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Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Beschwerdekammer: Strafverfahren
Fallnummer:BB.2019.270
Datum:19.11.2019
Leitsatz/Stichwort:Ausstand des gesamten Berufungsgerichts (Art. 59 Abs. 1 lit. d i.V.m. Art. 56 StPO). Ausstand der gesamten Beschwerdekammer (Art. 59 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 56 StPO).
Schlagwörter : Ausstand; Kammer; Beschwerde; Ausstandsgesuch; Beschwerdekammer; Gesuch; Bundesstrafgericht; Obergericht; Berufung; Verfahren; Gesuchsteller; Bundesgericht; Mitglieder; Bundesstrafgerichts; Gesamte; Obergerichts; Ausstandsgesuche; Unabhängigkeit; Bundesrichter; Berufungsverfahren; Urteil; Gericht; Behörde; Kantons; Bundesgerichts; StBOG; SVP-Politiker; Entscheid; Richterliche
Rechtskraft:Kein Rechtsmittel gegeben
Rechtsnorm: Art. 100 BGG ; Art. 17 StGB ; Art. 174 StGB ; Art. 28 StGB ; Art. 30 BV ; Art. 390 StPO ; Art. 5 StPO ; Art. 58 StPO ; Art. 59 StPO ; Art. 6 EMRK ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BB.2019.270

Beschluss vom 19. November 2019
Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Giorgio Bomio-Giovanascini, Vorsitz,

Andreas J. Keller und Cornelia Cova ,

Gerichtsschreiberin Santina Pizzonia

Parteien

A. , vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Schaerz,

Gesuchsteller

gegen

Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer ,

Gesuchsgegnerin

Gegenstand

Ausstand des gesamten Berufungsgerichts (Art. 59 Abs. 1 lit. d i.V.m. Art. 56 StPO )

Ausstand der gesamten Beschwerdekammer (Art. 59 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 56 StPO )


Die Beschwerdekammer hält fest, dass:

- das Bezirksgericht Zürich mit Urteil vom 10. April 2018 A. wegen Verteilung eines Flugblattes mit ehrverletzendem Inhalt zum Nachteil der Privatklägerin B., Regierungsrätin des Kantons Zürich, der Verleumdung i.S.v. Art. 174 Ziff. 1 StGB i.V.m. Art. 174 Ziff. 2 StGB sowie i.V.m. Art. 176 StGB und Art. 28 Abs. 2 StGB i.V.m. Art. 322 bis StGB schuldig sprach;

- A. beim Obergericht des Kantons Zürich (nachfolgend Obergericht") Berufung erhob; das Berufungsverfahren der II. Strafkammer des Obergerichts (nachfolgend II. Strafkammer") zugeteilt wurde;

- im Berufungsverfahren A. mit Eingabe vom 14. September 2018 ein Ausstandsbegehren gegen sämtliche Mitglieder des Obergerichts stellte;

- mit Beschluss vom 3. Oktober 2018 die II. Strafkammer in der für das Berufungsverfahren festgelegten Spruchkörperbesetzung die Akten zum Entscheid über das Ausstandsbegehren von A. an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts unter Beilage der Stellungnahmen aller Mitglieder der II. Strafkammer überwies;

- mit Beschluss BB.2018.175 vom 9. Oktober 2018 die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts das Ausstandsgesuch abwies, soweit es darauf eintrat;

- im vorgenannten Berufungsverfahren A. am 12. November 2019 ein neuerliches Ausstandsgesuch gegen sämtliche Mitglieder des Obergerichts stellte (act. 1);

- A. zur Begründung des neuerlichen Ausstandsgesuchs ausführte, dass sich die Sachlage seit dem letzten Ausstandsgesuch insofern geändert habe, als das Bundesgericht mit Urteil 2C_653/2019 vom 26. Juli 2019 entschieden habe, die Eidgenössische Steuerverwaltung dürfe den französischen Steuerbehörden Datensätze von UBS-Kunden liefern, und in der Folge SVP-Politiker die Nichtwiederwahl eines am betreffenden Bundesgerichtsurteil beteiligten SVP-Bundesrichters gefordert hätten;

- damit die Besorgnis der fehlenden Unabhängigkeit, so A. weiter, nicht nur rein theoretischer Natur sei, sondern auch die Unabhängigkeit des Gerichts in Bezug auf das Strafverfahren, welches unzweifelhaft im Zusammenhang mit einer kantonalen Regierungsratswahl stehe, ernstlich in Frage gestellt sei;

