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Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Beschwerdekammer: Rechtshilfe
Fallnummer:RR.2020.104
Datum:19.06.2020
Leitsatz/Stichwort:Auslieferung an die Republik Kosovo. Auslieferungsentscheid (Art. 55 IRSG).
Schlagwörter : Auslieferung; Beschwerde; Bundes; Kosovo; Recht; Republik; Beschwerdeführer; Gefängnis; Mutter; Gesetz; Schweiz; Bundesgericht; Staat; Familie; Europäische; Bundesstrafgericht; Entscheid; Garantien; Verfahren; Folter; Urteil; Vollzug; Bundesgerichts; Gericht; Situation; Europäischen; Verfolgte; Nationale; Besuch; Rechtshilfe
Rechtsnorm: Art. 13 BV ; Art. 20 VwVG ; Art. 50 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 84 BGG ;
Referenz BGE:117 Ib 64; 120 Ib 120; 122 II 485; 123 II 279; 129 II 100; 130 II 217; 131 II 235; 134 IV 156; 135 I 191; 136 IV 20; 139 II 404; 143 I 241; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: RR.2020.104

Entscheid vom 19. Juni 2020
Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Cornelia Cova, Vorsitz,

Andreas J. Keller und Stephan Blättler ,

Gerichtsschreiber Martin Eckner

Parteien

A. , vertreten durch Rechtsanwältin Yvonne Thomet,

Beschwerdeführer

gegen

Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung ,

Beschwerdegegner

Gegenstand

Auslieferung an die Republik Kosovo

Auslieferungsentscheid (Art. 55 IRSG )


Sachverhalt:

A. Das Justizministerium der Republik Kosovo ersuchte die Schweiz am 14. Januar 2020, ihr A. auszuliefern. Das Bezirksgericht Peja hatte ihn am 24. April 2014 wegen Raubes (Überfall auf eine Tankstelle) zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Tagen verurteilt. Von dieser hat A. die Untersuchungshaft vom 13. Dezember 2013 bis 24. April 2014 (das sind 132 Tage) bereits erstanden. Zu vollstrecken sind noch rund zwei Jahre und acht Monate.

Das Bundesamt für Justiz (nachfolgend «BJ») ersuchte die Republik Kosovo am 28. Januar 2020 um Abgabe von materiellen und prozeduralen Garantien sowie um Mitteilung, wann die Strafvollstreckungsverjährung eintrete. Das Justizministerium gab die gewünschten Erklärungen am 4. Februar 2020 ab und teilte am 10. Februar 2020 mit, die Vollstreckungsverjährung trete am 27. Januar 2021 ein.

B. Das BJ erliess am 19. Februar 2020 den Auslieferungshaftbefehl gegen A. Am 6. März 2020 verhaftete ihn die Kantonspolizei Bern. Sie führte am 11. März 2020 die Einvernahme durch. A. verlangte dabei, es sei das ordentliche Auslieferungsverfahren durchzuführen und das Spezialitätsprinzip einzuhalten. Am 19. März 2020 nahm Rechtsanwältin Yvonne Thomet für A. Stellung zum Auslieferungsersuchen. Sie beantragte, die Auslieferung sei abzulehnen und A. sei unter Auflagen aus der Auslieferungshaft zu entlassen.

C. Am 27. März 2020 erliess das BJ den Auslieferungsentscheid. Es bewilligte die Auslieferung von A. an die Republik Kosovo für die dem Auslieferungsersuchen vom 14. Januar 2020 (ergänzt am 4. und 10. Februar 2020) zugrundeliegenden Straftaten. Eine Haftentlassung lehnte das Amt ab.

Rechtsanwältin Yvonne Thomet stellte am 2. April 2020 für A. ein Haftentlassungsgesuch. A. stimmte Ersatzmassnahmen zu (Vereinbarung vom 3. April 2020), wonach ihn das BJ mit Schreiben vom 7. April 2020 aus der Auslieferungshaft entliess.

