Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Rechtshilfe |
Fallnummer: | RP.2020.54 |
Datum: | 18.11.2020 |
Leitsatz/Stichwort: | Auslieferung an die Slowakei. Auslieferungsentscheid (Art. 55 IRSG). Akzessorisches Haftentlassungsgesuch (Art. 50 Abs. 3 IRSG). Unentgeltliche Rechtspflege (Art. 65 VwVG). |
Schlagwörter : | Beschwerde; Auslieferung; Recht; Beschwerdeführer; Slowakische; Slowakischen; Urteil; Verfahren; Verfahren; Hauptverhandlung; Gericht; Entscheid; Verteidigung; Bundesstrafgericht; Behörde; Bundesstrafgerichts; Zugestellt; Abwesenheit; Behörden; Beschwerdekammer; Haftentlassung; Slowakei; Staat; Haftentlassungsgesuch; Beschwerdeführers; Bundesgericht; Auslieferungshaft; Verfahrens; Bundesgerichts; Gewahrt |
Rechtskraft: | Kein Weiterzug, rechtskräftig |
Rechtsnorm: | Art. 29 BV ; Art. 50 VwVG ; Art. 6 EMRK ; Art. 6 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 65 VwVG ; Art. 84 BGG ; |
Referenz BGE: | 117 Ib 337; 127 I 213; 129 II 56; 135 IV 212; 139 III 475; 141 IV 249; 142 IV 250; 143 I 164; ; |
Kommentar zugewiesen: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: RR.2020.237 Nebenverfahren: RP.2020.54 |
Entscheid vom 18. November 2020 | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Roy Garré, Vorsitz, Cornelia Cova und Stephan Blättler , Gerichtsschreiberin Chantal Blättler Grivet Fojaja | |
Parteien | A. , vertreten durch Rechtsanwalt Markus J. Meier, Beschwerdeführer | |
gegen | ||
Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung , Beschwerdegegner | ||
Gegenstand | Auslieferung an die Slowakei Auslieferungsentscheid (Art. 55 IRSG ); Akzessorisches Haftentlassungsgesuch (Art. 50 Abs. 3 IRSG ); Unentgeltliche Rechtspflege (Art. 65 VwVG ) |
Sachverhalt:
A. Mit Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) vom 10. Februar 2020 ersuchten die slowakischen Behörden um Fahndung und Verhaftung des slowakischen Staatsangehörigen A. zwecks Auslieferung im Hinblick auf die Vollstreckung einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren aufgrund einer Verurteilung durch das Bezirksgericht Nitra vom 22. November 2016 in Verbindung mit dem Urteil des Bezirksgerichts Kezmarok vom 7. August 2012 wegen Körperverletzung und Störung der öffentlichen Ordnung (act. 4.1).
B. Am 13. März 2020 wurde A. mit Haftanordnung des Bundesamtes für Justiz (nachfolgend «BJ») in provisorische Auslieferungshaft versetzt und tags darauf zum slowakischen Fahndungsersuchen einvernommen. Anlässlich seiner Einvernahme erklärte er, mit einer Auslieferung an die Slowakei nicht einverstanden zu sein (act. 4.2 und 4.3).
C. Am 16. März 2020 erliess das BJ einen Auslieferungshaftbefehl gegen A., welcher diesem am 18. März 2020 zugegangen ist und unangefochten blieb (act. 4.4).
D. Mit Schreiben vom 21. April 2020 übermittelte die slowakische Botschaft in Bern der Schweiz das formelle Auslieferungsersuchen des Justizministeriums der Slowakischen Republik vom 7. April 2020 (act. 4.9).
E. Am 24. April 2020 wurde A. zum formellen Auslieferungsersuchen einvernommen, wobei er erneut erklärte, mit einer Auslieferung nicht einverstanden zu sein. A. stellte anlässlich der Einvernahme ein Haftentlassungsgesuch, das vom BJ mit Verfügung vom 24. April 2020 abgewiesen wurde (act. 4.10 und 4.11).
F. Am 7. Mai 2020 reichte A. seine schriftliche Stellungnahme zum Auslieferungsersuchen ein, worin er unter anderem geltend machte, er habe im slowakischen Strafverfahren seine Verteidigungsrechte nicht wahrnehmen können (act. 4.13). Daraufhin gelangte das BJ am 15. Mai 2020 mit verschiedenen Ergänzungsfragen an das slowakische Justizministerium (act. 4.14). Die slowakischen Behörden antworteten mit E-Mail vom 28. Mai 2020 (act. 4.15). A. nahm dazu mit Eingabe vom 12. Juni 2020 Stellung und stellte erneut ein Gesuch um Haftentlassung (act. 4.17). Letzteres wurde vom BJ am 19. Juni 2020 wiederum abgewiesen (act. 4.18).
