020 |
Leitsatz/Stichwort: | Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) |
Schlagwörter : | Beschwerde; Beschwerdeführer; Beschwerdeführenden; Portugal; Dublin-III-VO; Ellung; Medizinische; Führerin; Beschwerdeführerin; Mitgliedstaat; Recht; Portugiesische; Asylgesuch; Verfahren; Überstellung; Behörden; Behandlung; Zuständig; Verfügung; Portugiesischen; Vorinstanz; Antrag; Staat; Schutz; Bundesverwaltungsgericht; Gesundheit; Ermessens; Medizinischen; Zuständigkeit |
Rechtsnorm: | Art. 48 VwVG ; Art. 52 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 65 VwVG ; Art. 83 AIG ; Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar zugewiesen: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Weitere Kommentare: | - |
Abteilung VI F-3148/2020
Besetzung Einzelrichterin Regula Schenker Senn,
mit Zustimmung von Richter Gregor Chatton, Gerichtsschreiber Daniel Grimm.
gegen
Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.
Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren);
Verfügung des SEM vom 16. Juni 2020 / ( ).
Der Beschwerdeführer 1 und die Beschwerdeführerin 2 reichten am
12. Februar 2020 im Bundesasylzentrum in Zürich für sich und ihre min-
derjährige Tochter C.
(Beschwerdeführerin 3) Asylgesuche ein.
Ein Abgleich mit dem zentralen Visa-Informationssystem (CS-VIS) ergab, dass die portugiesische Botschaft in Luanda dem Beschwerdeführer 1 ein vom 15. August 2019 bis 10. Februar 2020 gültiges und der Beschwerde-
führerin 2 ein vom 4. November 2019 bis 18. Dezember 2019 gültiges Visum ausgestellt hatte (vgl. Akten der Vorinstanz [SEM act.] 14 bzw. 16).
Im Rahmen des Dublin-Gesprächs vom 21. Februar 2020 gewährte das SEM dem Beschwerdeführer 1 und der Beschwerdeführerin 2 das rechtliche Gehör zur Zuständigkeit Portugals für die Durchführung der Asylund Wegweisungsverfahren, zu einer allfälligen Rückkehr dorthin sowie zum medizinischen Sachverhalt. Der Beschwerdeführer 1 führte hierzu aus, nicht nach Portugal zurückkehren zu wollen. Er habe eine Familie, für welche er die Verantwortung trage. In Portugal gebe es keine guten Bedingungen, viel Rassismus und die Polizei schlage Migranten. Er sei dort kein normaler Bürger und benötige für sich und die ganze Familie Schutz und Sicherheit. Ausserdem sei er noch jung. Hier in der Schweiz könnte er arbeiten und dann auch Steuern bezahlen. Zum Gesundheitszustand gab er an, bereits einen Arzttermin gehabt zu haben, bei welchem ihm Blutund Urinproben abgenommen worden seien. Zwecks Besprechung der Laborresultate sei auf den 11. März 2020 ein weiterer Termin angesetzt. Zudem sei ein Röntgen geplant. Er sei nämlich angegriffen worden, wobei man ihm den Arm gebrochen habe. Ferner plagten ihn Schmerzen an der Wirbelsäule (SEM act. 26).
Die Beschwerdeführerin 2 ihrerseits erklärte, keinesfalls nach Portugal zurückkehren zu wollen, da es dort viele Angolaner und viel Rassismus gebe. Zum medizinischen Sachverhalt machte sie geltend, sie habe sich schon ein paar Untersuchungen unterzogen, die Resultate seien aber noch ausstehend. Der nächste Arzttermin stehe am 3. März 2020 an. Sodann sei sie in der dreissigsten Woche schwanger. Ihre Tochter C. habe man noch nicht untersucht. Sie leide an Verdauungsproblemen, könne nicht defäkieren und benötige immer Zäpfchen (SEM act. 24).
