Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Strafverfahren |
Fallnummer: | BG.2019.38 |
Datum: | 16.10.2019 |
Leitsatz/Stichwort: | Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO). |
Schlagwörter : | Kanton; Verfahren; Gerichtsstand; Verfahrens; Gesuch; Waadt; Erfahrensakten; Verfahrensakten; Bundesstrafgericht; Lasche; Ordner; Person; Bundesstrafgerichts; Thurgau; Kreuzlingen; Beschuldigte; Behörde; Gerichtsstandes; Gesuchsteller; Eschwerdekammer; Veranstaltung; Behörden; Gesuchsgegner; Beschluss; Kantons; Beschwerdekammer; Beschuldigten; Verfahren; GefĂŒhrte |
Rechtskraft: | Kein Rechtsmittel gegeben |
Rechtsnorm: | Art. 12 StGB ; Art. 125 StGB ; Art. 14 StPO ; Art. 3 StPO ; Art. 31 StPO ; Art. 34 StPO ; Art. 39 StPO ; Art. 396 StPO ; Art. 4 StPO ; Art. 40 StPO ; Art. 423 StPO ; |
Referenz BGE: | 119 IV 102; 129 IV 202; 76 IV 202; ; |
Kommentar zugewiesen: | SpĂŒhler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
GeschÀftsnummer: BG.2019.38 |
Beschluss vom 16. Oktober 2019 | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Giorgio Bomio-Giovanascini, Vorsitz, Roy Garré und Cornelia Cova , Gerichtsschreiberin Inga Leonova | |
Parteien | Kanton Thurgau , Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Gesuchsteller | |
gegen | ||
Canton de Vaud , MinistĂšre public central, Gesuchsgegner | ||
Gegenstand | Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO) |
Sachverhalt:
A. AnlĂ€sslich der dreitĂ€gigen Veranstaltung «[...]» in Z. (TG) verletzten sich am 3. August 2018 infolge der Benutzung einer Wasserrutschbahn fĂŒnf Personen teilweise schwer. Gleichentags eröffnete die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen (nachfolgend «StA Kreuzlingen») ein Strafverfahren wegen mehrfacher fahrlĂ€ssiger Körperverletzung gegen Unbekannt (V erfahrensakten TG, Ordner 1/2, Lasche A, pag. 1).
B. Aufgrund von Zeitungsberichten, laut denen die oben genannte Veranstaltung bereits am 26/27. August 2017 in Y. (VD) ebenfalls zur Verletzung von Personen gefĂŒhrt habe, ersuchte die StA Kreuzlingen den Kanton Waadt am 29. August 2018 um Ăbernahme des bei ihr hĂ€ngigen Verfahrens. Ihr Gesuch begrĂŒndete die StA Kreuzlingen damit, dass die beiden Veranstaltungen von der gleichen Gesellschaft (A. AG) durchgefĂŒhrt worden seien, weshalb es sich bei der TĂ€terschaft um die gleiche Person handeln könne (Verfahrensakten TG, Ordner 1/2, Lasche A, pag. 6 f.). Der Kanton Waadt lehnte das Ăbernahmeersuchen am 16. Oktober 2018 ab und fĂŒhrte aus, dass in Y. (VD) eine andere Rutschbahn verwendet worden sei. Zudem seien die GeschĂ€digten und Verantwortlichen der A. AG, B. und C. in der Deutschschweiz ansĂ€ssig und eine Verfahrensvereinigung wĂ€re nicht zweckmĂ€ssig (Verfahrensakten TG, Ordner 1/2, Lasche A, pag. 8). Mit Schreiben vom 7. November 2018 teilte die StA Kreuzlingen dem Kanton Waadt mit, dass sie weitere Ermittlungen tĂ€tigen werde, um allenfalls einen Meinungsaustausch auf der Ebene der Generalstaatsanwaltschaft anzustreben (Verfahrensakten TG, Ordner 1/2, Lasche A, pag. 9).
C. Am 12. Februar 2019 eröffnete die StA Kreuzlingen gegen B., den Projektleiter der Veranstaltung in Z. (TG), eine Strafuntersuchung wegen mehrfacher fahrlÀssiger (teils schwerer) Körperverletzung (V erfahrensakten TG, Ordner 1/2, Lasche A, pag. 2) .