G. Mit Auslieferungsentscheid vom 11. August 2020 bewilligte das BJ die Auslieferung von A. an die Slowakei für die dem Auslieferungsersuchen der slowakischen Botschaft vom 21. April 2020, ergänzt am 28. Mai 2020, zugrunde liegenden Straftaten (act. 4.19).
H. Dagegen gelangt A. mit Beschwerde vom 15. September 2020 an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts mit folgenden Anträgen (act. 1):
« 1. Es sei die Dispositivziffer 1 des Auslieferungsentscheids vom 11. August 2020 aufzuheben.
Es sei dem Auslieferungsersuchen der Slowakei vom 21. April 2020, ergänzt am 28. Mai 2020, nicht stattzugeben.
Es sei A. infolgedessen aus der Auslieferungshaft auf freien Fuss zu versetzen.
2. Eventualiter sei dem Auslieferungsersuchen der Slowakei vom 21. April 2020, ergänzt am 28. Mai 2020, nur unter der Bedingung stattzugeben, dass die slowakischen Behörden dem Beschwerdeführer ein neues Gerichtsverfahren bereits vorab zu- und versichern.
3. Subeventualiter sei die Angelegenheit zur neuerlichen Beurteilung an das Bundesamt für Justiz zurückzuweisen.
4. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zuzüglich MwSt. zulasten des Beschwerdegegners bzw. der Staatskasse.»
In prozessualer Hinsicht stellt A. sodann folgende Anträge:
«1. Der vorliegenden Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu gewähren.
2. Es sei dem Beschwerdeführer für das vorliegende Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und es sei ihm in der Person von Rechtsanwalt Markus J. Meier ([...]) ein amtlicher Rechtsbeistand zu bestellen .
3. In jedem Fall sei A. unverzüglich aus der Auslieferungshaft auf freien Fuss zu versetzen. Eventualiter unter Anordnung geeigneter Ersatzmassnahmen.»
I. Die Beschwerdekammer forderte das BJ mit Schreiben vom 16. September 2020 zur Einreichung einer Beschwerdeantwort auf und leitete zugleich das mit der Beschwerde gestellte Haftentlassungsgesuch (Ziff. 3 der prozessualen Anträge) zuständigkeitshalber an das BJ weiter (act. 3).
J. Das BJ beantragt in seiner Beschwerdeantwort vom 28. September 2020 die Abweisung der Beschwerde (act. 4). In seiner Replik vom 2. November 2020 hält A. an den in der Beschwerde gestellten Anträgen fest (act. 7), was dem BJ am 5. November zur Kenntnis gebracht wird (act. 8).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden Erwägungen Bezug genommen.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Für den Auslieferungsverkehr zwischen der Schweiz und der Slowakei sind primär das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1) und die hierzu ergangenen Zusatzprotokolle vom 15. Oktober 1975 (1. ZP; SR 0.353.11) und vom 17. März 1978 (2. ZP EAUe; SR 0.353.12) massgebend. Überdies anwendbar sind das Schengener Durchführungsübereinkommen vom 14. Juni 1985 (SDÜ; CELEX-Nr. 42000A0922(02); ABl. L 239 vom 22. September 2000, S. 19-62; Text nicht publiziert in der SR, jedoch abrufbar auf der Webseite der Schweizerischen Eidgenossenschaft unter «Rechtssammlung zu den bilateralen Abkommen», 8.1 Anhang A; https://www.admin.ch/opc/de/european-union/international-agreements/008.html ) i.V.m. dem Beschluss des Rates 2007/533/JI vom 12. Juni 2007 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des SIS der zweiten Generation (SIS II), namentlich Art. 26-31 (CELEX-Nr. 32007D0533; ABl. L 205 vom 7. August 2007, S. 63-84; abrufbar unter «Rechtssammlung zu den bilateralen Abkommen», 8.4 Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands), sowie diejenigen Bestimmungen des Übereinkommens vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-Auslieferungsübereinkommen; CELEX-Nr. 41996A1023(02); ABl. C 313 vom 23. Oktober 1996, S. 12-23) i.V.m. dem Beschuss des Rates 2003/169/JI vom 27. Februar 2003 (CELEX-Nr. 32003D0169; ABl. L 67 vom 12. März 2003, S. 25 f.; abrufbar unter «Rechtssammlung zu den bilateralen Abkommen», 8.2 Anhang B), wobei die zwischen den Vertragsparteien geltenden weitergehenden Bestimmungen aufgrund bilateraler oder multilateraler Abkommen unberührt bleiben (Art. 59 Abs. 2 SDÜ; Art. 1 Abs. 1 EU-Auslieferungsübereinkommen).
