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Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Beschwerdekammer: Strafverfahren
Fallnummer:BG.2018.17
Datum:22.06.2018
Leitsatz/Stichwort:Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO).
Schlagwörter : Kanton; Kantons; Täter; Bande; Verfahrensakten; Gesuch; Behörden; Delikt; Ordner; Begangen; Verfolgung; Diebstahl; Bundesstrafgericht; Gerichtsstand; Täterschaft; Verübt; Taten; Unbekannte; Eschwerdekammer; Generalstaatsanwaltschaft; Ortes; Beschuldigte; Unbekannten; Zuständig; Delikte; Bundesstrafgerichts; Oberstaatsanwaltschaft; Beschuldigten
Rechtskraft:Kein Rechtsmittel gegeben
Rechtsnorm: Art. 139 StGB ; Art. 140 StGB ; Art. 160 StGB ; Art. 31 StPO ; Art. 33 StPO ; Art. 34 StPO ; Art. 40 StPO ; Art. 423 StPO ;
Referenz BGE:124 IV 86; 135 IV 158; 86 IV 222; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BG.2018.17

Entscheid vom 22. Juni 2018
Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Giorgio Bomio-Giovanascini, Vorsitz,

Emanuel Hochstrasser und Tito Ponti ,

Gerichtsschreiberin Chantal Blättler Grivet Fojaja

Parteien

Kanton Zürich, Oberstaatsanwaltschaft ,

Gesuchsteller

gegen

Kanton Bern, Generalstaatsanwaltschaft ,

Gesuchsgegner

Gegenstand

Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO )


Sachverhalt:

A. A. wird vorgeworfen, in den Monaten August/September 2016 zweimal zusammen mit dem Mitbeschuldigten B. und einmal mit einer unbekannten Täterschaft C." im Kanton Zürich gewerbsmässigen Diebstahl begangen zu haben. Zudem wird A. in fünf weiteren Fällen gewerbsmässige Hehlerei im Kanton Zürich, begangen im August 2017, vorgeworfen (vgl. Deliktszusammenstellung in act. 1 S. 2 ff.). Schliesslich wird gegen A. wegen einfachen Raubes im Kanton Bern, begangen am 11. Dezember 2016, ermittelt.

B. Am 14. September 2017 wurde A. in Z. polizeilich festgenommen und mit Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts Pfäffikon in Untersuchungshaft versetzt (Verfahrensakten Kt. ZH, Ordner 2, Urk. 1.8).

C. Die Staatsanwaltschaft See/Oberland des Kantons Zürich gelangte mit Schreiben vom 20. September 2017 an die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland und ersuchte um Verfahrensübernahme, was diese am 21. September 2017 ablehnte (Verfahrensakten Kt. ZH, Ordner 1, Urk. 1.1 und 1.3). Mit Schreiben vom 26. Januar 2018 gelangte die Staatsanwaltschaft See/Oberland mit einem erneuten Gesuch um Verfahrensübernahme an die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, welches diese am 12. Februar 2018 wiederum abwies (Verfahrensakten Kt. ZH, Ordner 1, Urk. 1.4 und 1.5).

D. Seit dem 9. März 2018 befindet sich A. im vorzeitigen Strafvollzug (Verfahrensakten Kt. ZH, Ordner 2, Urk. 1.12 und 1.13).

E. Im Rahmen des abschliessenden Meinungsaustausches vom 23. April und 15. Mai 2018 zwischen der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern konnte keine Einigung erzielt werden (act. 1.1 und 1.2).

F. Mit Gesuch vom 25. Mai 2018 gelangt die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragt, es seien die Behörden des Kantons Bern zur Verfolgung und Beurteilung der den beschuldigten A. und B. zur Last gelegten Straftaten als berechtigt und verpflichtet zu erklären (act. 1 S. 2).

Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern beantragt in ihrer Gesuchsantwort vom 7. Juni 2018 die Abweisung des Gesuchs (act. 3 S. 2), was der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich am 11. Juni 2018 zur Kenntnis gebracht wurde (act. 4).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die B eschwerdekammer zieht in Erwägung:

1. Die Eintretensvoraussetzungen (durchgeführter Meinungsaustausch zwischen den involvierten Kantonen und zuständigen Behörden, Frist und Form, vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.7 vom 21. März 2014 E. 1) sind vorliegend erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass.

2.