D. Das im Kanton Waadt gegen B. und den PrÀsidenten des Verwaltungsrates der A. AG, D., am 11. September 2018 und 1. MÀrz 2019 eröffnete Strafverfahren wegen fahrlÀssiger Körperverletzung wurde am 21. Mai 2019 eingestellt (Verfahrensakten VD, rosa MÀppchen).
E. AnlĂ€sslich der Einvernahme vom 17. Juni 2019 durch die Kantonspolizei Thurgau gab B. u.a. zu Protokoll, dass sich anlĂ€sslich der Veranstaltung in Y. (VD) mehrere Personen verletzt hĂ€tten, wobei das diesbezĂŒgliche Strafverfahren im Kanton Waadt mittlerweile mit einer Einstellung beendet worden sei (Verfahrensakten TG, Ordner 2/2, Lasche E, Einvernahmeprotokoll vom 17. Juni 2019, S. 18 f.).
F. In der Folge gelangte die StA Kreuzlingen mit Schreiben vom 5. Juli 2019 erneut an den Kanton Waadt und fĂŒhrte aus, dass das im Kanton Waadt gegen B. eröffnete Verfahren in Verletzung gesetzlicher Bestimmungen nicht im Strafregister eingetragen worden sei, obschon der Kanton Waadt gewusst habe, dass die StA Kreuzlingen ein Verfahren bezĂŒglich eines Ă€hnlich gelagerten Sachverhalts fĂŒhre. Zudem habe der Kanton Waadt das Verfahren gegen B. eingestellt, ohne die StA Kreuzlingen darĂŒber in Kenntnis gesetzt zu haben. Zur KlĂ€rung des Gerichtsstandes ersuchte die StA Kreuzlingen um Akteneinsicht (Verfahrensakten TG, Ordner 1/2, Lasche A, pag. 10 f.). Mit Schreiben vom 11. Juli 2019 stritt der Kanton Waadt jegliches treuwidrige Handeln ab und gab an, dass die Unterlassung der Eintragung des Verfahrens im Strafregister auf ein unglĂŒckliches Versehen zurĂŒckzufĂŒhren sei. Zudem fĂŒhrte der Kanton Waadt aus, die StA Kreuzlingen habe sich nach ihrem Schreiben vom 7. November 2018 nicht mehr vernehmen lassen, weshalb er angenommen habe, dass der Kanton Thurgau an seinem Ăbernahmeersuchen nicht mehr festhalte (Verfahrensakten TG, Ordner 1/2, Lasche A, pag. 12).
G. Das daraufhin von der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (nachfolgend «GStA TG») am 31. Juli 2019 gestellte Ăbernahmeersuchen lehnte der Kanton Waadt, MinistĂšre public central, mit Schreiben vom 12. August 2019 ab (act. 1.1, 1.2).
H. Am 20. August 2019 gelangte die GStA TG an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts mit dem Antrag, die Strafuntersuchungsbehörden des Kantons Waadt seien fĂŒr berechtigt und verpflichtet zu erklĂ€ren, die B. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen (act. 1). Das Schreiben vom 29. August 2019, mit welchem sich der Kanton Waadt vernehmen liess und die Abweisung des Gesuchs beantragte, wurde der GStA TG am 2. September 2019 zugestellt (act. 3, 4).
I. Mit Eingabe vom 23. September 2019 nahm B., vertreten durch Rechtsanwalt E., zum eingeleiteten Verfahren zur Bestimmung des Gerichtsstandes unaufgefordert Stellung und beantragte die Abweisung des Gesuchs (act. 5). Das Schreiben von B. wurde den beteiligten Kantonen am 25. September 2019 zur Kenntnis gebracht (act. 6).
Auf die AusfĂŒhrungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen ErwĂ€gungen Bezug genommen.
Die B eschwerdekammer zieht in ErwÀgung:
1.