1.2 Wo das internationale Recht nichts anderes bestimmt, findet ausschliesslich das Recht des ersuchten Staates Anwendung (Art. 22 EAUe ), namentlich das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG; SR 351.1) und die dazugehörige Verordnung vom 24. Februar 1982 (Rechtshilfeverordnung, IRSV; SR 351.11). Das innerstaatliche Recht gelangt nach dem Günstigkeitsprinzip auch dann zur Anwendung, wenn dieses geringere Anforderungen an die Auslieferung stellt (BGE 142 IV 250 E. 3; 140 IV 123 E. 2; 137 IV 33 E. 2.2.2; 136 IV 82 E. 3.1). Vorbehalten bleibt die Wahrung der Menschenrechte (BGE 135 IV 212 E. 2.3; 123 II 595 E. 7c; TPF 2008 24 E. 1.1).
2.
2.1 Gegen Auslieferungsentscheide des BJ kann innert 30 Tagen seit der Eröffnung des Entscheides bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde geführt werden (Art. 55 Abs. 3 IRSG i.V.m. Art. 25 Abs. 1 IRSG , Art. 50 Abs. 1 VwVG und Art. 37 Abs. 2 lit. a Ziff. StBOG ).
2.2 Der Auslieferungsentscheid vom 11. August 2020, zugestellt am 17. August 2020 (act. 1.4), wurde am 15. September 2020 - somit innerhalb der Beschwerdefrist - angefochten (act. 1.1). Die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist demnach einzutreten.
3. Die Beschwerdekammer ist nicht an die Begehren der Parteien gebunden (Art. 25 Abs. 6 IRSG ). Sie prüft die Auslieferungsvoraussetzungen mit freier Kognition, befasst sich jedoch nur mit Tat- und Rechtsfragen, die Streitgegenstand der Beschwerde bilden (Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2016.1 vom 4. April 2016 E. 3).
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss sich die urteilende Instanz sodann nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen. Sie kann sich auf die für ihren Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1; 139 IV 179 E. 2.2). Es genügt, wenn die Behörde wenigstens kurz die Überlegungen nennt, von denen sie sich leiten liess und auf welche sich ihr Entscheid stützt (Urteil des Bundesgerichts 1A.59/2004 vom 16. Juli 2004 E. 5.2 m.w.H.).
4. Die vorliegende Beschwerde hat von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung (Art. 21 Abs. 4 IRSG ), weshalb auf den diesbezüglichen prozessualen Antrag des Beschwerdeführers nicht einzutreten ist.
5.
5.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe von der Weiterführung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens, der Vorladung zur Hauptverhandlung und deren Durchführung sowie vom erlassenen Urteil keine Kenntnis erlangt und somit keine ausreichende Möglichkeit gehabt, sich zu verteidigen bzw. verteidigen zu lassen. Insofern sei der Sachverhalt unklar, als die Slowakei zwar behaupte, der Beschwerdeführer habe verschiedene Vorladungen bzw. mit dem Strafverfahren in Zusammenhang stehende Mitteilungen zugestellt erhalten. Hingegen würden keine Beweise dafür vorliegen, dass der Beschwerdeführer Kenntnis vom gegen ihn laufenden Strafverfahren bzw. von der gegen ihn erhobenen Anklage gehabt hätte (act. 1 S. 8 ff.).
5.2
5.2.1 Die Schweiz prüft die Auslieferungsvoraussetzungen des EAUe auch im Lichte ihrer grundrechtlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen. Einem Ersuchen wird nicht entsprochen, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass das ausländische Verfahren den Grundsätzen der EMRK oder UNO-Pakt II nicht entspricht oder andere schwere Mängel aufweist (Art. 2 Abs. 1 lit. a und d IRSG ).
