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Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Beschwerdekammer: Strafverfahren
Fallnummer:BG.2021.9
Datum:22.09.2021
Leitsatz/Stichwort:
Schlagwörter : Kanton; Gericht; Filter; öffnen; Hinzufügen; Gerichtsstand; Schweiz; Betäubungsmittel; Waadt; Entscheid; Verfahren; Kantons; Beschwerdekammer; Entscheide; BStGer; Schweizer; Zuständig; Erfolg; Zuständigkeit; Bundesstrafgericht; Handlung; Gerichtsstands; Bundesstrafgerichts; Beschluss; Zuständig; StA/BE; Erfolgsort; Anknüpfung; Verfahrens
Rechtskraft:Kein Rechtsmittel gegeben
Rechtsnorm: Art. 3 StGB ; Art. 32 StPO ; Art. 38 StPO ; Art. 4 StPO ; Art. 40 StPO ; Art. 42 StPO ; Art. 7 BGG ; Art. 7 StGB ; Art. 8 StGB ;
Referenz BGE:105 IV 326; 108 IV 145; 120 IV 146; 133 IV 171; 144 IV 265; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

BG.2021.9

Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BG.2021.9 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen

Beschluss vom 22. September 2021
Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Roy Garré, Vorsitz,

Cornelia Cova und Stephan Blättler,

Gerichtsschreiber Martin Eckner

Parteien

Kanton Bern, Generalstaatsanwaltschaft ,

Gesuchsteller

gegen

1.    Kanton Waadt, Ministère public central ,

2.    Kanton Zürich, Oberstaatsanwaltschaft ,

Gesuchsgegner

 

Gegenstand

Gerichtsstandskonflikt ( Art. 40 Abs. 2 StPO)


Sachverhalt:

A. Das Grenzwachtkorps nahm am 20. September 2019, 07.35 Uhr, im Postzentrum in Z. (ZH) eine Sicherstellung im Postverkehr vor. Es handelte sich um eine Briefpostsendung ohne Nummer aus den Niederlanden. Wie das Forensische Institut feststellte, enthielt sie einen Minigrip mit netto 0.08 Gramm Betäubungsmittel. Die Sendung war adressiert an […] (BE), mit dem Empfänger A. Abklärungen der Kantonspolizei […] ergaben, dass A. dort zur Zeit der Bestellung als […] tätig war.

B. Die Kantonspolizei […] befragte A. am 19. Februar 2020. A. sagte aus, bis 31. Januar 2020 […](BE) gearbeitet zu haben und ab 1. März 2020 in Y. (D) tätig zu sein. Die Wohnadresse in X. (VD) bleibe gültig, bis sie einen Entscheid zur Vermietung träfen.

A. erklärte, er habe das Betäubungsmittel bestellt, um es in seiner Forschung […] einzusetzen. Das Betäubungsmittel hätte als neuer Ansatz helfen können […]. Er habe nur eine kleine Menge bestellen wollen, um […] zu testen, ob es überhaupt funktioniere. Wieviel er habe einsetzen wollen, sei noch nicht klar gewesen. Der Ansatz sei erst während der Studie aufgekommen, weshalb er dies selbst entschieden habe. Als […] sei er verantwortlich. Die Bewilligung […] laufe noch bis […]. Das Betäubungsmittel habe er Mitte September 2019 über das Internet bestellt, mit der E-Mail seines Arbeitgebers und vielleicht von seinem Büro aus. Er habe es mit seiner persönlichen Kreditkarte bezahlt. Er habe gedacht, eine Rückzahlung in einer zweiten Phase einzugeben. Im schlimmsten Fall seien es ja nur 30 Franken gewesen. Er habe gedacht, der Import für die Forschung sei legal. Nach einer Rückfrage habe er es schliesslich vergessen und sich nicht mehr darum gekümmert.

Die Kantonspolizei führte bei A. einen Drogenschnelltest durch, der negativ auf sämtliche getesteten Substanzen ausfiel.

C. Die StA/BE erliess am 5. Juni 2020 einen Strafbefehl gegen A. wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 11, 19 Abs. 1 lit. b und g, Art. 20 Abs. 1 lit. d BetmG) und versuchten Widerhandlungen gegen das Tierschutzgesetz (Art. 28 Abs. 1 lit. e und Abs. 2 TSchG). Sie warf ihm dabei vor:

(1) A. habe am 15. September 2019 über das Internet Betäubungsmittel bestellt und diese am 20. September 2019 aus den Niederlanden in Z. (ZH) in die Schweiz eingeführt. Die Lieferfirma sei auch für medizinisch indizierte Drogen kein zugelassener Lieferant und A. verfüge über keine Einfuhrbewilligung.