D. Am 29. April 2020 reichte Rechtsanwältin Yvonne Thomet für A. Beschwerde ein gegen den Auslieferungsentscheid (act. 1). Er beantragt:

Der angefochtene Auslieferungsentscheid des Bundesamts für Justiz sei aufzuheben und es sei die Auslieferung des Beschwerdeführers an die Republik Kosovo zu verweigern. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.

Das BJ erstattete am 8. Mai 2020 die Beschwerdeantwort (act. 5). Es beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen und verwies im Übrigen auf die angefochtene Verfügung. Die Beschwerdeantwort wurde Rechtsanwältin Yvonne Thomet zur Kenntnis gebracht (act. 7, 22. Mai 2020). Sie reichte am 2. Juni 2020 Dokumente ein, welche die Aussage von A. bestätigen würde, dass sein Onkel im Kosovo als Polizist arbeite (act. 8). Das Gericht brachte die Eingabe dem BJ am 4. Juni 2020 zur Kenntnis (act. 9).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Bis heute ist die Republik Kosovo weder Vertragsstaat des Europäischen Auslieferungsübereinkommens - sie kann es aufgrund ihres völkerrechtlichen Status auch nicht sein - noch wurde mit der Schweiz ein bilateraler Staatsvertrag bezüglich Auslieferungsverfahren abgeschlossen. Mangels staatsvertraglicher Regelung gelangen daher vorliegend die Vorschriften des internen schweizerischen Rechts zur Anwendung, d.h. diejenigen des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) und die Verordnung vom 24. Februar 1982 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSV; SR 351.11; vgl. TPF 2008 61 E. 1.5 S. 65 f.).

1.2 Auf das vorliegende Beschwerdeverfahren sind zudem anwendbar die Be­stimmungen des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG; SR 172.021; Art. 39 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 37 Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes [Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG; SR 173.71]; BGE 139 II 404 E. 6/8.2; Zimmermann, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, 5. Aufl. 2019, N. 273).

2.

2.1 Gegen Auslieferungsentscheide des BJ kann innerhalb von 30 Tagen nach Eröffnung des Entscheids bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde geführt werden (Art. 25 Abs. 1 IRSG i.V.m. Art. 50 Abs. 1 VwVG und Art. 12 Abs. 1 IRSG ). Die Frist beginnt an dem auf ihre Mitteilung folgenden Tage zu laufen (Art. 20 Abs. 1 VwVG ).

2.2 Als Verfolgter (vgl. Art. 11 Abs. 1 IRSG ) ist der Beschwerdeführer zur Einreichung des Rechtsmittels legitimiert. Dieses ist auch frist- und formgerecht erhoben worden. Auf die Beschwerde ist damit einzutreten.

3.

3.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, seine Auslieferung verletze das unter anderem in Art. 3 EMRK verankerte Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung sowie das Folterverbot. Die Polizei habe ihn anlässlich seiner Festnahme im Jahr 2013 fünf Stunden lang geschlagen. Bereits während der Untersuchungshaft habe er sich kaum getraut, die Zelle zu verlassen. Er befürchte, im Gefängnis Repressalien zu erleiden. Denn sein Onkel sei Polizist und habe viele Leute ins Gefängnis gebracht. Sodann sitze auch der Vater des Besitzers der Tankstelle, die er überfallen habe, im Kosovo im Gefängnis. Ein Mithäftling habe ihn schon damals gewarnt, auf keinen Fall seinen Nachnamen zu erwähnen. Ansonsten werde er das Gefängnis nicht lebend verlassen. Schliesslich würden im Strafvollzug im Kosovo menschenunwürdige Bedingungen herrschen. Die Zellen seien überbelegt, unhygienisch und die sieben Quadratmeter pro Gefangenem würden nicht erreicht. Man höre von Misshandlungen und Vergewaltigungen durch Gefängnisbeamte. Sollte sich die Situation wegen dem Coronavirus noch verschärfen, könnte es zu Gefängnisrevolten kommen. Es sei auch nicht von einer ausreichenden medizinischen Versorgung auszugehen (act. 1 S. 5-8).