Wegen der angegebenen gesundheitlichen Probleme begaben sich die
Beschwerdeführenden 1 - 3 in den folgenden Wochen mehrmals in ambulante ärztliche Behandlung (vgl. SEM act. 31, 32, 37, 45 - 50, 61 - 64 sowie
72).
Am 21. April 2020 ersuchte die Vorinstanz die portugiesischen Behörden um Übernahme der Beschwerdeführenden 1 - 3 gemäss Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin-III-VO).
Am 1. Mai 2020 kam das Kind D. (Beschwerdeführerin 4) zur Welt (SEM act. 58 - 60). Das SEM orientierte die portugiesischen Behörden am
2. Juni 2020 über die Geburt des Kindes und bat darum, dies im bereits übermittelten Übernahmeersuchen zu berücksichtigen (SEM act. 38).
Soweit die Beschwerdeführenden 1 - 3 betreffend, stimmten die portugiesischen Behörden dem Übernahmeersuchen am 3. Juni 2020 zu (SEM act. 39 - 42).
Vom 2. Juni 2020 bis 6. Juni 2020 befand sich der Beschwerdeführer 1 aufgrund einer Operation (laparoskopische Hernienplastik) im Stadtspital X. in stationärer Behandlung (SEM act. 50 - 54).
Auf entsprechende Nachfrage sandte das SEM den portugiesischen Behörden am 9. Juni 2020 die Geburtsbestätigung des Kindes D. (SEM act. 65 - 67).
Am 12. Juni 2020 stimmten die portugiesischen Behörden auch dem Ersuchen um Übernahme der Beschwerdeführerin 4 zu (SEM act. 68/69).
Mit Verfügung vom 16. Juni 2020 (gleichentags eröffnet) trat die Vorinstanz in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG (SR 142.31) auf die Asylgesuche der Beschwerdeführenden nicht ein, verfügte ihre Überstellung
nach Portugal und forderte sie - unter Androhung von Zwangsmassnahmen im Unterlassungsfall - auf, die Schweiz am Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist zu verlassen. Gleichzeitig beauftragte das SEM den Kanton Zürich mit dem Vollzug der Wegweisung, händigte den Beschwerdeführenden die editionspflichtigen Akten gemäss Aktenverzeichnis aus und stellte fest, dass einer allfälligen Beschwerde gegen den Entscheid keine aufschiebende Wirkung zukomme (SEM act. 74).
Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vom 18. Juni 2020 beantragen die Beschwerdeführenden, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, ihr Recht zum Selbsteintritt auszuüben und sich für das vorliegende Asylverfahren für zuständig zu erklären. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchen sie um Erteilung der aufschiebenden Wirkung, Erlass vorsorglicher Massnahmen, Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses (BVGer act. 1).
Am 19. Juni 2020 setzte die Instruktionsrichterin gestützt auf Art. 56 VwVG den Vollzug der Überstellung per sofort einstweilen aus (BVGer act. 2).
Gleichentags lagen dem Bundesverwaltungsgericht die Akten des SEM in elektronischer Form vor (Art. 109 Abs. 3 AsylG).
Das Bundesverwaltungsgericht ist zuständig für die Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen des SEM (Art. 105 AsylG, Art. 31 und 33 Bst. b VGG). Auf dem Gebiet des Asyls entscheidet es in der Regel - und so auch vorliegend - endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).
Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
Die Beschwerdeführenden haben am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, sind durch die angefochtene Verfügung berührt und haben ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Sie sind daher zur Einreichung des Rechtsmittels legitimiert (Art. 105 AsylG und Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 108 Abs. 3 AsylG sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters oder einer zweiten Richterin (Art. 111 Bst. e AsylG), ohne Durchführung eines Schriftenwechsels und mit summarischer Begründung, zu behandeln (Art. 111a Abs. 1 und 2 AsylG).
Mit Beschwerde in Asylsachen kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, ein Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen (Art. 31a Abs. 1-3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht auf ein Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 3.1; 2012/4 E. 2.2, je m.H.).
Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asylund Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG). Zur Bestimmung des staatsvertraglich zuständigen Staates prüft das SEM die Zuständigkeitskriterien gemäss Dublin-III-VO. Führt diese Prüfung zur Feststellung, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist, tritt das SEM, nachdem der betreffende Mitgliedstaat einer Überstellung oder Rücküberstellung zugestimmt hat, auf das Asylgesuch nicht ein (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 6.2).
Gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO wird jeder Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat
erstmals ein Asylantrag gestellt wird (Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO). Im Fall eines sogenannten Aufnahmeverfahrens («take charge») sind die in Kapitel III (Art. 8-15 Dublin-III-VO) genannten Kriterien in der dort aufgeführten Rangfolge (Prinzip der Hierarchie der Zuständigkeitskriterien; vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO) anzuwenden, und es ist von der Situation im Zeitpunkt, in dem die betreffende Person erstmals einen Antrag in einem Mitgliedstaat gestellt hat, auszugehen (Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO). Im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens («take back») findet demgegenüber grundsätzlich keine (erneute) Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III statt (vgl. zum Ganzen BVGE 2017 VI/5 E. 6.2 und 8.2.1 m.H.).
Gemäss Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, welcher der antragstellenden Person ein Visum erteilt hat, das seit weniger als sechs Monaten abgelaufen ist, wobei im betreffenden Staat nicht zusätzlich ein Asylgesuch gestellt worden zu sein braucht. Der nach der Dublin-III-VO zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet, eine asylsuchende Person, die in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Massgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen (Art. 18 Abs. 1 Bst. a Dublin-III-VO). Die Dublin-III-VO räumt den Schutzsuchenden kein Recht ein, den ihren Antrag prüfenden Staat selber auszuwählen (vgl. BVGE 2010/45 E. 8.3).
Gemäss einem Abgleich mit dem CS-VIS erhielt der Beschwerdeführer 1 von Portugal ein vom 15. August 2019 bis 10. Februar 2020 gültiges Visum, der Beschwerdeführerin 2 stellte die portugiesische Botschaft in Luanda ein Visum aus, welches vom 4. November 2019 bis 18. Dezember 2019 gültig war (SEM act. 14 und 16). Die portugiesischen Behörden hiessen das Übernahmeersuchen betreffend die Beschwerdeführenden 1 - 3 am 3. Juni 2020 gestützt auf Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO gut. Am 12. Juni 2020 erklärten sie sich auch mit der Übernahme der Beschwerdeführerin 4 einverstanden (SEM act. 39 und 68). Die grundsätzliche Zuständigkeit Portugals ist somit gegeben und wird von den Beschwerdeführenden nicht bestritten.
Nachfolgend ist demnach im Licht von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO zu prüfen, ob es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Portugal würden systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-
Grundrechtecharta mit sich bringen würden (E. 6) und ob nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO das Selbsteintrittsrecht auszuüben ist (E. 7).
Portugal ist Signatarstaat der EMRK, des Übereinkommens vom
10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) sowie des Zusatzprotokolls der FK vom 31. Januar 1967 (SR 0.142.301) und kommt seinen diesbezüglichen völkerrechtlichen Verpflichtungen nach. Es darf davon ausgegangen werden, dieser Staat anerkenne und schütze die Rechte, die sich für Schutzsuchende aus den Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (sog. Verfahrensrichtlinie) sowie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (sog. Aufnahmerichtlinie), ergeben.
Unter diesen Umständen ist die Anwendung von Art. 3 Abs. 2 DublinIII-VO nicht gerechtfertigt.