2.1 Für die Verfolgung und Beurteilung einer Straftat sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem die Tat verübt worden ist. Liegt nur der Ort, an dem der Erfolg der Straftat eingetreten ist, in der Schweiz, so sind die Behörden dieses Ortes zuständig (Art. 31 Abs. 1 StPO ). Der Ausführungsort befindet sich dort, wo der Täter gehandelt hat (BGE 86 IV 222 E. 1).

Ist eine Straftat von mehreren Mittätern verübt worden, so sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 33 Abs. 2 StPO). Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 34 Abs. 1 StPO).

Begehen mehrere Beschuldigte zusammen in verschiedenen Kantonen mehrere Delikte, so sind Art. 33 und Art. 34 Abs. 1 StPO so miteinander zu kombinieren, dass in der Regel alle Mitwirkenden an dem Orte verfolgt werden, wo von einem Mittäter die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat verübt worden ist. Bei gleich schweren Strafdrohungen bestimmt sich der Gerichtsstand für alle Beteiligten nach dem Ort, wo die Verfolgungshandlungen zuerst vorgenommen worden sind (vgl. hierzu u. a. die Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BG.2011.49 vom 19. Januar 2012, E. 2.1; BG.2011.33 vom 28. September 2011, E. 2.2.1; BG.2011.4 vom 10. August 2011, E. 2.2.2).

2.2 Die Beurteilung der Gerichtsstandsfrage richtet sich nach der aktuellen Verdachtslage. Massgeblich ist nicht, was dem Beschuldigten letztlich nachgewiesen werden kann, sondern der Tatbestand, der Gegenstand der Untersuchung bildet, es sei denn, dieser erweise sich von vornherein als haltlos oder sei sicher ausgeschlossen. Der Gerichtsstand bestimmt sich also nicht nach dem, was der Täter begangen hat, sondern nach dem, was ihm vorgeworfen wird, das heisst, was aufgrund der Aktenlage überhaupt in Frage kommt. Es gilt der Grundsatz in dubio pro duriore, wonach im Zweifelsfall auf den für den Beschuldigten ungünstigeren Sachverhalt abzustellen bzw. das schwerere Delikt anzunehmen ist (vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.10 vom 10. Juni 2014, E. 2.1).

3.

3.1 Unter den Parteien ist umstritten, ob die von A., teils mit B., teils mit einer unbekannten Täterschaft im August/September 2016 verübten Einbruchsdiebstähle unter den qualifizierten Tatbestand des bandenmässigen Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 3 Abs. 2 StGB zu subsumieren sind. Der Kanton Zürich stellt sich auf den Standpunkt, A. habe lediglich zweimal mit B. zusammengewirkt und mit der unbekannten Täterschaft gar nur einmal, sodass es bereits an dem von Lehre und Rechtsprechung geforderten Erfordernis der mehr als zwei gemeinsamen selbständigen Straftaten zur Bejahung der Bandenmässigkeit fehle. Aus der Aktenlage ergebe sich sodann auch nicht, dass sich die beiden Beschuldigten und die unbekannte Täterschaft mit dem Willen, künftig gemeinsam Straftaten zu begehen, zusammengefunden hätten. Schliesslich fehle es auch an der geforderten Intensität der Beziehung unter den Bandenmitgliedern im Sinne einer Stabilität und Festigkeit der Gruppe (act. 1 S. 6). Demgegenüber hält der Kanton Bern fest, A. seien nicht nur drei Diebstähle im Kanton Zürich vorzuwerfen, sondern weitere fünf, begangen im August 2017. Bei allen Delikten sei der modus operandi der gleiche gewesen, wobei die Täterschaft ein hochprofessionelles und organisiertes Vorgehen an den Tag gelegt habe. Gestützt auf den Grundsatz in dubio pro duriore sei daher der Tatbestand des bandenmässigen Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 3 StGB massgebend (act. 3 S. 3 f.).

3.2 Nach Art. 139 Ziff. 3 Abs. 2 StGB ist der qualifizierte Tatbestand des Diebstahls gegeben, wenn der Dieb den Diebstahl als Mitglied einer Bande ausführt, die sich zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl zusammengefunden hat.