Das BJ weist darauf hin, die Monitoring-Garantie erlaube falls nötig direkt vor Ort die Einhaltung der abgegebenen materiellen Garantien zu kontrollieren. Nach dem Kenntnisstand des BJ sei es bei Auslieferungen an die Republik Kosovo bisher nie zu Rügen der ausgelieferten Person gekommen, wonach das Spezialitätsprinzip oder die Menschenrechte verletzt worden seien. Die dortigen Behörden würden zudem nach wie vor von der EULEX observiert und begleitet. Würden sich die kosovarischen Behörden über die Garantien hinwegsetzen, hätte dies zur Folge, dass dieser Staat von der Schweiz - und wohl auch von anderen europäischen Staaten - in bestimmten Fällen keine Rechtshilfe mehr erhalten würde (act. 1.2 S. 3).

3.2 Bei Ländern mit bewährter Rechtsstaatskultur - insbesondere jenen Westeuropas - bestehen regelmässig keine ernsthaften Gründe für die Annahme, dass der Verfolgte bei einer Auslieferung dem Risiko einer Art. 37 Abs. 3 IRSG verletzenden Behandlung ausgesetzt sein könnte. Deshalb wird hier die Auslieferung ohne Auflagen gewährt. Dann gibt es Staaten, in denen zwar ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass der Verfolgte im ersuchenden Staat einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt sein könnte, dieses Risiko aber mittels diplomatischer Garantien behoben oder jedenfalls auf ein so geringes Mass herabgesetzt werden kann, dass es als nur noch theoretisch erscheint. Ein solches theoretisches Risiko einer menschenrechtswidrigen Behandlung kann, da es praktisch immer besteht, für die Ablehnung der Auslieferung nicht genügen. Sonst wären Auslieferungen überhaupt nicht mehr möglich und könnten sich Straftäter durch Grenzübertritt vor der Verfolgung schützen. Schliesslich gibt es Staaten, in denen das Risiko einer menschenrechtswidrigen Behandlung auch mit diplomatischen Zusicherungen nicht auf ein Mass herabgesetzt werden kann, dass es als nur noch theoretisch erscheint. Als Beispiel kann auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Sachen Chahal gegen Vereinigtes Königreich vom 15. November 1996 (Recueil CourEDH 1996-V S. 183) verwiesen werden (vgl. BGE 134 IV 156 E. 6.7).

Für die Beantwortung der Frage, in welche Kategorie der Einzelfall gehört, ist eine Risikobeurteilung vorzunehmen. Dabei ist zunächst die allgemeine menschenrechtliche Situation im ersuchenden Staat zu würdigen. Sodann - und vor allem - ist zu prüfen, ob der Verfolgte selber aufgrund der konkreten Umstände seines Falles der Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt wäre ( BGE 117 Ib 64 E. 5 f.; 115 Ib 68 E. 6). Dabei spielt insbesondere eine Rolle, ob er gegebenenfalls zu einer Personengruppe gehört, die im ersuchenden Staat in besonderem Masse gefährdet ist (BGE 135 I 191 E. 2.3; 134 IV 156 E. 6.8; TPF 2010 56 E. 6.3.2 [Iran]; TPF 2008 24 E. 4 [Moldawien]). Der im ausländischen Strafverfahren Beschuldigte muss glaubhaft machen, dass objektiv und ernsthaft eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte im ersuchenden Staat zu befürchten ist (BGE 130 II 217 E. 8.1; 129 II 268 E. 6.1; 126 II 324 , 328 E. 4e; 125 II 356 , 364 E. 8a; 123 II 161 , 167 E. 6b; 123 II 511 , 517 E. 5b). Abstrakte Behauptungen genügen nicht. Im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens muss der Beschwerdeführer seine Vorbringen im Einzelnen präzisieren (Urteil des Bundesgerichts 1A.210/1999 vom 12. Dezember 1999, E. 8b). Dies gilt auch für allfällige Drohungen und Gefährdungen durch Drittpersonen (Urteil des Bundesgerichts 1C_317/2014 vom 27. Juni 2014, E. 1.5; Entscheide des Bundesstrafgerichts RR.2017.289 vom 21. November 2017, E. 5.3; RR.2014.148 vom 5. Juni 2014, E. 6.2; Garré , Basler Kommentar Internationales Strafrecht, 2015, Art. 37 IRSG N. 10; Zimmermann, a.a.O., N. 681-693).