Die Beschwerdeführenden führen in der sehr summarisch gehaltenen Rechtsmitteleingabe vom 18. Juni 2020 aus, aufgrund gesundheitlicher Leiden seien sie auf eine angemessene medizinische Versorgung angewiesen. Zudem käme es derzeit in Portugal zu vielen rassistischen Übergriffen gegenüber Angolanern. Aus diesen Gründen seien sie mit der angefochtenen Verfügung nicht einverstanden und verlangten hinsichtlich der persönlichen Sicherheit der Familie sowie des Zugangs zu medizinischer Infrastruktur entsprechende schriftliche Garantien von Portugal. Damit fordern sie im Hauptbegehren implizit die Anwendung der Ermessensklausel von Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO respektive der das Selbsteintrittsrecht im Landesrecht konkretisierenden Bestimmung von Art. 29a Abs. 3 der Asylverordnung vom 11. August 1999 (AsylV1, SR 142.311).
Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, steht es den Beschwerdeführenden nach erfolgter Überstellung nach Portugal offen, dort um Asyl nachzusuchen und damit Zugang zu den asylrechtlichen Aufnahmestrukturen zu erhalten. Die Betroffenen haben in diesem Zusammenhang kein konkretes und ernsthaftes Risiko dargetan, die portugiesischen Behörden würden
sich weigern, sie aufzunehmen und ihren Antrag auf internationalen Schutz unter Einhaltung der Regeln der Verfahrensrichtlinie zu prüfen. Den Akten sind denn auch keine Gründe für die Annahme zu entnehmen, Portugal werde in ihrem Fall den Grundsatz des Non-Refoulement missachten und sie zur Ausreise in ein Land zwingen, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie Gefahr laufen würden, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden. Ausserdem haben die Beschwerdeführenden nicht dargetan, die sie bei einer Rückführung zu erwartenden Bedingungen in Portugal seien derart schlecht, dass sie zu einer Verletzung von Art. 4 der EUGrundrechtecharta, Art. 3 EMRK oder Art. 3 FoK führen könnten (vgl. hierzu etwa Urteil des BVGer F-2789/2788/2020 vom 5. Juni 2020, S. 6 m.H.).
Des Weiteren gibt es auch keine Hinweise für die Annahme, Portugal würde den Beschwerdeführenden dauerhaft die ihnen gemäss Aufnahmerichtlinie zustehenden minimalen Lebensbedingungen vorenthalten. Bei einer allfälligen vorübergehenden Einschränkung könnten sie sich nötigenfalls an die portugiesischen Behörden wenden und die ihnen zustehenden Aufnahmebedingungen auf dem Rechtsweg einfordern (vgl. Art. 26 Aufnahmerichtlinie). Bei Portugal handelt es sich um einen Rechtsstaat mit funktionierendem Justizsystem. Sodann verfügt das Land über eine Polizeibehörde, die sowohl als schutzwillig als auch als schutzfähig gilt und deren Hilfe die Beschwerdeführenden im Falle einer tatsächlichen Bedrohung durch Dritte (beispielsweise rassistische Übergriffe) in Anspruch nehmen könnten. Für das Einholen individueller Garantien besteht folglich kein Anlass.
Was den medizinischen Sachverhalt anbelangt, so kann eine zwangsweise Rückweisung von Personen mit gesundheitlichen Problemen nur ganz ausnahmsweise einen Verstoss gegen Art. 3 EMRK darstellen. Eine vom EGMR definierte Konstellation betrifft Schwerkranke, die durch die Abschiebung - mangels angemessener medizinischer Behandlung im Zielstaat - mit einem realen Risiko konfrontiert würden, einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen würde (vgl. Urteil des EGMR Paposhvili gegen Belgien 13. Dezember 2016, Grosse Kammer 41738/10,
§§ 180-193 m.w.H.).