(2) A. habe das eingeführte Betäubungsmittel im Rahmen [ … ] einsetzen wollen [ … ] . Er habe dies getan, ohne dass die Anwendung dieser Drogen im Bewilligungsgesuch beantragt und somit von der Bewilligung vom [ … ] auch nicht umfasst wurde.

A. liess am 19. Juni 2020 Einsprache gegen den Strafbefehl erheben. Er verzichtete am 17. Juli 2020 auf eine staatsanwaltliche Einvernahme.

D. Am 27. Juli 2020 liess A. die Zuständigkeit des Kantons Bern bestreiten. Zuständig sei vielmehr der Kanton Waadt, eventuell der Kanton Zürich. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern (nachfolgend «StA/BE») begründete ihm am 30. Juli 2020, weshalb für sie der Gerichtsstand im Kanton Bern liege. A. antwortete am 17. August 2020, die Ermittlung habe nicht eruieren können, wo die Bestellung des 15. September 2019 stattfand. Daher sei Art. 32 Abs. 1 StPO anzuwenden, was die Zuständigkeit der Behörden seines Wohnsitzes (Kanton Waadt) begründe.

Nach einem Meinungsaustausch mit dem Kanton Waadt verfügte die StA/BE am 9. Oktober 2020, das Strafverfahren in seiner Kompetenz weiterzuführen. Einerseits die Lieferadresse, andererseits die angegebene berufliche E-Mailadresse sprächen für einen Tatort am Arbeitsplatz. Auch der beabsichtigte Erfolgsort liege in […] (BE).

E. Dagegen rief A. am 22. Oktober 2020 die Beschwerdekammer des Bundes­strafgerichts an. Er beantragte, das Verfahren sei vom Kanton Waadt, eventuell Kanton Zürich, zu führen.

Im Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2020.45 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 26. November 2020 würdigte die Beschwerdekammer die vorhandenen Indizien. Für die Beschwerdekammer musste die Bestellung insgesamt mit ausreichender Wahrscheinlichkeit am Arbeitsort des Beschwerdeführers […] erfolgt sein. Damit lag die Zuständigkeit für das Strafverfahren beim Kanton Bern (E. 2.5).

F. Am 1. Dezember 2020 reichte A. der StA/BE Unterlagen ein, wonach er am Bestelltag (Sonntag, 15. September 2019) in Paris (F) gewesen sei. Er reichte dazu eine Buchungsbestätigung der Fluggesellschaft B. ein für einen Hinflug nach Paris am Morgen des Samstags, 14. September 2019, sowie für einen Rückflug am Abend des Dienstags, 17. September 2019, für ihn, seine Frau und sein Kind. Gemäss Reservationsbestätigung eines Hotels in Paris war dort für zwei Erwachsene und ein Kind ein Zimmer vom 14. bis 17. September 2019 reserviert. Er belegte weiter seine Buchung vom 9. April 2019 für ein Fachseminar am 16. und 17. September 2019 in der Nähe von Paris. Schliesslich waren dem Schreiben zwei Fotos mit Datum vom 15. September 2019 beigelegt, wobei eines eine Frau und ein Kind vor dem Eiffelturm zeigt und sie auf dem zweiten mit einem Mann abgebildet sind.

A. liess mit seinem Schreiben vom 1. Dezember 2020 beantragen, das Verfahren sei einzustellen, da keine Schweizer Strafhoheit bestehe. Eventualiter sei nach Art. 32 Abs. 1 StPO der Kanton Waadt zuständig. Der Kanton Bern sei örtlich unzuständig (act. 1.2).

Die Fluggesellschaft B. bestätigte der StA/BE am 15. Dezember 2020, dass A. den Hin- und Rückflug und im September 2019 keinen anderen Flug angetreten hatte (act. 1.3).

G. Die StA/BE leitete am 6. Januar 2021 den Meinungsaustausch zur Zuständigkeit mit dem Kanton Waadt ein (act. 1.4). Dieser lehnte es am 29. Januar 2021 ab, das Strafverfahren zu übernehmen (act. 1.5). Sie kontaktierte erfolglos auch den Kanton Zürich (vgl. act. 4).

