Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Strafverfahren |
Fallnummer: | BB.2012.39 |
Datum: | 11.09.2012 |
Leitsatz/Stichwort: | Ordnungsbusse (Art. 64 Abs. 2 StPO). |
Schlagwörter : | Beschwerde; Einvernahme; Ordnungsbusse; Beschwerdeführer; Verfahren; Verfahren; Beschuldigte; Person; Ordnungsbussen; Verfahrensleitende; Gehör; Anordnung; Verfahrens; Buches; Beschwerdekammer; Bundesanwaltschaft; Aussage; Bundesstrafgericht; Beschuldigten; Beschuldigte; Recht; Partei; Beschwerdegegnerin; Aussageverweigerungsrecht; Mitwirkung; Gehörs; Bundesstrafgerichts; Verfahrensleitenden; Verfügung |
Rechtskraft: | Kein Rechtsmittel gegeben |
Rechtsnorm: | Art. 142 StPO ; Art. 146 StGB ; Art. 158 StPO ; Art. 19 Or; Art. 382 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 429 StPO ; Art. 6 StPO ; Art. 62 StPO ; Art. 64 StPO ; Art. 66 BGG ; |
Kommentar zugewiesen: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: BB.2012.39 |
Beschluss vom 11. September 2012 | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Stephan Blättler, Vorsitz, Emanuel Hochstrasser und Patrick Robert-Nicoud , Gerichtsschreiberin Sarah Wirz | |
Parteien | A. , Beschwerdeführer | |
gegen | ||
Bundesanwaltschaft, Beschwerdegegnerin | ||
Gegenstand | Ordnungsbusse (Art. 64 Abs. 2 StPO ) |
Sachverhalt:
A. Die Bundesanwaltschaft führt gegen A. unter anderem eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts des gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146
Abs. 2 StGB ). Im Rahmen dieses Verfahrens wurde er mehrfach einvernommen. Anlässlich der Einvernahmen vom 22. März 2012 und vom
29. März 2012 auferlegte die Bundesanwaltschaft A. eine Ordnungsbusse von je Fr. 500.-- (act. 3.2, S. 5 und act. 3.3, S. 12).
An der Einvernahme vom 22. März 2012 wurde der A. im Sinne einer verfahrensleitenden Anordnung aufgefordert sein Buch wegzulegen, unter Androhung einer Ordnungsbusse im Wiederholungsfall. Zuvor war er schon zu Anstand und Ordnung ermahnt worden, wobei ihm namentlich das ostentative Lesen eines Buches vorgehalten wurde. Diese Ermahnung wurde in der Folge zu Beginn jeder Einvernahme wiederholt.
B. A. reicht dagegen mit Eingabe vom 29. März 2012 Beschwerde bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts ein und beantragt die Aufhebung der Ordnungsbussen vom 22. und 29. März 2012 (act. 1). In ihrer Beschwerdeantwort vom 12. April 2012 schliesst die Bundesanwaltschaft auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde (act. 3), worauf A. in seiner Beschwerdereplik vom 26. April 2012 seine Anträge bestätigt (act. 5). Die Bundesanwaltschaft hält in ihrer Beschwerdeduplik ebenfalls an ihren Anträgen fest (act. 7), was A. mit Schreiben vom 2. Mai 2012 zur Kenntnis gebracht wurde (act. 8).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 64 Abs. 2 StPO können Ordnungsbussen der Staatsanwaltschaft und der erstinstanzlichen Gerichte innert 10 Tagen bei der Beschwerdeinstanz angefochten werden. Erging die Ordnungsbusse seitens der Bundesanwaltschaft, so ist die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts für deren Beurteilung endgültig zuständig (Art. 64 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 37 Abs. 1 StBOG und Art. 19 Abs. 1 des Organisationsreglements vom 31. August 2010 für das Bundesstrafgericht [Organisationsreglement BStGer, BStGerOR; SR 173.713.161]).
1.2 Im Rahmen der Eintretensvoraussetzungen ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer zur Beschwerde legitimiert ist. Zur Beschwerde berechtigt ist gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat. Erforderlich ist, dass die betreffende Person durch die angefochtene Verfahrenshandlung oder Verfügung unmittelbar in ihren Rechten betroffen, d.h. beschwert ist.
1.3 Der Beschwerdeführer ist als Adressat der Ordnungsbussen unmittelbar in seinen Rechten betroffen und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.
2.
