BB.2020.259, BP.2020.82
Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal |
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Geschäftsnummer: BB.2020.259 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen Nebenverfahren: BP.2020.82 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen
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| Beschluss vom 4. August 2021 |
Besetzung |
| Bundesstrafrichter Roy Garré, Vorsitz, Cornelia Cova und Patrick Robert-Nicoud, Gerichtsschreiber Stephan Ebneter |
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Parteien |
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A. , vertreten durch Rechtsanwalt Philippe Currat,
Beschwerdeführer
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| gegen | |
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Bundesanwaltschaft,
Beschwerdegegnerin
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Gegenstand |
| Akteneinsicht (Art. 101 f. i.V.m. Art. 107 Abs. 1 lit. a StPO); amtliche Verteidigung im Beschwerdeverfahren ( Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO) |
Sachverhalt:
A. Die Bundesanwaltschaft (nachfolgend «BA») führt gegen A. eine Strafuntersuchung u.a. wegen Verdachts der Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
B. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2020 liess A. beantragen, es sei ihm vollständige Akteneinsicht zu gewähren, andernfalls die unvollständige Akteneinsicht in einer formellen Verfügung zu begründen sei (SV.17.0026, pag. 16-102-1812).
C. Bezugnehmend auf das vorgenannte Schreiben vom 9. Oktober 2020 verfügte die BA am 20. Oktober 2020 Folgendes (act. 1.2):
1. Der Antrag des Beschuldigten vom 9. Oktober 2020 auf vollständige Einsicht in die Verfahrensakten wird abgelehnt und das Recht auf Akteneinsicht des Beschuldigten bleibt vorübergehend im Sinne der Erwägungen, Ziff. 4, beschränkt.
2. Zustellung an: […]
D. Dagegen gelangt A., vertreten durch Rechtsanwalt Philippe Currat, mit Beschwerde vom 2. November 2019 (recte: 2020) an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts mit folgenden Anträgen (act. 1):
A la forme
1. Recevoir le présent recours,
Au préalable
1. Admettre Monsieur A. au bénéfice de l'assistance juridique et commettre à la défense de ses intérêts l'avocat soussigné.
Au fond
1. Annuler la décision du Ministère public de la Confédération, du 20 octobre 2020, notifiée le 22 octobre 2020, dans la procédure SV.17.0026.
2. Garantir à Monsieur A. le plein accès au dossier de la procédure SV.17.0026.
3. Condamner le Ministère public de la Confédération en tous les frais et dépens de l'instance.
E. Mit Beschwerdeantwort vom 9. November 2020 beantragt die BA, die Beschwerde sei unter Kostenfolge abzuweisen (act. 4).
F. Die Beschwerdekammer erhielt im Rahmen des Beschwerdeverfahrens BB.2021.108 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen Kenntnis eines namentlich an Rechtsanwalt Philippe Currat gerichteten Schreibens der BA vom 8. April 2021 im Verfahren SV.17.0026, insbesondere mit folgendem Inhalt (act. 6.1):
Sie erhalten auf beiliegendem verschlüsseltem Datenträger in rubrizierter Strafuntersuchung eine umfassende Kopie der Akten, wobei die bis dato aufrechterhaltene Beschränkung der Akteneinsicht weitgehend aufgehoben wird. Beschränkt bleibt derzeit lediglich die Einsicht in die Akten zur noch zu befragenden Privatklägerschaft und die Rubriken betreffend die ausstehende Rechtshilfe eines Drittstaates sowie betreffend die Beweisanträge der Privatkläger.
G. Mit Schreiben vom 7. Mai 2021 lud die Beschwerdekammer A. und die BA ein, zur Gegenstandslosigkeit des Beschwerdeverfahrens BB.2020.259 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen sowie zu den diesbezüglichen Kosten- und Entschädigungsfolgen zu äussern (act. 6).