Gemäss konstanter Praxis wird die Gültigkeit von solchen ausländischen Verfahrensentscheiden nur ausnahmsweise, wenn besonders schwere Verletzungen des ausländischen Rechts vorliegen, überprüft. Dies ist der Fall, wenn das Auslieferungsersuchen rechtsmissbräuchlich erscheint und Zweifel aufkommen, ob die grundsätzlichen Verteidigungsrechte im ausländischen Verfahren gewahrt werden bzw. gewahrt worden sind (Urteile des Bundesgerichts 1A.118/2004 vom 3. August 2004 E. 3.8; 1A.15/2002 vom 5. März 2002 E. 3.2; Entscheide des Bundesstrafgerichts RH.2014.3 vom 5. März 2014 E. 9.4; RR.2013.89 vom 25. Juni 2013 E. 4.5; RR.2012.259 vom 28. Mai 2013 E. 5.3).
5.2.2 Besondere Regelungen gelten bei Abwesenheitsurteilen (vgl. Garré , Basler Kommentar, 2015, Art. 37 IRSG N. 3; vgl. auch Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2015.99 vom 30. Juli 2015 E. 5.3 ff.; je m.w.H.).
Ein Beschuldigter hat grundsätzlich Anspruch darauf, in seiner Anwesenheit verurteilt zu werden (Art. 6 EMRK ; Art. 29 Abs. 2 BV ; Art. 14 UNO-Pakt II ; BGE 127 I 213 E. 3a). Dieses Recht ist jedoch nicht absolut: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind Abwesenheitsverfahren zulässig, sofern der in Abwesenheit Verurteilte nachträglich (grundsätzlich auch nach Eintritt der Vollstreckungsverjährung) verlangen kann, dass ein Gericht, nachdem es ihn zur Sache angehört hat, nochmals überprüft, ob die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen begründet sind (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 24379/02 vom 23. Mai 2006 i.d.S. Kounov/Bulgarien, N 41 f. und 9024/80 vom 12. Februar 1985 i.d.S. Colozza/Italien, série A, N 89, S. 15, § 29). Das Recht, eine Neubeurteilung zu verlangen, besteht jedoch nicht uneingeschränkt (vgl. Urteil des Bundesgerichts 6B_268/2011 vom 19. Juli 2011, E. 1.1 mit Verweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte i.S. Sejdovic gegen Italien vom 1. März 2006, Recueil CourEDH 2006-II S. 201 § 81 ff. m.w.H.).
5.2.3 Im Auslieferungsverkehr regelt u.a. der hier massgebende Art. 3 Ziff. 1 ZPII EAUe das Verfahren bei Abwesenheitsurteilen: Ersucht eine Vertragspartei eine andere Vertragspartei um Auslieferung einer Person zur Vollstreckung einer Strafe oder einer sichernden Massnahme, die gegen sie in einem Abwesenheitsurteil verhängt worden ist, so kann die ersuchte Vertragspartei die Auslieferung zu diesem Zweck ablehnen, wenn nach ihrer Auffassung in dem diesem Urteil vorangegangenen Verfahren nicht die Mindestrechte der Verteidigung gewahrt worden sind, die anerkanntermassen jedem einer strafbaren Handlung Beschuldigten zustehen (1. Satz).
