Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Strafverfahren |
Fallnummer: | BB.2019.30 |
Datum: | 27.05.2019 |
Leitsatz/Stichwort: | Akteneinsicht (Art. 101 f. i.V.m. Art. 107 Abs. 1 lit. a StPO). Aktenbeizug (Art. 194 Abs. 3 StPO). |
Schlagwörter : | Beschwerde; Bundes; Bundesanwalt; Bundesanwaltschaft; Verfahren; Akten; Verfahrens; Beschwerdeführer; Beschwerdekammer; Gericht; Verfahrensakten; Beizug; Verfahren; Beschwerdegegnerin; Einsicht; Geschwärzte; Richter; Einstellungsverfügung; Privatklägerin; Mitglieder; Sachen; Beantragt; Verfügung; Gesamten; Einzutreten; Wonach; Antrag; Staatsanwalt; Ungeschwärzte; Habe |
Rechtskraft: | Kein Rechtsmittel gegeben |
Rechtsnorm: | Art. 10 StPO ; Art. 107 StPO ; Art. 13 StGB ; Art. 14 StGB ; Art. 158 StGB ; Art. 194 StPO ; Art. 20 StPO ; Art. 331 StPO ; Art. 339 StPO ; Art. 393 StPO ; Art. 394 StPO ; Art. 428 StPO ; |
Kommentar zugewiesen: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: BB.2019.30 |
Beschluss vom 27. Mai 2019 | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Giorgio Bomio-Giovanascini, Vorsitz, Andreas J. Keller und Stephan Blättler , Gerichtsschreiberin Chantal Blättler Grivet Fojaja | |
Parteien | A. , Beschwerdeführer | |
gegen | ||
Bundesanwaltschaft, Beschwerdegegnerin | ||
Gegenstand | Aktenbeizug (Art. 194 Abs. 3 StPO ) / Akteneinsicht (Art. 101 f . i.V.m. Art. 107 Abs. 1 lit. a StPO ) |
Sachverhalt:
A. Die Bundesanwaltschaft führt seit dem 5. Juli 2016 gegen B., C., D., E. und A. eine Strafuntersuchung SV.15.1462 wegen des Verdachts der ungetreuen Geschäftsbesorgung (Art. 158 Ziff. 1 Abs. 3 StGB), der Veruntreuung (Art. 138 StGB ), des Betrugs (Art. 146 StGB ) und der Geldwäscherei (Art. 305 bis StGB ).
Gemäss Ausführungen der Bundesanwaltschaft gehe es um eine Zahlung der Fédération internationale de Football association (FIFA) (nachfolgend «FIFA») vom 26./27. April 2005 auf das Konto von F. Die Mittel im Umfang von EUR 6.7 Mio. seien zuvor vom Deutschen Fussball-Bund e.V. (nachfolgend «DFB») bzw. dem Organisationskomitee der WM 2006 (nachfolgend «OK WM 2006) an die FIFA geflossen. Es bestehe der Verdacht, dass C., D., B. und E. als ehemalige Mitglieder des Präsidiums des OK WM 2006 die Mitglieder des Präsidialausschusses des OK WM 2006 im April 2005 zur Genehmigung bzw. Duldung der Zahlung der EUR 6.7 Mio. aus dem EUR 12 Mio.-Kulturbudget des OK WM 2006 an die FIFA bestimmt hätten. Dabei hätten sie von Beginn an beabsichtigt, diese Gelder entgegen des gegenüber dem OK-Präsidialausschuss angegebenen Verwendungszwecks (Kostenbeteiligung an der FIFA-Auftaktveranstaltung zur WM 2006) F. zukommen zu lassen, um bei diesem eine nicht durch den DFB geschuldete Forderung zu begleichen. A. werde verdächtigt, dass er vorsätzlich mit dem OK-Präsidium zusammengewirkt habe, um das Gelingen dieses Plans durch Treffen der erforderlichen Vorbereitungs- und Ausführungsmassnahmen auf Seiten der FIFA sicherzustellen, namentlich durch Entgegennahme, Verbuchung und Weiterleitung der EUR 6.7 Mio.