H. Der Kanton Bern rief am 9. Februar 2021 die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts an. Er beantragt, es seien die Behörden des Kantons Waadt, eventuell des Kantons Zürich, für zuständig zu erklären. Der Kanton Zürich erklärt sich am 17. Februar 2021 für unzuständig (act. 4). Für den Kanton Waadt liegt die Zuständigkeit beim Kanton Bern (act. 5 Gesuchsantwort vom 25. Februar 2021).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1. Die Eintretensvoraussetzungen (durchgeführter Meinungsaustausch zwischen den involvierten Kantonen und zuständigen Behörden, Frist und Form, (vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2019.50 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 22. Januar 2020 E. 1.1) sind vorliegend erfüllt. Auf das Gesuch ist einzutreten.

2. Der Kanton Bern legt dar, dass aufgrund der neuen Erkenntnisse es keinerlei Anknüpfungspunkte zum Kanton Bern mehr gebe, insbesondere gebe es dort keinen Tatort. Betäubungsmitteldelikte als Tätigkeitsdelikte würden keinen Erfolgsort kennen, an den angeknüpft werden könne. Dafür könne auch nicht die Rechtsprechung zur Schweizer Strafhoheit herangezogen werden (act. 1 S. 4 f.).

Für den Kanton Waadt gibt es einen Erfolgsort in der Schweiz. Die Lehre kenne einen solchen auch bei als Gefährdungsdelikten ausgestalteten Delikten mit überschiessender Innentendenz und zwar als Ort, wo sich die Absicht der beschuldigten Person verwirklichte oder hätte verwirklichen sollen. Während der Handlungsort im Ausland liege, gebe es Erfolgsorte in der Schweiz und zwar am Ort, wo das Betäubungsmittel sichergestellt wurde (Kanton Zürich) wie auch am Ort, wohin es hätte versandt werden sollen (Kanton Bern). Damit sei nicht an den Wohnsitz anzuknüpfen (act. 5).

3.

3.1 Ein nach den Art. 38–41 StPO festgelegter Gerichtsstand kann nur aus neuen wichtigen Gründen und nur vor der Anklageerhebung geändert werden ( Art. 42 Abs. 3 StPO). Neue wichtige Gründe beschlagen die materielle Begründetheit des Gesuchs und nicht die Eintretensfrage (Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2021.1 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 17. Februar 2021 E. 1.3.2).

Neue wichtige Gründe können darin bestehen, dass sich aus verfahrensökonomischen Gründen ein Wechsel des Gerichtsstands gebieterisch aufdrängt. Dies ist z.B. der Fall bei Ermessensüberschreitung durch die Kantone beim Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand, beim Fehlen eines Anknüpfungspunktes beim verfolgenden Kanton, wenn die Gerichtsstands-anerkennung auf einem Irrtum beruht, wenn trotz bereits anderweitig hängigen Strafverfahren wegen massiv schwererer Delikte die Zuständigkeit anerkannt wird oder wenn die neuen Delikte schwerer wiegen und ein deutlich anderes Schwergewicht ergeben. Dagegen liegen keine Gründe für eine Neubeurteilung vor, wenn ein Teil der in die Untersuchung einbezogenen Handlungen aus der Strafverfolgung ausscheidet, die verfolgten Handlungen nachträglich rechtlich anders gewürdigt werden, weitere gleichartige Delikte hinzukommen oder wenn die Untersuchung kurz vor dem Abschluss steht. Gleiches gilt, wenn nachträglich lediglich eine weitere mögliche Mittäterschaft bei Kriminaltouristen bekannt wird (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1B_457/2017 Weitere Urteile BGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 22. November 2017 E. 3; Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BG.2019.45 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 16. Oktober 2019 E. 3.4; BG.2018.30 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 14. November 2018 E. 3.3; BG.2018.21 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 23. Juli 2018 E. 2.1; BG.2017.5 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 9. März 2017 E. 2.7; Schlegel, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2020, Art. 42 StPO N. 6).