2.1 Dem Beschwerdeführer wurde anlässlich der Einvernahme vom 22. März 2012 und vom 29. März 2012, nach vorausgehender Androhung bzw. Ermahnung, jeweils eine Ordnungsbusse in Höhe von Fr. 500.-- auferlegt, weil er während der Einvernahmen in einem Buch las (act. 3.2, S. 2 und S. 5 sowie act. 3.3, S. 2 und S. 12). Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, ihm sei bezüglich der Ordnungsbussen kein rechtliches Gehör gewährt worden, welches ihm ermöglicht hätte, darzulegen, weshalb dieses zeitweilige Lesen in einem Buch die einzige Möglichkeit gewesen sein soll, sein Aussageverweigerungsrecht vollständig auszuüben (act. 1, S. 4). Anlässlich der Einvernahme vom 22. März 2012 erliess die Beschwerdegegnerin eine verfahrensleitende Verfügung mit der Aufforderung zum Weglegen des während der Einvernahme gelesenen Buches (act. 3.2, S. 2). In der Einvernahme vom 29. März 2012 erfolgte keine solche Anordnung, der Beschuldigte wurde jedoch auch in dieser Einvernahme vorgängig auf die Möglichkeit zur Auferlegung einer Ordnungsbusse hingewiesen (act. 3.3,
S. 2).
2.2 Gemäss Art. 64 Abs. 1 StPO kann die Verfahrensleitung Personen, die den Geschäftsgang stören, den Anstand verletzen oder verfahrensleitende Anordnungen missachten, mit Ordnungsbussen bis zu Fr. 1'000.-- bestrafen. Soweit die betroffenen Personen von Gesetzes wegen eine Kooperation verweigern dürfen, darf die Weigerung nicht mit Ordnungsbussen geahndet werden ( Jent , Basler Kommentar, Basel 2011, Art. 64 N. 1). Bei verfahrensleitenden Anordnungen handelt es sich um solche, die ein zweckmässiges, sach- und ordnungsgerechtes Strafverfahren gewährleisten, mithin das Verfahren fördern ( Jent , a.a.O., Art. 62 N. 1 f.).
2.3 Mittels der Einvernahme sollen Personalbeweise erhoben werden. Durch sie fliessen persönliche Eindrücke der Wahrnehmung eines Sachverhalts in ein Verfahren ein. Neben dieser Beweisfunktion dient die Einvernahme, namentlich des Beschuldigten, der Wahrung des rechtlichen Gehörs ( Häring , Basler Kommentar, Basel 2011, vor Art. 142 -146 StPO N. 7). Damit sich der Beschuldigte zur Sache äussern kann, und ihm das rechtliche Gehör gewährt wird, muss ihm mitgeteilt werden, welcher Vorhalt ihm gemacht wird (Art. 143 Abs. 1 lit. b und Art. 158 Abs. 1 lit. a StPO ). Aus diesem Grunde ist eine Einvernahme, auch wenn der Beschuldigte am Anfang darauf hinweist, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, nicht abzubrechen. Der Beschuldigte hat in für ihn verständlicher Weise über den Gegenstand der Einvernahme informiert zu werden (Art. 143 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 5 StPO ). Der beschuldigten Person steht ein Aussage- und Mitwirkungsverweigerungsrecht zu (Art. 158 Abs. 1 lit. b StPO).