B. Anfang November 2018 sei in verschiedenen Medien bekannt geworden, dass der damalige Leiter der Abteilung X. der Bundesanwaltschaft, G., aufgrund möglicherweise strafrechtlich relevanter Informationen betreffend den Untersuchungskomplex Weltfussball Ende Oktober 2018 durch den Bundesanwalt H. freigestellt worden sei.
C. Mit Schreiben vom 9. November 2018 gelangte A. an H., mit welchem er Bezug auf die erwähnte Medienberichterstattung nahm und um Sistierung des Verfahrens SV.15.1462 ersuchte, bis «die offensichtlich massiven Vorwürfe gegen den (die?) (Chef-)Ermittler in diesem Komplex ausserbetrieblich (neutral) geklärt» seien (Verfahrensakten Urk. 16.005-0237 f.).
D. Mit Verfügung vom 9. November 2018 stellte der ausserordentliche Staatsanwalt des Bundes, I., die gegen G. im Oktober 2018 eröffnete Strafuntersuchung wegen Amtsgeheimnisverletzung, Begünstigung, Sich bestechen lassen und Vorteilsannahme im Zusammenhang mit dem Verfahrenskomplex Weltfussball wieder ein (Verfahrensakten Urk. 18.303-0007 ff.).
E. A. wandte sich ferner mit Schreiben vom 23. November 2018 an die Bundesanwaltschaft und hielt fest, dass gestützt auf die Berichterstattung in der NZZ vom 20. und 21. November 2018 bekannt sei, wonach H. geheime nicht dokumentierte Treffen mit dem Präsidenten der FIFA abgehalten habe. Der Chef-Jurist der FIFA seinerseits habe sich mit G. getroffen. A. ersuchte mit seinem Schreiben um Beizug der gesamten Akten der Strafuntersuchung in Sachen G. sowie um Beizug der Korrespondenz, Agenda-Einträge etc., welche die Treffen von Mitgliedern der Bundesanwaltschaft mit der Privatklägerin FIFA dokumentieren würden. Zudem hielt A. an seinem bereits mit Schreiben vom 9. November 2018 gestellten Sistierungsgesuch fest (Verfahrensakten Urk. 16.005-0251 f.).
F. Die Bundesanwaltschaft ersuchte den ausserordentlichen Staatsanwalt des Bundes I. mit Schreiben vom 16. Januar 2019 um Übermittlung der Einstellungsverfügung in Sachen G. vom 9. November 2019 (Verfahrensakten Urk. 18.303-0001 ff.). Dem kam I. mit Schreiben vom 18. Januar 2019 nach (Verfahrensakten Urk. 18.303-0005 ff.).
G. Mit Verfügung vom 6. Februar 2019 liess die Bundesanwaltschaft A. eine geschwärzte Kopie der Einstellungsverfügung in Sachen G. vom 9. November 2018 zukommen und räumte ihm Gelegenheit ein, die ungeschwärzte Kopie in den Räumlichkeiten der Bundesanwaltschaft einzusehen. Auf den Beizug sämtlicher Untersuchungsakten in Sachen G. verzichtete die Bundesanwaltschaft. Ferner teilte die Bundesanwaltschaft A. mit, dass sie das Verfahrensdossier im Sinne von Art. 100 StPO mit weiteren Dateien, die sie von der FIFA im Zusammenhang mit dem Freshfield-Bericht erhalten habe, sowie mit Dateien der FIFA, die sie auch auf dem Wege der internationalen Rechtshilfe erhalten habe, vervollständige (Verfahrensakten Urk. 16.005-0341 ff.).
H. A. nahm am 11. Februar 2019 in den Räumlichkeiten der Bundesanwaltschaft Einsicht in die ungeschwärzte Kopie der Einstellungsverfügung in Sachen G. vom 9. November 2019 (Verfahrensakten Urk. 16.005-0374).
I. Gegen die Verfügung der Bundesanwaltschaft vom 6. Februar 2019 gelangt A. mit Beschwerde vom 18. Februar 2019 an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und stellt folgende Anträge (act. 1):
«1. Es sei die Beschwerdegegnerin anzuweisen, die gesamten Untersuchungsakten des Strafverfahrens gegen G. insbesondere sämtliche Einvernahmen bspw. von G., J., K. sowie den gesamten SMS-Verkehr zwischen G. und J. beizuziehen und dem Beschwerdeführer Einsicht zu gewähren.