3.3 Die Republik Kosovo ist kein Mitgliedstaat des Europarates und ist auch keinem hier massgeblichen Menschenrechtsinstrument beigetreten (namentlich nicht dem UNO-Pakt II, SR 0.103.2, oder dem Übereinkommen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe [UNCAT; SR 0.105]). Gestützt auf ein Abkommen vom 23. August 2004 zwischen dem Europarat und der United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK) unternahm das Europäische Komitee gegen Folter im Jahr 2007 einen Besuch und führte seine Tätigkeit auf gleicher Grundlage auch nach der Unabhängigkeit der Republik Kosovo mit Besuchen in den Jahren 2010 und 2015 weiter. Das Komitee wurde geschaffen durch das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter ( SR 0.106).

Die Praxis der Beschwerdekammer hat Auslieferungen an die Republik Kosovo regelmässig zugelassen, zumeist unter Garantien (Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2017.278 vom 21. Dezember 2017 E. 5.4). Auch vorliegend hat die Republik Kosovo verbindlich zugesichert, namentlich Art. 10 (Garantien im Strafvollzug) des UNO-Paktes II sowie Art. 3 EMRK einzuhalten. Die Beschwerdekammer verstärkte mit dem Entscheid RR.2017.278 vom 21. Dezember 2017 die Wirksamkeit von Garantien bei Auslieferungen in die Republik Kosovo, was auch vorliegend zugesichert ist: der diplomatischen Vertretung der Schweiz ist von sich aus der (neue) Ort der Inhaftierung bekanntzugeben; sie hat das Recht zum jederzeitigen und unangemeldeten Besuch; der Ausgelieferte hat zudem das Recht, mit seinem Verteidiger uneingeschränkt und unbewacht zu verkehren; schliesslich ist auch den Angehörigen das Besuchsrecht zu garantieren. Dafür war massgeblich, dass eine verbindliche vertragliche Einbettung der Republik Kosovo in Mechanismen wie Berichterstattungen und Beschwerdeverfahren (z.B. des UNO-Paktes II) von multilateralen Übereinkommen fehlte und gleichzeitig in den letzten Jahren namentlich das Europäische Komitee gegen Folter keine genügende Verbesserung der menschenrechtlichen Situation im kosovarischen Gefängnissystem feststellte ( RR.2017.278 E. 6.2 und 5.5).

3.4 Zwischenzeitlich ist das Beobachtungsmandat der EULEX bis Juni 2020 verlängert worden. Es gibt keinen neuen Bericht zu einem Besuch des Europäischen Komitees gegen Folter in der Republik Kosovo. Im Rahmen des Beitrittsprozesses zur EU erschien am 29. Mai 2019 der «Kosovo 2019 Report» der Europäischen Kommission (SWD (2019) 216 final). Die Schweiz ist, anders als beim Europäischen Komitee gegen Folter, kein Mitglied der EU. Zum Gerichtswesen und zu den Menschenrechten hielt das Fazit des Reports fest, Kosovo verfüge über gewisse Vorbereitungen und befinde sich in einem frühen Stadium zur Anwendung des aquis und der Europäischen Standards in diesem Gebiet (S. 14). Die Situation zur Prävention von Folter und Misshandlungen sei im Grossen und Ganzen zufriedenstellend. Es bestünden sodann stetige Bemühungen, die Empfehlungen im letzten Bericht des Europäischen Komitees gegen Folter umzusetzen (S. 24). Das Gefängnissystem beachte weiterhin die «UN Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners», wie auch die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (European Prison Rules). Die Situation in den Gefängnissen zwischen den verschiedenen Anstalten zeige ein stark uneinheitliches Bild. Nach der Eröffnung eines neuen Gefängnisses in Pristina seien nun mehr Gefangene in zureichenden Anstalten untergebracht. Pläne, alte Gefängnisse zu schliessen, seien bisher nicht entstanden. Überbelegung sei im Allgemeinen kein Problem. Im Bereich der Personalausstattung habe es Fortschritt gegeben, wie auch bezüglich Gesundheitsversorgung sowie der Gefängnisaufsicht (S. 25).