1.1 Die Strafbehörden prĂŒfen ihre ZustĂ€ndigkeit von Amtes wegen und leiten einen Fall wenn nötig der zustĂ€ndigen Stelle weiter (Art. 39 Abs. 1 StPO). Erscheinen mehrere Strafbehörden als örtlich zustĂ€ndig, so informieren sich die beteiligten Staatsanwaltschaften unverzĂŒglich ĂŒber die wesentlichen Elemente des Falles und bemĂŒhen sich um eine möglichst rasche Einigung (Art. 39 Abs. 2 StPO ). Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone ĂŒber den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzĂŒglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid (Art. 40 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 37 Abs. 1 StBOG). Hinsichtlich der Frist, innerhalb welcher die ersuchende Behörde ihr Gesuch einzureichen hat, ist im Normalfall die Frist von zehn Tagen gemĂ€ss Art. 396 Abs. 1 StPO analog anzuwenden ( TPF 2011 94 E. 2.2 S. 96). Die Behörden, welche berechtigt sind, ihren Kanton im Meinungsaustausch und im Verfahren vor der Beschwerdekammer zu vertreten, bestimmen sich nach dem jeweiligen kantonalen Recht (Art. 14 Abs. 4 StPO).
1.2 Die Eintretensvoraussetzungen (durchgefĂŒhrter Meinungsaustausch zwischen den zustĂ€ndigen Behörden der Kantone Thurgau und Waadt, Frist und Form, vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.7 vom 21. MĂ€rz 2014 E. 1) sind vorliegend erfĂŒllt. Auf das Gesuch ist somit einzutreten.
2. Die Beurteilung der Gerichtsstandsfrage richtet sich nach der aktuellen Verdachtslage. Massgeblich ist nicht, was dem Beschuldigten schlussendlich nachgewiesen werden kann, sondern der Tatbestand, der Gegenstand der Untersuchung bildet, es sei denn, dieser erweise sich von vornherein als haltlos oder sei sicher ausgeschlossen. Der Gerichtsstand bestimmt sich also nicht nach dem, was der TĂ€ter begangen hat, sondern nach dem, was ihm vorgeworfen wird, das heisst, was aufgrund der Aktenlage ĂŒberhaupt in Frage kommt (BeschlĂŒsse des Bundesstrafgerichts BG.2016.28 vom 25. Oktober 2016 E. 2.2; BG.2016.6 vom 17. Mai 2016 E. 2.2). Dabei stĂŒtzt sich die Beschwerdekammer auf Fakten, nicht auf Hypothesen (BeschlĂŒsse des Bundesstrafgerichts BG.2015.47 vom 1. MĂ€rz 2016 E. 2.3; BG.2015.38 vom 22. Oktober 2015 E. 2). Es gilt der Grundsatz in dubio pro duriore, wonach im Zweifelsfall auf den fĂŒr den Beschuldigten ungĂŒnstigeren Sachverhalt abzustellen bzw. das schwerere Delikt anzunehmen ist (BeschlĂŒsse des Bundesstrafgerichts BG.2016.28 vom 25. Oktober 2016 E. 2.2; BG.2016.6 vom 17. Mai 2016 E. 2.2; BG.2016.10 vom 10. Mai 2016 E. 2.3) .
3.
3.1 FĂŒr die Verfolgung und Beurteilung einer Straftat sind die Behörden des Ortes zustĂ€ndig, an dem die Tat verĂŒbt worden ist (Art. 31 Abs. 1 Satz 1 StPO ). Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verĂŒbt, so sind fĂŒr die Verfolgung und Beurteilung sĂ€mtlicher Taten die Behörden des Ortes zustĂ€ndig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zustĂ€ndig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 34 Abs. 1 StPO). Die schwerste Tat im gerichtsstandsrechtlichen Sinn ist diejenige mit der höchsten abstrakten gesetzlichen Strafdrohung, wobei Qualifizierungs- und Privilegierungselemente des besonderen Teils des StGB, welche den Strafrahmen verĂ€ndern, zu berĂŒcksichtigen sind (BeschlĂŒsse des Bundesstrafgerichts BG.2013.15 vom 27. Juni 2013 E. 3.1; BG.2010.14 vom 20. September 2010 E. 2.1; BK_G 031/04 vom 12. Mai 2004 E. 1.2 in fine; Moreillon/Parein-Reymond , Petit commentaire du Code de procĂ©dure pĂ©nale, 2. Aufl. 2016, Art. 34 N. 4).