Eine solche Situation ist vorliegend nicht gegeben. Die gesundheitlichen Probleme des Beschwerdeführers 1 sind in mehreren ärztlichen Be-
richten des Ambulatoriums Y.
und des Stadtspitals X.
festgehalten. Die fraglichen medizinischen Unterlagen beinhalten u.a. folgende Diagnosen: Vorwiegend durch Geschlechtsverkehr übertragene Krankheiten (nicht klassifiziert), Hühneraugen, Fraktur im Bereich der Schultern und des Oberarms, Radikulopathie im Lumbalbereich, Diskushernie, Luxation, Verstauchung und Zerrung des Kniegelenks und von Bändern des Kniegelenks, nicht näher bezeichnete Bauchschmerzen, Krankheiten des Hodens und Nebenhodens, nicht näher bezeichnete Verletzungen der Knöchelregion und des Fusses, chronische Virushepatitis B, akute Virushepatitis A, Vitamin-D-Mangel. Zur Behandlung der aufgeführten Beschwerden wurden ihm in der Zeitspanne vom 19. Februar 2020 bis
27. April 2020 zwei Injektionen und insgesamt neun Medikamente verschrieben (zum Ganzen vgl. Zusammenstellung unter SEM act. 49). Am
2. Juni 2020 unterzog sich der Beschwerdeführer 1 im Stadtspital
X.
zudem einem operativen Eingriff (laparoskopische Hernien-
plastik aufgrund symptomatischer Inguinalhernien beidseits), weshalb er dort bis zum 6. Juni 2020 hospitalisiert blieb. Der Eingriff verlief reibungslos. Postoperativ erhielt der Patient zwei Schmerzmittel (Dafalgan, Novalgin), verbunden mit der Anweisung zu regelmässigen Wundkontrollen und hausärztlicher Fadenentfernung zirka zwei Wochen nach der Operation (vgl. SEM act. 50 - 52). Aus den in den aktenkundigen Arztberichten figurierenden Diagnosen ergibt sich mithin, dass sich der Beschwerdeführer 1 aus medizinischer Sicht nicht zwingend in der Schweiz aufhalten muss, sondern eine adäquate Behandlung der festgestellten Leiden in Portugal möglich ist. Dies gilt auch hinsichtlich der Fortführung der jeweiligen Medikationen sowie der Nachkontrollen zur Leistenoperation. Dementsprechend gelingt es dem Beschwerdeführer 1 nicht, nachzuweisen, dass er nicht reisefähig sei oder eine Überstellung nach Portugal seine Gesundheit ernsthaft gefährden würde. Sein Gesundheitszustand vermag eine Unzulässigkeit im Sinne dieser restriktiven Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen.
Nicht anders verhält es sich mit den anderen Beschwerdeführenden. Die Beschwerdeführerin 2 hat am 1. Mai 2020 die Tochter D. geboren. Die Geburt verlief ohne Komplikationen. Festgestellt wurden bei der Kindsmutter ferner Hepatitis B und Streptokokken (SEM act. 58 - 60). Das Neugeborene ist gesund (SEM act. 63/64). Bei dem inzwischen 2-jährigen Kind C. (Beschwerdeführerin 3) wurden am 29. Februar 2020 eine Obstipation, eine Erkältung mit Rhinitus, trockene Hautstellen und eine
Stuhlwalze im linken Oberbauch diagnostiziert und medikamentös behandelt (SEM act. 61/62). Was die damals ebenfalls beobachteten psychischen Beschwerden und Verhaltensauffälligkeiten anbelangt, informierte die zuständige Gesundheitsbetreuung das SEM am 15. Juni 2020 darüber, dass es nicht als notwendig erachtet worden sei, deswegen einen weiteren Arzttermin anzusetzen (SEM act. 72). Wie beim Beschwerdeführer 1 sind die gesundheitlichen Beeinträchtigungen demnach auch bei den übrigen Familienmitgliedern nicht von einer derartigen Schwere, dass im Falle einer Überstellung nach Portugal mit dem Risiko einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gerechnet oder aus humanitären Gründen von einer Überstellung abgesehen werden müsste.