Bestehen aufgrund der eingereichten Akten Zweifel, ob die Mindestrechte der Verteidigung gewahrt worden sind, so hat der ersuchte Staat dieser Frage nachzugehen, mithin beim ersuchenden Staat nachzufragen (Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2007.123 vom 10. Oktober 2007 E. 8.4). Er verfügt bei der Beurteilung der Frage, ob im ausländischen Abwesenheitsverfahren die Mindestrechte der Verteidigung gewahrt worden sind, über einen erheblichen Ermessensspielraum (BGE 117 Ib 337 E. 5c S. 345; Urteil des Bundesgerichts 1A.261/2006 vom 9. Januar 2007 E. 3.2). Das Auslieferungsgericht muss dabei die Besonderheiten des Einzelfalls würdigen (BGE 117 Ib 337 E. 5c S. 345 in fine). Nach der Rechtsprechung sind die minimalen Verteidigungsrechte des abwesenden Angeklagten im Sinne von Art. 3 ZPII EAUe jedoch gewahrt und das Abwesenheitsurteil bildet kein Hindernis für die Auslieferung, wenn dieser an der Gerichtsverhandlung durch einen frei gewählten Verteidiger vertreten wurde, der an der Verhandlung teilgenommen hat und Anträge stellen konnte ( 129 II 56 E. 6.2 in fine und E. 6.3; Urteil des Bundesgerichts 1A.261/2006 vom 9. Januar 2007 E. 3.2). Die Wirksamkeit dieser Verteidigung im Einzelnen zu überprüfen, kann nicht Aufgabe der Rechtshilfebehörden sein; dies ist ihnen in aller Regel, mangels Kenntnis der Akten und der Verfahrensordnung des ersuchenden Staates, auch nicht möglich. Insofern kann ein Auslieferungshindernis allenfalls bei einer offensichtlich ungenügenden Verteidigung in Frage kommen (Urteil des Bundesgerichts 1A.135/2005 vom 22. August 2005 E. 3.2.2; Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2018.235 vom 4. Oktober 2018 E. 4.2). Gleiches gilt, wenn der in Abwesenheit Verurteilte gegen das Abwesenheitsurteil bei einer Rechtsmittelinstanz, welche in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht über eine umfassende Kognition verfügt, ein Rechtsmittel erhoben hat und wenn in diesem Beschwerdeverfahren die Mindestrechte der Verteidigung gewahrt wurden (BGE 129 II 56 E. 6.4 S. 61 f.).
5.3
5.3.1 Mit Schreiben vom 15. Mai 2020 ersuchte der Beschwerdegegner die slowakischen Behörden um ergänzende Angaben zur Frage, ob die Mindestrechte der Verteidigung des Beschwerdeführers im slowakischen Verfahren eingehalten worden sind (vgl. supra lit. F; act. 4.14). Die slowakischen Behörden nahmen hierzu mit Eingabe vom 28. Mai 2020 wie folgt Stellung:
Der Beschwerdeführer habe Kenntnis vom gegenständlichen Strafverfahren in der Slowakei gehabt, da ihm der Beschluss über die Anklageerhebung im Strafverfahren [...] vom 31. Januar 2011 am 4. Februar 2011 persönlich zugestellt worden sei. Zudem sei er in der genannten Strafsache als beschuldigte Person am 7. November 2011 von der Kreispolizeidirektion Kezmarok einvernommen worden. Vom 7. Oktober 2014 bis zum 22. November 2016 seien in der betreffenden Strafsache 16 Hauptverhandlungen angeordnet worden, wobei der Beschwerdeführer an den Hauptverhandlungen vom 29. Januar 2015 und 1. März 2016 anwesend gewesen sei. Dabei habe er von seinem Recht, in der Sache nicht auszusagen, Gebrauch gemacht, weshalb das Gericht das Einvernahmeprotokoll des Beschwerdeführers aus dem Vorbereitungsverfahren vorgelesen habe. Die Hauptverhandlungen, die in Abwesenheit des Beschwerdeführers abgehalten worden seien, und somit auch die letzte Hauptverhandlung vom 22. November 2016, seien unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmung von § 252 Abs. 2 und 3 der slowakischen Strafprozessordnung durchgeführt worden. So sei dem Beschwerdeführer die Anklageschrift zugestellt worden, und es sei ihm die Möglichkeit eingeräumt worden, sich zur Sache zu äussern sowie Anträge auf Ergänzung der Untersuchung zu stellen. Ebenso sei er darauf hingewiesen worden, dass die Möglichkeit bestehe, die Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit durchzuführen, da es sich um eine Straftat gehandelt habe, für die das Gesetz eine Freiheitsstrafe mit Obergrenze von weniger als zehn Jahren vorsehe. Die Vorladungen zu den Hauptverhandlungen seien dem Beschwerdeführer mit einer Ausnahme alle ordentlich und rechtzeitig zugestellt worden. Die Vorladung zur Hauptverhandlung vom 22. November 2016, anlässlich welcher das Urteil verkündet worden sei, sei dem Beschwerdeführer an dessen Adresse persönlich zugestellt worden. Im Falle, da eine Vorladung nicht habe zugestellt werden können (nämlich für die Hauptverhandlung vom 22. Oktober 2015), sei der Beschwerdeführer von der Gerichtsvorsitzenden telefonisch kontaktiert sowie auf die Pflicht zur Entgegennahme von amtlichen Zustellungen hingewiesen worden. Der Beschwerdeführer sei im slowakischen Strafverfahren nicht anwaltlich vertreten gewesen, da es sich nicht um einen Fall notwendiger Verteidigung gehandelt habe und der Beschwerdeführer zudem freiwillig auf einen Verteidiger verzichtet habe. Das Urteil des Bezirksgerichts Nitra vom 22. November 2016 habe dem Beschwerdeführer an keine der den slowakischen Behörden bekannten Adressen zugestellt werden können, auch nicht durch die Polizei. Das Urteil gelte daher gestützt auf die gesetzliche Fiktion des § 66 Abs. 3 der slowakischen Strafprozessordnung als am 27. April 2017 zugestellt. Das Urteil sei am 13. Mai 2017 in Rechtskraft erwachsen, weshalb das ordentliche Rechtsmittel der Berufung nicht mehr ergriffen werden könne. Hingegen könne ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahren gestellt werden (act. 4.15).