3.5 Die stetigen Bemühungen zur Verbesserung des Strafvollzugs in der Republik Kosovo zeigen Fortschritte, aber auch, dass die im letzten verfügbaren Bericht des Europäischen Komitees gegen Folter genannten Mängel noch nicht gelöst sind. Ein EMRK-konformer Strafvollzug ist in der Republik Kosovo danach nicht ausgeschlossen. Der Beschwerdeführer bringt dagegen gut sechs Jahre nach seiner Tat nur Hörensagen, marginal belegte Anekdoten oder Mutmassungen vor. Der Umstand, dass sein Onkel z.B. eine Führungsposition im Drogendezernat habe, könnte ihm genauso gut nützen wie schaden. Der Beschwerdeführer wurde für ein gemeinrechtliches und kein politisches Delikt verurteilt und er gehört auch keiner im ersuchenden Staat besonders gefährdeten Personengruppe an. Er hat weder glaubhaft gemacht noch ist es ersichtlich, dass er im ersuchenden Staat einer besonderen Gefährdung ausgesetzt ist - geschweige denn einer, die auch mit wirksamen Garantien nicht behoben würde. Es kann mit genügender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Republik Kosovo sich an die wirksam ausgestalteten Garantien hält und damit auch ihrer Schutzpflicht im Gefängnis nachkommt. Die Auslieferung des Beschwerdeführers an die Republik Kosovo steht, wie vorliegend ausgestaltet, in Einklang mit den menschenrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz.

3.6 Das BJ wird in enger Zusammenarbeit mit dem Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA sicherzustellen haben, dass die schweizerische diplomatische Vertretung die Einhaltung der Garantien überwacht (vgl. BGE 134 IV 156 E. 6.16; 123 II 511 E. 7c am Schluss S. 525; Urteil des Bundesgerichts 1A.4/2005 vom 28. Februar 2005 E. 4.6 nicht publ. in BGE 131 II 235 ; Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2019.222 vom 9. Oktober 2019 E. 5.2).

4.

4.1 Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, eine Auslieferung verletze sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK ). Er ist mit einer Schweizerin verheiratet. Am 1. April 2019 ist die gemeinsame Tochter geboren worden. Sie würden im gemeinsamen Haushalt in Z. wohnen. Der Beschwerdeführer verfüge über die Aufenthaltsbewilligung B und wohne seit dem Jahr 2016 in der Schweiz. Zurzeit sei er arbeitslos, aber beim RAV gemeldet und auf Stellensuche. Im Gefängnis im Kosovo würde sich der Kontakt auf Briefe und Telefongespräche beschränken. Die Tochter sei jedoch als einjähriges Kleinkind auf direkten Kontakt mit ihren Bezugspersonen angewiesen. Die Tochter sei für Telefongespräche viel zu klein. Die Situation mit dem Coronavirus mache Besuche unvorhersehbar. Bei einer Auslieferung würden die Leistungen der Arbeitslosenversicherung eingestellt und die Mutter müsste alleine für sich und ihr Kleinkind aufkommen. Damit seien die Umstände erfüllt, in welchen das Familienleben einer Auslieferung entgegenstehe (act. 1 S. 9).