2. es sei die Beschwerdegegnerin anzuweisen, sämtliche Unterlagen, welche Aufschluss über Kontakte, Treffen und Absprachen zwischen H. und L. gegen, insb. allfällige Einvernahmeprotokolle, Aktennotizen, Kalendereinträge etc. beizuziehen und dem Beschwerdeführer Einsicht zu gewähren;
3. es sei die Beschwerdegegnerin anzuweisen, sämtliche Korrespondenz, Agenda-Einträge etc., welche die Treffend von Mitgliedern der Bundesanwaltschaft mit der Privatklägerin FIFA dokumentieren, im Verfahren SV.15.1462 beizuziehen und dem Beschwerdeführer Einsicht zu gewähren;
4. es sei festzustellen, dass die Art und Weise wie die Beschwerdegegnerin Unterlagen von der FIFA, als Privatklägerin im Verfahren erhalten hat, nicht den Vorschriften der Schweizerischen Strafprozessordnung entspricht;
5. es sei festzuhalten, dass erst die Einsichtnahme des Unterzeichnenden resp. durch RA M. am 11. Februar 2019 in die ungeschwärzte Einstellungsverfügung im Strafverfahren gegen G. vom 09.11.2018 das fristauslösende Ereignis der vorliegend relevanten zehntägigen Beschwerdefrist darstellt.
6. unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten 7,7% Mwst. zu Lasten des Staates.»
J. Die Bundesanwaltschaft beantragt in ihrer Beschwerdeantwort vom 4. März 2019 die Abweisung der Beschwerde (act. 3). Im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels halten A. und die Bundesanwaltschaft mit Eingaben vom 25. März und 15. April 2019 jeweils an ihren in der Beschwerde bzw. Beschwerdeantwort gemachten Anträgen fest (act. 7 und 10).
K. Mit Eingabe vom 23. April 2019 reicht A. der Beschwerdekammer einen Zeitungsartikel der Neuen Zürcher Zeitung vom selben Tag ein, demgemäss von einem vierten Treffen zwischen H. und L. die Rede sei. Zudem informiert A., dass er bei der Beschwerdekammer mit Datum vom 17. April 2019 ein Ausstandsgesuch gegen H. «sowie alle ihm unterstellten um in Verfahren SV.15.1462 involvierten Staatsanwälte und Ass.-Staatsanwälte des Bundes» eingereicht habe. Er ersucht um Beizug der Akten im Ausstandsverfahren BB.2019.85 (act. 12).
L. Mit Eingabe vom 26. April 2019 nimmt A. unaufgefordert zur Duplik der Bundesanwaltschaft vom 15. April 2019 Stellung (act. 13), was der Bundesanwaltschaft zusammen mit der Eingabe A.s vom 23. April 2019 am 29. April 2019 zur Kenntnis gebracht wird (act. 14).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gegen Verfügungen und Verfahrenshandlungen der Bundesanwaltschaft kann bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde nach den Vorschriften der Art. 393 ff . StPO erhoben werden (Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO i.V.m. Art. 20 Abs. 1 lit. b StPO und Art. 37 Abs. 1 StBOG). Die Beschwerde ist nicht zulässig gegen die Ablehnung von Beweisanträgen durch die Staatsanwaltschaft oder die Übertretungsstrafbehörde, wenn der Antrag ohne Rechtsnachteil vor dem erstinstanzlichen Gericht wiederholt werden kann (Art. 394 lit. b StPO ). Ein Rechtsnachteil im Sinne dieser Bestimmung liegt vor allem dann vor, wenn die Beweisabnahme keinen Aufschub verträgt, insbesondere weil sonst ein Beweisverlust droht (Urteile des Bundesgerichts 1B_73/2014 vom 21. Mai 2014 E. 1.4; 1B_331/2016 vom 23. November 2016 E. 1.7 [wonach die Beschwerde nur möglich ist, wenn ein definitiver Beweisverlust droht]; vgl. auch 1B_189/2012 vom 17. August 2012 E. 2.1).