Nach der Rechtsprechung ist Bandenmässigkeit gegeben, wenn zwei oder mehrere Täter sich mit dem ausdrücklich oder konkludent geäusserten Willen zusammenfinden, inskünftig zur Verübung mehrerer selbständiger Straftaten zusammenzuwirken. Es macht hierbei keinen Unterschied, ob zwei oder mehrere Täter vorhanden sind. Haben sich nur zwei Personen zur fortgesetzten Begehung von Straftaten zusammengefunden, so kann eine bandenmässige Tatbegehung nicht ausgeschlossen werden, wenn gewisse Mindestansätze einer Organisation und die Intensität des Zusammenwirkens ein derartiges Ausmass erreichen, dass von einem bis zu einem gewissen Grade fest verbundenen und stabilen Team gesprochen werden kann (BGE 135 IV 158). Ist demgegenüber schon die Zusammenarbeit derart locker, dass von Anfang an nur ein sehr loser und damit völlig unbeständiger Zusammenhalt besteht, liegt keine Bande vor (BGE 124 IV 86 , 88 f. E. 2b).

3.3 Unter den Parteien ist zunächst unbestritten, dass A. die drei Einbruchdiebstähle vom August und September 2016 zweimal mit B. und einmal mit einer unbekannten Täterschaft verübt hat. Den Einvernahmen von A. und B. vom 27. November 2017 und 11. Dezember 2017 ist zu entnehmen, dass die beiden Beschuldigten im Zeitraum vom 6. bis 8. September 2016 mit einem Lieferwagen in eine Sammelgarage in Y. und X. eingedrungen sind und zwei Motorräder gestohlen haben (Verfahrensakten Kt. ZH, Ordner 2, Urk. 4.5 und 4.13). Ebenso sei auf Videoaufnahmen ersichtlich, wie A. am 9. August 2016 mit einer unbekannten Person mit einem Lieferwagen in eine Sammelgarage in Schlieren gefahren sei und dort diverse Autoräder und ein Kinderfahrzeug gestohlen habe (Verfahrensakten Kt. ZH, Ordner 2, Urk. 4.4). Gemäss Aussagen von B. würden er und A. aus dem gleichen Dorf in Serbien stammen (Verfahrensakten Kt. ZH, Ordner 2, Urk. 4.13).

Entgegen der Auffassung des Gesuchstellers ist für die Bejahung der Bandenmässigkeit nicht vorausgesetzt, dass mehr als zwei Bandenmitglieder gemeinsam zusammenwirken. Vielmehr genügt ein Zusammenschluss von bereits zwei Bandenmitgliedern. Dies gilt umso mehr, wenn diese Personen freundschaftlich oder familiär besonders verbunden sind, da der psychische Druck bzw. der Zusammenhalt bei solchen Tätern grösser sei als etwa bei einem Trio ohne besonderen Zusammenhalt (BGE 135 IV158).

3.4 Gestützt auf die von A. und B. gemachten Aussagen und die vorliegenden Akten kann nicht ausgeschlossen werden, dass A. als Mitglied einer Bande, bestehend aus mindestens ihm selbst und B., an den Einbruchdiebstählen mitgewirkt hat. Ebensowenig kann ein arbeitsteiliges Vorgehen von A. und B. ausgeschlossen werden. Damit ist hinsichtlich der Einbruchsdiebstähle vom August und September 2016 in Anwendung des Grundsatzes in dubio pro duriore von Bandenmässigkeit auszugehen.

4. Während gewerbsmässige Hehlerei im Sinne von Art. 160 Ziff. 2 StGB mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren oder Geldstrafe nicht unter 90 Tagessätzen bestraft wird, sehen Raub im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 StGB sowie bandenmässiger Diebstahl im Sinne von Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 StGB je eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren vor. Der Gerichtsstand bestimmt sich vorliegend somit danach, wo die ersten Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 33 Abs. 2 und Art. 34 Abs. 1 StPO). Dies ist vorliegend im Kanton Zürich mit der Anzeige des Einbruchsdiebstahls in Schlieren bei der Einsatzzentrale Zürich vom 10. August 2016 geschehen (Verfahrensakten Kt. ZH, Urk. 6/1, S. 5), während die im Kanton Bern verfolgte Straftat (Raub) erst am 11. Dezember 2016 begangen wurde.

5. Nach dem Gesagten liegt der gesetzliche Gerichtsstand hinsichtlich der vorliegenden Delikte im Kanton Zürich. Der Antrag des Gesuchstellers ist daher abzuweisen, und es sind die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zürich für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die A. und B. zur Last gelegten Delikte zu verfolgen und zu beurteilen.

6. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 423 Abs. 1 StPO ).


Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zürich sind berechtigt und verpflichtet, die B. und A. zur Last gelegten Delikte zu verfolgen und zu beurteilen.

2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Bellinzona, 22. Juni 2018

Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin :

Zustellung an

- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich

- Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (unter Beilage der eingereichten Verfahrensakten)

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.

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