5.3.2 Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschwerdegegner die Ausführungen der slowakischen Behörden zu Recht als glaubhaft qualifiziert und für die Beantwortung der Frage der Einhaltung der Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers auf diese abgestellt hat. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, an den Ausführungen der slowakischen Behörden zu zweifeln. Insbesondere darf bei einem Staat wie die Slowakei, der die EMRK ratifiziert hat, Mitgliedstaat der Europäischen Union und mit der Schweiz Signatarstaat des EAUe ist, gestützt auf das völkerrechtliche Vertrauensprinzip vermutet werden, dass er seine völkerrechtlichen Verpflichtungen wahrnimmt und das betreffende Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer den Verfahrensgarantien der EMRK entsprechen (vgl. Urteile des Bundesgerichts 1C_260/2013 vom 19. März 2013 E. 1.4; 1C_257/2010 vom 1. Juni 2010 E. 2.4; Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2013.209 vom 14. März 2014 E. 2.1.1). Vor diesem Hintergrund darf davon ausgegangen werden, die slowakischen Behörden hätten die Verfahrensgarantien der EMRK wie auch die einschlägigen strafprozessualen Bestimmungen ihres Landes eingehalten. Gestützt auf die Ausführungen der slowakischen Behörden ist damit ohne Weiteres davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer im slowakischen Verfahren zu den vorgebrachten Vorwürfen äussern und verteidigen konnte. Dies geht im Übrigen auch aus dem Urteil des Bezirksgerichts Nitra vom 22. November 2016 hervor: Demnach habe der Beschwerdeführer anlässlich der Hauptverhandlung vom 29. Januar 2015 die Straftat bestritten und gleichzeitig von seinem Recht, nicht auszusagen, Gebrauch gemacht. Deshalb sei das Gericht gestützt auf § 258 Abs. 4 der slowakischen Strafprozessordnung mit der Hauptverhandlung fortgefahren und habe seine Aussagen aus dem Vorverfahren vom 7. Februar 2011 vorgelesen (act. 4.9). Dass der Beschwerdeführer im slowakischen Verfahren nicht anwaltlich vertreten war, entspricht gemäss Ausführungen der ersuchenden Behörde den einschlägigen Bestimmungen der slowakischen Strafprozessordnung. Zudem habe der Beschwerdeführer freiwillig auf einen Verteidiger verzichtet, weshalb auch unter dem Blickwinkel von Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK kein Verteidiger zu bestellen war (BGE 143 I 164 E. 2.3.1; 131 I 350 E. 3.1 und 3.2). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers bestehen auch keine Gründe für die Annahme, die Vorladungen zu den Hauptverhandlungen, insbesondere zur Verhandlung vom 22. November 2016, seien nicht ordentlich erfolgt. Jedenfalls kann aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer der Hauptverhandlung vom 25. Oktober 2016 entschuldigt ferngeblieben sei, nicht geschlossen werden, die Vorladung für die Hauptverhandlung vom 22. November 2016 sei nicht (ordentlich) erfolgt. Dass das Urteil vom 22. November 2016 schliesslich dem Beschwerdeführer nicht hat zugestellt werden können, ist ebenfalls nicht dem ersuchenden Staat anzulasten. Der Beschwerdeführer war offensichtlich in Kenntnis des laufenden Strafverfahrens, er wusste um die angeordneten Hauptverhandlungen und musste damit rechnen, dass ein Urteil ergehen und ihm zugestellt werden würde. Die slowakischen Behörden haben unter Bezugnahme auf die einschlägigen strafprozessualen Bestimmungen dargelegt, dass eine erfolgreiche Zustellung des Urteils an den Beschwerdeführer nicht möglich gewesen sei, auch nicht mittels Polizei, weshalb dieses am 27. April 2017 als zugestellt gegolten habe. Zusammenfassend erweist sich, dass die Mindestrechte der Verteidigung im erstinstanzlichen Strafverfahren gewahrt wurden. Dass es dem Betroffenen faktisch unmöglich war, ein Rechtsmittel zu ergreifen, ändert daran nichts. Deshalb war das BJ auch nicht gehalten, eine Zusicherung im Sinne von Art. 3 Ziff. 1 Satz 2 des 2. ZP beim ersuchenden Staat einzuholen. Dessen ungeachtet, steht es dem Beschwerdeführer frei, in der Slowakei die Wiederaufnahme des Verfahrens zu verlangen.