- A. vorbrachte, dass aufgrund des schweizerischen Justiz-Systems in der Schweiz kein Gericht bestehe, welches den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK entspreche, um den ihn betreffenden Straffall, welchem hohe politische Bedeutung zukomme, entscheiden zu können (act. 1.1);

- mit Beschluss vom 13. November 2019 die II. Strafkammer in der für das Berufungsverfahren festgelegten Spruchkörperbesetzung die Akten zum Entscheid über das Ausstandsbegehren von A. an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts unter Beilage der Stellungnahmen der am Berufungsverfahren beteiligten Mitglieder der II. Strafkammer überwies (act. 2);

- mit Eingabe vom 13. November 2019 an das Präsidium des hiesigen Gerichts A. sowohl das Bundessstrafgericht als auch das Bundesgericht als befangen bezeichnete; A. die Auffassung vertrat, das Bundesstrafgericht habe die Akten dem Bundesgericht weiterzuleiten (act. 1.1);

- aus nachfolgenden Gründen auf die Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet wurde (vgl. Art. 390 Abs. 2 StPO im Umkehrschluss).

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung, dass:

- die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zuständig ist zum Entscheid über Ausstandsgesuche, wenn ein Ausstandsgrund nach Art. 56 StPO geltend gemacht wird und das gesamte Berufungsgericht (eines Kantons) betroffen ist (Art. 59 Abs. 1 lit. d StPO i.V.m. Art. 37 Abs. 1 StBOG );

- eine in einer Strafbehörde tätige Person in den Ausstand tritt, wenn bei ihr ein in Art. 56 lit. a bis f genannter Ausstandsgrund vorliegt;

- der Gesuchsteller vorab das gesamte Bundesstrafgericht ablehnt und die Weiterleitung seiner Ausstandsgesuche an das Bundesgericht beantragt (act. 1.1);

- für die Beurteilung von Ausstandsgesuchen gegen die Beschwerdeinstanz (einzelne Mitglieder der Beschwerdekammer sowie die gesamte Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts) grundsätzlich die Berufungskammer des Bundestrafgerichts zuständig ist (Art. 59 Abs. 1 lit. c StPO i.V.m. Art. 39 Abs. 1 StBOG );

- indessen offensichtlich unbegründete Gesuche nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung von der betroffenen Instanz selbst abgewiesen werden können, sofern auf sie überhaupt eingetreten werden muss (B OOG , in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 6 zu Art. 59, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung);

- pauschale Ausstandsgesuche gegen eine Justizbehörde als Ganzes grundsätzlich nicht zulässig sind; Ausstandsgesuche sich auf einzelne Mitglieder der Behörde zu beziehen haben; ein formal gegen eine Gesamtbehörde gerichtetes Ersuchen daher in der Regel nur entgegengenommen werden kann, wenn darin Befangenheitsgründe gegen alle Einzelmitglieder ausreichend substantiiert werden (vgl. hierzu u. a. das Urteil des Bundesgerichts 1B_97/2017 vom 7. Juni 2017 E. 3.2 m.w.H.).

- ausschliesslich an die Parteizugehörigkeit anknüpfende Ausstandsgesuche, die keine Gründe nennen, weshalb die betreffenden Richter in einem konkreten Fall persönlich befangen sein sollten, unzulässig sind (s. Urteile des Bundesgerichts 1B_137/2018 vom 4. Juni 2018 E. 2.2; 6B_1043/2014 vom 25. November 2014 E. 2; je mit weiteren Hinweisen);

- sich die bundesgerichtliche Rechtsprechung schon mehrfach mit dem Wiederwahlverfahren für Richterstellen auseinandergesetzt und namentlich festgestellt hat, dass die Amtsdauer der Bundesrichter von sechs Jahren mit Wiederwahlmöglichkeit die richterliche Unabhängigkeit gemäss Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht verletzt (Urteil des Bundesgerichts 1B_137/2018 vom 4. Juni 2018 E. 4.4, mit weiteren Hinweisen); nach dem Bundesgericht auch Zuwendungen von Richtern an politische Parteien für sich allein genommen die richterliche Unabhängigkeit nicht in Frage zu stellen vermögen (a.a.O.); für Bundesstrafrichter die gleiche Amtsdauer und dasselbe Wiederwahlverfahren wie für Bundesrichter gilt (Art. 48 Abs. 1 StBOG );