1.2 Der Beschwerdeführer hat mit Schreiben vom 23. November 2018 den Beizug der gesamten Untersuchungsakten im Verfahren gegen G. sowie den Beizug von Korrespondenz, Agenda-Einträgen etc., welche die Treffen von Mitgliedern der Bundesanwaltschaft mit der Privatklägerin FIFA dokumentieren, beantragt. Er hat diesen Antrag im Beschwerdeverfahren wiederholt (vgl. Beschwerdeanträge 1-3). Wird der Beizug von Akten aus einem anderen Verfahren beantragt und wird diesem Antrag entsprochen, werden diese Akten in die Akten des bestehenden Strafverfahrens eingegliedert, und diese werden zu Beweismitteln. Letzteres ergibt sich aus Art. 194 Abs. 1 StPO (unter der Überschrift «Sachliche Beweismittel»), wonach die Staatsanwaltschaft und die Gerichte Akten anderer Verfahren beiziehen, wenn dies für den Nachweis des Sachverhalts oder die Beurteilung der beschuldigten Person erforderlich ist. Damit handelt es sich bei dem vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Aktenbeizug um einen Beweisantrag. Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer den Aktenbeizug zwecks Akteneinsicht beantragt hat.
Gegen die Ablehnung von Beweisanträgen kann - wie bereits erwähnt - keine Beschwerde erhoben werden (vgl. auch Art. 331 Abs. 3 StPO ). Dass dem Beschwerdeführer bis zur erstinstanzlichen Gerichtsverhandlung ein Beweisverlust drohen würde, wird nicht dargetan und ist auch nicht ersichtlich. Auch wird weder geltend gemacht noch bestehen Hinweise dafür, dass es sich hierbei um eine geradezu systematische Ablehnung von entlastenden Beweisanträgen handelt und deswegen eine unnötige Hauptverhandlung droht (vgl. dazu Keller , in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], StPO-Kommentar, 2. Aufl. 2014, N. 4 zu Art. 394).
Auf die Beschwerdeanträge 1-3 ist daher nicht einzutreten.
1.3 Soweit der Beschwerdeführer beantragt, es sei festzustellen, dass die Art und Weise wie die Beschwerdegegnerin Unterlagen von der FIFA als Privatklägerin im Verfahren erhalten habe, nicht den Vorschriften der Schweizerischen Strafprozessordnung entspreche, hat er diesbezüglich kein Feststellungsinteresse geltend gemacht. Ein solches ist auch nicht ersichtlich. Im Übrigen kann die Frage der Verwertbarkeit von Beweisen im Hauptverfahren dem Strafrichter unterbreitet werden (vgl. Art. 339 Abs. 2 lit. d StPO). Einem allfälligen diesbezüglichen Entscheid durch den Strafrichter hat die Beschwerdekammer nicht vorzugreifen.
Auf den Beschwerdeantrag 4 ist damit nicht einzutreten.
1.4 Nicht einzutreten ist schliesslich auch auf den Beschwerdeantrag 5, wonach «festzuhalten» sei, dass erst die Einsichtnahme vom 11. Februar 2019 in die ungeschwärzte Einstellungsverfügung im Strafverfahren gegen G. vom 9. November 2018 fristauslösendes Ereignis der vorliegend relevanten zehntägigen Beschwerdefrist darstelle. Inwiefern der Beschwerdeführer diesbezüglich eine Feststellungsinteresse hat, ist nicht erkennbar, zumal er die begründete Beschwerde fristgerecht innerhalb der Beschwerdefrist von 10 Tagen seit Zustellung der angefochtenen Verfügung eingereicht hat.
2. Dementsprechend ist auf die Beschwerde in vollem Umfang nicht einzutreten.
3. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 428 Abs. 1 StPO). Die Gerichtsgebühr ist auf Fr. 2'000.-- festzusetzen (Art. 73 StBOG i.V.m. Art. 5 und 8 Abs. 1 BStKR ).
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2. Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
Bellinzona, 27. Mai 2019
Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin :
Zustellung an
- Rechtsanwalt Till Gontersweiler
- Bundesanwaltschaft
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
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