6. Andere Gründe, welche eine Auslieferung offensichtlich auszuschliessen oder sonst zu einer Aufhebung der Auslieferungshaft zu führen vermöchten, werden weder geltend gemacht noch sind solche ersichtlich. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
7.
7.1 Der Beschwerdeführer beantragt seine Entlassung aus der Auslieferungshaft.
7.2 Der Verfolgte, welcher sich in Auslieferungshaft befindet, kann jederzeit ein Haftentlassungsgesuch einreichen (Art. 50 Abs. 3 IRSG ). Das Gesuch ist an das Bundesamt für Justiz zu richten, gegen dessen ablehnenden Entscheid innert zehn Tagen Beschwerde bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts geführt werden kann (Art. 48 Abs. 2 und Art. 50 Abs. 3 IRSG ). Die Beschwerdekammer kann ausnahmsweise im Zusammenhang mit einer Beschwerde gegen einen Auslieferungsentscheid in erster Instanz über ein Haftentlassungsgesuch befinden, wenn sich aus einer allfälligen Verweigerung der Auslieferung als unmittelbare Folge auch die Entlassung aus der Auslieferungshaft ergibt und das Haftentlassungsgesuch insofern rein akzessorischer Natur ist (Urteil des Bundesgerichts 1A.13/2007 vom 9. März 2007 E. 1.2; Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2008.59 vom 19. Juni 2008 E. 2.2). Der vorliegende Antrag ist demnach als akzessorisches Haftentlassungsgesuch zu betrachten. Die Auslieferung des Beschwerdeführers kann gewährt werden (vgl. supra E. 6), weshalb das akzessorische Haftentlassungsgesuch abzuweisen ist.
8.
8.1 Die Beschwerdekammer befreit eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Verfahrenskosten, sofern ihr Begehren nicht aussichtslos erscheint (Art. 65 Abs. 1 VwVG ) und bestellt dieser einen Anwalt, wenn dies zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist (Art. 65 Abs. 2 VwVG ). Diese Regelung ist Ausfluss von Art. 29 Abs. 3 BV . Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Prozessbegehren als aussichtslos anzusehen, wenn die Gewinnaussichten beträchtlich geringer erscheinen als die Verlustgefahren. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde (BGE 139 III 475 E. 2.2 S. 476 f.; 139 III 396 E. 1.2; 138 III 217 E. 2.2.4).
8.2 Nach dem oben Ausgeführten muss die vorliegende Beschwerde als aussichtslos bezeichnet werden. Schon aus diesem Grund ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen. Bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr kann gemäss Art. 63 Abs. 4 bis VwVG der finanziellen Situation des Beschwerdeführers Rechnung getragen werden.
9. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG ). Angesichts der finanziellen Situation des Beschwerdeführers ist die reduzierte Gerichtsgebühr auf Fr. 1'000.-- festzusetzen (Art. 63 Abs. 5 VwVG i.V.m. Art. 73 StBOG sowie Art. 5 und 8 Abs. 3 lit. a des Reglements des Bundesstrafgerichts vom 31. August 2010 über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren [BStKR; SR 173.713.162]).
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Das akzessorische Haftentlassungsgesuch wird abgewiesen.
3. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
4. Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
Bellinzona, 18. November 2020
Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin :
Zustellung an
- Rechtsanwalt Markus J. Meier
- Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung
Rechtsmittelbelehrung
Gegen Entscheide auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen kann innert zehn Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 und 2 lit. b BGG ).
Gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn er eine Auslieferung, eine Beschlagnahme, eine Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten oder eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Art. 84 Abs. 1 BGG ). Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Art. 84 Abs. 2 BGG ).
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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