4.2

4.2.1 Artikel 13 Absatz 1 BV gewährleistet jeder Person einen grundrechtlichen Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Auch Artikel 8 EMRK schützt einen solchen menschenrechtlichen Anspruch (Ziff. 1). Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (Ziff. 2).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mehrfach entschieden, dass die faktische Verunmöglichung von Gefangenenbesuchen naher Familienangehöriger zu einer Verletzung von Artikel 8 EMRK führen kann. Auch das Bundesgericht betont in seiner Rechtsprechung (zu Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 EMRK ) die hohe Bedeutung des grundrechtlichen Anspruches von Gefangenen auf ausreichende Kontakte mit ihren engsten Angehörigen (vgl. BGE 143 I 241 E. 3-4 S. 244 ff.; 143 I 437 E. 4 S. 446-448). Der betreffende grundrechtliche Schutz gilt grundsätzlich auch für auslieferungsrechtlich Verfolgte und im Rahmen der Anwendbarkeit des EAUe (BGE 129 II 100 E. 3.5 S. 105; 123 II 279 E. 2d S. 284; Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2019.191 vom 22. April 2020 E. 2.2.-2.3; Zimmermann , a.a.O., N. 219; zum Ganzen Urteil des Bundesgerichts 1C_214/2019 vom 5. Juni 2019 E. 2.8 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EGMR).

4.2.2 Macht ein von einem Auslieferungsersuchen Betroffener geltend, der drohende Strafvollzug im ersuchenden Staat verletze seinen grundrechtlichen Anspruch auf Gefängnisbesuche durch seine engsten Familienangehörigen, so hat das Rechtshilfegericht nach der einschlägigen Praxis des Bundesgerichtes eine sorgfältige Rechtsgüterabwägung vorzunehmen: Dabei ist einerseits der persönlichen Situation und Interessenlage des Verfolgten und seiner Angehörigen im konkreten Einzelfall Rechnung zu tragen, und anderseits dem völkerrechtlichen Anspruch des ersuchenden Staates auf Auslieferung bzw. internationale Rechtshilfe beim Vollzug seiner rechtskräftigen Strafurteile (BGE 123 II 279 E. 2d S. 284; 120 Ib 120 E. 3d S. 128; 117 Ib 210 E. 3b/cc S. 215 f.; Urteil des Bundesgerichts 1A.225/2003 vom 25. November 2003 E. 4). Das Rechtshilfegericht hat dabei insbesondere der Schwere des Tatvorwurfes Rechnung zu tragen, welcher Grundlage des Auslieferungsersuchens bildet (BGE 120 Ib 120 E. 3d S. 128; Urteil des Bundesgerichts 1A.225/2003 E. 4). Zu berücksichtigen ist auch, ob der Verfolgte in sein Heimatland oder in ein ersuchendes Drittland ausgeliefert werden soll, und wie weit entfernt sich das Untersuchungs- bzw. Vollzugsgefängnis vom Aufenthaltsort der engsten Familienangehörigen des Verfolgten befindet (vgl. Urteile des Bundesgerichts 1A.265/2003 vom 29. Januar 2004 E. 3.2; 1A.225/2003 E. 4; zum Ganzen Urteil des Bundesgerichts 1C_214/2019 vom 5. Juni 2019 E. 2.7; SJ 2016 I 187 Übersicht Rechtsprechung).

4.2.3 Das Bundesgericht hat in einem Fall eines deutschen Ersuchens die Auslieferung zur Vollstreckung einer Reststrafe von 473 Tagen wegen Hehlerei verweigert. Der Verfolgte war Vater von zwei in der Schweiz lebenden minderjährigen Kindern; seine Lebensgefährtin war mit einem dritten Kind schwanger und gesundheitlich stark angeschlagen. Anstelle einer Auslieferung verfügte das Bundesgericht dort - ausnahmsweise sogar ohne förmliches deutsches Gesuch um Strafübernahme - die stellvertretende Strafvollstreckung in der Schweiz (vgl. BGE 122 II 485 , nicht amtl. publizierte E. 3e und E. 4; s.a. BGE 129 II 100 E. 3.5 S. 105; Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2019.191 vom 22. April 2020 E. 2.3.1; Heimgartner , Auslieferungsrecht, Diss. ZH 2002, S. 161).