H. Am 20. Mai 2021 um 12:29:05 PM CEST (Heure du dépôt) reichte Rechtsanwalt Philippe Currat eine Eingabe mit dem Betreff « BB.2020.259 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen, SV.17.0026, A.» elektronisch ein (act. 7). Am 20. Mai 2021 um 3:18:24 PM CEST (Heure de dépôt) reichte Rechtsanwalt Philippe Currat eine weitere Eingabe mit dem Betreff « BB.2020.259 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen, SV.17.0026, A. – ANNULE ET REMPLACE LA COMMUNICATION PRECEDENTE» elektronisch ein (act. 8). In letzterer Eingabe lässt A. an seinen Anträgen festhalten.
I. Die BA bestätigt mit Eingabe vom 20. Mai 2021 die sich aus der jüngsten Akteneinsicht ergebende teilweise Gegenstandslosigkeit des Beschwerdeverfahrens. Die Kosten seien vollumfänglich dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (act. 9).
J. Die Stellungnahmen zur Gegenstandslosigkeit wurden den Parteien am 25. Mai 2021 gegenseitig zur Kenntnis gebracht. Gleichzeitig wurden die Parteien über den Beizug der von der BA mit Beschwerdeantwort vom 6. Mai 2021 im Beschwerdeverfahren BB.2021.108 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen eingereichten Akten informiert (act. 10).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1. Gemäss Art. 3 Abs. 3 StBOG ist die Verfahrenssprache Deutsch, Französisch oder Italienisch. Nach konstanter Praxis der Beschwerdekammer definiert die Sprache des angefochtenen Entscheids die Sprache im Beschwerdeverfahren ( TPF 2018 133 Entscheide der Amtlichen Sammlung Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 1 mit Hinweisen). Davon abzuweichen besteht hier kein Grund. Der vorliegende Beschluss ergeht deshalb in deutscher Sprache, auch wenn der Beschwerdeführer die Beschwerde in französischer Sprache eingereicht hat.
2.
2.1 Gegen Verfügungen und Verfahrenshandlungen der Bundesanwaltschaft kann bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde erhoben werden ( Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO i.V.m. Art. 37 Abs. 1 StBOG). Zur Beschwerde berechtigt ist jede Partei oder jeder andere Verfahrensbeteiligte, welche oder welcher ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheides hat ( Art. 382 Abs. 1 StPO; Art. 105 Abs. 1 lit. f und Abs. 2 StPO). Das Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat zudem gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ein aktuelles und praktisches zu sein (statt vieler: Urteil des Bundesgerichts 6B_1153/2016 Weitere Urteile BGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 23. Januar 2018 E. 2.3.1). Die Beschwerde gegen schriftlich oder mündlich eröffnete Entscheide ist innert zehn Tagen schriftlich und begründet einzureichen ( Art. 396 Abs. 1 StPO). Mit ihr gerügt werden können gemäss Art. 393 Abs. 2 StPO Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung (lit. a), die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts (lit. b) sowie die Unangemessenheit (lit. c). Die Beschwerdekammer ist bei ihrem Entscheid nicht an die Anträge und Begründungen der Parteien gebunden ( Art. 391 Abs. 1 StPO).
2.2 Mit Schreiben vom 8. April 2021 traf die Beschwerdegegnerin eine (neue) Anordnung hinsichtlich der Akteneinsicht. Zwar enthält das Schreiben diesbezüglich weder eine Begründung (vgl. Art. 80 Abs. 2 StPO) noch eine Rechtsmittelbelehrung und es ist auch nicht als Verfügung bezeichnet, was indessen an seiner Rechtsnatur nichts ändert. Verfügungen über die Akteneinsicht stellen verfahrensleitende Entscheide dar, welche das Untersuchungsverfahren nicht abschliessen. Als solche sollen sie an die Entwicklung und Bedürfnisse des Strafverfahrens angepasst werden können und sind deshalb grundsätzlich abänderbar (vgl. hierzu Guidon, Die Beschwerde gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, 2011, N. 466 ff.). Die Beschwerdegegnerin hat mit ihrem Schreiben vom 8. April 2021 über die Akteneinsicht neu entschieden. Insoweit ersetzt das Schreiben vom 8. April 2021 die Verfügung vom 20. Oktober 2020. Damit ist das Anfechtungsobjekt der Beschwerde weggefallen und das Beschwerdeverfahren zufolge Gegenstandslosigkeit abzuschreiben.