3.2
3.2.1 Die Beschwerdekammer kann (wie die beteiligten Staatsanwaltschaften untereinander auch) einen anderen als den in Art. 31 -37 StPO vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen TĂ€tigkeit oder die persönlichen VerhĂ€ltnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige GrĂŒnde vorliegen (Art. 40 Abs. 3 StPO ). Ein solches Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand kann aus ZweckmĂ€ssigkeits-, Wirtschaftlichkeits- oder prozessökonomischen GrĂŒnden gerechtfertigt sein, soll indes die Ausnahme bleiben (BGE 129 IV 202 E. 2 S. 203; Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.8 vom 9. April 2014 E. 2.1 m.w.H.).
3.2.2 Ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand ist unter anderem möglich, wenn ein Kanton seine ZustĂ€ndigkeit konkludent anerkannt hat (BeschlĂŒsse des Bundesstrafgerichts BG.2015.50 vom 22. April 2016 E. 2.2; BG.2013.31 vom 28. Januar 2014 E. 2.2; Schweri/BĂ€nziger , Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, 2. Aufl. 2004, S. 147 ff.). Betrachtet sich die Behörde als unzustĂ€ndig, so hat sie den Fall rasch an die zustĂ€ndige Stelle weiterzuleiten (vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2013.31 vom 28. Januar 2014 E. 2.2). Wartet sie mit der Gerichtsstandsanfrage zu lange zu bzw. unterlĂ€sst sie diese, so ist von einer konkludenten Anerkennung auszugehen ( TPF 2011 178 E. 2.1 S. 180; Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2006.28 vom 26. September 2006 E. 3.1; vgl. auch sinngemĂ€ss Kuhn , Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 39 StPO N. 7).
3.2.3 Eine konkludente Anerkennung des Gerichtsstandes darf nicht leichthin angenommen werden. Nach dem Eingang einer Strafanzeige haben die Strafverfolgungsbehörden von Amtes wegen, summarisch und beschleunigt zu prĂŒfen, ob ihre örtliche ZustĂ€ndigkeit und damit die Gerichtsbarkeit ihres Kanntons gegeben ist, um Verzögerungen des Verfahrens zu vermeiden. Die mit der PrĂŒfung befasste Behörde muss alle fĂŒr die Festlegung des Gerichtsstandes wesentlichen Tatsachen erforschen, die dazu notwendigen Erhebungen durchfĂŒhren und insbesondere den AusfĂŒhrungsort ermitteln. Hat der Beschuldigte in mehreren Kantonen delinquiert, so hat jeder Kanton vorerst die Ermittlungen voranzutreiben, die fĂŒr die Bestimmung des Gerichtsstandes wesentlich sind. BeschrĂ€nkt sich ein Kanton nicht darauf, sondern nimmt er wĂ€hrend lĂ€ngerer Zeit weitere Ermittlungen vor, obwohl lĂ€ngst Anlass bestand, die eigene ZustĂ€ndigkeit abzuklĂ€ren, so kann darin eine konkludente Anerkennung erblickt werden (BGE 119 IV 102 E. 4b S. 104). BeschrĂ€nkt sich die Behörde dagegen im Wesentlichen auf die AbklĂ€rung von Tatsachen, die fĂŒr die Bestimmung des Gerichtsstandes von Bedeutung sind oder fĂŒhrt eine Behörde wĂ€hrend der AbklĂ€rung der Gerichtsstandsfrage die Strafuntersuchung mit der gebotenen Beschleunigung weiter, statt untĂ€tig den Ausgang des Gerichtsstandsverfahrens abzuwarten, so kann darin keine konkludente Anerkennung des Gerichtsstandes gesehen werden (vgl. Schweri/BĂ€nziger , a.a.O., S. 151). Diese Ermittlungshandlungen haben fĂŒr sich allein keine zustĂ€ndigkeitsbegrĂŒndende Wirkung, denn es wĂ€re unbillig, jene Behörden, welche AbklĂ€rungen fĂŒr die Ermittlung des Gerichtsstandes vornehmen, allein deswegen schon zu verpflichten, nachher auch das ganze Verfahren durchzufĂŒhren (Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2015.46 vom 10. Februar 2016 E. 3.2).