- in diesem Sinne die Berufung auf systembedingte" Mängel des schweizerischen Justizsystems (insbesondere Wahl- und Wiederwahlverfahren, Amtsdauer) nicht geeignet ist, objektive Zweifel an der Unabhängigkeit aller Mitglieder des Bundesstrafgerichts zu begründen; derart begründete Ausstandsgesuche gegen eine Justizbehörde als Ganzes daher grundsätzlich ebenfalls als nicht zulässig zu erachten sind;

- die vom Gesuchsteller herangezogene Drohung von SVP-Politikern, den fraglichen Bundesrichter nicht wiederzuwählen, daran nichts ändert; Beeinflussungsversuche allein ohnehin kein Beweis für mangelnde richterliche Unabhängigkeit sind (Urteil des Bundesgerichts 1B_137/2018 vom 4. Juni 2018 E. 4.4); der Gesuchsteller auch nicht behauptet, dass vorliegend versucht worden sei, irgendeinen Bundesstrafrichter (der [Straf-,] Beschwerde- und Berufungskammer) zu beeinflussen;

- der Gesuchsteller nach dem Gesagten ganz offensichtlich keinen Ausstandsgrund im Sinne von Art. 56 StPO geltend macht, weshalb auf sein Ausstandsgesuch gegen die gesamte Beschwerdekammer durch die Beschwerdekammer selber direkt nicht einzutreten ist und sich eine Weiterleitung an die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts bzw. an das Bundesgericht, beide ohnehin ebenfalls abgelehnt, erübrigt;

- eine Partei, die den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person ver-langen will, der Verfahrensleitung ohne Verzug ein entsprechendes Gesuch zu stellen hat, sobald sie vom Ausstandsgrund Kenntnis hat (Art. 58 Abs. 1 StPO); dabei die den Ausstand begründenden Tatsachen glaubhaft zu machen sind (Art. 58 Abs. 1 StPO );

- aus Sicht des Gesuchstellers die Ende Juli 2019 laut gewordene Forderung von SVP-Politikern, den vorgenannten Bundesrichter nicht wiederzuwählen, ein konkretes Beispiel für seine Besorgnis der Befangenheit des Obergerichts darstelle;

- aus nachfolgenden Gründen offen bleiben kann, ob das mehr als drei Monate später gestellte Ausstandsgesuch gegen sämtliche Mitglieder des Obergerichts als verspätet zu beurteilen ist;

- irgendein gearteter Zusammenhang zwischen der Reaktion einzelner SVP-Politiker hinsichtlich des fraglichen Bundesrichters und der Situation der Mitglieder des Obergerichts nicht ersichtlich ist und dies der Gesuchsteller auch nicht aufzeigt;

- der Gesuchsteller selbst im vorliegenden Verfahren nicht behauptet, dass im ihn betreffenden Strafverfahren versucht worden sei, Mitglieder des Obergerichts zu beeinflussen; wie vorstehend ausgeführt, Beeinflussungsversuche allein ohnehin kein Beweis für mangelnde richterliche Unabhängigkeit sind und auch nicht automatisch den Anschein der Befangenheit begründen;

- darüber hinaus der Gesuchsteller nichts ausführt, das zu einer anderen Beurteilung seines Ausstandsgesuchs führen würde als im Verfahren BB.2018.175 , auf welches hiermit ergänzend verwiesen wird;

- nach dem Gesagten das Ausstandsgesuch gegen das gesamte Obergericht abzuweisen ist, soweit darauf einzutreten ist;

- bei diesem Ausgang des Verfahrens der Gesuchsteller die Gerichtskosten zu tragen hat (Art. 59 Abs. 4 StPO );

- die Gerichtsgebühr vorliegend auf Fr. 1'000.-- festzusetzen ist (Art. 73 StBOG i.V.m. Art. 5 und 8 Abs. 2 des Reglements des Bundesstrafgerichts vom 31. August 2010 über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren [BStKR; SR 173.713.162]).


Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Auf das Ausstandsgesuch gegen die gesamte Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts wird nicht eingetreten.

2. Das Ausstandsgesuch gegen das gesamte Obergericht des Kantons Zürich wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.

3. Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Gesuchsteller auferlegt.

Bellinzona, 20. November 2019

Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin :

Zustellung an

- Rechtsanwalt Patrick Schaerz

- Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben. Im Übrigen wird auf die Art. 78 , Art. 80 Abs. 1 , Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG verwiesen.

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