3.2 Im Beschluss BG.2020.45 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 26. November 2020, zum gleichen Strafverfahren ergangen, erklärte die Beschwerdekammer aufgrund der vorhandenen Indizien den Kanton Bern für zuständig. Dazu liegen neue Erkenntnisse vor und zwar aufgrund der belegten Angaben des Beschuldigten und den prompten Abklärungen der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern. Das damalige Gerichtsstandsverfahren wurde vom Beschuldigten initiiert, während nun eine Gerichtsstandsstreitigkeit zwischen Kantonen vorliegt. Die neuen Erkenntnisse zeigen eine nur noch flüchtige örtliche Beziehung des Falles zum Kanton Bern. Dorthin sollte das bestellte Betäubungsmittel geliefert, dort sollte es eingesetzt werden. Hingegen hat sich die These einer Bestellung am Arbeitsplatz im Kanton Bern zerschlagen. Damit fehlt es an einem örtlichen Anknüpfungspunkt im Kanton Bern für das Betäubungsmitteldelikt, ein abstraktes Tätigkeitsdelikt ( Hug-Beeli, Kommentar Betäubungsmittelgesetz, 2016, Art. 19 N. 20–22). Dies stellt einen wichtigen Grund dar (so auch Kuhn, Basler Kommentar, 3. Aufl. 2020, Art. 42 StPO N. 6).

3.3 Damit ist der Gerichtsstand erneut zu prüfen.

4.

4.1 Der Gerichtsstand innerhalb der Schweiz kann nur dann bestehen, wenn überhaupt eine Schweizer Strafhoheit vorliegt. Bejaht die Beschwerdekammer dafür eine schweizerische Gerichtsbarkeit vorläufig, so impliziert dies kein definitives Sachurteil. Der Entscheid bleibt vielmehr dem Sachrichter vorbehalten ( Baumgartner, Die Zuständigkeit im Strafverfahren, 2014, S. 68 und dort N. 306 wonach dies auch innerhalb der Strafbefehlskompetenz zu prüfen ist).

4.2 Dem Schweizer Strafgesetzbuch ist unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen begeht ( Art. 3 Abs. 1 StGB). Das Territorialitätsprinzip – d.h. die Anknüpfung der Gerichtsbarkeit an den Begehungsort – bildet die primäre Grundlage des internationalen Strafrechts ( BGE 108 IV 145 E. 3 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen). Auch das schweizerische Strafgesetzbuch geht in Art. 3 von diesem Prinzip aus. Es dient der Gerechtigkeit im Einzelfall und der Prozessökonomie in der Regel am besten, da die Beweisaufnahme am Tatort die zuverlässigsten Ergebnisse verspricht ( BGE 144 IV 265 E. 2.3.1 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen; 121 IV 145 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 2b/bb S. 148). Nach Art. 8 Abs. 1 StGB (a Art. 7 Abs. 1 StGB) gilt ein Verbrechen oder ein Vergehen als da begangen, wo der Täter es ausführt oder pflichtwidrig untätig bleibt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist. Erfolg ist der als Merkmal im Tatbestand umschriebene, räumlich und zeitlich vom Täterverhalten abtrennbare Aussenerfolg des Delikts ( BGE 105 IV 326 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen). Als Ausführung der Tat gilt jedes einzelne tatbestandsmässige Verhalten. Dabei genügt bereits eine teilweise Erfüllung des Tatbestands auf schweizerischem Gebiet, nicht aber der blosse Entschluss zur Tat oder die Vorbereitungshandlung ( BGE 144 IV 265 E. 2.3.1 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen, 2.7.2 zum Ganzen; 141 IV 205 E. 5.2 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen; 141 IV 336 E. 1.1 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen).

Nach der Rechtsprechung erscheint es im internationalen Verhältnis zur Vermeidung negativer Kompetenzkonflikte grundsätzlich als geboten, auch in Fällen ohne engen Bezug zur Schweiz die schweizerische Zuständigkeit zu bejahen. Selbst bei einer weiten Anwendung des in Art. 8 StGB verankerten Ubiquitätsprinzips, wonach entweder der Handlungs- oder der Erfolgsort in der Schweiz liegen muss, bleibt allerdings ein Anknüpfungspunkt zur Schweiz unabdingbar. Als solcher genügt namentlich, dass im Ausland ertrogene oder veruntreute Gelder auf einem Schweizer Bankkonto gutgeschrieben werden ( BGE 133 IV 171 E. 6.3 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen; 124 IV 241 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 2c; Urteil des Bundesgerichts 6B_659/2014 Weitere Urteile BGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 22. Dezember 2017 E. 6.3 f).