4.
4.1 GemĂ€ss Art. 125 Abs. 1 StGB wird auf Antrag mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer fahrlĂ€ssig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schĂ€digt. Ist die SchĂ€digung schwer, so wird der TĂ€ter von Amtes wegen verfolgt (Art. 125 Abs. 2 StGB). FahrlĂ€ssig begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht RĂŒcksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der TĂ€ter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den UmstĂ€nden und nach seinen persönlichen VerhĂ€ltnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 StGB ).
4.2 F. hatte sich anlĂ€sslich der Veranstaltung in Y. (VD) vom 26. August 2017 beim Benutzen einer Wasserrutsche verletzt und erlitt u.a. eine Kieferfraktur sowie einen Bruch von Zahnwurzeln und der Zahnkrone. Des Weiteren hat er sich ein SchĂ€deltrauma und eine Verletzung am Kinn zugezogen, die mit zwei Stichen genĂ€ht werden musste (Verfahrensakten VD, rosa MĂ€ppchen). AnlĂ€sslich der Einvernahme vom 17. Juni 2019 gab B. an, dass in Y. (VD) und Z. (TG) nicht dieselben Rutschbahnen verwendet worden seien. Namentlich seien in Y. (VD) Holzbahnen aufgestellt worden. Zwar seien in Y. (VD) mehrere Personen verletzt worden, indes sei nur eine Person [F.] in das Strafverfahren involviert gewesen (Verfahrensakten TG, Ordner 2/2, Lasche E, Einvernahmeprotokoll vom 17. Juni 2019, S. 18). Das im Kanton Waadt gegen B. und D. eröffnete Verfahren wegen fahrlĂ€ssiger Körperverletzung wurde am 21. Mai 2019 infolge des seitens F. erklĂ€rten RĂŒckzugs des Strafantrags eingestellt (Verfahrensakten VD, rosa MĂ€ppchen; blaues MĂ€ppchen, Urk. 28/2).
AnlĂ€sslich der Veranstaltung in Z. (TG) vom 3. August 2018 erlitten fĂŒnf Personen beim Benutzen einer Riesen-Wasserrutsche diverse Körperverletzungen, darunter SchĂ€delhirntraumata, RippenbrĂŒche und Frakturen an der WirbelsĂ€ule (Verfahrensakten TG, Ordner 2/2, Laschen S1-S5, pag. 25 ff.). Eine Person musste am 5. August 2018 an der WirbelsĂ€ule operiert werden und war mindestens bis zum 31. Mai 2019 zu 100 % arbeitsunfĂ€hig (Verfahrensakten TG, Ordner 2/2, Lasche S2, pag. 21 ff., 41). Eine weitere Person hustete Blut und ist infolge der Benutzung der Wasserrutsche beinahe ertrunken (Verfahrensakten TG, Ordner 2/2, Lasche S3, pag. 1 ff.).
4.3 Die Frage, ob die B. im Kanton Thurgau vorgeworfenen Taten im Vergleich zu denjenigen im Kanton Waadt schwerer wiegen, ist fĂŒr die Bestimmung des Gerichtsstandes nicht relevant. In beiden Kantonen wurde gegen B. ein Verfahren wegen fahrlĂ€ssiger Körperverletzung eröffnet, die unabhĂ€ngig von der Schwere der Verletzungen denselben abstrakten Strafrahmen aufweist (vgl. Art. 125 Abs. 1 und 2 StGB ). Wiegt die SchĂ€digung schwer, fĂŒhrt dies lediglich dazu, dass die angezeigten Handlungen nicht auf Antrag, sondern von Amtes wegen verfolgt werden (vgl. Art. 125 Abs. 2 StGB ). Unbestrittenermassen wurden im Kanton Waadt zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen und der gesetzliche Gerichtstand liegt gestĂŒtzt auf Art. 34 Abs. 1 erster Satz StPO im Kanton Waadt. Wie nachfolgend darzulegen sein wird, rechtfertigt es sich vorliegend, aus triftigen GrĂŒnden vom gesetzlichen Gerichtsstand abzuweichen.