Das Bundesstrafgericht bezeichnete im Entscheid RR.2016.311 vom 30. Januar 2017 eine Auslieferung zwecks Vollzugs einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen Raubes (Deliktsbetrag Fr. 1'480.--) gegen eine Mutter eines ca. 15 Monate alten Kleinkindes als «zu diesem Zeitpunkt menschenrechtswidrig». Wie ein KESB-Bericht feststellte, war die Mutter die Hauptbezugsperson des Kindes. Gegen den Vater liefen in der Schweiz zwei Strafverfahren wegen Gewaltdelikten, was seine Betreuungsmöglichkeiten in Frage stellte. Das Kleinkind war in erhöhtem Ausmass auf die Beziehung zur Mutter angewiesen. Die Auslieferung nach Mazedonien, der Heimat der Mutter, würde also nicht nur in eine kontinuierliche und stabile Bindung des Kindes zu seiner wichtigsten Bezugsperson eingreifen, sondern sie verunmöglichen. Das Bundesstrafgericht bewilligte die Auslieferung unter der diplomatischen Garantie, dass die Mutter ihren Sohn im Strafvollzug unter für das Kind vertretbaren Umständen bei sich haben kann ( E. 7.3, 7.4; kein Weiterzug).

Im Entscheid des Bundesstrafgerichts TPF RR.2019.191 vom 22. April 2020 ging es um die Auslieferung einer Mutter nach Portugal (wo sie aufgewachsen war). Portugal ersuchte die Auslieferung zur Strafverfolgung wegen bewaffneten Raubes. Sie habe am 1. März 2007 (unter anderem) Parfums aus einem Warenhaus gestohlen, mit einem Deliktsbetrag von rund EUR 900.--. Der von der Mutter geschiedene Vater der beiden Jüngsten nahm sein Besuchsrecht unregelmässig wahr und delegierte die Erziehung an die Mutter. Die jüngere Tochter brauchte Struktur; der Kontakt zur Mutter war ausserordentlich eng («fusionelle»). Trennungen schufen ihr Unsicherheit und Unruhe. Der Sohn hatte Trisomie 21 und wohnte in einem Heim. Er sah v.a. seine Mutter jedes zweite Wochenende und verbrachte die Ferien bei den Eltern. Die ältere Tochter hatte als Elternfigur nur die Mutter. Sie hatte bedeutende schulische Schwierigkeiten, benötigte Spezialunterricht und eine Betreuung für ihre Verhaltensschwierigkeiten. Der staatliche Kindesschutz begleitete die drei Kinder seit dem Jahr 2011. Die Mutter selbst hatte eine Beistandschaft erhalten. Aus Berichten dieser Behörden ergab sich, dass die Mutter kooperierte und dass gewisse Fortschritte erzielt wurden. Gemäss amtlicher Feststellung würde die Trennung von der Mutter die Schwierigkeiten ihrer drei Kinder vervielfachen. Trotz einer gewissen Fragilität sei sie es, die ihnen Orientierung gebe. Sie habe in der Praxis auch die Rolle des Vaters erfüllt. In dieser aussergewöhnlichen und dokumentierten Situation hob das Bundesstrafgericht den Auslieferungsentscheid des BJ auf (E. 2.5-2.7; kein Weiterzug).