3.
3.1 Bei Gegenstandslosigkeit einer Streitsache wird in erster Linie kostenpflichtig, wer diese verursacht hat (vgl. TPF 2011 31 Entscheide der Amtlichen Sammlung Als Filter hinzufügen Link öffnen). Wenn sich dies nicht feststellen lässt, ist mit summarischer Begründung auf den mutmasslichen Prozessausgang abzustellen und zwar aufgrund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrunds (Entscheid des Bundesstrafgerichts BB.2013.9 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 25. Februar 2013). Dabei geht es nicht darum, auf alle Rügen einzeln und detailliert einzugehen ( BGE 118 Ia 488 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 4a). Vielmehr kann es bei einer knappen, d.h. Prima-Facie-Beurteilung der Aktenlage sein Bewenden haben ( Domeisen, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 428 StPO N. 14; vgl. zum Ganzen Beschluss des Bundesstrafgerichts BB.2020.64 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 15. Juli 2020 E. 2.4).
3.2 Vorliegend verursachte die Beschwerdegegnerin durch den neuen Entscheid über die Akteneinsicht die Gegenstandslosigkeit des Beschwerdeverfahrens. Entsprechend sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens auf die Staatskasse zu nehmen (vgl. Art. 423 Abs. 1 StPO).
4.
4.1 Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Entschädigung seiner Aufwendungen für die angemessene Ausübung seiner Verfahrensrechte (vgl. Art. 436 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO). Grundlage zur Bemessung der Entschädigung bildet gestützt auf Art. 10 BStKR und Art. 12 Abs. 1 BStKR und unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen die vom Beschwerdeführer eingereichte Honorarnote (act. 8.1).
4.2 Der Beschwerdeführer macht einen Aufwand von 530 Minuten (bzw. 8.85 Stunden) und einen Stundenansatz von Fr. 300.– geltend. Das Bundesstrafgericht erachtet für die Bearbeitung durchschnittlicher Verfahren, d.h. für Verfahren ohne hohe Komplexität und ohne Mehrsprachigkeit, einen Stundenansatz von Fr. 230.– als angemessen (Beschluss des Bundesstrafgerichts BK.2011.21 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 24. April 2012 E. 2.1). Wird das Mandat von einer Person geführt, die der Sprache des Mandanten ohnehin kundig ist, entsteht auf Seiten des Rechtsbeistands kein Mehraufwand, sodass ihm auch keine weitergehende Entschädigung zusteht (vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BK.2011.21 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 24. April 2012 E. 2.2 mit Hinweisen). Zudem bot das Verfahren keine aussergewöhnlichen Schwierigkeiten, weshalb der in Verfahren vor der Beschwerdekammer übliche Stundenansatz von Fr. 230.– anzuwenden ist. Dies ergibt für das vorliegende Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'035.50, zuzüglich Mehrwertsteuer Fr. 2'192.25.
5. Das Verfahren betreffend amtliche Verteidigung im Beschwerdeverfahren ( BP.2020.82 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen, act. 1) wird gegenstandslos und ist abzuschreiben.
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Das Beschwerdeverfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.
2. Das Verfahren betreffend amtliche Verteidigung im Beschwerdeverfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4. Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das vorliegende Verfahren mit Fr. 2'192.25 zu entschädigen.
Bellinzona, 5. August 2021
Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber :
Zustellung an
- Rechtsanwalt Philippe Currat
- Bundesanwaltschaft
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.