4.4
4.4.1 Wie der Gesuchsgegner zutreffend ausfĂŒhrt, hatte der Gesuchsteller ihn seit dem Schreiben vom 7. November 2018 nicht mehr kontaktiert. WĂ€hrenddessen nahm der Gesuchsteller umfangreiche Untersuchungshandlungen vor, so dass sich die im Kanton Thurgau gefĂŒhrte Untersuchung in der Schlussphase befindet. Namentlich wurden der Beschuldigte und zahlreiche Auskunftspersonen einvernommen (Verfahrensakten TG, Ordner 2/2, Lasche D, pag. 2 ff.). B. wurde als Auskunftsperson am 3. und 16. August 2018 und als Beschuldigter am 17. Juni 2019 befragt (Verfahrensakten TG, Ordner 2/2, Lasche D, pag. 17 ff.; Lasche E, Einvernahmeprotokoll vom 17. Juni 2019). Die bereits geplante Einvernahme der an der Veranstaltung in Z. (TG) fĂŒr die Rettung zustĂ€ndiger Personen, namentlich des Samariters und des Rettungsschwimmers, fand laut der E-Mail der StA Kreuzlingen an den Verteidiger des Beschuldigten vom 16. September 2019 lediglich aufgrund des vorliegenden Gerichtsstandsverfahrens nicht statt (act. 5.3). Zudem liegen ein spurenkundlicher Unfalluntersuchungsbericht des Forensischen Instituts ZĂŒrich sowie umfangreiche Dokumentation bezĂŒglich der Sicherheit und Konstruktion der an der Veranstaltung in Z. (TG) aufgestellten Wasserrutsche vor (Verfahrensakten TG, Ordner 1/2, Lasche S, pag. 13 ff.). Nebst dem Umstand, dass sĂ€mtliche Verfahrensakten des Gesuchstellers in Deutsch verfasst sind, sind sowohl die GeschĂ€digten als auch der Beschuldigte in der Deutschschweiz wohnhaft. Nachdem das einzige gegen B. im Kanton Waadt gefĂŒhrte Verfahren am 21. Mai 2019 eingestellt wurde, wĂ€re eine Ăbertragung der im Kanton Thurgau kurz vor Abschluss stehenden Untersuchung an den Gesuchsgegner unter den konkreten UmstĂ€nden nicht zweckmĂ€ssig und stĂŒnde insbesondere dem Beschleunigungsgebot entgegen.
4.4.2 An der vorgĂ€ngigen Schlussfolgerung vermag auch der Umstand, dass der Gesuchsgegner es unterlassen hat, das gegen den Beschuldigten eingeleitete Verfahren rechtzeitig im Strafregister einzutragen, nichts zu Ă€ndern. Der Gesuchsgegner verfĂŒgte die Einstellung des gegen den Beschuldigten gefĂŒhrten Verfahrens am 21. Mai 2019 und erst nachdem der GeschĂ€digte den RĂŒckzug des Strafantrags am 6. Mai 2019 erklĂ€rte. Somit erfolgte die Verfahrenseinstellung rund sechs Monate nach Erhalt des Schreibens des Gesuchstellers vom 7. November 2018, mit welchem er dem Gesuchsgegner mitteilte, weitere AbklĂ€rungen vorzunehmen und sich eine Gerichtsstandsanfrage seitens der GStA TG vorbehielt. Unter diesen UmstĂ€nden kann von einer voreiligen und treuwidrigen Verfahrenseinstellung seitens des Gesuchsgegners keine Rede sein. Eine baldige Verfahrenseinstellung hatte sich im Ăbrigen auch aufgrund des Beschleunigungsgebotes aufgedrĂ€ngt und ein allfĂ€lliger nicht abgeschlossener Gerichtsstandskonflikt zwischen den Parteien stand der Verfahrenseinstellung nicht entgegen. Dies umso weniger, als eine Verfahrenseinstellung eine spĂ€tere VerfahrensĂŒbernahme bzw. -ĂŒbertragung grundsĂ€tzlich nicht hindert (vgl. BGE 76 IV 202 E. 3 S. 207; 71 IV 60 ; BeschlĂŒsse des Bundesstrafgerichts BG.2009.29 vom 20. MĂ€rz 2010 E. 2.5 m.w.H.; BG.2008.21 vom 30. MĂ€rz 2009 E. 3.2). Ebenso ist keine Absicht des Gesuchsgegners zu erkennen, die Einstellung erlassen zu haben, nur um die im Kanton Thurgau gefĂŒhrte Untersuchung gegen den Beschuldigten nicht ĂŒbernehmen zu mĂŒssen. Vielmehr ist der Gesuchsteller selber untĂ€tig geblieben. Unbestrittenermassen gab es seitens des Gesuchstellers in der Zeit zwischen 7. November 2018 und 5. Juli 2019 weder eine weitere Gerichtsstandsanfrage noch ein Akteneinsichtsgesuch (vgl. act. 1, S. 4), obschon dem Gesuchsteller bekannt war, dass auch der Kanton Waadt wegen einem Ă€hnlichen Sachverhalt ein Verfahren fĂŒhrte.