2.4 Vorerst stellt sich die Frage, ob in casu das Weglegen des Buches überhaupt Inhalt einer verfahrensleitenden Anordnung sein kann. Der Beschwerdeführer als beschuldigte Person ist in seinem Strafverfahren nicht zur Aussage und zur Mitwirkung verpflichtet. Dagegen hat die einvernehmende Person sicherzustellen, dass dem Beschuldigten in genügender Weise das rechtliche Gehör gewährt werden kann. Dazu ist es erforderlich, dass die beschuldigte Person an der Einvernahme teilnimmt. Diesbezüglich besteht folglich eine Anwesenheitspflicht, die auch mittels der polizeilichen Vorführung des Beschuldigten sichergestellt werden kann. Während der Einvernahme hat der Beschuldigte alles zu unterlassen, was eine gesetzmässige und geordnete Durchführung des Verfahrens behindern würde (vgl. Art. 62 Abs. 1 StPO ). Durch das Lesen des Buches während der Einvernahme störte der Beschwerdeführer das Verfahren grundsätzlich nicht, entstehen dadurch doch, im Gegensatz zum Lesen einer Zeitung, keine störenden Geräusche. Das Lesen eines Buches kann auch nicht als Anstandsverletzung angesehen werden, wie es die Beschwerdegegnerin offenbar tat; vielmehr ist dieses als aktive Ausübung des Aussageverweigerungsrechtes einzustufen. Die verfahrensleitende Verfügung war vorliegend somit in dem Umfang ungültig, als damit dem Beschwerdeführer das Lesen des Buches verboten wurde. Der entsprechende Verstoss des Beschwerdeführers gegen die verfahrensleitende Verfügung konnte deshalb auch nicht mit Ordnungsbusse gemäss Art. 64 StPO geahndet werden. Fragen könnte man sich allenfalls, ob das Verbot des Buchlesens mit der Begründung hätte gerechtfertigt werden können, der Beschwerdeführer werde durch das Lesen des Buches in der Wahrnehmung seines rechtlichen Gehörs eingeschränkt, indem er den gestellten Fragen nicht mehr folgen konnte und so nicht genügend über die Vorhalte informiert wurde. Dies ist vorliegend zu verneinen. Der Beschwerdeführer hat zwar im Buch gelesen, doch ist nicht davon auszugehen, dass er den Fragen bzw. Vorhaltungen der Beschwerdegegnerin nicht hätte folgen können. Die Verfahrensleitung hat nicht die Pflicht, alles Mögliche zu unternehmen, dass die beschuldigte Person ihr Recht auf rechtliches Gehör wahrnimmt, sondern lediglich, dass diese die uneingeschränkte Möglichkeit dazu hat. Verweigert die beschuldigte Person ihre Mitwirkung wie vorliegend gänzlich, dann ist dieser Umstand als Wahrnehmung des Rechts auf Verweigerung der Mitwirkung zu verstehen. Bei Beschuldigten hat die einzuvernehmende Person das Aussageverweigerungsrecht zu beachten, und sie darf die Ausübung dieses Rechts nicht durch den Erlass einer verfahrensleitenden Anordnung stören. Die verfahrensleitende Anordnung ist nur gültig, wenn sie einen Inhalt hat, der für die Weiterführung des Verfahrens notwendig und angemessen ist (vgl. oben E. 2.2). Vorliegend ist diese Notwendigkeit und Angemessenheit für die Anordnung, dem Beschuldigten werde untersagt, während der Befragung ein Buch zu lesen, nicht gegeben. Wie bereits zuvor festgehalten, störte der Beschwerdeführer durch das Lesen des Buchs das Verfahren in keiner Weise. Es trifft zwar zu, dass sich der Beschwerdeführer gemäss Protokoll anlässlich der Einvernahmen teilweise problematisch verhalten hat: die Ordnungsbussen wurden jedoch nicht wegen diesem Verhalten, sondern einzig wegen dem Lesen des Buches auferlegt (act. 3.2. S. 5 und act. 3.3, S. 12).
2.5 Demnach sind die Voraussetzungen für die Auferlegung der Ordnungsbussen nicht gegeben, weswegen die Beschwerde gutzuheissen ist.
3. Bei diesem Ausgang des Verfahrens kann offen bleiben, ob die Ordnungsbussen unter Verletzung des rechtlichen Gehörs verfügt wurden. Ebenso kann offen bleiben, ob eine allfällige Gehörsverletzung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hätte geheilt werden können (siehe dazu Guidon , Die Beschwerde gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, Zürich/St. Gallen 2011, N. 346 - 361).
4.
4.1 Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 428 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 66 Abs. 4 BGG ).
4.2 Die obsiegende Partei hat Anspruch auf eine angemessene Entschädigung für ihre Aufwendungen (Art. 436 Abs. 1 i.V.m. Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO ). Gemäss Art. 10 i.V.m. 12 Abs. 1 des Reglements des Bundesstrafgerichts über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren (BStKR; SR 173.713.162). Der Beschuldigte hat seine Interessen vorliegend selber vertreten, weshalb ihm kein wesentlicher Aufwand entstanden ist. E ine pauschale Entschädigung von Fr. 100.-- (inkl. MwSt) erscheint deshalb angemessen.
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Ordnungsbussen vom 22. März 2012 und vom 29. März 2012 in Höhe von je Fr. 500.-- werden aufgehoben.
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3. Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor der Beschwerdekammer eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 100.-- (inkl. MwSt) zu bezahlen.
Bellinzona, 12. September 2012
Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin :
Zustellung an
- A.
- Bundesanwaltschaft
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
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