4.3 Mit dem versuchten Import eines Betäubungsmittels und der Sicherstellung an der Schweizer Zollstelle besteht ein Anknüpfungspunkt zur Schweiz. Die Schweizer Strafhoheit ist damit zu bejahen.

5.

5.1 Die Bestimmung der Schweizer Gerichtsbarkeit legt noch nicht den örtlichen Gerichtsstand fest; dieser ist vielmehr separat nach den Gerichtsstandsregeln zu bestimmen ( BGE 120 IV 146 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 2a S. 151 f.).

Ist eine Straftat im Ausland verübt worden oder kann der Tatort nicht ermittelt werden, so sind für die Verfolgung und Beurteilung die Behörden des Ortes zuständig, an dem die beschuldigte Person ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat ( Art. 32 Abs. 1 StPO).

5.2 Vorliegend geht es um ein Tätigkeitsdelikt mit Bestellung über das Internet. Internetdelikte gelten in der Regel als an demjenigen Ort verübt, an welchem sich die beschuldigte Person im Zeitpunkt der Eingabe der Befehle ins System aufgehalten hat – vorliegend also Paris, Frankreich. Betäubungsmitteldelikte sind zudem abstrakte Gefährdungsdelikte. Bei solchen liegt der Handlungsort dort, wo die beschuldigte Person diejenige Handlung beging, welche geeignet war, das geschützte Rechtsgut zu verletzen (vgl. Baumgartner, a.a.O., S. 64 f.). Anders als bei gewissen Wirtschaftsdelikten gibt es bei einfachen Tätigkeitsdelikten wie Betäubungsmitteldelikten keinen Erfolg und keine spezifische Absicht (also z.B. der Ort, wo sich beim Betrug die Bereicherungsabsicht eines Täters verwirklicht), an der der Gerichtsstand festgemacht werden kann.

Bei der Festlegung der Schweizer Strafkompetenz knüpft eine uneinheitliche Lehre und Praxis auch an den Ort an, wo das Rechtsgut verletzt wurde, wo also die geschützten Rechtsgutinteressen gefährdet werden. Dies gibt der Gerichtsbarkeit einen kaum begrenzten Horizont (vgl. Baumgartner, a.a.O., S. 66–72 mit Kritik) und umso mehr bei einem abstrakten Gefährdungsdelikt. Dies ist für den (örtlichen) Gerichtsstand umso mehr abzulehnen. Der Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2012.51 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 21. März 2013 E. 2.3 öffnete deshalb bei einem schlichten Tätigkeitsdelikt nach UWG einen Gerichtsstand am Erfolgsort (wo die Werbung für das Branchenverzeichnis empfangen wurde), weil es ansonsten trotz Bejahung der schweizerischen Strafhoheit keinen schweizerischen Gerichtsstand gegeben hätte. Um diese Konstellation geht es vorliegend nicht. Die massgebliche Gerichtsstandsregel der StPO ( Art. 32 Abs. 1 StPO) verweist für die vorliegende Konstellation auf den Wohnsitz. Der Wohnsitz von A. liegt im Kanton Waadt (X.). Damit sind die Behörden des Kantons Waadt berechtigt und verpflichtet, die A. vorgeworfenen strafbaren Handlungen zu untersuchen und zu beurteilen.

6. Die Beschwerdekammer gibt praxisgemäss der Partei des Strafverfahrens Auskunft über den Stand des Gerichtsstandsverfahrens zwischen Kantonen, sofern sie von den Staatsanwaltschaften über dessen Einleitung informiert wurde. Dies geschah vorliegend und der Beschuldigte bekräftigte dem Gericht, daran und am Fortgang des Strafverfahrens interessiert zu sein. Ihm ist daher der vorliegende Entscheid nicht nur über die Akten des Strafverfahrens, sondern direkt vom Gericht (über seinen Verteidiger) zur Kenntnis zuzustellen.

7. Es ist keine Gerichtsgebühr zu erheben.


Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Strafbehörden des Kantons Waadt sind berechtigt und verpflichtet, die A. vorgeworfenen strafbaren Handlungen zu untersuchen und zu beurteilen.

2. Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.

Bellinzona, 22. September 2021

Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts

Der Präsident:                                                             Der Gerichtsschreiber :

Zustellung an

-              Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern

-              Ministère public central du canton de Vaud

-              Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich

-              Rechtsanwalt Stephen Gintzburger

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben ( Art. 79 BGG; SR 173.110).    

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