Wie angetönt, ist im Übrigen allgemein bekannt, dass Portugal über eine ausreichende medizinische Infrastruktur verfügt. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, den Antragstellern die erforderliche medizinische Versorgung, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten und schweren psychischen Störungen umfasst, zugänglich zu machen (Art. 19 Abs. 1 Aufnahmerichtlinie); den Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen ist die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe (einschliesslich nötigenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung) zu gewähren (Art. 19 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie). Es liegen keine Hinweise vor, wonach Portugal den Beschwerdeführenden eine adäquate medizinische Behandlung (konkret routinemässige Nachkontrollen zur Leistenoperation bzw. zur Geburt) verweigern würde. Zusätzlicher Garantien bedarf es auch in dieser Hinsicht nicht.
Anzumerken ist, dass die schweizerischen Behörden, die mit dem Vollzug der angefochtenen Verfügung beauftragt sind, den medizinischen Umständen bei der Bestimmung der konkreten Modalitäten der Überstellung der Beschwerdeführenden Rechnung tragen und die portugiesischen Behörden vorgängig in geeigneter Weise über die spezifischen medizinischen Umstände informieren (vgl. Art. 31 f. Dublin-III-VO). Dies ist vorliegend geschehen, sind die jeweiligen Diagnosen in den Überstellungsmodalitäten doch detailliert aufgelistet (SEM act. 75)
Gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts verfügt die Vorinstanz bei der Anwendung von Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 über einen Ermessensspielraum (vgl. BVGE 2015/9 E. 7 f.). Die angefochtene Verfügung ist unter diesem Blickwinkel nicht zu beanstanden; insbesondere sind den Akten keine Hinweise auf einen Ermessensmissbrauch oder ein Überres- pektive Unterschreiten des Ermessens zu entnehmen. Das Gericht enthält sich deshalb in diesem Zusammenhang weiterer Äusserungen.
Nach dem Gesagten besteht kein Grund für eine Anwendung der Ermessensklauseln von Art. 17 Dublin-III-VO. Somit bleibt Portugal der für die Behandlung allfälliger Asylgesuche der Beschwerdeführenden zuständige Mitgliedstaat gemäss Dublin-III-VO.
Das SEM ist demnach zu Recht in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG auf das Asylgesuch der Beschwerdeführenden nicht eingetreten. Weil die Beschwerdeführenden nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltsoder Niederlassungsbewilligung sind, wurde die Überstellung nach Portugal in Anwendung von Art. 44 AsylG ebenfalls zu Recht angeordnet (Art. 32 Bst. a AsylV 1).
Da das Fehlen von Überstellungshindernissen bereits Voraussetzung des Nichteintretensentscheides gemäss Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG ist, sind allfällige Vollzugshindernisse gemäss Art. 83 Abs. 3 und 4 AIG unter diesen Umständen nicht mehr zu prüfen (vgl. BVGE 2015/18 E. 5.2 m.w.H.).
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen und die Verfügung des SEM zu bestätigen.
Der am 19. Juni 2020 angeordnete Vollzugsstopp fällt mit vorliegendem Urteil dahin.
Die mit der Beschwerde gestellten Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses sind, soweit mit vorliegendem Entscheid nicht gegenstandslos geworden, abzuweisen, da die Begehren gemäss vorstehenden Ausführungen als aussichtslos zu bezeichnen sind, weshalb die Voraussetzungen von Art. 65 Abs. 1 VwVG nicht erfüllt sind. Die Verfahrenskosten sind daher den Beschwerdeführenden aufzuerlegen (vgl. Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf insgesamt Fr. 750.- festzusetzen (Art. 1 - 3 des Reglements vom
21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung wird abgewiesen.
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.- werden den Beschwerdeführenden auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Die Einzelrichterin: Der Gerichtsschreiber:
Regula Schenker Senn Daniel Grimm
Versand:
Zust ellung erf olgt an:
die Beschwerdeführenden (durch Vermittlung des Bundesasylzentrums Zürich, gegen Empfangsbestätigung; Beilage: Einzahlungsschein)
das SEM, Bundesasylzentrum Zürich
das Migrationsamt des Kantons Zürich (in Kopie)
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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