4.3 Vorliegend überfiel der Beschwerdeführer als Teil einer bewaffneten Gruppe im Jahr 2013 eine Tankstelle in Peja (Republik Kosovo). Dafür verurteilte ihn das Grundgericht in Peja am 24. April 2014 wegen Raubes zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und zehn Tagen. Bis heute hat der Beschwerdeführer davon zwei Jahre und acht Monate nicht verbüsst. Bei einem damaligen sofortigen Strafantritt wäre er heute frei, seinen Vaterpflichten nachzukommen. Stattdessen setzte sich der Beschwerdeführer in Kenntnis seiner Verurteilung nach Deutschland ab. In den vorliegenden Umständen ist die Beeinträchtigung des Familienlebens hinzunehmen. Sie beruht auf dem kosovarischen Strafgesetz und der Verurteilung wegen eines Gewaltdeliktes. Die Auslieferung des Beschwerdeführers beeinträchtigt das Familienleben bei weitem nicht so schwer wie in den obigen aussergewöhnlichen Fällen (vgl. Erwägung 4.2.3). Das Kleinkind ist in guter Obhut der Mutter. Indem das BJ ihn, entgegen der Regel (vgl. BGE 136 IV 20 E. 2.2), aus der Auslieferungshaft entliess, ermöglichte es den persönlichen Kontakt zur Familie während des Auslieferungsverfahrens. Der Beschwerdeführer hofft, aus dem kosovarischen Strafvollzug bereits nach sechs Monaten entlassen zu werden (act. 5.9 S. 6). Er hat es in der Hand, sich seiner Vergangenheit zu stellen und mittels guter Führung auf die Resozialisierung sowie baldige Wiedervereinigung mit der Kernfamilie hinzustreben.

Die Garantien der Republik Kosovo (vgl. obige Erwägung 3.3) gewährleisten, dass die engere und weitere Familie, nebst telefonischen und schriftlichen Kontakten, den Beschwerdeführer im Gefängnis auch besuchen können. Er erwähnt Familienangehörige in der Republik Kosovo. Solche erleichtern den Aufenthalt der Mutter für Besuche mit dem Kleinkind. Zusätzliche Belastungen für Familienangehörige führen grundsätzlich nicht zu einem Anspruch straffällig gewordener ausländischer Staatsangehöriger auf Strafverfolgung und Strafvollzug in der Schweiz (Urteil des Bundesgerichts 1A.225/2003 vom 25. November 2003 E. 4). Ein Antrag der Republik Kosovo für den Strafvollzug in der Schweiz fehlt. Das Coronavirus ist sodann nicht ausschlaggebend; es ist auch in der Schweiz unvorhersehbar und könnte hier genauso gut Gefängnisbesuche vereiteln. Der Gefängnisaufenthalt beeinträchtigt in der Schweiz wie in der Republik Kosovo die Vermittlungsfähigkeit des Beschwerdeführers gemäss Art. 15 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (Arbeitslosenversicherungsgesetz, AVIG; SR 837.0) und damit mangels Leistungen der Arbeitslosenversicherung die finanzielle Situation von Mutter und Kind.

4.4 Zusammenfassend wiegt das Interesse an der Auslieferung und Vollstreckung der gesetzmässigen Strafe klar schwerer. Das Privat- und Familienleben (Art. 8 EMRK ) steht der Auslieferung des Beschwerdeführers somit nicht entgegen.

5. Insgesamt erwiesen sich die erhobenen Rügen als unbegründet. Der Auslieferung stehen auch keine weiteren Gründe entgegen. Damit ist die Beschwerde gegen den Auslieferungsentscheid des BJ vom 27. März 2020 abzuweisen.

6. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (vgl. Art. 63 Abs. 1 VwVG ). Die Gerichtsgebühr ist auf Fr. 2'000.-- festzusetzen (vgl. Art. 63 Abs. 5 VwVG i.V.m. Art. 73 StBOG sowie Art. 5 und 8 Abs. 3 lit. a des Reglements des Bundesstraf-gerichts vom 31. August 2010 über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren [BStKR; SR 173.713.162]); der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 2'000.-- (act. 6) ist daran anzurechnen.


Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die Gerichtsgebühr von Fr. 2000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt, unter Anrechnung des geleisteten Kostenvorschusses in gleicher Höhe.

Bellinzona, 19. Juni 2020

Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts

Die Vizepräsidentin: Der Gerichtsschreiber :

Zustellung an

- Rechtsanwältin Yvonne Thomet

- Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Entscheide auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen kann innert zehn Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 und 2 lit. b BGG ; SR 173.110).

Gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn er eine Auslieferung, eine Beschlagnahme, eine Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten oder eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Art. 84 Abs. 1 BGG). Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Art. 84 Abs. 2 BGG ).

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