4.4.3 Aus dem Gesagten folgt, dass es sich vorliegend aus triftigen GrĂŒnden rechtfertigt, vom gesetzlichen Gerichtsstand abzuweichen.
4.5 In Bezug auf die von B. eingereichte Stellungnahme vom 23. September 2019 sei erwĂ€hnt, dass nach dem Konzept der StPO der beschuldigten Person im unter Strafbehörden gefĂŒhrten Verfahren zur Bestimmung des Gerichtsstandes keine Parteistellung zukommt ( Kuhn , a.a.O., Art. 40 StPO N. 3; Galliani/Marcellini , Codice svizzero di procedura penale [CPP] - Commentario, 2010, N. 7 zu Art. 41 StPO ; Schweri/BĂ€nziger , a.a.O., S. 187 f.) und sie auf die Gerichtsstandsfrage lediglich im Rahmen von Art. 41 StPO einwirken kann. Nachdem das oben festgestellte Ergebnis dem Antrag des Beschuldigten entspricht, ist die Frage, welche Rolle einer beschuldigten Person in einem Verfahren wie dem vorliegenden zukommt, ohneÂhin von keiner praktischen Bedeutung. Auch wenn der beschuldigten Person grundsĂ€tzlich lediglich das Ergebnis kantonaler Verhandlungen betreffend den Gerichtsstand mitzuteilen ist (vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2013.28 vom 18. Dezember 2013), hĂ€tte sich eine Orientierung des Beschuldigten ĂŒber ein eingeleitetes bzw. nach Ansicht des Gesuchstellers noch nicht abgeschlossenes Gerichtsstandsverfahren aufgedrĂ€ngt, zumal die gegen ihn im Kanton Thurgau gefĂŒhrte Untersuchung kurz vor Abschluss steht. Sein Erstaunen ĂŒber das hier zu beurteilende Gesuch, von welchem er erst am 13. September 2019 Kenntnis erhalten hat, ist daher nachvollziehbar. Der vorliegende Beschluss wird deshalb ausnahmsweise auch B. zur Information zugestellt.
5. Nach dem Gesagten ist das Gesuch abzuweisen. Die Strafbehörden des Kantons Thurgau sind berechtigt und verpflichtet, die B. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
6. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (vgl. Art. 423 Abs. 1 StPO ).
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Das Gesuch wird abgewiesen. Die Strafbehörden des Kantons Thurgau sind berechtigt und verpflichtet, die B. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
2. Es wird keine GerichtsgebĂŒhr erhoben.
Bellinzona, 16. Oktober 2019
Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts
Der PrÀsident: Die Gerichtsschreiberin :
Zustellung an
- Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau
- MinistĂšre public central du canton de Vaud, cellule for et entraide
- Rechtsanwalt E. (zur Information)
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf AktualitÀt/Richtigkeit/Formatierung und/oder VollstÀndigkeit besteht und somit jegliche GewÀhrleistung entfÀllt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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